Heinlein: Herr Professor Dudenhöffer, führt die IG Metall einen Arbeitskampf gegen den Aufschwung Ost?
Dudenhöffer: Die IG Metall schädigt nachhaltig und sehr schwer die neuen Bundesländer und geht ohne irgendwelche Rücksichtnahmen zur Verfolgung eigennütziger Ziele vor.
Heinlein: Wie wichtig ist denn überhaupt die Automobilbranche für den Ostarbeitsmarkt?
Dudenhöffer: Es ist eine der Schlüsselbranchen. Einige der Hersteller haben sehr intensiv investiert, insbesondere BMW in Leipzig, da entsteht ein ganz hochmodernes Werk. Das ist ein Bilderbuchwerk, eine sehr wichtige Stütze für Leipzig. Es wurde damit gerechnet, dass um BMW sich sehr viel Neues ansiedelt, insbesondere Zulieferer. Und das steht jetzt alles durch diese sehr fragwürdigen, nicht nachvollziehbaren, plötzlich überhaupt nicht ins Weltbild passenden Forderungen der IG Metall wieder in Frage.
Heinlein: Steht das tatsächlich in Frage, ist das eine tatsächliche Möglichkeit, dass BMW das Engagement in Leipzig überdenkt und vielleicht gar nicht dorthinsiedelt?
Dudenhöffer: Selbstverständlich siedelt BMW nach Leipzig, das Werk steht ja schon in großen Zügen. Das Problem sind die weiteren Ausbaustufen, die Zulieferer, die ans Werk geknüpft sind. Man muss sich vorstellen, in der Automobilindustrie sieht es so aus, dass 75 Prozent des Fahrzeuges eigentlich von den Zulieferern produziert werden und 25 Prozent von BMW. Die Zulieferer, aber auch die großen Automobilhersteller, sind längst schon in Osteuropa, in Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei. Und BMW, beziehungsweise Leipzig, hat es geschafft, diese Abwanderung etwas zu bremsen und so, wie es jetzt aussieht, wird die Abwanderung in die EU-Erweiterungsstaaten, die sehr viel kostengünstige Arbeitsverhältnisse anbieten, die hohe Arbeitsqualität anbieten, stärker von den Unternehmen fortgesetzt werden.
Heinlein: Ist es für die Konzerne tatsächlich so viel günstiger, in Tschechien oder Polen zu produzieren anstatt in Sachsen, Bayern oder Baden-Württemberg?
Dudenhöffer: Wesentlich günstiger. Sehen Sie, eine Arbeitsstunde in Polen, Ungarn, Tschechien kostet inklusive Lohnnebenkosten etwa 4 Euro und in den neuen Bundesländern liegen Sie heute bei 16,50 Euro. Wenn Sie die 38-Stunden-Woche reduzieren auf 35, kommen Sie auf über 18 Euro. Das heißt für den Automobilzulieferer, der etwa 25 Prozent seiner Kosten aus Arbeitskosten einsetzt, wenn er das Produkt in den neuen Bundesländern baut, kostet es heute statt 100 morgen 102 Prozent und in Polen oder Ungarn kann er sie für knapp über 80 Prozent realisieren. Das sind Unterschiede von über 20 Prozent, die dann auftreten und die betriebswirtschaftlich nicht mehr tragfähig sind für Unternehmen, das heißt, sie sind betriebswirtschaftlich gezwungen, auszuwandern.
Heinlein: Wie viele Stunden wird denn in Polen oder Tschechien pro Woche gearbeitet?
Dudenhöffer: In Polen und Tschechien wird teilweise deutlich über 40 Stunden gearbeitet. Die Arbeitsverhältnisse, die man dort hat, sind sehr hochwertig. Nehmen Sie Bratislava bei Prag, da ist etwa VW ansässig, da wird der Touareg, ein ganz hochmodernes Fahrzeug, produziert. In Kürze, in ein, zwei Jahren werden bei Prag Peugeot und Toyota ein völlig neues Werk aufbauen, in dem 300.000 Fahrzeuge pro Jahr produziert werden. Vor zwei Monaten hat Toyota, einer der ganz wichtigen Hersteller der Welt, bekanntgegeben, in Polen ein neues Motorenwerk für 150.000 Dieselmotoren zu bauen. Wir können diese Reihe beliebig fortsetzen. Ironie des Schicksals: am Samstag hat INA, ein großer deutscher Zulieferer bekanntgegeben, jetzt 180 Millionen in Rumänien zu investieren, sie wollen dort mittelfristig 3000 Arbeitsplätze schaffen.
Heinlein: Dann stellt sich natürlich die Frage, warum produzieren die Automobilkonzerne und ihre Zulieferer überhaupt noch in Deutschland, wenn im Ausland alles billiger und besser ist?
Dudenhöffer: An den Grundstandorten in Bayern, Baden-Württemberg oder Nordrhein-Westfalen, hat man gewachsene Strukturen, die man nicht einfach aufgibt. Die Frage ist, wenn neue Investitionsentscheidungen anstehen, wenn Kapazitätserweiterungen anstehen, wird immer sehr genau überprüft, ob es sich nun lohnt, diese am bestehenden Standort durchzuführen oder ob es dann besser, einfacher, kostengünstiger ist, ins Ausland zu gehen. Derzeit sieht es wirklich so aus, dass es ganz weniger oder kaum Gründe gibt, am Automobilstandort Deutschland zu bleiben, vielleicht auch hier wieder eine Zahl, die das vergegenwärtigt: in den letzten fünf Jahren sind 26 Prozent aller Kapazitätserweiterungen, die von deutschen Zulieferern vorgenommen wurden, nach Osteuropa verlagert worden. Das heißt, 26 Prozent aller Kapazitäten, die Arbeitsplätze geschaffen haben, alle neuen Kapazitäten, sind in Osteuropa entstanden; nur 17 Prozent in Deutschland und die hauptsächlich in den alten Ländern. Die neuen Länder stehen im Brennpunkt und sie kommen in eine Sandwichposition und die Gefahr besteht, dass das Wirtschaftswachstum langfristig dort sehr nachhaltig geschädigt wird.
Heinlein: Frage ganz kurz zum Schluss, Herr Professor Dudenhöffer. Die IG Metall ist ja durchaus gesprächsbereit, will jetzt wieder verhandeln und vielleicht flexible Arbeitszeitregelungen mit einem Zeitplan hin bis zur 25-Stunden-Woche dann erreichen. Ist das ein Kompromiss, mit dem auch die Arbeitgeber leben können?
Dudenhöffer: Es ist die Frage, ob es ein Kompromiss ist, mit dem die neuen Länder leben können. Die Arbeitgeber werden sich nach den Bedingungen ausrichten, die neuen Länder müssen schauen, ob es langfristig möglich ist, Standortnachteile auszugleichen, die damit entstehen und es steht zu befürchten, dass die neuen Länder die großen Verlierer sind, denn die Verkürzung der Arbeitszeiten bei gleicher Lohnhöhe geht automatisch dazu über, dass die Kosten steigen, die Standortvorteile weiter reduziert werden. Die neuen Länder sind diejenigen, die die Zeche bezahlen müssen.
Heinlein: Der Automobilexperte Ferdinand Dudenhöffer heute morgen hier im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.
Dudenhöffer: Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio