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Duisburg feiert Lehmbrucks "Kniende"

Die Duisburger Jubiläumsschau "100 Jahre Lehmbrucks Kniende - Paris 1911" versucht zweierlei: Sie stellt die Skulptur mit ihrer ungewöhnlichen Haltung in den Mittelpunkt. Und möchte zeigen, in welchem künstlerischen Umfeld sie 1911 in Paris entstanden ist.

Christiane Vielhaber im Gespräch mit Beatrix Novy | 22.09.2011
    Beatrix Novy: Jetzt geht es um ein Mädchen. "Anmutig kniet sie vor dem Betrachter, den Blick scheu abgewandt. Ihre Rechte hebt sie schüchtern zur Brust, den linken Arm legt sie zart ab." So wurde sie dieser Tage in einer Zeitung beschrieben, man merkt schon, das ist keine Braut von heute. Das ist die "Kniende", eine Skulptur von Wilhelm Lehmbruck, deren 100-jährigen Geburtstag das Lehmbruck-Museum in Duisburg jetzt mit einer eigenen Ausstellung feiert. - Christiane Vielhaber im Studio, was macht denn diese Skulptur so bedeutend?

    Christiane Vielhaber: Sie hatten vorhin in der Anmoderation von den tollen Leihgaben gesprochen, Rodin, Matisse, Maillol und was da alles zu sehen ist. Das Ereignis ist wirklich, man kann nicht sagen "Mädchen". Wir sind ja nun beide keine Zwerge, Frau Novy, aber die "Kniende" ist kniend knapp 1,90 Meter hoch.

    Novy: Deswegen heißt sie auch große "Kniende".

    Vielhaber: Und ich denke, wo wir heute alle vom Papst reden, es geht um eine Geste, die es bis dahin in der Skulptur oder in der Plastik, muss man sagen – Lehmbruck war ein Plastiker, Lehmbruck hat aufgebaut und hat nicht weggehauen, also er hat die geformt -, die es in der Skulptur so noch nicht gab, nämlich was Sie besprochen haben, diese rechte Hand leicht geöffnet zur Brust. Und eben, als ich das über den Papst gehört habe – ich bin zwar nicht katholisch -, da habe ich gedacht, so ein bisschen Mea culpa, da schlägt man sich doch auch immer irgendwie da oben hin.

    Novy: In der Tat!

    Vielhaber: Es geht eigentlich darum zu gucken, wo hat er das her. 1911 in Paris: Natürlich ist er bei Rodin im Atelier gewesen, er kannte die Arbeiten von Maillol, er kannte die Malerei seiner Zeit. Aber wo kommt das her? – Denn die kniet eben nicht, wie wir so knien würden, sondern sie ist so was gelenkig. Wenn sie das Bein sehen: Das eine, da kniet sie ja, und das andere so nach hinten geschoben. Das scheint, überhaupt kein Ende zu nehmen. Ihr Fuß, ihr nackter Fuß ist bestimmt fast 40 Zentimeter lang und trotzdem haben sie das Gefühl, dass alles an dieser geformten Person nicht manieriert ist, nicht manieristisch gelenkt, sondern irgendwie von einem Geist beseelt, den sie in dieser Ausstellung nicht finden. Und die versuchen das. Die versuchen das beim Ballets Russes, weil sie gedacht haben, vielleicht kommt das vom Tänzerischen. Sie zeigen, dass Lehmbruck zum Beispiel sehr musikalisch war, dass er nicht nur gerne Debussy gehört hat, sondern es gibt auch von Hans Richter eine Zeichnung, da sieht man ihn an der Violine. Man sieht den Fuß von Nijinsky, man sieht die Fotos vom Ballets Russes, aber mit dem Ballett hat das eben auch nichts zu tun und mit der Musik auch nicht, und es hat auch nichts zu tun mit dem "Kuss" von Brancusi, also dieses ganz eigenständige. Was sie höchstens finden, ist ein Relief aus dem sechsten vorchristlichen Jahrhundert, ein antikes, wo zwei Frauen sich gegenüberstehen, und da haben sie das Gefühl, diese Handbewegung kommt da irgendwie, ob sich diese Frauen irgendwas zutupfen oder ob sie was in der Hand haben. Aber sonst bleibt es ganz rätselhaft.

    Novy: Das wäre dann also die ganze Wirkungsgeschichte dieser Skulptur? Die ragt also so heraus, ohne Vorgeschichte, ohne Nachgeschichte?

    Vielhaber: Ohne Nachgeschichte. Diese gelenkigen Figuren, da könnten sie höchstens ganz früh beim Manierismus an die Figuren von el Greco denken, aber die haben eigentlich überhaupt nichts damit zu tun, sondern dieser Prozess des Machens – und das sehen sie ganz toll, eigentlich die schönste Arbeit in dieser Ausstellung – ist ein Fragment der "Knienden", die 1945 in Berlin zerstört wurde, und die ist nicht aus Bronze, sondern aus Steinguss. Da sehen sie auch mal, wie modern Lehmbruck war. Das ist eigentlich Beton, womit man die Straßen macht. Das hat er für seine Skulptur benutzt und da sehen sie, wie er die aufgebaut hat. Da ist nur noch ein Stück oben von dem Brustteil, dann so ein Stück von dem Knie und hinten so ein Fuß, und innen drin sehen sie wirklich diese Armierung, diese dicken Stahldinger, um das dieses Steinzeug, dieser Beton drum herumgeformt ist, und da haben sie das Gefühl, da merken sie richtig, wie Plastik entsteht im 20. Jahrhundert und was eigentlich Lehmbruck umgetrieben hat. Sie sehen von ihm frühe Arbeiten, so ein Grabbild-Relief, und dann merken sie, ein Bildhauer ist er nicht. Da kann er ganz anders nicht mit Beinen umgehen, das ist fast witzig, wie ihm das misslingt. Aber die "Kniende" ist nicht misslungen, sondern sie steht jetzt auch vor dem emporsteigenden Jüngling, der noch mal größer ist, und trotzdem: Sie hat die große Anmut, sie hat die Grazie.

    Novy: "Paris 1911", das ist der zweite Titel der Ausstellung. Hier werden ja Objekte ausgestellt, die damals mit Lehmbrucks Werken in Paris zusammen ausgestellt wurden vor 100 Jahren, das Ganze ist aber nicht eine Fin-de- Siècle-Installation?

    Vielhaber: Nein. Man hat es in einem Raum versucht, das ist so mittelpeinlich. Da stehen so zwei Rundsofas, dann steht da ein Schreibtisch von van de Velde, weil diesen Schreibtisch von Henry van de Velde, den hat Meier-Graefe in seinem Büro, und Meier-Graefe ist mit Lehmbruck in Paris durch das Louvre gegangen. Also das sind so Apercus, auf die man gut hätte verzichten können.

    Novy: Gut! – Vielen Dank! - das war Christiane Vielhaber. "100 Jahre Kniende – Paris 1911", so heißt die Ausstellung im Duisburger Lehmbruck-Museum.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.