Köhler: In Bonn findet heute noch ein Kongress statt. Unter dem Titel "20 Jahre Tschernobyl - Zeitbombe Atomenergie". Veranstaltet unter anderem von der deutschen Sektion der internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges. Und darüber möchte ich sprechen mit Hans-Peter Dürr, er ist Professor für Physik, Schüler von Edward Teller, dem Miterfinder der Wasserstoffbombe gewesen, war Mitarbeiter Werner Heisenbergs, Ende der 50er Jahre, forschte am Max-Planck-Institut in Göttingen und München, in dessen Leitung er viele Jahre war. Und dann Mitte der 70er Jahre hat sich Hans-Peter Dürr mit Fragen der gesellschaftlichen Verantwortung und Problematik von Kernenergie befasst und sich in der Friedens- und Umweltbewegung engagiert. Er gilt als Kritiker der Atomenergie. Guten Morgen Professor Dürr.
Dürr: Guten Morgen!
Köhler: Sie werden gleich den abschließenden Vortrag in Bonn halten, zum Thema zukunftsfähige Energien. Der Gasstreit, die sich verteuernden Energiemärkte, der Energiehunger aufstrebender Volkswirtschaften in Asien, aber auch, für den Endverbraucher, ein einfacher Blick auf die Nebenkostenabrechnung oder die Preistafel an der Tankstelle, lehren uns, die Energie ist nicht mehr so billig zu haben, wie früher. Was ist zukunftsfähige Energie in Ihren Augen?
Dürr: Zukunftsfähige Energie ist eine solche, die verträglich ist mit unserem Leben auf dieser Erde, auf dieser beschränkten Erde. Wir dürfen nicht so weitermachen, dass wir glauben, wir könnten alles tun, was wir wollen. Sondern wir sind eingebettet in ganz bestimmte Beziehungen hier, die wir einhalten müssen, damit wir selber zukunftsfähig sind. Die Erde kann überleben ohne uns, aber wir nicht ohne die Erde in ihrer speziellen Ausformung. Und deshalb müssen wir uns fragen, was heißt Energiehunger? Heißt Energiehunger, ja dass wir zunächst Energie brauchen, ja, um selbst zu leben, zu überleben. Das ist richtig. Das ist ungefähr eine Energieleistung von etwa 50 Watt, ja, die wir dringend brauchen. Und in Wirklichkeit verbrauchen wir hier 5.500 Watt. Ist das noch Energiehunger oder ist das Gier? Wir zerstören unsere eigenen Lebensgrundlagen, wenn wir so weiter machen. Und das ist nicht nur abhängig von den Ressourcen, sondern eben, wie wir damit umgehen, was nur in begrenzten Maße eben erreichbar ist.
Köhler: Nun ist das eine der individuelle Verbrauch jedes einzelnen Konsumenten, das andere ist das, was die Industrie bedarf in der Produktion. Und in der Politik ist das ja auch sehr strittig. Also beispielsweise Generalsekretär Heil von der SPD spricht sich für den geordneten Ausstieg aus der Atomkraft aus, für seine Partei spricht er. Er hält das für eine rückwärts gewandte Technologie. Die Union sieht das ganz anders und der nordrhein-westfälische Innovationsminister Pinkwart ist sogar ein Befürworter. Also das ist durchaus strittig, nach wie vor.
Dürr: Ja, das ist überhaupt nicht strittig. Ich versteh das überhaupt nicht. Wir haben diese Diskussion vor dreißig Jahren geführt. Und das ist doch ganz klar, dass man nun wieder kommt und das wieder aufwärmen will. Es geht einfach nicht, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Es geht nicht nur um die Ressource. Sondern es geht auch darum, dass wir die Energie brauchen, um hier die Erdoberfläche nach unserem Gutdünken zu verändern, ohne zu verstehen, dass wir gewisse Grundlagen brauchen, um überhaupt zu existieren. Und diese Empfindlichkeit, diese Sensibilität, die müssen wir wieder entwickeln.
Ich hab damals, als ich zum ersten Mal auch da eingegriffen habe, in diese Diskussion, wo es darum ging, ja die fossilen Brennstoffe gehen ja zu Ende, was sollen wir denn nun machen. Wir müssen dringend die Kernenergie entwickeln. Ich bin ja selber Kernphysiker, ich habe ja bei Edward Teller in Amerika promoviert, ich kenne auch die Waffenseite. Aber ich weiß auch, dass es eine schrecklich gewaltvolle Energie ist, mit der man umgehen muss. Damals habe ich einfach auch gesagt, passt mal auf, also bevor wir jetzt daran denken, neue Energieressourcen für uns zu vereinnahmen, lasst uns doch einmal überlegen, was machen wir eigentlich? Es kommt mir so vor, wir sind Alkoholiker, die glauben, wenn sie in eine Schnapsfabrik einheiraten, ihre Probleme lösen können. Wir müssen zunächst einmal eine Entziehungskur haben, bevor wir sehen, ob wir überhaupt mehr Alkohol brauchen. Es geht um die Gesundheit des Menschen, um die Entfaltung des Menschen und auch um seine Berufung, die er hier auf dieser Erde hat.
Köhler: Was antworten Sie einem Kritiker, wir brauchen gerade den Atomstrom, um die Klimaziele von Kyoto zu erreichen?
Dürr: Ja, das können wir auch ohne das erreichen. Wir haben ja schon dreieinhalb Milliarden Jahre, haben wir schon auf dieser Erde gelebt. Es ist doch lächerlich, dass wir nun auf einmal Kernenergie brauchen, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht zu zerstören. Wir brauchen eben etwas anderes und wir wissen auch, dass die Sonnenenergie in hohen Maße uns zur Verfügung steht. Aber nicht unbegrenzt. Aber unbegrenzt können wir sowieso nicht alles machen. Wir können auch nicht sagen, jeder hat das Recht, also auf so viel Wasser, wie er braucht, sondern wir haben auch nur begrenzt viel Süßwasser zur Verfügung.
Wir müssen Lebensstile entwickeln, die einfach in dieses Schema hineinpassen. Insbesondere, weil wir es ja gar nicht wirklich brauchen. Unsere Gier ist so ungeheuer groß, dass wir alles zerstören würden und dabei untergehen. Ich vergleiche das mehr, dass wir im Augenblick ein Problem haben, wie der Krebs in unserer Gesundheit. Wir haben ein Krebswachstum, in dem wir verehren, wer am schnellsten wächst, der soll also auch prämiert werden, ja. Nein es geht nicht um schneller wachsen, sondern es geht darum, dass der Mensch die Fähigkeit hat, seine eigenen Fähigkeiten zu entfalten. Und dass er die Freiheit hat, auch das zu tun. Aber dass er diese Freiheit nicht benützt, sozusagen, alles um sich herum zu zerstören, sondern, dass er es auch wieder in die Gemeinschaft einbringen muss. Dass er kooperativ dazu beitragen muss, damit das Gemeinwesen - und das ist nicht nur das gesellschaftliche Gemeinwesen sondern auch seine Gemeinschaft mit der übrigen Kreatur auf der Erde - dass er das so gestaltet, dass wir alle sozusagen weiterleben können, und nicht unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstören.
Köhler: Wie könnte dieses kooperative Modell, das Sie gerade ansprechen, aussehen? Also auf die Bedürfnisse der Volkswirtschaften einerseits, der Konsumenten andererseits, denn es macht ja keinen Sinn, dass ich mir als Eigenheimbauer oder -besitzer Solarzellen auf das Dach tue, dann aber einen großen stromfressenden Großkühlschrank vielleicht in der Küche stehen habe, einerseits. Es gibt doch auch Bemühungen der Industrie um einen Neuanfang in der Energiewirtschaft. Bis 2012 sollen 70 Milliarden Euro investiert werden. Was halten Sie beispielsweise von plutoniumfreier Reaktortechnik?
Dürr: Ich meine, es ist alles Kernenergie, ja. Ich kann selbstverständlich auf Thorium umsteigen, nicht? Dann kann ich noch einmal 60 Jahre weitermachen, oder so. Um das geht es ja gar nicht. Man weiß ja, dass es auch wenn man die Kernenergie einspannt, dass es da nur um eine relativ kurze Strecke geht. Wenn man selbstverständlich sagt, ich bin 70 Jahre, ich lebe noch 15 Jahre vielleicht, um dieses dreht es sich ja gar nicht, sondern wir müssen daran denken, dass wir auch auf längere Zukunft uns einrichten. Und dazu gehört die Kernenergie auch, dass sie ein fossiler Brennstoff ist, der irgendwie einmal aufgebraucht ist.
Aber wir haben doch die Sonnenenergie zur Verfügung. Und die ist reichlich eben da, um genau das zu decken, was wir brauchen, das müssen wir entwickeln. Wissen Sie, ich habe den Eindruck, es geht hier eigentlich um einen Streit, der eine ganz andere Richtung hat. Ich bin lange genug in diesen Gesprächen verwickelt. Es geht darum, ob wir in Zukunft einer zentralisierte Energieversorgung haben oder eine dezentralisierte Energieversorgung. Und es geht nicht, ob das eine nicht da ist, oder so. Es gibt genügend Sonnenenergie, nicht? Die ganze Primärenergie, die wir heute verbrauchen ist ja nur ein Tausendstel von der Sonnenenergie, die eingestrahlt wird. Und ich plädiere nicht dafür, dass man all die Sonnenenergie auch brauchen kann, das wird gar nicht gehen. Aber wir können doch ein Leben führen, das allen sozusagen die Entfaltung ihrer Persönlichkeit eben erlaubt. Das ein glückliches und gutes Leben eben braucht und nicht, dass ich alles niederbrenne, nur um ein bisschen Wärme zu haben, und damit alles kaputt mache.
Köhler: Was meinen Sie mit dezentralisierter Energie, also die Unabhängigkeit von einzelnen Großenergieversorgern, oder was meinen Sie damit?
Dürr: Ja, ich meine, Sonne gibt es überall, nicht? Und wenn ich bei fossilen Brennstoffen dann anfange, dann muss ich hingehen, wo ich unter der Erde gespeicherte Sonnenenergie finde. Das ist bisher gewesen Erdöl, Kohle, Erdgas und so fort. Jetzt habe ich auch noch gefunden, es gibt etwas Uran, das kommt von großen Sternexplosionen, ist also Uran da, das kann ich dann auch noch aufbrauchen, ja. Das gibt es dann auch nur an gewissen Stellen und dann verbrauche ich das auch. Warum nicht jeder dort wo die Sonnenenergie da ist, dass er sie ausnutzt. Das reicht ja eigentlich auch aus. Nicht beliebig. Wenn wir vor Augen haben, dass, sagen wir mal, 10 Milliarden Menschen hier auf dieser Erde so leben wollen, wie jetzt die Amerikaner, dann geht es schlicht und einfach nicht, ja. Aber dann ist kein großes Unglück da, wir brauchen auch nicht diese große Verschwendung von Energie. Wir sind nur halb so schlimm wie die Amerikaner, aber immer noch viermal so schlimm, wie wir wirklich sein dürfen, damit wir nicht die natürlichen Lebensgrundlagen zerstören.
Köhler: Professor Dürr, wir verschwenden nicht so viel wie andere, sagen Sie. Was halten Sie von solchen Retrokults, die es im Moment gibt? Also Radios mit Akkukurbelbetrieb, oder Handys mit Akkukurbelbetrieb, oder ähnliche Dinge. Sind das nur so kleine Spielereien oder kann jeder so einen kleinen Beitrag dazu leisten, weniger zu verschwenden?
Dürr: Ja, ich meine, das sind, also die ganze Elektronik ist eigentlich überhaupt nicht das Problem. Die Elektronik ist eigentlich dazu da, eine bessere Steuerung zu machen. Nein, es geht einfach um die Großverschwendung von Energie. Wir verehren ja die Leistungsträger als solche, die aus meinen Augen Leute sind, die in Schneefelder reinlaufen und eine Lawine nach der anderen auslösen und dann sagt man toll, so ein einziger Mensch, mit einem Tritt bringt er so viel in Bewegung. Aber wenn er nur Lawinen auslöst, dann liegt alles nachher unten im Tal. Aber wir gehören ja zum Leben in der Erde, das genau in der umgekehrten Reihenfolge geht. Dass wir vom einfachen Lebewesen zu immer höheren aufsteigen sollen. Und das heißt mühsames Aufsteigen am Fels. Ja und von dem redet niemand, sondern nur, wie man möglichst viel in Bewegung setzt und dann geht alles den Berg runter.
Köhler: Mitverantwortung gegen Verschwendung. Hans-Peter Dürr, Professor für Physik und lange Jahre leitender Direktor an den Max-Planck-Instituten und Kritiker der Atomenergie, der heute in Bonn den Abschlussvortrag beim Kongress hält, 20 Jahre Tschernobyl - Zeitbombe Atomenergie. Herzlichen Dank für das Gespräch Professor Dürr.
Dürr: Danke!
Dürr: Guten Morgen!
Köhler: Sie werden gleich den abschließenden Vortrag in Bonn halten, zum Thema zukunftsfähige Energien. Der Gasstreit, die sich verteuernden Energiemärkte, der Energiehunger aufstrebender Volkswirtschaften in Asien, aber auch, für den Endverbraucher, ein einfacher Blick auf die Nebenkostenabrechnung oder die Preistafel an der Tankstelle, lehren uns, die Energie ist nicht mehr so billig zu haben, wie früher. Was ist zukunftsfähige Energie in Ihren Augen?
Dürr: Zukunftsfähige Energie ist eine solche, die verträglich ist mit unserem Leben auf dieser Erde, auf dieser beschränkten Erde. Wir dürfen nicht so weitermachen, dass wir glauben, wir könnten alles tun, was wir wollen. Sondern wir sind eingebettet in ganz bestimmte Beziehungen hier, die wir einhalten müssen, damit wir selber zukunftsfähig sind. Die Erde kann überleben ohne uns, aber wir nicht ohne die Erde in ihrer speziellen Ausformung. Und deshalb müssen wir uns fragen, was heißt Energiehunger? Heißt Energiehunger, ja dass wir zunächst Energie brauchen, ja, um selbst zu leben, zu überleben. Das ist richtig. Das ist ungefähr eine Energieleistung von etwa 50 Watt, ja, die wir dringend brauchen. Und in Wirklichkeit verbrauchen wir hier 5.500 Watt. Ist das noch Energiehunger oder ist das Gier? Wir zerstören unsere eigenen Lebensgrundlagen, wenn wir so weiter machen. Und das ist nicht nur abhängig von den Ressourcen, sondern eben, wie wir damit umgehen, was nur in begrenzten Maße eben erreichbar ist.
Köhler: Nun ist das eine der individuelle Verbrauch jedes einzelnen Konsumenten, das andere ist das, was die Industrie bedarf in der Produktion. Und in der Politik ist das ja auch sehr strittig. Also beispielsweise Generalsekretär Heil von der SPD spricht sich für den geordneten Ausstieg aus der Atomkraft aus, für seine Partei spricht er. Er hält das für eine rückwärts gewandte Technologie. Die Union sieht das ganz anders und der nordrhein-westfälische Innovationsminister Pinkwart ist sogar ein Befürworter. Also das ist durchaus strittig, nach wie vor.
Dürr: Ja, das ist überhaupt nicht strittig. Ich versteh das überhaupt nicht. Wir haben diese Diskussion vor dreißig Jahren geführt. Und das ist doch ganz klar, dass man nun wieder kommt und das wieder aufwärmen will. Es geht einfach nicht, dass wir über unsere Verhältnisse leben. Es geht nicht nur um die Ressource. Sondern es geht auch darum, dass wir die Energie brauchen, um hier die Erdoberfläche nach unserem Gutdünken zu verändern, ohne zu verstehen, dass wir gewisse Grundlagen brauchen, um überhaupt zu existieren. Und diese Empfindlichkeit, diese Sensibilität, die müssen wir wieder entwickeln.
Ich hab damals, als ich zum ersten Mal auch da eingegriffen habe, in diese Diskussion, wo es darum ging, ja die fossilen Brennstoffe gehen ja zu Ende, was sollen wir denn nun machen. Wir müssen dringend die Kernenergie entwickeln. Ich bin ja selber Kernphysiker, ich habe ja bei Edward Teller in Amerika promoviert, ich kenne auch die Waffenseite. Aber ich weiß auch, dass es eine schrecklich gewaltvolle Energie ist, mit der man umgehen muss. Damals habe ich einfach auch gesagt, passt mal auf, also bevor wir jetzt daran denken, neue Energieressourcen für uns zu vereinnahmen, lasst uns doch einmal überlegen, was machen wir eigentlich? Es kommt mir so vor, wir sind Alkoholiker, die glauben, wenn sie in eine Schnapsfabrik einheiraten, ihre Probleme lösen können. Wir müssen zunächst einmal eine Entziehungskur haben, bevor wir sehen, ob wir überhaupt mehr Alkohol brauchen. Es geht um die Gesundheit des Menschen, um die Entfaltung des Menschen und auch um seine Berufung, die er hier auf dieser Erde hat.
Köhler: Was antworten Sie einem Kritiker, wir brauchen gerade den Atomstrom, um die Klimaziele von Kyoto zu erreichen?
Dürr: Ja, das können wir auch ohne das erreichen. Wir haben ja schon dreieinhalb Milliarden Jahre, haben wir schon auf dieser Erde gelebt. Es ist doch lächerlich, dass wir nun auf einmal Kernenergie brauchen, um unsere natürlichen Lebensgrundlagen nicht zu zerstören. Wir brauchen eben etwas anderes und wir wissen auch, dass die Sonnenenergie in hohen Maße uns zur Verfügung steht. Aber nicht unbegrenzt. Aber unbegrenzt können wir sowieso nicht alles machen. Wir können auch nicht sagen, jeder hat das Recht, also auf so viel Wasser, wie er braucht, sondern wir haben auch nur begrenzt viel Süßwasser zur Verfügung.
Wir müssen Lebensstile entwickeln, die einfach in dieses Schema hineinpassen. Insbesondere, weil wir es ja gar nicht wirklich brauchen. Unsere Gier ist so ungeheuer groß, dass wir alles zerstören würden und dabei untergehen. Ich vergleiche das mehr, dass wir im Augenblick ein Problem haben, wie der Krebs in unserer Gesundheit. Wir haben ein Krebswachstum, in dem wir verehren, wer am schnellsten wächst, der soll also auch prämiert werden, ja. Nein es geht nicht um schneller wachsen, sondern es geht darum, dass der Mensch die Fähigkeit hat, seine eigenen Fähigkeiten zu entfalten. Und dass er die Freiheit hat, auch das zu tun. Aber dass er diese Freiheit nicht benützt, sozusagen, alles um sich herum zu zerstören, sondern, dass er es auch wieder in die Gemeinschaft einbringen muss. Dass er kooperativ dazu beitragen muss, damit das Gemeinwesen - und das ist nicht nur das gesellschaftliche Gemeinwesen sondern auch seine Gemeinschaft mit der übrigen Kreatur auf der Erde - dass er das so gestaltet, dass wir alle sozusagen weiterleben können, und nicht unsere natürlichen Lebensgrundlagen zerstören.
Köhler: Wie könnte dieses kooperative Modell, das Sie gerade ansprechen, aussehen? Also auf die Bedürfnisse der Volkswirtschaften einerseits, der Konsumenten andererseits, denn es macht ja keinen Sinn, dass ich mir als Eigenheimbauer oder -besitzer Solarzellen auf das Dach tue, dann aber einen großen stromfressenden Großkühlschrank vielleicht in der Küche stehen habe, einerseits. Es gibt doch auch Bemühungen der Industrie um einen Neuanfang in der Energiewirtschaft. Bis 2012 sollen 70 Milliarden Euro investiert werden. Was halten Sie beispielsweise von plutoniumfreier Reaktortechnik?
Dürr: Ich meine, es ist alles Kernenergie, ja. Ich kann selbstverständlich auf Thorium umsteigen, nicht? Dann kann ich noch einmal 60 Jahre weitermachen, oder so. Um das geht es ja gar nicht. Man weiß ja, dass es auch wenn man die Kernenergie einspannt, dass es da nur um eine relativ kurze Strecke geht. Wenn man selbstverständlich sagt, ich bin 70 Jahre, ich lebe noch 15 Jahre vielleicht, um dieses dreht es sich ja gar nicht, sondern wir müssen daran denken, dass wir auch auf längere Zukunft uns einrichten. Und dazu gehört die Kernenergie auch, dass sie ein fossiler Brennstoff ist, der irgendwie einmal aufgebraucht ist.
Aber wir haben doch die Sonnenenergie zur Verfügung. Und die ist reichlich eben da, um genau das zu decken, was wir brauchen, das müssen wir entwickeln. Wissen Sie, ich habe den Eindruck, es geht hier eigentlich um einen Streit, der eine ganz andere Richtung hat. Ich bin lange genug in diesen Gesprächen verwickelt. Es geht darum, ob wir in Zukunft einer zentralisierte Energieversorgung haben oder eine dezentralisierte Energieversorgung. Und es geht nicht, ob das eine nicht da ist, oder so. Es gibt genügend Sonnenenergie, nicht? Die ganze Primärenergie, die wir heute verbrauchen ist ja nur ein Tausendstel von der Sonnenenergie, die eingestrahlt wird. Und ich plädiere nicht dafür, dass man all die Sonnenenergie auch brauchen kann, das wird gar nicht gehen. Aber wir können doch ein Leben führen, das allen sozusagen die Entfaltung ihrer Persönlichkeit eben erlaubt. Das ein glückliches und gutes Leben eben braucht und nicht, dass ich alles niederbrenne, nur um ein bisschen Wärme zu haben, und damit alles kaputt mache.
Köhler: Was meinen Sie mit dezentralisierter Energie, also die Unabhängigkeit von einzelnen Großenergieversorgern, oder was meinen Sie damit?
Dürr: Ja, ich meine, Sonne gibt es überall, nicht? Und wenn ich bei fossilen Brennstoffen dann anfange, dann muss ich hingehen, wo ich unter der Erde gespeicherte Sonnenenergie finde. Das ist bisher gewesen Erdöl, Kohle, Erdgas und so fort. Jetzt habe ich auch noch gefunden, es gibt etwas Uran, das kommt von großen Sternexplosionen, ist also Uran da, das kann ich dann auch noch aufbrauchen, ja. Das gibt es dann auch nur an gewissen Stellen und dann verbrauche ich das auch. Warum nicht jeder dort wo die Sonnenenergie da ist, dass er sie ausnutzt. Das reicht ja eigentlich auch aus. Nicht beliebig. Wenn wir vor Augen haben, dass, sagen wir mal, 10 Milliarden Menschen hier auf dieser Erde so leben wollen, wie jetzt die Amerikaner, dann geht es schlicht und einfach nicht, ja. Aber dann ist kein großes Unglück da, wir brauchen auch nicht diese große Verschwendung von Energie. Wir sind nur halb so schlimm wie die Amerikaner, aber immer noch viermal so schlimm, wie wir wirklich sein dürfen, damit wir nicht die natürlichen Lebensgrundlagen zerstören.
Köhler: Professor Dürr, wir verschwenden nicht so viel wie andere, sagen Sie. Was halten Sie von solchen Retrokults, die es im Moment gibt? Also Radios mit Akkukurbelbetrieb, oder Handys mit Akkukurbelbetrieb, oder ähnliche Dinge. Sind das nur so kleine Spielereien oder kann jeder so einen kleinen Beitrag dazu leisten, weniger zu verschwenden?
Dürr: Ja, ich meine, das sind, also die ganze Elektronik ist eigentlich überhaupt nicht das Problem. Die Elektronik ist eigentlich dazu da, eine bessere Steuerung zu machen. Nein, es geht einfach um die Großverschwendung von Energie. Wir verehren ja die Leistungsträger als solche, die aus meinen Augen Leute sind, die in Schneefelder reinlaufen und eine Lawine nach der anderen auslösen und dann sagt man toll, so ein einziger Mensch, mit einem Tritt bringt er so viel in Bewegung. Aber wenn er nur Lawinen auslöst, dann liegt alles nachher unten im Tal. Aber wir gehören ja zum Leben in der Erde, das genau in der umgekehrten Reihenfolge geht. Dass wir vom einfachen Lebewesen zu immer höheren aufsteigen sollen. Und das heißt mühsames Aufsteigen am Fels. Ja und von dem redet niemand, sondern nur, wie man möglichst viel in Bewegung setzt und dann geht alles den Berg runter.
Köhler: Mitverantwortung gegen Verschwendung. Hans-Peter Dürr, Professor für Physik und lange Jahre leitender Direktor an den Max-Planck-Instituten und Kritiker der Atomenergie, der heute in Bonn den Abschlussvortrag beim Kongress hält, 20 Jahre Tschernobyl - Zeitbombe Atomenergie. Herzlichen Dank für das Gespräch Professor Dürr.
Dürr: Danke!