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Drusen-Führer beschuldigt Syrien des Mordes an Minister Gemayel

Walid Dschumblatt, Chef der libanesischen Drusen, hat schwere Vorwürfe gegen Syrien erhoben. Das Regime in Damaskus sei verantwortlich für die Ermordung des Industrieministers Pierre Gemayel, sagte Dschumblatt. Die internationale Gemeinschaft müsse einsehen, "dass es mit diesem Mörderregime in Damaskus nie einen unabhängigen, freien und demokratischen Libanon geben wird".

Moderation: Christoph Heinemann |
    Christoph Heinemann: Der Zeitpunkt dürfte kein Zufall gewesen sein. Wenige Stunden vor einer Sitzung des UN-Sicherheitsrats zum Mord an dem früheren libanesischen Regierungschef Rafik Hariri ist im Libanon gestern der Industrieminister Pierre Gemayel bei einem Anschlag getötet worden. Gemayel war maronitischer Christ und gehörte dem antisyrischen Lager im Libanon an. Der 34-Jährige war der Sohn des ehemaligen Präsidenten Amin Gemayel und der Neffe des 1982 ermordeten Staatschef Bachir Gemayel. Ministerpräsident Siniora rief alle Libanesen zur Einigkeit auf. Der Mord an Gemayel bestärke die Regierung darin, für die Errichtung eines internationalen Tribunals einzutreten, vor dem sich die Verdächtigen im Mordfall Hariri verantworten müssten.

    Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat sich unterdessen für ein solches internationales Tribunal zur Untersuchung des Mordes an dem ehemaligen Ministerpräsidenten ausgesprochen. Der gestrige Mordanschlag hat im Libanon erste Unruhen ausgelöst, im Heimatort des Politikers östlich von Beirut zerstörten Anhänger die Autos von pro-syrischen Politikern. Im Libanon waren zuletzt sechs der schiitischen Hisbollah nahe stehende Minister zurückgetreten. Wir haben vor dieser Sendung Walid Dschumblatt erreicht, den Chef der libanesischen Drusen. Ich habe ihn gefragt, wer seiner Meinung nach für diesen Mordanschlag verantwortlich ist.

    Walid Dschumblatt: Ich glaube, dass das syrische Regime dahinter steckt, denn die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofes zur Aufklärung des Mordes an dem früheren Ministerpräsidenten Al Hariri im Jahre 2005 ist auf einem guten Weg. Und die libanesische Regierung hat dies unterstützt. Die Mörder, die sich einem solchen internationalen Gericht widersetzen, gehören in erster Linie zum syrischen Regime. Sie haben einen Minister und Abgeordneten getötet, um dem libanesischen Volk Angst einzujagen. Ich klage vor allem das syrische Regime an.

    Heinemann: Was bedeutet dieser Mord für die Lage im Libanon?

    Dschumblatt: Wir werden nie Ruhe und Frieden finden, so lange die Verantwortlichen dieses Mörderregimes nicht irgendwo verurteilt sind. Und der einzige Ort, wo dies geschehen könnte, ist das internationale Strafgericht.

    Heinemann: Wie sollten die Vereinigten Staaten und Europa jetzt reagieren?

    Dschumblatt: Die internationale Gemeinschaft muss einsehen, dass es mit diesem Mörderregime in Damaskus nie einen unabhängigen, freien und demokratischen Libanon geben wird. So einfach ist das, und dies ist meine Botschaft an die internationale Gemeinschaft.

    Heinemann: Steht der Libanon vor einem Bürgerkrieg?

    Dschumblatt: Nein, wir befinden uns nicht am Rande eines Bürgerkrieges. Der gesamte Libanon steht solidarisch gegen die Mörder. Wir haben nach der Ermordung von Ministerpräsident Hariri eine gewaltige Demonstration veranstaltet. Wir haben friedlich nein gesagt zu diesen Morden.

    Heinemann: Mehrere Minister sind in den letzten Wochen zurückgetreten. Wie wird die libanesische Regierung jetzt vorgehen?

    Dschumblatt: Die libanesische Regierung wird weiter arbeiten, selbst wenn Minister zurücktreten. Sie haben jetzt Gelegenheit, ihr Vorgehen zu überdenken und ihren Rücktritt rückgängig zu machen um mit uns die Konvention zur Einrichtung des internationalen Gerichtes anzunehmen. Darum geht es jetzt. Ein unabhängiger Libanon hängt von diesem Gericht ab.

    Heinemann: In den letzten Monaten konnte man den Eindruck gewinnen, dass Syrien unter dem Druck der Vereinigten Staaten und Frankreichs zur Zusammenarbeit bereit sei. War dieser Eindruck falsch?

    Dschumblatt: Dies war von Anfang an ein Regime von Mördern. und niemand kann diese Leute dazu bringen, ihre Methoden zu ändern. Der Herr von Damaskus ist ein böser und kranker Mann. Daran wird auch die Diplomatie nichts ändern. Einzig durch das Gericht kann man ihn verurteilen, in die Enge treiben und ihm Angst machen.

    Heinemann: Inwieweit beeinflusst die Hisbollah heute die libanesische Politik?

    Dschumblatt: Die Hisbollah ist da, sie ist ein Staat im Staate. Sie steht in syrischen Diensten und wird vom Iran bezahlt. Aber seit mehreren Monaten stehen die Menschen keineswegs geschlossen hinter ihr.

    Heinemann: Wie beurteilen Sie die Zukunft des Libanon?

    Dschumblatt: Das libanesische Volk, das 2005 nein zum syrischen Diktat gesagt hat, ist stark, trotz aller Anschläge. Der Kampf wird weiter gehen, und es wird ein sehr langes und blutiges Ringen, aber wir haben keine andere Wahl.

    Das Interview wurde aus dem Französischen übersetzt.