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Dunkles Eis
Algenblüten lassen Grönlands Eis schneller schmelzen

Würden Grönlands Eispanzer komplett schmelzen, stiege der Meeresspiegel um rund sieben Meter. Entsprechend beunruhigt sind Forschende, wenn sie bislang unbekannte Prozesse entdecken, die das Abschmelzen beschleunigen - zum Beispiel dunkle Algen, die auf dem Eis wachsen.

Von Monika Seynsche | 16.06.2021
Eisberge in Grönland - der Klimawechsel hat große Auswirkungen auf Gletscher und Polkappen
Grönlands Eispanzer schmilzt rapide - auch weil der Klimawandel Algenblüten begünstigt (dpa / NurPhoto / Ulrik Pedersen)
Es ist ein dunkler Streifen, der sich am westlichen Rand des Eispanzers entlang zieht. Er taucht jedes Frühjahr auf, wächst im Sommer und verschwindet im Herbst. Seit 20 Jahren wird er Sommer für Sommer ein Stück breiter. Anfangs hielten ihn die meisten für Ascheablagerungen von Waldbränden in Nordamerika. Aber das stimme nicht, sagt Martyn Tranter von der Universität Aarhus.
"Dieses Zeug lebt. Es sieht aus wie schwarzer Staub, aber es sind Haufen kleiner Mikroorganismen, sogenannter Eisalgen. Sobald die Eisoberfläche im Frühjahr anfängt zu tauen, beginnen sie zu wachsen und zu blühen. Die Algen sind auf dem Eis extrem starker Sonnenstrahlung ausgesetzt. Deshalb schützen sie ihre inneren Strukturen mit dunkel-violetten Pigmenten, die wie eine Sonnencreme wirken."

Der dunkle Belag heizt das Eis auf

Martyn Tranter hat jahrelang geforscht, um diesen Zusammenhang nachzuweisen. Jetzt, im nächsten Schritt, untersuchen er und seine Kolleginnen, was das Wachstum der Algen steuert und was es für den grönländischen Eispanzer bedeutet. Klar ist jetzt schon: der dunkle Teppich lässt das Eis darunter schneller schmelzen. Und: die Algen können nicht überall auf dem Eispanzer wachsen. Sie brauchen flüssiges Wasser und Nährstoffe. Phosphor etwa ziehen sie aus mineralischem Staub, der sich auf dem Eis ablagert. Das Wasser wiederum finden sie in der Schmelzzone, dort also, wo die Temperaturen im Frühjahr stark genug steigen, sagt Martyn Tranter:
"Mit dem wärmer werdenden Klima dehnt sich die Schmelzzone des Eispanzers immer weiter aus. Zurzeit reicht sie im Südwesten Grönlands schon etwa 70 bis 100 Kilometer ins Landesinnere hinein. An den Rändern ragt der Eispanzer steil auf und das Schmelzwasser fließt sofort ab, aber zum Zentrum hin wird die Eisoberfläche immer flacher und das bedeutet, dass Wasser dort länger stehen bleibt. Das ist hervorragend für die Algen, die im stehenden Wasser gut wachsen können und nicht so schnell weggewaschen werden."
Eisberg nahe Ilulissat, Grönland
"Je stärker die Erderwärmung, desto größer das Risiko für Dominoeffekte"
Der Klimawandel hat Einfluss auf die Eisschilde von Grönland, den Amazonas-Regenwald und die Ozeanzirkulation. Eine Studie zeigt: Mit jedem Zehntel Grad zusätzlicher Erderwärmung steigt die Gefahr von Dominoeffekten zwischen diesen Systemen. Studienautorin Ricarda Winkelmann erklärt die Mechanismen.

Die Topographie begünstigt das Algenwachstum

Abgesehen von den Rändern hat der überwiegende Teil des Eispanzers eine relativ flache Oberfläche, erklärt der Professor aus Aarhus: "Im Moment ist unsere große Sorge, dass die Eisalgen sich weiter und weiter auf der Oberfläche des Eispanzers ausbreiten und auch stärker nach Norden wandern. Das wird die Schmelzraten in die Höhe treiben und möglicherweise den Anstieg des Meeresspiegels beschleunigen."
Denn der dunkle Algenteppich reflektiert weniger Sonnenstrahlung als das weiße Eis. Dadurch erwärmt sich die Oberfläche stärker und mehr Eis schmilzt. Und je mehr Eis schmilzt, desto mehr Schmelzwasser steht den Algen als Lebensraum zur Verfügung. Aus der Sicht von Martyn Tranter ein Teufelskreis: "Wir gehen davon aus, dass die Algen aktuell für 13 Prozent zusätzliche Schmelze verantwortlich sind. Wie groß dieser Anteil in Zukunft sein wird, wissen wir nicht. Wir sind gerade dabei, Computermodell zu erstellen, um das herauszufinden."

"Wir müssen das Phänomen beobachten"

Aber auch, wenn die Algen die Eisschmelze noch massiv verstärken, ist Martyn Tranter dagegen, die Eisalgen direkt zu bekämpfen: "Sie sind ein Teil des natürlichen Ökosystems. Und ich wäre sehr vorsichtig, mit der Natur herumzuspielen. Wir müssen dieses Phänomen beobachten, schauen, wie es weiter geht und es als eine – einige würden sagen als eine interessante, andere als eine schlimme Folge des Klimawandels akzeptieren."
Seiner Ansicht nach ist die einzige sinnvolles Lösung des Problems, den Klimawandel zu bekämpfen.