Heinlein: Herr Professor, ist Ayatollah el Hakim ein neuer Khomeini?
Heine: Jedenfalls hat er dieselben ideologischen Grundvorstellungen. Er ist für die sogenannte velayat-e faqih, die Herrschaft der Rechtsgelehrten und er hat das in seiner Zeit im Exil im Iran auch immer wieder sehr deutlich gemacht. Im letzten Jahr ist er etwas von diesen Vorstellungen abgerückt, er hat auch Überlegungen angestellt, ob nicht demokratische Systeme, über die er sich nicht präzise geäußert hat, auch für den Irak anwendbar wären. Wir werden abwarten müssen, was sich jetzt durchsetzt.
Heinlein: In der Tat, Herr Professor Heine, gab sich al Hakim ja sehr moderat in seiner ersten Rede auf irakischem Boden: er forderte ein modernes islamisches Regime im Irak. Was muss man sich denn wohl darunter vorstellen?
Heine: Ich denke, er selber weiß das auch noch nicht so ganz genau. Er hat natürlich in Teheran die Erfahrung gemacht, dass dieses sehr rigide System beim großen Teil der Bevölkerung nicht sehr gut angekommen ist. Die entsprechenden Wahlen haben ja auch gezeigt, dass eher die moderaten, eher die liberalen Religionsgelehrten vom Volk gewählt wurden und er hat eine Situation, die durchaus mit der im Iran zu vergleichen ist: auch die Bevölkerung im Irak ist außerordentlich jung, wir haben keine Fakten und Zahlen darüber, aber man wird wahrscheinlich doch davon ausgehen müssen, dass etwa 40 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre ist, die also ganz andere Erwartungen an das Leben haben und auf die muss er natürlich entsprechend reagieren.
Heinlein: Bleibt der Irak ein laizistischer Staat oder wird die Religion in jedem Fall eine zentralere Rolle spielen, auch in der Politik?
Heine: Zunächst einmal muss man einfach festhalten, dass zur Zeit die schiitischen Führer, die sich in einer Art Führungsgremium zusammengefunden haben, in den großen schiitischen Städten die Lage unter Kontrolle haben, ganz praktisch. Da gibt es keinen zivilen Ungehorsam sozusagen, keine Plünderungen und ähnliches und diese Kompetenz in der Administration einer Gemeinde kann sich dann möglicherweise auch auf weitere Teile des Irak ausdehnen. Ich glaube, dass die schiitischen Rechtsgelehrten am besten vorbereitet sind auf einen Irak nach Saddam Hussein und von daher werden sie entsprechend Einfluss nehmen können. Auf der anderen Seite müssen sie Rücksicht nehmen auf die Sunniten und auf die ethnisch unterschiedliche Gruppe der Kurden. Wir haben natürlich die Amerikaner im Land, aber diese Gelehrten sind außerordentlich kluge Männer und ich denke, dass sie mit der Situation umgehen werden.
Heinlein: Die Amerikaner sind im Land, Sie haben es gesagt. Glauben Sie, dass die Schiitenführer bereit sind, mit den Besatzungstruppen zusammenzuarbeiten?
Heine: Für eine gewisse Phase werden sie das sicherlich tun, einfach, weil es praktisch ist und weil es in dem Sinne durchaus politisch vernünftig ist. Wenn sich die amerikanische Präsenz im Irak allerdings über, sagen wir mal, zwölf Monate hinaus erstrecken wird, werden sie sicherlich anfangen, deutliche Forderungen zu stellen, dass die USA das Land verlassen.
Heinlein: Die Amerikaner selbst, die amerikanische Führung, haben jetzt ihr Personal im Irak quasi komplett ausgetauscht. Ist dies ein Eingeständnis, dass es bisher nicht funktioniert hat?
Heine: Das ist erstens ein Eingeständnis, dass es bisher nicht funktioniert hat, zweitens ein Hinweis darauf, dass die politische Vorbereitung für den Irak höchst unzureichend durchgeführt worden ist.
Heinlein: Erkennen Sie ein klares Bild, wie sich die Amerikaner den Nachkriegsirak denn vorstellen oder ist das völlig im Nebel?
Heine: Ich sehe zu divergierende Positionen in dieser Hinsicht. Wir haben offensichtlich schwere Konflikte zwischen dem Außen- und Verteidigungsministerium und den entsprechenden führenden Persönlichkeiten und es zeigt sich einfach, dass offensichtlich die im Westen und dann auch natürlich in den USA vorhandenen Irakspezialisten nicht ausreichend gehört worden sind und damit muss jetzt die amerikanische Administration im Irak umgehen, mit dieser völlig unvorbereiteten Situation.
Heinlein: Was wäre denn die richtige Strategie?
Heine: Schritt für Schritt die verschiedenen ethnischen, religiösen und dann natürlich auch politischen Gruppen, das wird in diesem Zusammenhang immer vergessen, der Irak hat auch eine Tradition von Parteipolitik, diese verschiedenen Gruppen Schritt für Schritt in die politische Verantwortung einzubinden. Das wird nicht von heute auf morgen gehen sondern sicherlich etliche Monate dauern, aber im Irak und im Exil sind ausreichend politische Persönlichkeiten vorhanden, die in der Lage wären, das Land dann auch zu führen.
Heinlein: Lässt sich denn eine Übergangsregierung oder eine neue Zivilverwaltung tatsächlich allein aus Exilpolitikern bilden oder muss man auf die Mitglieder der alten Partei zurückgreifen?
Heine: Man wird sicherlich nicht alleine mit den Exilpolitikern agieren können, die müssen zunächst auch ein gewisses Maß an Vertrauen in der Bevölkerung sich erarbeiten, das hat man auch in manchen Reaktionen auf die Rückkehr von Bakar el Hakim gemerkt. Man wird auch auf die Verwaltungskompetenz von ehemaligen Mitarbeitern, Mitgliedern der Bath-Partei zurückgreifen müssen. In vielerlei Hinsicht haben wir eine Situation, wie wir sie nach 1945 auch in Deutschland hatten. Ohne eine gewisse Kompetenz in der Administration, die durch viele Jahre erlernt worden ist, wird es nicht gehen.
Heinlein: Wie können denn die Amerikaner zwischen guten und schlechten Parteimitgliedern unterscheiden?
Heine: Man hat ja überlegt, eine Entbathisierung oder so ähnlich durchzuführen, aber das wird genauso wenig gelingen, wie es mit der Entnazifizierung in Deutschland gehen wird. Wir werden eine vergleichbare Situation haben, über viele Jahre wird immer wieder herauskommen, dass manche der dann vielleicht in fünf Jahren in Amt und Würden befindlichen Politiker entsprechende schwarze Flecken auf ihrer Weste habe; die werden dann ausgetauscht werden. Das ist ein langfristiger Prozess.
Heinlein: Der Irak nach Saddam Hussein, dazu heute morgen hier im Deutschlandfunk der Berliner Islamwissenschaftler Professor Peter Heine. Ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Heine: Auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio