DLF: Was ist denn jetzt in der Diskussion als möglicherweise neuer Plan für das Gelände? Es gab das Symposium vorgestern, an dem Sie teilgenommen haben. Was sind denn in etwa die Diskussionspunkte, die jetzt auf dem Plan stehen?
Stölzl: Also der Ausgangspunkt hat sich ja nicht geändert. Der Grund, dass man das macht, ist die tatsächlich archäologische Situation, dass auf diesem Platz eben die NS-Mord- und Denkfabriken gestanden haben. Sonst könnte man ein Institut zur Erforschung der NS-Geschichte an jedem anderen Platz aufbauen. Geblieben ist auch die Überzeugung, dass man das Gelände eigentlich unangetastet lassen soll und dass das Gebäude eigentlich ein Annex ist, also eine Zutat, ein Erschließungsschlüssel, nicht etwas, was das ganze Gelände bedecken soll. Soweit sind sich alle einig. Einig sind sich diesmal auch, anders als vor zehn Jahren, die beteiligten Bund, Land und eigentlich alle Stimmen, dass die Institution, eben diese Stiftung Topographie des Terrors nicht nur am Katzentisch sitzen soll und dann am Schluss eingeladen wird, das Haus zu beziehen, sondern dass die Stiftung wenigstens mehr mitreden darf bei der Planung. Das Desaster lag daran, dass die Kunst der Architektur oder das Ringen um dieselbe völlig überlagert hat, dass hier auch eine arbeitsfähige Institution untergebracht werden muss.
DLF: Stiftungsdirektor Andreas Nachama wünscht sich einen bescheidenen Entwurf. Er selber hat mal von einem undekorierten Schuppen gesprochen. 23 Millionen Euro sind noch über. Etwas viel Geld für einen bescheidenen Entwurf, oder?
Stölzl: Ja, vielleicht ist die Wortwahl etwas unglücklich, weil sie fälschlicherweise den Schluss nahe legt, Herrn Nachama ginge es nicht darum, dass ein architektonisch bedeutsames Gebäude entsteht. Es ist, glaube ich, eher seine Frustration über dieses absolut übersteigernde Wahrnehmen von Architekturkunst beim Zumthor-Entwurf. Nein, es ist ja gar kein Gegensatz zwischen einer dienenden Architektur und einem hervorragenden Entwurf wie es zum Beispiel der von Herrn Reimann ist, den wir durchaus für baubar halten. Da mag das Wettbewerbsrecht davor sein, so dass jetzt noch mal ein Wettbewerb stattfinden muss, aber in der Art, wie Herr Reimann das gemacht hat, einen Rahmen um das Gelände zu legen, wird sicher der künftige Sieger auch arbeiten müssen, wenn das nicht irgendetwas Überragendes, Monströses wird, das die Sache selbst in den Hintergrund stellt.
DLF: Das heißt also, die Stimmen, die diese Trilogie der Erinnerung fordern, Jüdisches Museum, Mahnmal und Topographie müsse architektonisch auch in gewisser Weise gleichwertig sein, sind sozusagen eher unangebracht?
Stölzl: Ich halte das sowieso für Unsinn. Was heißt eigentlich architektonisch gleichwertig? Ein wunderbares Barockdenkmal - ein Meter hoch und ein Meter breit - kann bedeutsamer sein als eine gewaltige Blecharchitektur. In der Ästhetik ist die Dimension sowieso etwas, was gar keine Rolle spielt. Auf dem winzigsten Platz gibt es große Kunst, und auf dem großen Platz gibt es belanglosen Unsinn. Also ich habe das immer für einen Fehlweg gehalten zu sagen, diese Erinnerungsskulptur muss auch ein architektonischer Meilenstein sein, koste es, was es wolle. So kommt man eben genau auf schiefe Ebenen, und da ist man jetzt ausgerutscht. Ganz sicher wird die Jury da hoffentlich ein hervorragendes Gebäude prämieren, wobei man sagen muss, es gibt noch ganz andere Erinnerungsstätten in Berlin, die architektonisch eine ganz andere Sprache sprechen. Die Gedenkstätte Wannsee-Villa zum Beispiel ist in einem wunderschönen Park, aber es ist ein ganz belangloses Gebäude der späten Jahre des Ersten Weltkriegs. Der Gegensatz zwischen diesem Dutzend Art-Deco-Gebäude und der monströsen Geschichte, die da steht, ist eben auch Berlin, ist auch Erinnerung. Also die Erinnerung ist immer dran gebunden, dass Menschen willens sind, sich zu erinnern, und die Architektur sollte das nicht unmöglich machen, aber es gibt keinen Königsweg, den man aus dem Katalog abrufen kann.
DLF: Beim Holocaust-Mahnmal ist man jetzt auf der Zielgerade. Morgen ist das Richtfest. Das heißt, wahrscheinlich soll im Mai nächsten Jahres dann das Ganze eröffnet werden. Ist hier jetzt sozusagen die Luft raus, alles ist gut, und wir haben es endlich hinter uns, es läuft?
Stölzl: Das glaube ich schon. Man wird sehen, ob das als Kunst die Leute beeindruckt. Das ist ja immer ein großes Risiko. Wir haben damals in der Jury – ich war dabei – Eisenmann prämiert wegen der radikalen Kompromisslosigkeit und Antisymbolik und wegen der vermutenden bedeutenden Wirkung auf die Leute, die sich in dieses Labyrinth hineinbegeben. Es kam – wie immer in Deutschland – ein Unbehagen vor soviel Kunst dazu. Ich glaube, das wird angenommen werden. Es wird ein Markstein sein für die Berliner Architektur der Innenstadt. Man kann daran sehen, wie die Jury und auch die öffentliche Meinung sich irren kann. Damals, als es losging, gab es eine ganz große Fraktion, die sagte, der Ort sei belanglos, abgelegen, er spiele gar keine Rolle. Jetzt, wo man sieht, wo es da steht, sagt man, na klar, direkt neben dem Brandenburger Tor, der Ort ist ideal. Also man kann sagen, Jury, Symposien, öffentliche Meinung, Wissenschaft kann auch irren, und es gehört eben auch Glück dazu, so merkwürdig der Ausdruck in dem Zusammenhang klingen mag, dass man mit der Kunst den richtigen Griff tut.
DLF: Nun gibt es vielleicht schon viele Fortschritte im Bereich der NS-Zeit. Aber das Thema SED-Regime, Stalinismus, DDR-Zeit ist noch nicht so weit entwickelt. Brauchen wir ein nationales Gesamtkonzept, wo auch dieser Teil der Vergangenheit integriert wird?
Stölzl: Schwierig bei der kulturföderalen Verfassung. Die sagt ja, Kultur gehört den Ländern, Geschichte ist Teil der Kultur, also auch NS, Kommunismusgeschichte Teil der Länderkultur. Das mag merkwürdig klingen für Leute aus zentralistischen Nationalstaaten, aber es ist ein deutscher Brauch. Ich finde auch, dass zum Beispiel die Geschichte mit der Mauergedenkstätte in der Bernauer Str. total missglückt ist. Hier liegt ein großes Versäumnis des Landes Berlin und der öffentlichen Meinung, hier nicht energischer diese Bernauer Str. bewahrt zu haben. Es ist eine lange Geschichte, die ich hier gar nicht polemisieren will, aber dass die Mauer so unsichtbar ist, hätte nicht sein müssen. Jetzt steht eigentlich an, dass man diese Staatssicherheitsgefängnisgedenkstätte eben besser pflegt. Die Menschen strömen dahin. Also als Institution ist es im Werden, aber noch nicht richtig im Stadtbild sichtbar.
DLF: Aber der Palast der Republik wird jetzt abgerissen. Ist das richtig?
Stölzl: Ja, das finde ich schon, weil er einfach ein miserables Gebäude war. Wenn man die architektonischen Randbedingungen sieht, das Schloss war die Mitte von Berlin. Aber der Palast der Republik war eben auch leider kein überzeugender Bau des Kommunismus, sondern er ist ein Sehnsuchtsblick in die westdeutsche Architektur gewesen, wie eine riesengroße Kreissparkasse, und er füllt den Platz ästhetisch einfach nicht aus. Darum fand ich immer, der Palast sollte ersetzt werden durch einen besseren Nachfolgebau.
DLF: Man muss davon ausgehen, es gibt ja immer weniger Zeichen aus der NS-Ära, und eines Tages werden wir sozusagen vom Leiden Dritter sprechen. Steht uns dann so etwas wie eine neue Schlussstrichdebatte bevor?
Stölzl: Das glaube ich nicht. Was 1933 bis 1945 in Deutschland und von Deutschland ausgehend geschehen ist, also die Instrumentalisierung eines ganz modernen technologisch, industriell, gesellschaftlich hochorganisierten Staates für einen Völkermord, das ist so monströs, so aberwitzig, dass davon die Menschen erzählen werden, solange sie überhaupt über Gut und Böse etwas erzählen. Also dieses Einebnen durch historischen Abstand, glaube ich, wird nicht stattfinden, weil eben das moralische Exempel etwas so Unglaubliches ist und einem zum Nachdenken und ewigen Bereden einlädt, dass die Menschen nicht aufhören werden, davon zu sprechen. Ich finde, es gehört zur Ehre der Nachkriegsdeutschen, dass sie dies auch verstanden haben nach einer gewissen Schocksekunde in den ersten zehn Jahren, dass dies, so merkwürdig es klingt, in die Größe der deutschen Nachkriegsgeschichte hineingehört, dass man sich dem stellt.
DLF: Vielen Dank für das Gespräch.