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Ehemaliger Verfassungsrichter hält NPD für verfassungsfeindlich

Burkhard Birke: "Eine Partei mit deutlich ausländerfeindlicher und antisemitischer Propaganda kommt in die Parlamente. Das ist das Ergebnis einer sehr problematischen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes." Zitat Bundesinnenminister Otto Schily heute in der Financial Times Deutschland. Das Verfassungsgericht hat ja bekanntlich das Verbotsverfahren gegen die NPD im März vergangenen Jahres eingestellt. Schily weiter in der Zeitung: "Die NPD ist eine Bedrohung der politischen Kultur und der Rechtsordnung und verunstaltet das Ansehen Deutschlands in der Welt. So wie das Urteil ausgefallen ist, haben wir für lange Zeit keine Chance, mit einem Verbotsverfahren zum Zuge zu kommen." Heftige Worte des Bundesinnenministers wenige Tage vor den Landtagswahlen und offenbar kennt er schon das Ergebnis der Landtagswahlen in Sachsen, wo die NPD ja wohl den Einzug ins Parlament schaffen könnte, nach Schilys Aussage wohl sicher schafft. Wir sind nun mit Prof. Hans Klein, ehemals Richter am Bundesverfassungsgericht, verbunden. Herr Klein, versucht hier die Politik in Person von Herrn Schily die Schuld für das Erstarken der NPD in Sachsen auf das Verfassungsgericht abzuwälzen?

Moderation: Burkhard Birke |
    Hans Klein: So könnte das Zitat in der Tat verstanden werden und dann wäre diese Äußerung natürlich deutlich zu kurz gedacht.

    Birke: Herr Klein, wer hat versagt, die Politik oder Herr Schily, denn das Verbotsverfahren ist doch seiner Zeit aus verfahrenstechnischen Gründen eingestellt worden, weil eben Meldungen über die Unterwanderung der NPD durch den Verfassungsschutz nicht an die Verfassungsrichter weitergegeben worden waren.

    Klein: Ob es so genau war weiß ich nicht, denn ich war an dem Verfahren nicht beteiligt, aber richtig ist, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung der Meinung war - jedenfalls waren es drei der beteiligten sieben Richter und das hat in diesem Fall ausgereicht - dass eine Unterwanderung oder allenfalls eine zu intensive Beobachtung der NPD im unmittelbaren Vorfeld und auch noch während des Verfahrens nicht hinnehmbar sei.

    Birke: Nun hatten wir ja damals eine durchaus geteilte Auffassung in dem Gremium, nur eine Minderheit von drei Verfassungsrichtern sahen hier wirklich Bedenken und deshalb weil eben eine zweidrittel Mehrheit für den Fortgang des Verfahrenes benötigt worden wäre, wurde das Verfahren ja eingestellt. Wie hätten Sie denn damals argumentiert, wenn Sie noch in dem Gremium gewesen wären?

    Klein: Ich hätte wahrscheinlich mit der Mehrheit optiert, also dahingehend, dass das Verfahren hätte fortgesetzt werden dürfen, was nicht besagt, dass die NPD am Ende des Verfahrens verboten worden wäre. Es ging ja in dieser Entscheidung nur um eine verfahrensrechtliche Frage.

    Birke: Wie beurteilen Sie denn inhaltlich den Verbotswunsch der Regierung?

    Klein: Den Verbotswunsch habe ich durchaus verstanden, es war im übrigen ja nicht nur ein Verbotswunsch der Bundesregierung, sondern auch des Bundesrates und des Bundestages, also dreier Verfassungsorgane und was Herr Schily in den von Ihnen eben zitierten Äußerungen inhaltlich zur NPD gesagt hat, ist uneingeschränkt meine Meinung.

    Birke: Das heißt, Sie halten die NPD durchaus für verfassungsfeindlich und damit für verbotswürdig.

    Klein: So ist es.

    Birke: Ist es denn nun einmal politisch betrachtet überhaupt opportun, extreme Parteien wie die NPD zu verbieten?

    Klein: Das ist ein alter Streit und der ist von Fall zu Fall zu entscheiden, weil die Verfassungen, das Grundgesetz, die potentiellen Antragsteller nicht dazu zwingt, einen Antrag auf Verbot der Partei beim Bundesverfassungsgericht zu stellen. Das ist eine Frage des politischen Ermessens. Aber es ist im Falle der NPD zumal durchaus nachvollziehbar, dass die drei genannten Verfassungsorgane damals einen Antrag gestellt haben.

    Birke: Teilen Sie die Auffassung von Herrn Schily, dass ein Verbotsverfahren, so wie das Urteil damals des Verfassungsgerichtes ausgefallen ist, für lange Zeit bedeutet, dass es keine Chance gibt, mit einem neuen Verbotsverfahren zum Zuge zu kommen?

    Klein: Es ist ja so, dass aufgrund des die Entscheidung tragenden Votums eine nachrichtendienstliche Beobachtung einer Partei, die möglicherweise verfassungswidrig ist, bereits im Vorfeld eines möglichen Verbotsverfahrens, wie der technische Ausdruck lautet, abgeschaltet werden muss. Und wenn Sie sich nun in die Situation der Verantwortlichen versetzen, die abwägen müssen, eine laufende Beobachtung abzubrechen, um dadurch dann ein Verbot zu ermöglichen, oder ob Sie die Beobachtung fortsetzen sollen, dann kann ich mir sehr gut vorstellen, dass die Option in der letztgenannten Richtung ausfällt. Das würde in der Tat bedeuten, dass es sehr viel schwieriger geworden ist, eine Partei zu verbieten, beziehungsweise einen erfolgsversprechenden Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen.