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Dystopie
Yves Grevets Romantrilogie "Méto"

In seiner "Méto"-Trilogie beschreibt Yves Grevet eine düstere Parallelwelt, in der Kinder isoliert in einem Haus leben, bewacht von Soldaten. Für den Autor selbst sind die Bücher mehr als eine düstere Dystopie: Es sind Initiationsromane, die sich mit dem Übergang von der Kindheit in das Erwachsenenleben befassen.

Mit Tanya Lieske | 16.11.2013
    Tanya Lieske: Die Apokalypse hat stattgefunden und das dazu gehörige Genre, die Dystopie, feiert große Erfolge im Jugendbuch. Zur Dystopie, so wie sie für Jugendliche erzählt wird, gehört eine postdemokratische Gesellschaft, die für eine Elite technisch hochversiert ist, für die große Masse bedeutet sie Armut und harte Arbeit. Regiert wird absolutistisch mit schweren auch körperlichen Strafen, wenn der Gehorsam des Individuums verweigert wird. Ein düsteres Bild, das etwa in der Trilogie "Die Tribute von Panem" seit 2009 in die ganze Welt getragen wurde. Genau zeitgleich sorgte in Frankreich der Autor Yves Grevet für Aufsehen, ebenfalls mit dem ersten Band einer Dystopie, die inzwischen abgeschlossen und in viele Sprachen übersetzt ist. Drei Bände liegen vor, sie heißen "Méto – Das Haus", "Méto - Die Insel" und "Méto – Die Welt".

    Méto, das ist die jugendliche Hauptfigur dieses Romans und den Autor Yves Grevet begrüße ich heute hier im Studio. Monsieur Grevet, Sie sind auf der Ile de France aufgewachsen, Sie arbeiten als Lehrer, sind verheiratet, haben drei Söhne, Ihre Vita sieht sehr glücklich aus. Wie kommt man auf die Idee, mitten im Frieden einen solchen apokalyptischen Roman zu schreiben?

    Yves Grevet: Dieser Roman ist aus einem Traum geboren. Als ich aufgewacht bin, hatte ich die ganze erste Szene deutlich vor Augen. 64 Jugendliche liegen nachts in einem Schlafsaal und auf einmal werden sie wach, weil sie ein knackendes Geräusch gehört haben. Alle sind wie gelähmt vor Angst. Sie wissen, jemand wird kommen, der ein Kind sucht, das für sein Bett zu groß geworden ist.

    Ich habe diese Szene dann in einem Heft notiert. Dort hat sie dann einige Jahre lang gewartet, ich wusste nicht genau, was ich damit anfangen soll. Wie kann man eine solche Szene wachsen lassen, was macht man mit einem Jungen, der aus einem Schlafsaal verschwindet, weil er zu groß geworden ist? Der ganze Roman ist aus dieser ersten Szene geboren. Er ist auch eine Dystopie geworden, weil diese Szene mich dorthin geführt hat.

    Am Anfang stand die Idee eines Hauses, in dem Kinder wie Gefangene gehalten werden, aber viel mehr wusste ich auch nicht. Ich war wie Méto, ich bin wie Méto, er spricht in der ersten Person. Ich bin in seinem Kopf und ich weiß nicht genau, wohin ich gehen soll, ich weiß nicht, was aus mir werden soll, wie ich mich aus dem Haus befreien soll. Und so ist diese schreckliche Welt langsam gewachsen.

    Lieske: Passiert Ihnen das öfter, dass ein Roman sich aus einem Traum heraus, aus einer einzelnen Szene entwickelt?

    Grevet: Ja, ein Roman kann aus einer ganz kleinen Sache entstehen. Es kann ein Satz sein, den man gehört hat, ein Satz, den man in seinem Kopf hat. Der Roman vor Méto heißt "Jacquot et le grand-père indigne". Er erzählt die Geschichte eines Kindes, das bei seiner Mutter aufwächst, und den Satz, den ich im Kopf hatte, war: Ich bewundere meine Mutter, sie ist die Beste! Also einen sehr starken Satz, der einen weiteren nach sich zieht, und daraus wird eine Szene. Nach einigen Monaten hatte ich einen Roman, der ganz aus diesem ersten Satz entstanden ist.

    Manchmal habe ich Lust dazu, eine Figur aus der Dunkelheit zu führen. Nach "Méto" habe ich einen Roman geschrieben, der heißt "Nox". Darin müssen die Menschen unter einer Wolke aus Abgasen leben. Die Sonnenstrahlen schaffen es nicht mehr, durch diese Wolke hindurchzudringen, die Menschen leben in kompletter Dunkelheit. Also, Romane können aus fast gar nichts entstehen!

    Lieske:Man muss dazu sagen, Sie sind ein Autor mit einem sehr umfangreichen Œuvre. Sie haben ein gutes Dutzend Romane geschrieben, "Méto" ist tatsächlich Ihre erste Übertragung ins Deutsche und natürlich hoffen wir, bald mehr von Ihnen zu lesen. Ihre Romantrilogie "Méto" weist bis ins Szenische hinein verblüffende Parallelen auf zur Trilogie "Die Tribute von Panem" von Suzanne Collins. Haben Sie eine Erklärung dafür? Sie beide haben ja fast zeitgleich geschrieben, zeitgleich veröffentlicht, lag da etwas in der Luft?

    Grevet: Ja. Manchmal gibt es Einflüsse, denen sich niemand entziehen kann. Es liegt dann gewissermaßen etwas in der Luft. Man findet dann Schriftsteller, die gleichzeitig über das gleiche Thema schreiben, mit ganz unterschiedlichen Schreibweisen und Stilen. Zum Beispiel eben über das Thema der Jugend, die als gefährlich angesehen wird, und die man kontrollieren muss. Das findet man ja in ziemlich vielen Büchern. Oder auch das Thema der ausgesetzten Kinder, das häuft sich ja in vielen Romanen, die in der Dekade nach der Jahrtausendwende geschrieben wurden.

    Ich vergleiche das immer mit der Suche nach einem Namen für ein neugeborenes Kind. Man hat Ideen, man überlegt, man findet einen besonders originellen Namen, den noch nie jemand einem Kind gegeben hat. Und wenn das Kind dann in die Schule geht, trifft man jede Menge Kinder, die den gleichen Vornamen haben. Trotzdem waren Sie die Erste, die diese Idee gehabt hat! Das scheint seltsam, man trifft sich zur gleichen Zeit mit den gleichen Themen, und man weiß nicht, warum das passiert. Das ist ein sehr interessantes Phänomen.

    Lieske: Méto ist die Hauptfigur Ihres Romans, ein zu Beginn 14-jähriger Junge, der Roman ist aus seiner Sicht erzählt. Was ist das für ein Mensch, dieser Méto?

    Grevet: Méto ist die Erzählstimme dieser Romantrilogie. Er ist zu Beginn ein Kind, das man mit Erfolg kontrolliert hat, ein gezähmtes Kind, das funktioniert wie ein kleiner Roboter. Ein guter kleiner Soldat. Ein Soldat auch, der am Ende seiner Laufbahn angekommen ist, denn die Kinder bleiben vier oder fünf Jahre lang in diesem Haus. Sie kommen im Alter von zehn Jahren, und sie müssen gehen, wenn sie zu groß geworden sind, im Alter von 14 oder 15 Jahren.

    Méto weiß sehr wohl, dass seine Stunde geschlagen hat. Also fängt er an zu zweifeln. Am Anfang des Romans bricht ja ein Bett, und es gibt ein paar Schrecksekunden, in denen er denkt, dass er selbst an der Reihe ist. Danach vertraut man ihm Crassus an, einen neuen Schüler, den er in das Haus einführen soll. In dem Moment, in dem er Crassus mit den Regeln des Hauses vertraut machen soll, geht Méto selbst auf Distanz. Er fängt an, zu zweifeln an den Dingen, die er dem Jungen erklären muss.

    Es folgt eine Strafe in einer Kühlkammer, eine Art Isolationshaft, und dort häufen sich weitere Erlebnisse, die ihn zweifeln lassen. Also, Méto ist eine Person, die zweifelt. Wir erleben ein Jahr seiner Adoleszenz. In dieser Zeit macht er eine Entwicklung durch von einer total abhängigen Person zu einem jungen Erwachsenen. Am Ende trifft er seine eigenen Entscheidungen, er ist erwachsen geworden.

    Lieske: Der Junge Méto, um den es geht, wächst in einem Haus auf. Seine Freunde haben lateinische Namen, Crassus oder Octavius oder Marcus, erzogen wird er von gefühllosen Cäsaren, bewacht oder bekämpft von Soldaten. Diener, die niedrigste Tätigkeiten verrichten; außerhalb des Hauses Bauern und Fischer. Méto und seine Freunde haben keine Erinnerung an ihre Vergangenheit, sie wissen nicht, woher sie kommen. Wenn sie eine gewisse Größe erreicht haben, zerbrechen ihre Betten, sie verschwinden auf Nimmerwiedersehen. Wer Fragen stellt oder Ungehorsam zeigt, wird mit schweren auch körperlichen Strafen reglementiert. Eine Ausgangslage, die Spannung erzeugt: Wir wollen wissen, wo die Kinder herkommen. Die aber auch einen hohen symbolischen Charakter hat – wollten Sie uns Lesern zeigen, die Diktaturen funktionieren?

    Grevet: Natürlich. Als ich das Universum des Jungen Méto konstruiert habe, habe ich an die großen Diktaturen des 20. Jahrhunderts gedacht, die sich ja auch immer die Jugend einverleibt haben. Genau das findet man in "Méto". Man lässt die Jungen vermeintliche Wahrheiten lernen, man kultiviert ihre Lust an körperlicher und geistiger Anstrengung, man lässt sie Sport treiben, ermutigt sie auch zu Gewalt. Ich habe mich von den Regimen inspirieren lassen, die es tatsächlich gegeben hat, Italien unter Mussolini zum Beispiel. Ich hatte vor meinem inneren Auge ein Bild von großen Arenen in Rom, von einem Stadion, in dem Kinder zur gleichen Zeit gymnastische Übungen machen, ein Bild von Massenszenen.

    Wenn man schreibt, erfindet man ja sehr wenig. Man benutzt Bilder der eigenen Erinnerung, bezieht sich auf das, was das Leben uns gelehrt hat. Dabei kommt es fast zwangsläufig zu historischen Anspielungen, etwa darauf, wie man die Jugend instrumentalisiert hat. In "Méto" erfährt man ja sehr schnell, dass einige Kinder als Spione für die Cäsaren unterwegs sind, für ihre Bewacher also. Sie sind Verräter an ihren Kameraden. Genau so hat man in der ganzen Welt Menschen instrumentalisiert. Diktaturen setzen die Jugend auch immer gegen die Jugend ein.

    Lieske: Sie haben für Ihren Roman ein sehr interessantes Verfahren gewählt. Im Laufe Ihres Romans verstehen wir, dass sie eine Parallel-History geschieben haben. 1954 gab es einen Weltkrieg auch mit biologischen Waffen, nach dem große Teile der Welt kontaminiert wurden, sie wurde unbewohnbar, viele Menschen waren komplett entstellt. Worin lag für Sie der Reiz, Geschichte noch einmal neu zu erzählen?

    Grevet: Als ich mit "Méto" angefangen habe, war ich mir noch nicht sicher, wo ich den Roman geografisch und historisch verankern würde. Das Haus stand tatsächlich in einem leeren Raum, in einem Nichts. Dann habe ich mir gesagt, ich muss dem Erzählten eine Realität geben, ich muss das Ganze in eine Geografie und in eine Geschichte einschreiben. Nicht in die reale Geschichte, denn die habe ich nicht erlebt, und auch nicht in eine Fantasy-Geschichte, das hat mich nicht interessiert. Es sollte eine Geschichte aus unserer Welt sein. Das hat mich zu dieser Bruchstelle geführt, von der aus die Dinge sich anders entwickelt haben könnten.

    Ich interessiere mich sehr für den Kalten Krieg, und dann wurde mir bewusst, dass die Menschen zu dieser Zeit jede Menge biologische und bakteriologische Waffen hergestellt haben, die Russen genau so wie die Japaner und die Amerikaner. Ich habe mir gesagt, zu dieser Zeit hätte man garantiert keinen Atomkrieg geführt, man hätte eine preiswertere Lösung gefunden. Ich habe also die Geschichte umgeschrieben, ich brauchte einen Kontext, der erklärt, warum die Jungen so leben, in isolierten Häusern.

    Lieske: Sind Sie zufällig Geschichtslehrer?

    Grevet: Unter anderem unterrichte ich auch Geschichte. Meine Schüler sind zehn Jahre und älter, und ich unterrichte alles, Geschichte und Mathematik und Französisch. Aber Geschichte und der Kalte Krieg haben mich schon immer besonders interessiert. Es war wie ein Geheimkrieg, der sich hinter der Fassade eines wiedergefundenen Friedens abgespielt hat.

    Lieske: Méto führt eine Rebellion an, scheitert, erfährt viele Niederlagen, siegt am Ende doch. Sie greifen ein Kernanliegen der Pubertät auf, nämlich eine humane Welt notfalls auch gegen die Erwachsenen zu schaffen. In der Trias Ihres Romans, "Das Haus", "Die Insel", "Die Welt" kann man auch das Herausschreiten aus der Pubertät wiederfinden. Sie sind Vater von drei Söhnen, spielte dieser Gedanke eine Rolle?

    Grevet: Auf jeden Fall ist es ein Initiationsroman, der sich mit der Passage von der Kindheit ins Erwachsenenleben befasst. Es gibt dafür viele Bilder, zum Beispiel das Bild des brechenden Bettes. Es ist wie ein Ei, dessen Schale zerbricht, und das Kind kommt zum Vorschein. Man kann die Trilogie durchaus auf dieser Ebene lesen. Im zweiten Band, "Méto - Die Insel", finden sich die Kinder dann in einer Gesellschaft wieder, die sich jenseits des Hauses gebildet hat. Aber dort geht es den Menschen nicht besser. Die Ordnung, die sie sich geschaffen haben, um zusammenzuleben, ist sehr ungerecht, auch gewalttätig.

    Was ich damit sagen wollte, ist Folgendes: Es ist wirklich kompliziert, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben. Die Menschen auf der Insel leben in einer Art natürlicher Umgebung, aber das reicht nicht aus. Wenn man in einer Demokratie zusammenleben will, braucht man auch die Zivilisation. Das Recht des Stärkeren ist vielleicht ein Naturgesetz, aber es ist ein sehr gefährliches Gesetz.

    Lieske: Méto verlässt irgendwann das Haus, er kommt auf die Insel, später in die Welt. Dort findet er seine eigenen biografischen Spuren. Er kommt aus einer Familie von Führern, auch im negativen Sinne, und von Idealisten im positiven Sinne. Sein Großvater ist ein Patriarch, sein Vater ein Revolutionär, auch ein Visionär. Warum haben Sie ihm eine solche Biografie mitgegeben?

    Grevet: Was mich an Méto interessiert ist der Umstand, dass er sich von dem Erbe seiner Familie abwendet. Er könnte sich sehr gut in diese Erbfolge der Führungspersönlichkeiten einreihen. Aber er entwirft seine eigene Zukunft unabhängig von seinen Vorfahren. Mich hat interessiert, wie er sein geistiges Erbe infrage stellt. Wenn die Kinder in das Haus kommen, wird ihnen ja die persönliche Erinnerung genommen. Es gibt da eine Szene, in der er sich an einen Ort erinnert, der sehr heiß ist, um sich herum hört er Schreie, das ist ein Erlebnis, das er mit seinem Großvater gehabt hat. Also muss dieser Großvater auch irgendwo auftauchen.

    Lieske: Kommen wir noch kurz zu Ihrem Stil, Ihrer Erzähltechnik. Es sind kurze, manchmal fast ruckartige Sätze. Viele Dialoge, wenige Erzählpassagen. Wenig Reflexion, wenig Ruhe. Auf mich hat das fast den Eindruck gemacht, als würde ich mich in einem Räderwerk befinden. Als würde ich vorwärtsgetrieben in ein sehr enges und gleichförmiges System hinein. War das auch Ihre Idee beim Schreiben?

    Grevet: Ja. In der Passage, die ich eben gelesen habe, ist Méto sehr deskriptiv, aber das ist so, weil er einen neuen Jungen initiieren soll. Das ist sehr selten. Später bin ich in den Köpfen der Jungen, die miteinander sprechen, aber dafür haben sie nur 20 oder 30 Sekunden Zeit. Sie stehen ja ständig unter Überwachung, bei jeder Bewegung, bei allem, was sie tun. Also ist Méto gezwungen, immer direkt zur Sache zu kommen. Da er der Erzähler dieses Romans ist, wird er sich nicht die Zeit nehmen, das zu beschreiben, was sich um ihn herum abspielt. Er wird nicht die Mauern des Hauses beschreiben, nicht seine Umgebung, nicht seine Erfahrungen.

    Also habe ich mich dieser Initiationsidee bedient, um zu erklären, wie das Haus funktioniert. Danach geht es immer nur um das Allernötigste. Méto denkt zwar nach, bevor er etwas tut, aber es stellt sich sehr schnell ein Gefühl der Dringlichkeit ein. Er ist ständig auf der Flucht. Die Gefahr wächst, also tut er Dinge, die er nicht tun sollte. Méto weiß, dass es diese Beschleunigung gibt. Während der ganzen Trilogie steht er keinen Moment still, er rennt immerzu. Der Stil muss das wiedergeben, man muss die Dinge schnell und klar sagen, man hat keine Zeit für lange Sätze. Das ist die Welt, in der Méto lebt.

    Lieske: Über Méto, einen sehr sympathischen, einen klugen, auch einen kühnen Helden, fällt am Ende Ihrer Romantrilogie ein Schatten! Er hat selbst das Schwimmen eben erst gelernt, lässt aber einen Polizisten ertrinken. Ich denke, dass das realistisch ist, denn man kann keine Revolution anführen, ohne sich zu versündigen. Warum war Ihnen dieses Thema wichtig?

    Grevet: Méto ist wirklich ein Held. Das kann man sagen. Er wächst über sich hinaus, tut Dinge, die er sich nie vorstellen konnte. Er muss in der Not sehr schnell entscheiden, das kann heroisch sein. Er hat keine Zeit darüber nachzudenken, er sagt sich nicht: Jetzt vollbringe ich eine Heldentat! Er tut, was getan werden muss. Dabei tut er auch Dinge, die er besser nicht getan hätte. Manchmal merkt er es nicht, manchmal macht er sich später Vorwürfe, aber man kann nicht immerzu perfekt sein.

    Das Leben muss sich im Roman widerspiegeln, es gibt ja nicht nur die Guten und die Bösen, nicht nur Schwarz und Weiß, vieles spielt sich ein einer Grauzone ab. Méto macht Fehler, er bedauert sie. Ich befrage damit auch die Figur des Helden, der ja nicht perfekt sein kann. Ein Held braucht auch Schatten. Ich finde Méto ja schon sehr stark, er ist auch sehr intelligent, er hat gelernt, wie man andere Menschen manipuliert, und er wird die-ses Wissen nutzen. Er ist brillant, aber er irrt sich, er muss viel über das Menschsein lernen und er macht menschliche Fehler. So lernt man im Leben.

    Lieske: Demokratie ist das höchste Gut der Inselrebellen. Demokratie ist sowieso unser höchstes Gut. Trotzdem gibt es in Deutschland auch im Bildungsbürgertum eine alarmierende Politik- und Demokratiemüdigkeit. Findet sich das auch in Frankreich und wie reagieren Ihre jungen Leser auf diesen Willen zur Demokratie?

    Grevet: Es gibt diese Politikmüdigkeit auch in Frankreich. Immer weniger Menschen haben Lust, wählen zu gehen. Die träge Masse bewegt sich immer weniger. Die extremen Ränder gehen noch zur Wahl und das verstört mich sehr. Ich war mein ganzes Leben lang politisch aktiv. Als junger Mann habe ich bestimmt an hundert Demonstrationen in Paris teilgenommen. Wenn man in der Jugend kein Revolutionär ist, was macht man dann mit seinem Leben?

    Ich wollte in "Méto" auch das Phänomen des Ungehorsams untersuchen. Man muss auch Widerstand leisten können, selbst wenn es illegal ist. Im letzten Satz des dritten Bandes sagt Méto: Heute weiß ich, manchmal muss man ungehorsam sein. Dieser Satz steht am Ende, weil ich ihn sichtbar machen wollte. Meine Leser finden das realistisch.

    Die Demokratie ist schwer umzusetzen, man muss viel diskutieren, um einen Kompromiss zu finden. Ich habe ein politisches Buch geschrieben, in dem es darum geht, wie wir zusammenleben wollen, wie wir unseren Lebensraum aufteilen. Meine Helden haben die alte Ordnung beseitig, und nun fragen sie sich, was fangen wir mit der Freiheit an? Man sieht, wie schwer das ist, und wie schnell die alten Reflexe wieder zum Vorschein kommen. Es hat mich sehr interessiert, diesen Vorgang zu untersuchen.

    Lieske: Ein Aufruf auch zum politischen Handeln. Ich danke Ihnen, Yves Grevet, für dieses Gespräch.

    Yves Grevet: Méto: Das Haus / Méto: Die Insel / Méto: Die Welt
    Aus dem Französischen von Stephanie Singh. dtv Verlag, je Band 14,95 Euro.