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Egon Bahr warnt vor Konfrontation mit Russland

Angesichts des Georgienkonflikts hat der SPD-Außenpolitiker Egon Bahr betont, dass es Sicherheit und Stabilität in Europa nur mit und nicht gegen Russland gebe. Sollte diese Lehre vergessen werden, fürchtet Bahr den Anfang einer neuen, lang dauernden Krise in Europa.

Jürgen Zurheide im Gespräch mit Egon Bahr | 16.08.2008
    Jürgen Zurheide: Im Sicherheitsrat wird gegenwärtig in diesen Stunden gerungen, ob man möglicherweise eine Resolution hinbekommt. Das scheint fraglich zu sein, weil vieles hängt an dem Begriff der territorialen Integrität und da sagen die Russen: Nein, Njet. Über all das wollen wir jetzt reden und ich begrüße dazu am Telefon herzlich Egon Bahr, den SPD-Außenpolitiker. Guten Morgen, Herr Bahr.

    Egon Bahr: Guten Morgen, Herr Zurheide.

    Zurheide: Herr Bahr, zunächst einmal, heute Nacht hat es Meldungen gegeben, dass ein russischer Vizegeneral, wenn ich es richtig sehe, gesagt hat, ein Militärschlag gegen Polen sei möglich, wenn denn diese Raketenabwehr da so kommt. Wenn ich so was höre, oder als ich das heute morgen gehört habe, bin ich doch hochgeschreckt. Sie auch, als Sie es gehört haben?

    Bahr: Nein, überhaupt nicht. Das war ja doch zu erwarten um alles in der Welt. Wir werden jetzt, wenn Sie so wollen, bestraft für das, was wir im Kosovo gemacht haben, und wir werden außerdem konfrontiert mit der Tatsache, dass die Polen bisher, bis Kosovo, Entschuldigung, bis Georgien anfing, ja doch die fabelhafte Haltung hatten, wir werden in Ruhe verhandeln, um eine gemeinsame Lösung der Raketenabwehrfrage zwischen Amerikanern und Russen, also auch NATO-Rat und Polen zu bekommen. Und jetzt ist das - wie man aus Washington ja hört, nicht zufällig -schnell über das Knie gebrochen worden, eine einseitige Lösung nur zwischen den Amerikanern und den Polen. Und die Konsequenzen sind genauso wie angekündigt und ausrechenbar und auch in Washington ausrechenbar. Nämlich die Russen sagen: Dann werden wir unsere Truppen verstärken müssen. Dann haben die Polen Zusagen bekommen zu Patriot-Raketen der Amerikaner in Warschau. Dagegen werden die Russen sagen: Da müssen wir auch welche machen. Das heißt, wir sind im Grunde am Anfang einer neuen lang dauernden wirklichen Krise in Europa mit dem Zusatz, dass nun nicht nur Konfrontation statt Kooperation herrscht und damit das Gegenteil von 18 Jahren Stabilität in Europa herbeigeführt werden kann, sondern auch neue Rüstungen. Und dass die Europäer das bezahlen sollen und leiden sollen darunter, dass Polen und Amerika eine einseitige Regelung trifft, ist eine harte Sache.

    Zurheide: Das heißt aber doch, egal wo wir jetzt hinschauen, nach Georgien oder auch in diesen Konflikt, offensichtlich ist Ihre Analyse, dass beide Seiten im Moment, also der Westen genauso wenig wie die Russen, dazu beitragen, dass wir diesen Weg der Abrüstung, Entspannung weitergehen. Sind wir damit in einer neuen Vorstufe des Kalten Krieges angelangt, oder wie bewerten Sie das?

    Bahr: Also, ich bin sehr zurückhaltend mit diesen alten Ausdrücken. Das stimmt nicht mehr mit dem Kalten Krieg. Sondern hier geht es um Machtinteressen, und es geht auch darum, dass selbstverständlich Russland nicht mehr in einer Lage ist, demütigend anhören zu müssen, dass der Westen machen kann, was er will, die Russen können es ja doch gar nicht verhindern. Ich will nur sagen, dass die Basis dessen, was wir in den letzten 18 Jahren an Stabilität erlebt haben, zurückgeht auf Vereinbarungen zwischen Bush, dem Vater, und Gorbatschow.

    Diese Vereinbarung hat Abrüstung gebracht, hat das größte Abrüstungsabkommen der Weltgeschichte gebracht, auf konventionellem Gebiet hat sie Raketen beseitigt, hat die deutsche Einheit ausgehalten, das Ende der Sowjetunion, die Gründung der baltischen Staaten, die Ausweitung der EU und die Ausweitung der NATO. So, und jetzt wird eine neue Veränderung gemacht in der Mitte Europas, nämlich kommen Raketen hin, diese Raketen sind übrigens alt, also als Problem jedenfalls. Ich kann doch nicht akzeptieren, dass Frau Rice einfach sagt 1968 in der Tschechei, so etwas wird es nicht wieder geben, und dabei ganz vergisst, dass 1988 der Kosovo war. Und da ist ja auch nicht besonders verhältnismäßig vorgegangen worden, sondern unter Bruch des Völkerrechts ist Krieg nach Jugoslawien getragen worden, und die NATO-Bomber haben Belgrad bombardiert, übrigens die fabelhafte chinesische Botschaft außerdem noch, und Brücken zerstört. Also, das kommt jetzt alles zusammen. Und wir haben 1988 die amerikanischen Wünsche oder Ankündigungen gehört, Raketen in Europa zu stationieren, zur Raketenabwehr zu stationieren in England, in Frankreich und in Deutschland. Wir haben damals sofort analysiert: Das ist eine Spaltung Europas, denn die Engländer werden zusagen, die Franzosen werden nein sagen, und wenn die Deutschen nicht auch nein sagen, dann wird der deutsch-französische Europamotor für lange Zeit blockiert werden. So, und damals hat Kohl Herrn Teltschik rübergeschickt und gesagt :Wir können uns das überlegen, wenn Sie bereit sind, die Technologie mit uns zu teilen. Die Amerikaner haben natürlich abgelehnt und wir haben dann gesagt, als Bundesregierung: Die Sache ist nicht entscheidungsreif.

    So, jetzt, 20 Jahre später, ist sie entscheidungsreif. Die Raketen sind endlich fertig und sie werden ein paar hundert Kilometer weiter östlich stationiert. Ich will nur darauf aufmerksam machen: 1988 gab es noch die Sowjetunion. Da war der Iran noch gar nicht auf der Ziellinie oder im Blickfeld. Und jetzt, 20 Jahre später sollen die Russen glauben, dass diese Raketen mit ihnen nichts zu tun haben? Das ist doch nicht ernst zu nehmen. Und die Russen werden so reagieren, wie sie wollen, und wie sie können, und zwar ohne die Sache zu verschärfen, aber es wird ein Ringen sein im Grunde um die Frage: Machen wir mit Russland eine Situation, oder entwickeln wir eine Situation der Konfrontation oder der Kooperation? Und nach allen Erfahrungen der letzten 20 Jahre können wir doch nur sagen, es gibt Sicherheit und Stabilität in Europa nur mit Russland und nicht gegen Russland. Diese Lehre wird sich durchsetzen, hoffe ich sehr. Sonst gehen wir ungemütlichen Zeiten entgegen.

    Zurheide: Aber, Herr Bahr, Sie haben ja gerade ein ganz wichtiges Wort gesagt, dass alles, was wir da erleben und die Raketen auf der einen Seite, aber auch die Auseinandersetzung um Georgien, es geht um Machtinteressen. Und offensichtlich, das ist möglicherweise die Veränderung, die jetzt stattgefunden hat, diese Machtinteressen werden hemmungsloser durchgesetzt inzwischen wieder, aber dann, wie Sie analysieren, offensichtlich auf beiden Seiten?

    Bahr: Also die Machtinteressen hat es immer gegeben. Die Deutschen haben nur zum Teil nicht richtig hingeguckt. Ist es denn nicht Machtinteresse, dass die Amerikaner in Georgien sein wollen, den Russen immer näher rücken? Das ist doch Machtinteresse. Wenn die Amis das machen, ist das in Ordnung, wenn die Russen darauf antworten - also ein bisschen unverhältnismäßig kann man ja schon sagen, so wie wir in Jugoslawien -, dann ist das nicht in Ordnung, dann darf das nicht sein. Das ist doch lächerlich. Wir können doch nicht sagen, was die einen dürfen, selbstverständlich dürfen, vielleicht noch unterstützt dürfen, dürfen die anderen nicht. Das ist ein Ringen, das wird es immer geben. Und die Welt dieses 21. Jahrhunderts wird entweder kooperativ sein, oder sie wird sehr, sehr ungemütlich werden.