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Ehrenamtliche Flüchtlingshelfer
"Engagement ist in hohem Maße stabil"

Menschen, die sich freiwillig für Flüchtlinge engagieren, seien generell nicht überfordert, sagte Bettina Windau von der Bertelsmann Stiftung, die heute eine Studie zu diesem Thema veröffentlicht hat. Das Engagement für Geflüchtete werde als persönliche Bereicherung empfunden. Die Freiwilligen benötigten aber unterstützende Strukturen.

Bettina Windau im Gespräch mit Christiane Kaess | 04.08.2016
    Ein Flüchtlingshelfer im Bahnhof von Flensburg.
    Ein Flüchtlingshelfer im Bahnhof von Flensburg. (imago / Lars Berg)
    Zur Frage, wie stark die Motivation der Ehrenamtlichen sei, sagte Bettina Windau, Direktorin des Programms "Zukunft der Zivilgesellschaft" der Bertelsmann-Stiftung, dass das Engagement "in hohem Maße stabil" sei. Die freiwillig Engagierten seien nicht generell überfordert, hätten aber auch einen Bedarf an Unterstützung. Das betreffe vor allem Initiativen, die sich aus Privatpersonen gegründet hätten und nun als Vereine weiterarbeiteten, so Windau.
    Am besten sei die Einbettung der Freiwilligen an den Orten, an denen es zentrale Koordinationsstellen gebe, sowie Hauptamtliche bei der Stadt, die die Ehrenamtler bestmöglich unterstützen würden. Dort würden Informationen gebündelt, viele Akteure beteiligt und Freiwillige gut qualifiziert, so Windau. Beispielsweise rechtliche Fragen seien durch engagierte Privatpersonen nicht zu lösen, sie bräuchten eine "Backup-Struktur".
    Es gebe hinsichtlich des Grads an Koordination "nicht so sehr regionale Unterschiede", aber Unterschiede, die sich an der Größe der Ortschaften festmachen ließen - in größeren Städten gebe es häufiger hauptamtliche Strukturen.

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Es kommen nicht mehr viele Flüchtlinge nach Deutschland, die Balkanroute ist geschlossen und nach dem Abkommen der EU mit der Türkei können in Griechenland ankommende Flüchtlinge in die Türkei zurückgeschickt werden. Vorbei also die Bilder von Menschenmassen an den Grenzen und den Bahnhöfen. Die Bilder, auf denen ehrenamtliche Helfer ankommende Flüchtlinge freundlich empfangen haben, sehen wir schon lange nicht mehr. Es häuften sich darauf die Meldungen über Angriffe auf Asylunterkünfte, vom Ende der Willkommenskultur war die Rede. Schließlich auch noch die Gewalttaten von Ansbach oder Würzburg, drei Täter waren syrische Flüchtlinge. Das hat die politische Diskussion um die Flüchtlingspolitik der Regierung wieder angefacht. Was also ist geworden aus der ehemals spontan positiven Stimmung gegenüber Flüchtlingen, die sich in vielen Bürgerinitiativen manifestiert hat? Die Bertelsmann Stiftung veröffentlicht heute eine Studie, die das ehrenamtliche Engagement der Flüchtlingshilfe genauer beleuchtet, und darüber sprechen möchte ich mit Bettina Windau, sie ist Leiterin des Bereichs Zukunft der Zivilgesellschaft bei der Bertelsmann Stiftung. Guten Morgen, Frau Windau!
    Bettina Windau: Guten Morgen, Frau Kaess!
    Kaess: Frau Windau, nach allem, was Sie jetzt herausgefunden haben: Ist die Willkommenskultur tot?
    Windau: Ganz im Gegenteil. Wir hatten uns im Frühjahr dieses Jahres gefragt, was ist eigentlich geworden aus all diesen spontanen Initiativen, wie hat sich das entwickelt, wie geht es auch den einzelnen Engagierten? Und eine zweite wichtige Frage für uns war, wie funktioniert eigentlich die Koordination zwischen den freiwillig Engagierten, der kommunalen Verwaltung und den vielen anderen Akteuren?
    "Das Engagement ist in hohem Maße stabil"
    Kaess: Dann schauen wir erst mal auf die erste Frage und das Ergebnis: Wie stark ist die Motivation denn der Ehrenamtlichen?
    Windau: Also, unser Befund ist, dass das Engagement in hohem Maße stabil ist, dass es auch keine generelle Überforderung der freiwillig Engagierten mehr gibt und dass viele ihr Engagement mit und für die geflüchteten Menschen auch als persönliche Bereicherung empfinden. Aber wir haben eben auch einen Bedarf an Unterstützung festgestellt, damit diese Initiativen, die sich jetzt auch vielfältig institutionalisieren und zum Beispiel als Vereine weiterarbeiten, bestmöglich tätig sein können.
    Kaess: Jetzt müssen wir dazu sagen, das ist eine qualitative Studie, das heißt, sie ist nicht repräsentativ, sie weist aber einen Trend, das muss man denke ich an dieser Stelle erwähnen. Sie haben gerade von dem Bedarf an Unterstützung gesprochen. Wie sieht der genau aus?
    Windau: Zum einen geht es darum, dass die Initiativen gut eingebettet sein können in die gesamte Hilfslandschaft in den Kommunen und dass die Koordination funktioniert. Und wir haben drei verschiedene Koordinationsformen feststellen können: Zum einen gibt es Städte, in denen die Koordination aus den Initiativen heraus selber erfolgt durch einzelne Freiwillige, meist ehrenamtlich. Und da stellt sich heraus: Der Vorteil ist, solche Formen sind schnell installiert, sie sind offen, aber führen doch oft zu oftmals ehrenamtlichen Vollzeitjobs und zu Überforderung der einzelnen Beteiligten. Die zweite Form der Koordination geht durch ein Netzwerk aus, das ist so die Abstimmung aller Akteure an runden Tischen. Vorteil ist: Alle sprechen auf Augenhöhe, aber sehr unübersichtliche Entscheidungsstrukturen für neu Engagierte, ein sehr, sehr hoher Zeitaufwand. Und in manchen Städten haben wir zentrale Koordinationsstellen gefunden, meistens durch hauptamtliche Stellen bei der Stadt. Und dort werden eigentlich die engagierten Gruppen bestmöglich unterstützt, zum einen dadurch, dass Informationen gebündelt werden, dass Netzwerkarbeit klarer wird, wer macht eigentlich was, es sind ja sehr, sehr viele Akteure oftmals beteiligt, die Freiwilligen werden gut qualifiziert und auch im Falle großer Belastung eben auch mit Rat und Entlastung begleitet. Wenn man sich zum Beispiel vorstellt, rechtliche Fragen sind ja zum Beispiel durch Engagierte überhaupt nicht zu lösen, insofern braucht es da eine Art Back-up-Struktur, damit die Freiwilligen gut arbeiten können.
    Es muss "verlässliche Ansprechpartner geben"
    Kaess: Das ist ein Beispiel, das Sie jetzt genannt haben. Wenn Sie zusammenfassen, unterm Strich: Was würden sich denn die Initiativen in Bezug auf die Zusammenarbeit mit den staatlichen Stellen wünschen, was sich da ändert oder verbessert?
    Windau: Es geht vor allen Dingen darum, dass es verlässliche Ansprechpartner gibt, die eben auch hauptamtlich zur Verfügung stehen, die kompetent sind und auch von der Kapazität hinreichend besetzt sind. Das führt dazu, dass die Engagierten sich eben in allen Fragen, die sie interessieren und die sie dringend brauchen für ihre Arbeit, an solche Personen wenden können, dass man sich kennt. Und dann gibt es natürlich auch noch die finanzielle Komponente, dass zum Beispiel Aufwendungen, die den Engagierten entstehen, unkompliziert erstattet werden können.
    Kaess: Haben Sie regionale Unterschiede feststellen können?
    Windau: Wir haben ja im gesamten Bundesgebiet Städte betrachtet, insgesamt an 17 Standorten waren wir unterwegs. Es gab nicht so sehr regionale Unterschiede, aber sehr wohl in der Größe der Städte. In den kleineren Städten ist es meistens von der Koordination her so, dass sich aus den Initiativen heraus diese Dinge entwickelt haben, in den größeren Städten ist man meist schon so weit, dass es eben hauptamtliche Unterstützungsstrukturen gibt.
    "Diese Strukturen sind ein Statement der Willkommenskultur"
    Kaess: Zum Schluss noch die Frage: Gibt es denn auch Ergebnisse dieser Arbeit, also in dem Sinne: Lässt sich Integration messen?
    Windau: Das war jetzt nicht das Schwergewicht dieser Studie. Interessant wird für uns sein, wie stabil tatsächlich diese Strukturen dann weiterhin arbeiten können. Denn sie sind ja nicht nur ein Instrument für die Soforthilfe, sondern sie sind auch ein Statement der Willkommenskultur und oftmals auch eine Maßnahme gegen rechte Agitation.
    Kaess: Bettina Windau war das, sie ist Leiterin des Bereichs Zukunft der Zivilgesellschaft bei der Bertelsmann Stiftung. Danke schön für das Interview heute Morgen!
    Windau: Herzlichen Dank!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.