Freitag, 19. April 2024

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Ehemaliger NATO-General Kujat zu Syrien
"Beide Seiten müssen zu Kompromissen bereit sein"

Harald Kujat, ehemaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, ist überzeugt: Ohne das Eingreifen Russlands in den Krieg in Syrien hätte es keine Friedensverhandlungen gegeben. Deren Stocken sei maßgeblich den Verhandlungsparteien zuzuschreiben, sagte er im DLF. Machthaber Baschar al-Assad und die syrische Opposition zeigten sich nicht kompromissbereit.

Harald Kujat im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 03.08.2016
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses.
    Harald Kujat, ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr und Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. (imago / Jürgen Heinrich)
    Die syrische Opposition müsse konstruktiv an die Verhandlungen herangehen, forderte Kujat. Assad wiederum müsse einsehen, dass es im Rahmen von Friedensverhandlungen zu einer Übergangsregierung, einer neuen Verfassung und schließlich zu freien Wahlen kommen werde. Das würde aber auch ein Ende seiner Herrschaft bedeuten. Durch diese Entwicklung zeige sich momentan ein Ungleichgewicht zwischen der militärischen und politischen Entwicklung.
    Mit Blick auf die Situation in Aleppo sprach Kujat von einer humanitären Katastrophe. Allerdings müsse man auch sehen, dass die nordsyrische Stadt auch von Terrorgruppen wie Al Kaida, Islamischer Staat und der Al-Nusra-Front belagert sei. Assad versuche, die strategisch wichtige Stadt mit Unterstützung der Russen von diesen Terrorgruppen zu befreien. "Ich finde es nicht logisch, dass wir für sie Partei ergreifen, wenn es um Syrien geht", betonte Kujat. Wenn Terroristen in Europa in Erscheinung träten, sei die Sicht eine ganz andere.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Mitgehört hat Harald Kujat, früherer Generalinspekteur der Bundeswehr. Guten Morgen, Herr Kujat!
    Harald Kujat: Guten Morgen, ich grüße Sie!
    Büüsker: Herr Kujat, Sie haben im Februar in der "Passauer Neue Presse" gesagt, die Russen haben mit ihrem militärischen Eingreifen den Friedensprozess in Syrien erst ermöglicht. Würden Sie Stand heute bei dieser Einschätzung bleiben?
    Kujat: Absolut! Absolut! Es gebe keine Friedensgespräche, wenn die Russen nicht eingegriffen hätten.
    Büüsker: Aber es gibt auch im Moment de facto keine Friedensgespräche, alles in Genf scheitert.
    Kujat: Gut, nur das liegt natürlich an den Verhandlungspositionen beider Seiten, aber ich bin der Auffassung, Friedensverhandlungen sind immer besser – ob sie nun sofort zum Erfolg führen oder ob sie langfristig zum Erfolg führen – als Krieg.
    Büüsker: Jetzt haben wir Friedensverhandlungen, die stocken, und wir haben gleichzeitig die Belagerung von Aleppo, wo die Russen ordentlich mitmischen, wo die Russen bombardieren und wo zahlreiche Zivilisten ums Leben kommen.
    Kujat: Richtig. Ich habe auf diesen Punkt seit Monaten hingewiesen. Wenn die militärischen Fortschritte des Assad-Regimes, unterstützt von Russland, stärker, größer sind als der Fortschritt bei den Friedensverhandlungen, dann werden wir ein Problem haben, dann wird am Ende Assad gewinnen. Das muss die syrische Opposition verstehen und muss deshalb konstruktiv an die Friedensgespräche herangehen. Hier müssen Friedensverhandlungen, also eine politische Lösung für Syrien, mit freien Wahlen am Ende, das muss Schritt halten mit der militärischen Entwicklung. Im Augenblick geht die militärische Entwicklung schneller voran als die Friedensgespräche, das ist leider sehr, sehr ungünstig.
    "Beide Seiten müssen kompromissbereit sein"
    Büüsker: Und was könnte man dagegen tun?
    Kujat: Konstruktiv verhandeln.
    Büüsker: Das heißt, Ihre Forderung geht konkret an die Verhandlungspartner und die internationale Gemeinschaft soll zusehen?
    Kujat: Nein, die internationale Gemeinschaft beteiligt sich ja an den Verhandlungen. Die Amerikaner sind sehr aktiv, die Russen sind sehr aktiv, es kommt jetzt auf die Kompromissfähigkeit beider Seiten an – des Regimes in Syrien, des Assad-Regimes, und natürlich der syrischen Opposition, das ist der entscheidende Punkt. Man muss verstehen, beide Seiten müssen verstehen, dass in solchen Verhandlungen Kompromisse erzielt werden müssen, dass beide Seiten zu Kompromissen bereit sein müssen. Wir kennen ja den Weg hin zu einer politischen Lösung: eine Übergangsregierung, eine neue Verfassung und am Ende freie Wahlen. Und das würde auch bedeuten, dass Assad mit seinem Clan am Ende nicht mehr an der Regierung ist. Aber diese Schritte müssen sorgfältig eingehalten werden, und da müssen eben beide Seiten auch kompromissbereit sein.
    "Aleppo ist tatsächlich eine humanitäre Katastrophe"
    Büüsker: Wenn Sie die Kompromissbereitschaft betonen, dann kann ich mir vorstellen, wie Vertreter der Opposition sagen werden, Assad wirft mit Fassbomben auf uns, es gibt jetzt auch Berichte, die noch unbestätigt sind, über einen neuen Giftgaseinsatz, also Assad schlachtet sein eigenes Volk. Wie soll da die Opposition kompromissbereit sein?
    Kujat: Langsam, langsam! Wir dürfen hier nicht Ursache und Wirkung verwechseln. Aleppo ist tatsächlich eine humanitäre Katastrophe und wird sich wahrscheinlich noch zu einer größeren humanitären Katastrophe auswachsen. Aber Aleppo wird deshalb eine humanitäre Katastrophe, weil dort Terroristengruppen diese Stadt besetzt haben, die Bevölkerung unterdrücken und das Regime, Assad-Regime, versucht, diese Stadt zu befreien. Aleppo ist strategisch wichtig – Sie haben das in Ihrem vorherigen Beitrag ja betont – aus der Sicht des Assad-Regimes, aber Aleppo hat eben auch eine Schlüsselfunktion für die Versorgung der terroristischen Gruppen: Al-Kaida, dort Al-Nusra, besetzen Aleppo und der IS. Es ist eben nicht so, dass dort die gemäßigten Gruppen gegen das Assad-Regime kämpfen, sondern Al-Nusra kämpft gegen das Assad-Regime und IS. Und ich finde es nicht logisch, dass wir auf der einen Seite hier uns mit den Angriffen in Europa, in Deutschland und in Frankreich mit den Terroristen auseinandersetzen müssen und gleichzeitig für sie Partei ergreifen, wenn sie in Syrien kämpfen. Das fügt sich nicht zusammen.
    Büüsker: Sagt Harald Kujat, früherer Generalinspekteur der Bundeswehr und General außer Dienst. Herr Kujat, vielen Dank für das Interview heute Morgen hier im Deutschlandfunk!
    Kujat: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.