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Ehemaliger KFOR-Oberbefehlshaber warnt vor Militärschlag gegen Syrien

Klaus Reinhardt, ehemaliger Oberbefehlshaber der KFOR, ist strikt gegen ein militärisches Eingreifen westlicher Länder in Syrien. Dies würde zugleich einen Krieg gegen den Bündnispartner Iran bedeuten und einen Flächenbrand auslösen. Es sei auch schwierig, die Opposition aus der Luft zu unterstützen, denn die sei einfach zu schwach in ihrem Kampf gegen die gut ausgerüstete syrische Armee.

Klaus Reinhardt im Gespräch mit Christiane Kaess | 30.05.2012
    Christiane Kaess: Es ist die schärfste diplomatische Waffe, die Ausweisung eines Botschafters aus einem Land. Zu dieser haben gestern mehrere westliche Länder, darunter auch Deutschland, in einer konzertierten Aktion gegriffen und die syrischen Botschafter aus ihren Ländern ausgewiesen – als Reaktion auf das Massaker im syrischen Al-Hula, bei dem mehr als 100 Zivilisten getötet wurden, darunter etliche Kinder. Der Sondergesandte Kofi Annan hat sich gestern mit dem syrischen Präsidenten getroffen, heute soll er im Weltsicherheitsrat Bericht erstatten. Der französische Präsident Francois Hollande schließt mittlerweile einen Militäreinsatz in Syrien mit UN-Mandat nicht aus.
    Am Telefon ist jetzt Klaus Reinhardt, General a.D. und ehemaliger Oberbefehlshaber der KFOR. Guten Morgen, Herr Reinhardt.

    Klaus Reinhardt: Guten Morgen, Frau Kaess!

    Kaess: Herr Reinhardt, kann die Ausweisung der Botschafter eine Weichenstellung hin zu einer militärischen Intervention des Westens in Syrien sein?

    Reinhardt: Ich hoffe nicht.

    Kaess: Warum?

    Reinhardt: …, weil eine Intervention westlicher Kräfte wäre meines Erachtens katastrophal und würde den schwelenden Brand in Mittelost wahrscheinlich in einen Flächenbrand verwandeln. Wir haben gehört, dass die Russen und Chinesen sagen, ein Angriff auf Syrien wäre wie ein Angriff auf sie, es wird mit Krieg gedroht. Wir sehen viel zu wenig, meine ich, dass auch der Iran mit Syrien einen Beistandspakt hat. Das heißt, dass, wenn Syrien angegriffen werden würde, der Iran automatisch mit im Konflikt drin wäre. Das wäre eine Größenordnung, die nicht vernünftig zu handeln ist.

    Kaess: Aber, Herr Reinhardt, auf der anderen Seite: Muss man denn nicht angesichts der Gräueltaten in Syrien über eine militärische Intervention nachdenken?

    Reinhardt: Man kann darüber nachdenken, aber man sollte es nicht zu laut tun. Der amerikanische Generalstabschef Martin Dempsey hat das ja auch gesagt, er ist zurückgepfiffen worden von seiner Regierung, weil darüber nachdenken ist die eine Sache, aber damit spielt man natürlich die Situation, die politische Situation deutlich nach oben. Ich glaube, man muss mit Sicherheit die Russen überzeugen, dass sie bei Sanktionen stärker auf der Seite des Westens mitmachen, was sie bis jetzt mit einer ersten Andeutung vom Außenminister Lawrow getan haben, dass er gesagt hat, es geht nicht unbedingt darum, wer an der Spitze steht, und man muss gucken, ob man den Plan, der auch überlegt wird, der diplomatische Plan, ein stufenweises Herausnehmen von Herrn Assad, ähnlich wie das im Jemen gewesen ist mit dem dortigen Ministerpräsidenten, ob das nicht eine Alternative ist, die man zu verhandeln beginnen muss. Dabei ist man noch gar nicht.

    Kaess: Das hat aber bisher nicht funktioniert und auch die Sanktionen haben nichts gebracht. Sind Sie also dafür, in der Ohnmacht zu verharren?

    Reinhardt: Ich habe ja gerade gesagt, der Versuch, ihn in eine Jemen-Lösung hineinzutreiben, der ist noch nicht durchgezogen worden, da haben vor allen Dingen die Russen noch nicht mitgemacht, und ich meine, dieses Türchen sollte man auf alle Fälle offen lassen. Ich befürchte ganz einfach: Wenn man mit Truppen (und das wären dann westliche Truppen) in Syrien in irgendeiner Form militärisch intervenieren würde – und das wären nicht wie in Libyen nur Luftstreitkräfte, sondern eine Masse Bodenstreitkräfte -, dann kommen wir in eine Lage, aus der wir selber nicht mehr herauskommen, und richten etwas an, was überproportional negativ ist zu dem, was wir im Augenblick sehen.

    Kaess: Aber, Herr Reinhardt, macht sich die internationale Gemeinschaft nicht lächerlich mit einer Beobachtermission, die zuschauen muss, wie schon fast vor ihren Augen die Leute massakriert werden?

    Reinhardt: Dem stimme ich voll zu. Die 300 Offiziere, die der General Mood dort führt, erreichen überhaupt nichts, sie können bestenfalls feststellen, was gewesen ist, aber sie können nicht reagieren. Aber dort mit Truppen reinzugehen, mit mehreren Divisionen, die man dort bräuchte, würde meines Erachtens einen Konflikt auslösen, der weit über das, was wir mit den 8000 Toten in Syrien bis jetzt erlebt haben, hinausginge, und davor warne ich.

    Kaess: Sie haben den Libyen-Einsatz als Vergleich angesprochen. Was genau ist in Syrien anders?

    Reinhardt: Syrien ist deswegen anders, dass die Auseinandersetzungen in diesem Land zwischen den Oppositionskräften und den syrischen Streitkräften durch das gesamte Land durchgehen. Sie hatten in Libyen eine gewisse Front, Bengasi gegen Tripolis, wo man sagen konnte, das ist diese Seite, das ist jene Seite. Hier haben wir die Alawiten unter Assad, etwa 1,4 Millionen, die den gesamten Staatsapparat fest im Griff haben, gegenüber etwa 14 Millionen Sunniten, die von den Alawiten nicht mehr weiter regiert werden wollen. Das heißt, das ist ein starkes auch religiöses, innenpolitisches Problem.

    Kaess: Aber das Problem ist auch der fehlende Partner, wenn ich Sie richtig verstehe?

    Reinhardt: Das ist mit Sicherheit richtig. Es gibt keinen echten Partner, auf den man sich verlassen kann. Das heißt, man kann nicht wie in Libyen Kräfte nutzen, die sind viel zu schwach, die im Augenblick im Aufstand sind, sondern man müsste sich selbst eine völlig neue Front aufbauen.

    Kaess: Sie haben von Bodentruppen gesprochen. Die syrische Opposition verlangt aber militärische Unterstützung aus der Luft. Warum ist das so schwierig?

    Reinhardt: Man kann mit einzelnen Flugzeugen mit Sicherheit die Truppen auf dem Boden verstärken, aber ich sage noch mal: Die Diskrepanz zwischen den Streitkräften Syriens und den relativ wenigen Streitkräften der Aufständischen ist so enorm, dass, selbst wenn man sie mit einzelnen Luftwaffeneinsätzen unterstützen würde, damit keine Änderung der Grundsituation möglich wäre.

    Kaess: Herr Reinhardt, beim Libyen-Einsatz hat sich Deutschland enthalten, als der Sicherheitsrat den Einsatz von Gewalt zum Schutz der Zivilbevölkerung erlaubt hat. Sollte es zu einem ähnlichen Szenario zu Syrien kommen, kann sich Deutschland wieder enthalten?

    Reinhardt: Ich glaube, Deutschland kann sich nicht enthalten und würde sich auf die Grundlinie der NATO voll einklinken. Aber bis dahin ist es noch weit hin und ich meine - ich komme zurück auf die Jemen-Lösung -, man sollte die mit Sicherheit wesentlich stärker forcieren, als das bis jetzt der Fall war. Sie ist ja nur angedacht.

    Kaess: Rein theoretisch: Wäre die Bundeswehr geeignet, an einem Einsatz in Syrien teilzunehmen?

    Reinhardt: Mit sehr begrenzten Kräften, denn die Bundeswehr hat ja nun über 8500 Kräfte derzeit im Einsatz. Dies wäre ein weiterer Einsatz weit ab von zuhause. Das wäre also nur sehr bedingt möglich.

    Kaess: Die arabischen Länder wie Saudi-Arabien wollen die Opposition in Syrien mit Waffen versorgen. Aus militärischer Sicht: wie sehr können solche Waffenlieferungen die syrische Opposition unterstützen mit Hinblick auf einen möglichen Sturz des Regimes von Assad?

    Reinhardt: Das tun sie ja bereits, die Saudis. Es ist aber auch interessant, dass die Arabische Liga, die derzeit in Bagdad tagt, sich weigert, mit militärischen Kräften in Syrien irgendetwas selber zu tun. Die Saudis sind sehr stark in der Frage, was tun wir, um die Opposition zu unterstützen, wollen sich aber selber die Finger nicht dreckig machen, halten sich sehr stark zurück. Ich sehe im Augenblick keinen arabischen Staat, der gewillt wäre, dort militärisch einzugreifen.

    Das würde für mich, wenn man UNO-Truppen in dieses Land setzen würde, eine Alternative sein, dass man islamische, arabische Kräfte zusammenbringt, aber die halten sich im Augenblick zurück. Eine Verstärkung oder eine Unterstützung der Aufständischen mit Waffen ist natürlich möglich, aber gegen eine existierende und gut ausgerüstete Armee wie in Syrien haben sie langfristig mit Sicherheit keine Chance.

    Kaess: Klaus Reinhardt, General a.D. und ehemaliger Oberbefehlshaber der KFOR. Vielen Dank für das Gespräch.

    Reinhardt: Bitte schön, Frau Kaess.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.