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Drohendes Scheitern des INF-Vertrags
NATO-Generalsekretär Stoltenberg erhöht den Druck auf Moskau

Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg sieht den INF-Nuklear-Vertrag ernsthaft in Gefahr und macht dafür allein Moskau verantwortlich. Russland verstoße gegen den Vertrag, indem es verbotene Raketen stationiere - das könne die Nato nicht straflos hinnehmen. Für das Bündnis wird der Streit zur Zerreißprobe.

Von Kai Küstner | 13.11.2018
    Das Foto zeigt NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg auf einer Pressekonferenz.
    Nato-Generalsekretär Stoltenberg erhöht den Druck auf Moskua (dpa-Bildfunk / AP / Francisco Seco)
    Es war die pure Angst, die Hunderttausende Deutsche in den frühen Achtzigerjahren auf die Straße trieb. Die Angst vor einem atomaren Wettrüsten der Supermächte auf europäischem Boden. "Keine Pershing 2, keine SS20", so lauteten die Sprechchöre damals. Dann verschwand die Berliner Mauer und damit auch die Furcht vor einem Atomkrieg. Doch nun schleicht sich die Angst wieder zurück in das Bewusstsein der Europäer. Seit nämlich das Abkommen über ein Verbot zur Stationierung nuklearer Mittelstreckenwaffen, der sogenannte INF-Vertrag, ernsthaft in Frage steht:
    "Für eine ganze Generation von Politikern, die in den 70er- und 80er-Jahren aufwuchs - und damit auch für mich - war das ein wichtiger Vertrag. Uns machten die sowjetischen Raketen Sorgen, die SS20, aber auch die neuen NATO-Raketen, die Pershing und Cruise Missiles", erinnert sich NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der in Norwegen schon politisch aktiv war, als US-Präsident Reagan und der sowjetische Generalsekretär Gorbatschow das INF-Abkommen im Jahr 1987 unterzeichneten. Jetzt, etwas mehr als drei Jahrzehnte später, sieht auch Stoltenberg den Vertrag ernsthaft in Gefahr, wie er im Interview mit NDR Info erklärt. Wofür der höchste NATO-Vertreter einzig und allein Moskau verantwortlich macht:
    "Es gibt keine neuen US-Raketen in Europa, aber neue russische. Die lassen sich atomar bestücken, verringern die Vorwarnzeit, sind schwer aufzuspüren und können europäische Städte wie Berlin erreichen."
    Staaten werfen sich gegenseitigen Vertragsverstoß vor
    USA und NATO beschuldigen Russland, verbotene Marschflugkörper – SSC-8 genannt - nicht nur entwickelt, sondern bereits stationiert zu haben. Moskau wirft seinerseits Washington vor, gegen das Nuklear-Abkommen zu verstoßen. Was sämtliche NATO-Alliierten anders sehen. Allerdings hält man es in europäischen Hauptstädten, auch in Berlin, für einen Fehler, den Vertrag deshalb zu kündigen. Genau das aber hat US-Präsident Trump unlängst angedroht. Gefragt danach, ob ein neues Wettrüsten der militärischen Supermächte die Folge wäre, sagt Stoltenberg im NDR-Interview:
    "Die NATO hat nicht vor, neue Nuklear-Raketen in Europa zu stationieren. Aber natürlich müssen wir gleichzeitig die Sicherheit von allen NATO-Alliierten garantieren. Und: Wir sollten nie hinnehmen, dass gegen einen Abrüstungsvertrag straflos verstoßen wird."
    Was das genau heißt, führte Stoltenberg nicht näher aus. Unzweideutig aber ist, dass mit derlei Sätzen der Druck auf Russland erhöht werden soll, das Abkommen zu achten. Oder mit der Trump-Regierung zumindest über das Problem zu reden.
    Bundesregierung will das Abkommen retten
    Für das NATO-Bündnis selbst aber wird der Nuklear-Streit zunehmend zur Zerreißprobe: Die Bundesregierung etwa will das Abkommen unbedingt retten. Schon um Russland und auch China keinen Vorwand zu liefern, künftig ganz ungeniert aufzurüsten. Doch Stoltenberg will in den transatlantischen Beziehungen nicht nur Bruchstellen sehen:
    "Ja, es gibt Meinungsverschiedenheiten beim Handel, beim Klimawandel, also ernsten Themen. Aber gleichzeitig bauen die USA ihre Militär-Präsenz in Europa aus."
    Überraschend ist eine solche Antwort nicht: Ist es doch Haupt-Aufgabe des NATO-Generalsekretärs, das Bündnis zusammenzuhalten. Doch kündigen die USA wirklich den INF-Vertrag auf, dürften die Europäer Trump vorwerfen, genau wie beim Ausstieg aus dem Iran-Nuklear-Deal leichtfertig ihre Sicherheitsinteressen aufs Spiel zu setzen.