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"Durch meine eigene Haft weiß ich, dass jede Stimme zählt"

Die iranisch-amerikanische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Roxana Saberi moderiert das "Hope"-Solidaritätskonzert für Freiheit im Iran. Sie selbst wurde 2009 im Iran verhaftet und erst durch internationalen Druck wieder freigelassen. Ihre Erfahrungen schildert sie im Buch "Hundert Tage".

Die Fragen stellte Monika Hebbinghaus | 07.06.2013
    Monika Hebbinghaus: Frau Saberi, Sie sind Amerikanerin, haben iranische Wurzeln und waren bereits mehre Jahre als Reporterin im Iran, als es eines Morgens im Januar 2009 an ihrer Tür klingelte. Was ist damals passiert?

    Roxana Saberi: Da war ein Mann an meiner Wohnungstür. Er sagte, er hätte einen Brief für mich, also habe ich die Tür einen kleinen Spalt geöffnet. Er reichte mir ein Stück Papier, auf dem ich das Wort "Evin" entziffern konnte. So heißt das schlimmste Gefängnis im Iran. Ich bekam Angst und wollte die Tür schließen, aber er drängte sich hinein. Drei Männer kamen hinterher, Geheimdienstleute in Zivil, und die haben alles durchwühlt. Dann haben sie mich mitgenommen und gesagt, wenn ich kooperiere, bin ich abends wieder zu Hause. Falls nicht, lande ich im Evin-Gefängnis.

    Hebbinghaus: Dann wurden Sie verhaftet – die Anklage lautete Spionage für eine feindliche Macht. Was hat diese Situation mit Ihnen gemacht ?

    Saberi: Sie haben mir vorgeworfen, für die CIA zu spionieren, weil ich damals an einem Buch über den Iran gearbeitet habe und dafür sehr viele Interviews führte. Sie behaupteten, das sei nur ein Vorwand, um meine Agententätigkeit zu verdecken. In den nächsten Wochen wurde ich permanent verhört, kam in Einzelhaft, konnte niemandem sagen, wo ich war und bekam zunächst auch keinen Anwalt. Das nennen sie "weiße Folter". Es hinterlässt keine Spuren auf dem Körper, aber es kann den Geist zerstören. Anders als viele andere Gefangene im Iran wurde ich aber nicht körperlich gefoltert.

    Hebbinghaus: Auf der anderen Seite - was hat Ihnen geholfen?

    Saberi: Vor allem die Einzelhaft war schwer. Ich hatte keine Bücher, außer dem Koran, nicht mal Stift oder Papier. Ich verstand nicht, warum ich für etwas bestraft wurde, das ich nicht getan hatte, fühlte mich hilflos und allein - was meine Gefängniswärter ja auch wollten. Später haben sie mich zu anderen Frauen in eine Zelle gelassen, politische Gefangene wie ich. Eine war Studentin, eine andere hat für eine Hilfsorganisation gearbeitet. Es gab zwei Frauen, die in einer Bäckerei einfach nur "Wir wollen Brot!" gerufen hatten. Und zwei Frauen, die zur religiösen Minderheit der Bahai gehörten. Die haben mich sehr unterstützt, denn sie haben mir gezeigt, dass man sich vom Gefängnis nicht besiegen lassen muss. Also haben wir angefangen, Turnübungen in der Zelle zu machen, über Bücher diskutiert. Ich habe ihnen etwas Englisch beigebracht. Das alles hat geholfen. Und dann habe ich herausgefunden, dass sich Menschen überall auf der Welt für meine Freilassung einsetzten. Das hat mir Mut gemacht.

    Hebbinghaus: Nach starkem internationalen Druck, auch durch Präsident Obama und seine damalige Außenministerin Hillary Clinton, wurden sie dann ja auch freigelassen - nach hundert Tagen Haft. Das war ein Privileg, das ihre Zellengenossinnen nicht hatten. Fühlen Sie sich deswegen jetzt verpflichtet, für sie zu sprechen?

    Saberi: Als ich freikam, war ich natürlich sehr froh, zurück zu meiner Familie zu können. Aber ich war auch traurig wegen der anderen Frauen, die die Freiheit ebenso verdienten wie ich. Warum bekam ich diese ganze Medienaufmerksamkeit und sie nicht? Deswegen ist es wichtig für mich, für diese Menschen zu sprechen. Durch meine eigene Haft weiß ich, dass jede Stimme zählt – auch wenn es vielleicht nur ein Klick auf eine Petition bei Facebook ist. Wenn man diese später mit 25.000 Klicks an die iranische Vertretung bei der UN schickt – dann macht das sehr wohl einen Unterschied.

    Hebbinghaus: Heute Abend moderieren Sie das "Hope"-Konzert in Berlin, zu dem sich viele internationale Stars für die Menschen im Iran zusammen getan haben. Was bedeutet dieses Konzert für Sie?

    Saberi: Ich freue mich sehr über diese Möglichkeit, und es ist eine große Ehre für mich. Denn für dieses Konzert haben sich Künstler und Unterstützer aus vielen Ländern zusammengetan, um eine Botschaft der Solidarität an die Menschen im Iran zu schicken. Dies sind Iraner, die frei als Journalisten arbeiten wollen, friedlich demonstrieren wollen, die Musik, Filme, Bücher und Kunst machen wollen ohne Zensur und Angst vor Strafe. Wir wollen ihnen zeigen, dass sie nicht allein sind in ihrem Kampf für Freiheit und Menschenrechte.

    Hebbinghaus: Welche Hoffnung verbinden Sie mit dem "Hope Concert"?

    Saberi: Ich will mithelfen, ein Bewusstsein für das Leid der Iraner zu schaffen. Für die politischen Gefangenen, die dafür bestraft werden, dass sie ihre Grundrechte ausüben, und für all die anderen Iraner, die sich auch dafür einsetzen. Und auf der anderen Seite hoffe ich, dass das Konzert und seine Botschaft der Solidarität die Iraner selbst erreicht. Die Behörden werden die Ausstrahlung des Konzerts bestimmt verhindern wollen, aber die Iraner sind technisch versiert und ich hoffe, sie finden trotzdem einen Weg zuzuhören.

    Hebbinghaus: Hat Popmusik überhaupt einen Einfluss auf die politische Situation oder die Einhaltung der Menschenrechte im Iran?

    Saberi: Ich glaube schon, dass Musik dabei helfen kann, Menschen über Ländergrenzen hinweg zu vereinen. Und vielleicht kann sie positive Impulse setzen, im Iran und anderswo. Musik ist eine universelle Sprache, und man muss nicht jedes Wort verstehen, um das Leid des anderen nachempfinden zu können.

    Hebbinghaus: Die Künstler, die heute Abend auftreten, sind höchst unterschiedlich: vom Gitarristen Henry Padovani, Mitgründer von "The Police" über den italienischen Popstar Al Bano bis hin zu John Martin von der "Swedish House Mafia". Und auch iranische Künstler sind dabei, wie der legendäre Sänger Ebi. Haben Sie mit dem einen oder anderen eine persönliche Verbindung?

    Saberi: Ich habe die Künstler nicht mit ausgewählt, aber ich bin ein Fan von Ebi, der in Amerika lebt und im Iran sehr beliebt ist. Und auch die Musik der anderen Künstler gefällt mir sehr. Ich finde es einfach toll, dass so viele Künstler ganz unterschiedlicher Genres sich für dieses Konzert zusammengeschlossen haben.

    Hebbinghaus: Gibt es einen besonderen Grund, warum Berlin ausgewählt wurde für dieses Konzert?

    Saberi: Die Organisatoren haben sich für Berlin entschieden, weil die Stadt ein Symbol ist für eine politische Bewegung von Menschen, die sich für demokratischen Wandel eingesetzt haben – und sie haben es geschafft. Und das wünsche ich mir für die Iraner – auch wenn es vielleicht naiv klingt: Dass sie eines Tages in wirklich freien und fairen Wahlen ihre eigene Regierung wählen können.