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Ehen mit Minderjährigen
Schwierige Debatte über Flüchtlingspaare

Die Entscheidung über ein Flüchtlingspaar aus Syrien machte Schlagzeilen: Das Oberlandesgericht Bamberg erklärte die Ehe zwischen einem erwachsenen Mann und einer Minderjährigen, die nach islamischem Recht geschlossen worden war, für gültig. Die Zahl solcher Fälle steigt. Juristen sind uneins, ob Familienschutz oder Jugendschutz mehr zählt. Frauenorganisationen hingegen haben eindeutige Forderungen: Solche Ehen müssten verboten werden.

Von Marie Wildermann | 08.07.2016
    Demonstration von Amnesty International in Rom gegen Kinderheirat
    Demonstration von Amnesty International in Rom gegen Kinderheirat: Auch in Deutschland häufen sich die Fälle von Ehen mit Minderjährigen. (imago/stock&people/ZUMA press)
    Nach deutschem Recht brauchen sie einen gesetzlichen Vormund: minderjährige verheiratete Flüchtlingsmädchen, denn nach unseren Gesetzen sind Ehen mit 14-, 15-Jährigen verboten. Doch die Ehemänner der Mädchen setzen sich darüber hinweg, sagt Caroline Abdul-Razzak, die bei der Berliner Caritas arbeitet und selbst eine Vormundschaft für eine 15-jährige Syrerin übernommen hat:
    "Dann gab es eine Anhörung bei Gericht, wo mein Mündel anwesend war mit ihrem Ehemann. Er hat natürlich auch die Vormundschaft beantragt, aber das hat die Richterin abgelehnt, weil der Ehemann ist ja selbst in Deutschland gar nicht integriert, er kann die deutsche Sprache nicht, wie will er sie da adäquat vertreten?"
    Seit November lebt die 15-Jährige mit ihrem 24-jährigen Ehemann und ihrem zehn Monate alten Baby in einer Erstaufnahmeeinrichtung am Berliner Kurfürstendamm. Das schmale, blasse Mädchen ist voll verschleiert, nur das Gesicht ist zu sehen. Erst nach sechs Monaten fiel den Behörden das Alter der Ehefrau auf. Der Ehemann erledigte alle Behördengänge, auch für seine Frau, und nahm an Deutschkursen teil, während die 15-Jährige meistens mit dem Säugling in der Einrichtung blieb. Sie müsse sich um das Kind kümmern, so seine Begründung, erinnert sich die Caritas-Mitarbeiterin Caroline Abdul-Razzak:
    "Zum Beispiel sagt er, er besucht einen Integrationskurs, und er macht jeden Abend mit seiner Frau Hausaufgaben. Aber sie kann noch nicht mal 'Guten Tag' oder Hallo oder 'Wie geht’s dir?'"
    Kinderehen haben in der Regel mit Liebe wenig zu tun
    Auch dass sie zusammen wohnen, kollidiert eigentlich mit dem deutschen Jugendschutzgesetz. "Das ist ein Zugeständnis des Jugendamtes, sozusagen, beruht einfach drauf, dass sie keine Plätze haben. Theoretisch müsste sie in einer Mutter-Kind-Einrichtung leben, weil ja die Ehe in Deutschland nicht anerkannt ist und er damit automatisch auch nicht der Vater. Aber es laufen hier wirklich auf Verwaltungs- und Senatsebene Dinge, die ich nicht nachvollziehen kann", sagt Caroline Abdul-Razzak.
    Als sie ihrem Mündel Geld auszahlen will, hat der Ehemann schon die Vollmacht auf den Tisch gelegt, die ihn berechtigt, das Geld in Empfang zu nehmen. Denn das Berliner Landesamt für Gesundheit und Soziales (LaGeSo) führt das Paar als Bedarfsgemeinschaft – obwohl die beiden laut Jugendschutzgesetz noch nicht einmal zusammen wohnen dürften. Und laut eigener Richtlinie, die das LaGeSo kürzlich herausgegeben hat, sind Ehen mit Minderjährigen unter Umständen zu akzeptieren, nämlich dann, wenn das Mädchen mindestens 16 ist. Nach deutschem Eherecht gibt es die Möglichkeit, mit 16 zu heiraten, wenn der Partner volljährig ist und das Familiengericht zustimmt.
    In vielen Bereichen der Flüchtlingspolitik regiert noch immer das Chaos, oft weiß eine Behörde nicht, was die andere tut oder setzt selbst ihre eigenen Bestimmungen außer Kraft. Wie in diesem Fall der 15-Jährigen Syrerin. Die in den Herkunftsländern geschlossenen Kinderehen haben in der Regel mit Romantik und Liebe wenig zu tun. Meist sind es von den Familien arrangierte Bündnisse. Die in Deutschland strafbar wären, sagt Mathias Rohe, Leiter des Zentrums für Islam und Recht in Europa an der Universität in Erlangen:
    "Nur muss man wissen, dass wir in solchen internationalen Sachverhalten etwas andere Maßstäbe haben als bei rein inländischen Sachverhalten. Das hängt damit zusammen, dass wenn irgendwelche rechtswirksamen Dinge im Ausland passiert sind, wir dann nicht ohne Not sagen, nur weil die Menschen jetzt bei uns sind, behandeln wir das so als ob’s nie geschehen wäre. Allerdings hat das auch wieder äußere Grenzen, nämlich, wenn das, was da im Ausland passiert ist, im Ergebnis mit unseren grundlegenden Rechtsvorstellungen in Konflikt steht."
    Sexuelle Beziehungen erwachsener Männer mit 14-Jährigen sind strafbar
    Und nach unseren Rechtsvorstellungen sind Teenagermädchen keinesfalls ehemündig. Und sexuelle Beziehungen erwachsener Männer mit 14-Jährigen und Jüngeren sind strafbar. "Nun ist es tatsächlich so, dass die Grenze von 14 rechtlich sehr relevant ist, denn die Fortführung sexueller Beziehung wäre in diesem Fall jedenfalls strafbar. Bei über 14-jährigen kommt’s auf den Einzelfall an nach der geltenden Gesetzeslage, Paragraf 182 Strafgesetzbuch", sagt Mathias Rohe.

    Das Oberlandesgericht Bamberg hat vor kurzem den Fall eines 15-jährigen Flüchtlingsmädchens verhandeln müssen und entschieden, die in Syrien nach islamischen Recht geschlossene Ehe sei gültig. Mathias Rohe sagt, im Ergebnis sei er nicht einverstanden mit dem Urteil aus Bamberg, aber er könne es nachvollziehen. Mathias Rohe sagt:
    "Die haben nämlich gesagt, naja, mittlerweile ist die junge Frau 15, will offensichtlich mit diesem Mann zusammenleben, hat auch sich widerständig gezeigt gegenüber Integrationsmaßnahmen aufgrund der Trennung von ihrem Mann – so jedenfalls ist es dem Urteil zu entnehmen –, die haben gemeinsam eine Flucht hinter sich. Und so kommt das OLG Bamberg zu dem Schluss, nun in diesem Falle sei aus Sicht des deutschen Rechts nichts dagegen einzuwenden, dass sie die Beziehung fortsetzen."
    Andere Juristen sehen das ähnlich, wie etwa Hans Michael Heinig, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Göttingen, der sich vor ein paar Tagen im Interview mit dem Deutschlandfunk dafür aussprach, in solchen Fällen den Schutz der Familie in den Mittelpunkt zu stellen. Anders sehen es Frauenrechtsorganisationen: Ihrer Ansicht nach sind Minderjährigen-Ehen unter gar keinen Umständen zu tolerieren. Christa Stolle von "Terre des Femmes" hält das Urteil von Bamberg für ein völlig falsches Signal:
    "Wir finden so ein Urteil fatal. Wenn das Jugendamt keine Vormundschaft mehr hat, und die Ehe anerkannt wird, dann hat ja auch der deutsche Staat keine Zugangsmöglichkeiten mehr."
    Verheiratete Mädchen wachsen in eine Parallelgesellschaft hinein
    Faktisch bedeutet das, dass die Mädchen in Unmündigkeit und Abhängigkeit bleiben und keine Möglichkeit bekommen, sich zu entwickeln, weder schulisch noch beruflich. Das geht nicht nur gegen unser Verständnis von Geschlechtergerechtigkeit, die Mädchen wachsen auch von Anfang an in eine Parallelgesellschaft hinein. Christa Stolle:
    "Ich bin auf jeden Fall für die Nicht-Anerkennung von Minderjährigen-Ehen und zwar deshalb, weil wir sonst unser Rechtssystem untergraben."
    "Terre des Femmes" fordert, - wie es in den Niederlanden gemacht wird - im Ausland geschlossene Minderjährigen-Ehen in Deutschland grundsätzlich nicht anzuerkennen und damit auch den Ehegattennachzug in einer Minderjährigen-Ehe nicht zuzulassen. Bundesjustizminister Heiko Maas hat entsprechende Änderungen signalisiert. Die rechtspolitische Sprecherin der CDU, Elisabeth Winkelmeyer-Becker fordert, die juristische Eheschließung auf dem Standesamt wieder zur Vorbedingung für eine religiöse Eheschließung zu machen, wie das bis 2009 der Fall war. Das würde zwar an den bestehenden, nach Deutschland eingewanderten Minderjährigen-Ehen nichts ändern, wäre aber ein wirksames Mittel gegen alle zukünftigen Kinderehen und gegen polygame Verbindungen. Für Terre des Femmes ist klar, dass Ehen mit Minderjährigen eindeutige Menschenrechtsverletzungen sind. Christa Stolle sagt:
    "Weil die Mädchen noch Kinder sind, überhaupt nicht absehen können, was eine Ehe bedeutet, für sie ist es auch das Ende der Kindheit, es ist das Ende ihrer Schulzeit, es ist das Ende ihrer Ausbildung, minderjährige Ehefrauen gehen nicht mehr zur Schule, das lässt ja oft der Ehemann nicht zu."
    Terre des Femmes: Ehen mit Minderjährigen sind Menschenrechtsverletzungen
    Das bestätigt Caritas-Mitarbeiterin Caroline Abdul-Razzak, die, wie sie sagt, als Vormund für die Minderjährige kaum Einfluss hat, weil der Ehemann über das Mädchen bestimmt:
    "Ich wollte nun, dass sie Deutsch lernt und hatte das in dieser einen Einrichtung auch schon alles organisiert und dann sind sie von heute auf morgen umgezogen, ohne mir Bescheid zu sagen, obwohl ich ja der Vormund bin. Er sagt dann zwar, ja, ja, Entschuldigung, Entschuldigung, aber ich sehe das, dass er das nicht begreift. Und er fühlt sich in seiner Ehre als Ehemann irgendwie bedroht."
    Selbst wenn Ämter und Behörden an einem Strang zögen und auch die Gesetzeslage eindeutig wäre: Es bliebe für alle Beteiligten eine schwierige Situation.