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Dürer - gesammelt, gerettet und gestohlen

Erstmals rekonstruiert die Kunsthalle Bremen ihre ursprüngliche Sammlung von Zeichnungen und Wasserfarbenblättern Albrecht Dürers. Sie präsentiert rund 50 zum Teil erhaltene, zum Teil verschollene, aber gut dokumentierte Werke in einer großen Ausstellung im Kupferstichkabinett.

Von Rainer Berthold Schossig | 13.03.2012
    Klein sind die meisten Blätter, ein halbes Jahrtausend alt und doch: Wie frisch wirken sie! Fein ziselierte Burgenansichten, mit Zinnen auf Felsenklüften, Blicke auf Waldwege und wie gläsern besonnte Lichtungen zwischen blaugrünen Tannenbäumchen. Die Stadt Trient, von Norden gesehen - eine zart hin gegossene Vedutte am Ufer der Etsch.

    Für Dürer war jedes Detail - vom Grashalm bis zur Halsschleife - wichtig. Ein akribisch dokumentierter, bröckelnder Steinbruch, ganz in Ocker, ebenso wie die festen Stadtmauern von Nürnberg, ein paar Fachwerkhäuser in Kalckreuth. Ob es splitternackte Frauen im Badehaus, das Bildnis seiner Frau Agnes oder sein eigenes im Spiegel war: Die 50 Blätter, die jetzt in Bremen aus dem Bestand des Kupferstichkabinetts gezeigt werden, nötigen Bewunderung und Hochachtung ab - vor dem sezierenden Blick Dürers und seiner handwerklich schlackenfreien Bewältigung verschiedenster Genres.

    Und man zieht den Hut vor jenen Sammlern, die das Genie Dürer vor 200 Jahren neu entdeckten. Damals war der deutsche Maler, Zeichner und Kupferstecher aus Nürnberg zwar kein Unbekannter, doch er war aus der Menge der "Altdeutschen" noch nicht dergestalt ins Bewusstsein getreten, wie dies heute selbstverständlich scheint. Und es war das Verdienst einer Reihe norddeutscher Kunstfreunde und Sammler, die die Bedeutung des Nürnberger Meisters noch vor seinem 300. Todestag 1828 erkannten.

    Der Bremer Kaufmann, Sammler und Mitbegründer des bremischen Kunstvereins Hieronymus Klugkist muss eine besondere Nase für ihn gehabt haben. Schon 1827 erwarb er 41 Dürer-Zeichnungen und -Aquarelle aus dem Nachlass des Herzogs Albert von Sachsen-Teschen, Blätter aus einem Erbe aus Kaiser Maximilians Zeiten. Ein Hamburger Händler hatte Klugkist versichert, "dass die Waare ganz schön und vollkommen ächt sey".

    Er kaufte unbesehen und bezahlte dafür 752 Floriner Gulden; damals etwa das Jahresgehalt eines höheren Beamten. Ein Schnäppchen - schon ein Jahr später hätte er ein vielfaches hinblättern müssen. Dürer war zum nationalen Kunstrecken befördert worden, was er unseligerweise bis in die Zeiten des Nationalsozialismus bleiben sollte.

    Klugkists Dürer-Konvolut bildete den kostbaren Grundstein des Bremer Kupferstichkabinetts, in dessen Schubladen die Blätter Jahrzehnte lang ruhten, bevor sie im Zweiten Weltkrieg - wegen der Bombengefahr - in ein Schloss in der Mark Brandenburg ausgelagert wurden. Zuvor hatte man - mit Aufkommen der Faksimiletechnik - ausgezeichnete Farbreproduktion anfertigen lassen. Glücklicherweise, denn seit 1945 sind Hunderte der ausgelagerten Blätter verschollen, entweder als Kriegsbeute durch sowjetische Besatzungssoldaten nach Moskau und andere russische Orte verbracht oder in privaten Sammlungen verschwunden oder einfach in den Kriegs- und Nachkriegswirren vernichtet.

    Es ist das Verdienst dieser Ausstellung und ihrer Kuratorin Anne Röver-Kann, dass nun zum ersten Mal die gesamte Bremer Dürer-Sammlung gründlich erforscht, publiziert und zusammengeführt wurde.


    Die Ausstellung ist die Quintessenz von 25 Jahren Forschungsarbeit Anne Röver-Kanns, die zu den weltweit ganz wenigen internationalen Dürer-Spezialisten zählt. Leider war es ihr zu ihrem Abschied aus der aktiven Dienstzeit nicht vergönnt, dass die noch immer in Moskauer Tresoren lagernden Bremer Beuteblätter leibhaftig zurückkehren konnten.

    Die deutsch-russischen Restitutionsverhandlungen sind seit Jahren festgefahren. Die stattdessen ausgestellten Reproduktionen sind zwar sorgfältig als solche gekennzeichnet, doch dem ungeübten Blick des Laien fallen die Unterschiede zwischen Original und Faksimile kaum auf.

    Eingebettet in ein knappes Hundert von grafischen Blättern aus der Dürerzeit - von Altdorfer und Beham bis Schäufelin und Schongauer, von Aldegrever bis Hans Baldung Grien und Hans Süß von Kulmbach - fügt sich die Bremer Schau sowohl zu einem kleinen Who is who der Dürerzeit als auch zu einem Blick zurück in die letzten 200 bis 500 Jahre, auf die diese Bürgersammlung zurückblicken kann. Ein schönes Beispiel, wie man auch kleine Ausstellungen zu großen ästhetischen und kunsthistorischen Momenten werden lassen kann.