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Drohungen gegen Maas und Özdemir
"Vielen Menschen ist gar nicht klar, dass sie sich radikalisieren"

Morddrohungen mit Ankündigung von Ort, Datum und Uhrzeit: Was Politiker wie Justizminister Heiko Maas oder Grünen-Chef Cem Özdemir derzeit erlebten, zeuge von einer Verschiebung der Normen in der Gesellschaft, sagte der Konfliktforscher Andreas Zick im DLF. Teile der Bevölkerung entkoppelten sich.

Andreas Zick im Gespräch mit Sandra Schulz | 06.06.2016
    Der Konfliktforscher Andreas Zick ist Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld.
    Der Konfliktforscher Andreas Zick ist Direktor des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. (dpa / picture alliance / Horst Galuschka)
    Studien belegten, dass rechtspopulistische Meinungen mit Gewaltbilligung und -bereitschaft einhergingen, so Zick im Deutschlandfunk. "Im Moment sehen wir, dass sich Bevölkerungsteile entkoppeln." Rechtsstaatliche Elemente wie das Gewaltmonopol würden in Frage gestellt; in "dieser Bewegung" entstehe die Meinung, "wir nehmen das selber in die Hand, wir kritisieren nicht nur, wir übernehmen die Kontrolle".
    Bei dieser Entwicklung spielt dem Bielefelder Wissenschaftler zufolge das Internet eine große Rolle. Dort bildeten sich Hassgemeinschaften, die mobilisierten und gezielt Kampagnen organisierten. Den Menschen sei allerdings nicht immer klar, dass sie sich selber radikalisierten.
    Im Kampf gegen diese gesellschaftliche Verrohung fordert Zick mehr Einsatz: Gewalt- und Vorurteilsprävention müssten viel früher einsetzen und nicht erst "dann hochgefahren, wenn etwas passiert ist".

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Anfeindungen, Beschimpfungen, Drohungen über soziale Medien, per Post und per E-Mail, das gehört für viele Personen des öffentlichen Lebens zum Alltag. An diesem Wochenende haben zwei Spitzenpolitiker jetzt öffentlich gemacht, was genau das heißt. Das Bundeskriminalamt prüft Sicherheitsmaßnahmen für Grünen-Chef Cem Özdemir. Das hat nach der Armenien-Abstimmung in der vergangenen Woche natürlich eine besondere Dynamik bekommen. Der türkische Präsident Erdogan nennt deutsche Parlamentarier mit Wurzeln in der Türkei einen verlängerten Arm von Terroristen, und dementsprechend erhöhen offenbar auch türkische Nationalisten den Druck. Gleichzeitig spricht Justizminister Heiko Maas von Morddrohungen, die er aus der rechten Szene hier in Deutschland kommend vermutet. Von Morddrohungen mit Ort, Datum und Uhrzeit spricht Heiko Maas und ergänzt gestern Abend in der ARD:
    O-Ton Heiko Maas: "Im Übrigen geht es da auch gar nicht in erster Linie um mich. Das ist für die Leute, die sich politisch engagieren, bedauerlicherweise Alltag. Und da ist ein gesellschaftliches Klima entstanden, in dem will doch kein normaler Mensch leben. Es gibt keinen Grund, keine Rechtfertigung und keine Entschuldigung, jemanden mit dem Tode zu bedrohen."
    Schulz: Jetzt muss man als Hintergrund noch wissen, dass diese Anfeindungen im Falle Heiko Maas angeschwollen waren, nachdem er die islamfeindliche Pegida-Bewegung als eine Schande für Deutschland bezeichnet hatte.
    Wir wollen in den kommenden Minuten darüber sprechen. Zugeschaltet ist mir Professor Andreas Zick. Er leitet das Institut für Interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Universität Bielefeld. Guten Morgen.
    Andreas Zick: Guten Morgen.
    "Diese ganzen Bedrohungen sind mittlerweile sehr gut organisiert"
    Schulz: Beide Politiker vermuten ja die rechte Szene hinter den Drohungen, in Cem Özdemirs Fall sicherlich auch türkische Nationalisten, türkische Rechte. Aber wenn wir vielleicht beim Fall Heiko Maas bleiben? So konkrete Bedrohungen und Morddrohungen, ist das jetzt normal im Jahr 2016?
    Zick: Das ist erst mal für die Gesamtheit nicht normal, aber was wir daran sehen ist, dass sich eine Norm verschoben hat. Bei Heiko Maas ist es insofern dramatisch, als die Drohung nun nicht mehr einfach so generell bleibt, man ist nicht nur einfach einverstanden, sondern er hat das ja sehr gut beschrieben: Man benennt Ort, Zeit und was man tun wird, und dann wird es gefährlich. Das heißt, je konkreter und näher die Bedrohung an die Person heranrückt, und dann wird eine Tat beschrieben, die dann erfolgt, das hat zugenommen und das hat sich radikalisiert. Und insofern muss man schon hier sehr deutlich von einer Normverschiebung ausgehen und auch der Meinung, man hätte die Gelegenheit dazu. Es ist ja nicht nur die Norm, die sich verschiebt, sondern auch die Vorstellung, wir können Dir etwas antun, was hier so dramatisch ist.
    Schulz: Sie sagen, das hat zugenommen. Es wird jetzt auch immer wieder gesagt, die Zuspitzungen seien neu, eine neue Qualität, es gäbe eine Art der Verrohung. Lässt sich diese gefühlte Entwicklung auch objektiv belegen?
    Zick: Ja, die lässt sich objektiv belegen. Wir haben schon ermittelt in unseren Studien, dass zwischen 2002 und 2011 - damals haben wir das schon sehr deutlich gezeigt - rechtspopulistische Meinung immer stärker und nur in diesem Bereich einher ging mit Gewaltbilligung und Bereitschaft. Da sind wir zunächst bei den Intentionen. Aber wir sehen ja im Moment, dass sich zum Teil Bevölkerungsteile entkoppeln. Das heißt, Rechtsstaatlichkeit, auch das Gewaltmonopol wird in Frage gestellt und in dieser Bewegung - man kann das fast Bewegung nennen - entsteht die Meinung, wir nehmen das jetzt selber in die Hand, wir kritisieren nicht nur die Eliten, wir gehen sie konkret und genauer an und gezielt an, wir nehmen das selbst in die Hand, um auch der Bewegung zu suggerieren, wir übernehmen hier die Kontrolle. Das hat zugenommen und natürlich spielt das Internet eine sehr große Rolle. Diese ganzen Bedrohungen sind mittlerweile sehr gut organisiert. Da bilden sich Hassgemeinschaften. Das sind nicht nur einfach Hells Speeches, Hassreden, sondern ganze Gemeinschaften, die mobilisieren, die rekrutieren und die dann ganz gezielt Kampagnen gegen Personen fahren möchten.
    Viele Vorurteilsbilder und überbordende Elitenkritik
    Schulz: Sie haben mir gestern im Vorgespräch gesagt, es fehle eine Bremse. Sie haben das Internet als mögliche Ursache schon genannt, aber das Internet kann ja wohl nicht alleine schuld sein. Woran liegt das?
    Zick: Na ja. Es wird auch immer wieder provoziert. Wir sehen das im Bereich der rechten, der rechtspopulistischen Bewegung, dass immer wieder Tabubrüche vollzogen werden. Das ist natürlich eine große Gefahr, wenn man mit rassistischen und menschenfeindlichen Bildern spielt. Wir haben das jetzt gerade erlebt mit der sogenannten Kinderschokolade. Das ist eine große Gefahr. Und eine zweite große Gefahr ist: Den Menschen ist meistens nicht klar, dass sie sich selber radikalisieren. Wir haben zum Teil Personen dabei, die merken gar nicht, dass das, was sie tun, dort gefährlich ist und eine Bedrohung ist und auch Schaden hinterlässt. Das heißt, Radikalisierung entsteht durch Gruppen und wir merken die nicht, und dann sehen wir, dass wir sehr viele Vorurteilsbilder, dehumanisierende Bilder haben, eine überbordende Elitenkritik, und die zieht mich dort hinein und drängt immer weiter zu Taten. Insofern: Man muss etwas tun gegen diese massiven negativen vorurteilslastigen Bilder, die in der Welt sind. Man hält sich ja selbst auch für tolerant und für nicht rassistisch. Das hören wir ja auch immer wieder: "Ich bin kein Rassist, aber …" Und dann müssen wir auch noch deutlich sehen, dass sich diese Hate Communities im Internet - dort ist man noch gar nicht. In der Prävention sind wir da noch gar nicht angelangt, die zu identifizieren und dort richtige Maßnahmen zu entwickeln.
    Mehr Gewaltprävention in Schulen und Universitäten
    Schulz: Wie kommt man denn an die Menschen heran, von denen Sie sagen, die selbst gar nicht merken, dass sie sich radikalisieren?
    Zick: Na ja. An diese Menschen kommt man heran, indem man selbst jetzt sehr viel deutlicher die Normen setzt. Das was gestern Heiko Maas ja gemacht hat ist zu veröffentlichen, was konkret passiert. An die kommt man heran, indem man ihnen die Konsequenzen sehr viel deutlicher vor Augen führt, dass auch jede Hassrede einen Schaden hinterlassen kann. Selbst beim Fall Boateng zum Beispiel wird das einen Schaden hinterlassen selbst bei einem Herrn Boateng. Der wird jetzt merken, das ist eben alles nicht so ruhig, wie wir uns das für andere wünschen. Und dann kommt man an die heran, indem man Gewaltprävention und Vorurteilsprävention sehr viel deutlicher und früher macht. In den Schulen, auch in den Universitäten, in den Ausbildungsstätten haben wir festgestellt, dass diese Bereiche der Gewaltprävention und Vorurteilsprävention immer erst dann hochgefahren werden, wenn etwas passiert ist. Das gehört aber zur grundzivilgesellschaftlichen Bildung. Wenn wir in den Studien feststellen, dass sich 80, 90 Prozent selbst für tolerant und weltoffen halten, dann werden genau diese Teile der Bevölkerung auch nicht merken, dass das, was sie dort tun, persönliche, physische und psychische Angriffe sind.
    Schulz: Der Extremismusforscher Professor Andreas Zick heute hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk. Danke Ihnen herzlich.
    Zick: Danke Ihnen auch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.