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Drohnenkrieg
"Viele Angriffe sind einfach illegal"

Es gebe eine Pflicht, dafür zu sorgen, dass vom Boden der Bundesrepublik keine völkerrechtswidrigen Angriffe vorgetragen würden, sagte der Völkerrechtler Christian Tomuschat im DLF. Deshalb müsse geklärt werden, ob von Ramstein aus Drohnenangriffe gesteuert würden. Sonst machten sich Verantwortliche eventuell der Beihilfe zu Kriegsverbrechen schuldig.

Christian Tomuschat im Gespräch mit Thielko Grieß | 05.04.2014
    Thielko Grieß: Sie fliegen hoch in der Luft, im afghanischen, pakistanischen, jemenitischen und somalischen Luftraum, und sie haben sehr gute Kameras an Bord, mit denen sie sehr dicht heranzoomen können an ihre Ziele - und dann wird oftmals gefeuert, auf Terroristen, auf tatsächliche und mutmaßliche. Ein Gerichtsverfahren vorher gibt es nicht. Hunderte Menschen hat das US-Militär in den vergangenen Jahren auf diese Weise getötet. Unter den Opfern waren und sind immer wieder auch Zivilisten. Dieser sogenannte Drohnenkrieg ist global, und er wird auch von Deutschland aus mitgesteuert. Das berichten "Süddeutsche Zeitung", NDR und WDR in dieser Woche mit neuen Details.
    Die Hightech-Drohnen funken ihre Daten zum Beispiel nach Ramstein in Rheinland-Pfalz. Dort werten Militärs die Videobilder aus, und von einem anderen US-Stützpunkt in Stuttgart wiederum kommen Anweisungen, auf die hin die Angriffe ausgelöst werden. Sowohl Bundesregierung als auch US-Regierung haben aber immer wieder beteuert, von Deutschland aus würden Drohnen weder geflogen noch befehligt - und diese Medienberichte behaupten nun das Gegenteil. Zugeschaltet ist uns jetzt aus Berlin Christian Tomuschat, Völkerrechtler an der Humboldt-Universität. Guten Morgen, Herr Tomuschat!
    Christian Tomuschat: Guten Morgen, Herr Grieß!
    Grieß: Dürfen die Amerikaner Ramstein zur Drohnen-Base machen?
    Tomuschat: Das ist wohl zu verneinen, denn auch nach den Abkommen, die abgeschlossen worden sind zwischen der Bundesregierung und den USA gilt selbstverständlich, dass das allgemeine Völkerrecht zu beachten ist, vor allem das Kriegsrecht. Und nach den geltenden Normen des Kriegsrechtes sind viele der Drohnenangriffe einfach illegal, sind nicht zu rechtfertigen, weil dort Menschen angegriffen werden außerhalb eines konkreten Kampfgeschehens, also außerhalb eines bewaffneten Konfliktes. Und wie Sie schon gesagt haben sind vielfach Zivilisten auch ums Leben gekommen durch diese Drohnenangriffe. Die Amerikaner versuchen, diese Drohnenangriffe zu rechtfertigen mit dem Begriff des War on Terror, also des Krieges gegen den Terrorismus, aber das ist keine anerkannte Rechtsfigur. Die Amerikaner stehen insoweit ganz allein.
    Grieß: Sie beziehen sich auf das Völkerrecht und nicht auf die Gesetze etwa der Bundesrepublik Deutschland oder der Vereinigten Staaten von Amerika. Ist es vollkommen egal, was etwa in deutschen Gesetzen steht?
    Tomuschat: Das ist die Frage, wie nun unsere Vereinbarungen auch mit den USA aussehen. Teilweise sind ja die hier stationierten Verbände von der deutschen Gesetzlichkeit befreit. Aber auf jeden Fall müssen die geltenden Normen des Völkerrechtes eingehalten werden, das ist das Primäre. Das Völkerrecht ist verbindlich für die Bundesrepublik wie auch für die USA, darauf kommt es an. Und das kann natürlich auch weitreichende Folgen haben, etwa, indem solche Angriffe als Kriegsverbrechen beurteilt werden, und das könnte dann auch zu einer Haftung der Bundesrepublik Deutschland führen und möglicherweise auch zu einer persönlichen Haftung derjenigen, die mit der Angelegenheit befasst sind, die also dulden, dass vom Boden der Bundesrepublik aus rechtswidrige Angriffe geflogen werden.
    Grieß: Wer kommt da infrage?
    Tomuschat: Ja, da kommt natürlich auch der Außenminister, die Kanzlerin infrage, das kann ich im Augenblick natürlich nicht sagen, aber alle diejenigen, die hier eine tatsächliche Entscheidungsmacht haben und die in der Lage sind, darauf einzuwirken. Das könnte gewertet werden als Beihilfe zu rechtswidrigen Handlungen, wenn man es weiß und nichts dagegen tut. Die primäre Pflicht der Bundesregierung ist es jetzt natürlich, die Dinge aufzuklären, mit den Amerikanern gegebenenfalls in Verhandlungen einzutreten und darauf hinzuwirken, dass diese Dinge, die bisher abgestritten worden sind, tatsächlich unterbunden werden.
    Grieß: Wenn man es weiß, aber wenn ich die Verlautbarungen aus Berlin und aus Washington richtig verstehe, dann weiß man es ja nicht oder man will es nicht wissen.
    Tomuschat: Gut, aber das ist nun Sache der Bundesregierung, darauf zu dringen, dass die Sachlage geklärt wird, dass da nun keine Zweifel bleiben. Das kann man ja machen, also das, glaube ich, bereitet keine großen Schwierigkeiten, den Dingen auf den Grund zu gehen und zunächst einmal klarzustellen, was nun tatsächlich passiert. Also das ist das Erste. Und nach diesen Meldungen, die offenbar jetzt vorliegen, muss es die Bundesregierung tun. Sie kann nicht sagen, man wisse nichts - also das geht einfach nicht, sondern es besteht auch eine Pflicht, dafür zu sorgen, dass vom Boden der Bundesrepublik aus keine völkerrechtswidrigen Angriffe vorgetragen werden, die schwerwiegende Schäden verursachen, den Tod von Zivilisten und Ähnliches. Also, das muss geklärt werden.
    Grieß: Sie haben gesagt in einer der Antworten, Herr Tomuschat, dass das Völkerrecht bindend sei und damit auch für die Vereinigten Staaten bindend sei. Ich glaube, da gibt es in Washington und in den USA gelegentlich auch andere Lesarten, etwa halten sich ja die Amerikaner zurück beim Internationalen Strafgerichtshof und haben keinerlei Bestrebungen, sich diesem Gerichtshof zu unterwerfen.
    Tomuschat: So ist das richtig. Völkerrechtliche Verträge gelten nur für diejenigen Staaten, die diese Verträge ratifiziert haben. Aber die allgemeinen Normen des Kriegsrechtes, die Kriegsverbrechen definieren, die gelten auch für die USA, daran besteht kein Zweifel. Nur die Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshofs erstreckt sich nicht auf Staatsangehörige der USA, aber die Bundesrepublik hat sich dieser Gerichtsbarkeit voll unterworfen und Staatsangehörige der Bundesrepublik könnten durchaus angeklagt werden vor dem Internationalen Strafgerichtshof wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen, wenn das im Einzelnen geklärt ist. Das sind jetzt reine Hypothesen. Ich kann nichts Näheres dazu sagen. Aber diese Möglichkeit besteht.
    Grieß: Wir haben bisher über die Operationen des US-Militärs in Deutschland oder von Deutschland aus gesprochen. Sprechen wir über die Zusammenarbeit der Geheimdienste: Dort werden Daten weitergegeben, zum Beispiel Handydaten, Aufenthaltsdaten et cetera, das auch in beide Richtungen, von den Deutschen, aber auch an die Amerikaner, sofern die das nicht ohnehin schon wissen. Ist das auch ein Verstoß womöglich gegen das Völkerrecht?
    Tomuschat: Das als solches natürlich nicht, aber wenn man weiß, dass die Weitergabe von Handydaten mit der Ortung des Betreffenden, der ein Gespräch führt, Weiterungen hat in dem Sinne, dass er Ziel eines Angriffes wird, dann ist das außerordentlich bedenklich und kann also auch wiederum zu dem Vorwurf führen, dass hier Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen geleistet werde.
    Grieß: Bei Drohnenangriffen, ich habe es gesagt, es gab in den vergangenen Jahren mehrere Hundert - die Angaben darüber variieren sehr stark und sind von außen kaum nachzuvollziehen, die genaue Zahl. Aber bekannt ist, dass mindestens drei deutsche Staatsbürger bei Drohnenangriffen des US-Militärs ums Leben gekommen sind. Wie ist das zu bewerten?
    Tomuschat: Ja, nach den internationalen Abkommen, denen sich übrigens auch die USA angeschlossen haben - vor allem internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte -, darf ein Mensch nicht mit kurzem Prozess vom Leben in den Tod befördert werden. Jeder hat ein Recht darauf, in einem ordentlichen Verfahren angeklagt zu werden, Beweise vorzubringen für seine Unschuld, also alle möglichen Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe in einem ordentlichen Verfahren, und dieser kurze Prozess mit der Drohne, mit dem Abschuss von Raketen aus einer Drohne - das lässt sich nicht mit elementaren Normen des Kriegsrechtes oder der Menschenrechte vereinbaren. Und die Amerikaner versuchen krampfhaft seit Jahren nun, diesen Begriff des War on Terror unter die Leute zu bringen und für diesen Begriff Anerkennung zu finden. Das ist ihnen bisher nicht gelungen. Und da muss es auch weiterhin ernste Verhandlungen, ein ernstes Wort, vor allem zwischen Verbündeten, geben. Wir können nicht so tun, als ob uns das Ganze nichts anginge, vor allem, wenn jetzt offenbar herauskommt, dass diese Angriffe von Ramstein aus gesteuert werden.
    Grieß: Nun gibt es auch in der Bundeswehr zumindest Überlegungen, auch Drohnen, bewaffnete Drohnen anzuschaffen, um sich möglicherweise an diesem Drohnenkrieg auch zu beteiligen. Die neue Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen, CDU, hat sich dazu noch nicht abschließend geäußert, aber klar ist, es wird darauf herumgedacht, vor allem auch mit dem Argument, dass solche Drohnen Zivilisten schonen können und das allemal besser sei, als einen konventionellen Krieg zu führen. Begibt sich die Ministerin, begibt sich das Ministerium womöglich auf völkerrechtlich sehr dünnes Eis?
    Tomuschat: Man kann es nicht so generell beantworten. Im bewaffneten Konflikt können Drohnen so eingesetzt werden wie auch bemannte Flugzeuge, das macht zunächst einmal keinen Unterschied. Aber die Problematik resultiert daraus, dass die Drohnen in Gebieten eingesetzt werden, die keineswegs Konfliktgebiet sind, wo also Drohnen einfach in das zivile Leben von Menschen eingreifen, weit außerhalb irgendeines Kampfgeschehens, wo Menschen bei friedlichen Tätigkeiten beteiligt sind und wo sie überhaupt nicht an irgendein Kampfgeschehen denken. Und da plötzlich schlägt dann aus dem blauen Himmel eine Drohne ein. Das sind also Dinge, die den ganz wichtigen Unterschied zwischen Zivilisten und Kombattanten, also Kämpfern, verwischen, der für das Kriegsrecht ganz wesentlich ist, damit nicht jeder bewaffnete Konflikt sogleich zu einem totalen Konflikt wird, wo die Zivilbevölkerung sofort einbezogen wird, auch Opfer zu beklagen hat. Das ist eines der Grundanliegen des humanitären Rechtes, des Kriegsrechtes, eine klare Unterscheidung zu treffen zwischen dem Kampfgeschehen, wo es Kombattanten gibt, die auch angegriffen werden können, und einem zivilen Sektor, wo man eben nicht eingreifen darf mit Waffen.
    Grieß: Der globale Drohnenkrieg und die Rolle Deutschlands, ein Gespräch war das mit Christian Tomuschat, Völkerrechtler an der Humboldt-Universität in Berlin. Danke für das Gespräch heute Morgen!
    Tomuschat: Bitte sehr!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.