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Ehrgeiziges Debüt

Mit viel Liebe zum Detail erzählt Frank Heibert in "Kombizangen" allzu menschliche Geschichten vom Alltag, von Liebe, Grabenkämpfen und Verrat. Mit slapstickartiger Komik fabuliert Heibert in einem Tempo, dass sich der Roman insgesamt wie eine der vielen modernen Fernseh-Soaps liest.

Von Detlef Grumbach | 11.12.2006
    "Just make him up!" Das Gesicht eines Fremden ein offenes Buch. Ein einziger Blick, und sein ganzes Leben liegt vor dir. So intoniert Frank Heibert seinen Song "Just make him up". Heibert feiert in ihm den Moment, in dem seine Helden ihre Chance ergreifen, etwas wagen, riskieren - für eine kurze, aber erfüllte Begegnung. Für eine Begegnung, die vom ersten Augenblick bestimmt wird, die keine Geschichte hat. "The best Thing on four feet" heißt seine mit der Band "Finkophon unlimited" eingespielte CD. Sie liefert die Begleitmusik zu seinem Roman "Kombizangen":

    "Es hat mich immer sehr interessiert, was passiert, wenn Leute sich begegnen, was in den ersten Momenten passiert in der Wahrnehmung, welche Bilder man sich ganz schnell und unwillkürlich über den anderen macht und wie die hinterher womöglich stimmen oder sich als ganz falsch herausstellen. Das fand ich immer ganz faszinierend, und deshalb wollte ich einen Reigen des Verführens, des Eroberns mit allen Mitteln sozusagen, also das wollte ich gerne machen. Und das andere, was mich immer fasziniert hat und noch fasziniert, ist der Unterschied zwischen Begehren und Gefühl oder der Zusammenhang zwischen Begehren und Gefühl besser, also zwischen Liebe und Sex, wenn man so will."

    Liebe und Sex, die Sehnsucht nach einer stabilen Beziehung und das Glücksversprechen eines erfüllten Augenblicks. Alexander ist hinter Julia her, Julia schläft mit Frau Schneider und verknallt sich in Bernd. Bernd hat es satt, den netten Schwulen für alle Fälle zu spielen und packt sich Leo, einen Bauarbeiter. Und Leo? Der Kreis schließt sich. Am Ende dieses souverän und mit wirklichen Überraschungen konstruierten Reigens stehen die vier Glücksritter wieder alleine da. Alle haben ihre eigene Geschichte, tragen Verletzungen an der Seele mit sich, die sie in der Kindheit oder Jugend erlitten haben, die ihr Verhalten in der Gegenwart prägen. Sie alle mussten erfahren, das Geborgenheit trügerisch sein kann, haben wenig festen Halt, doch sie weichen dieser Realität aus, kapseln das ein, was sie im Kern bestimmt und leben wie auf einer glatten Oberfläche.

    "Und deswegen kommt unterm Strich bei all den Figuren auch keine Beziehung raus, weil sie dafür einfach ein paar Fehler gemacht haben. Nichtsdestotrotz hat es aber die Momente gegeben, wo es funktioniert hat. Und die waren tatsächlich in den sexuellen Begegnungen und nicht in den auf Dauer angelegten oder auf Dauer versuchten Beziehungskonstellationen."

    Leo ist auf der Flucht vor der Polizei. Bernd ist Architekt und muss sich trotz Bauboom in Berlin seine Projekte selbst erfinden. Julia verdient ihr Geld als Ghostwriterin und projiziert die eigenen Vaterprobleme in die Geschichte des Mannes, die sie erzählt. Alexander lebt seine Fantasien in den Computerspielen aus, der er programmiert. Für ihre Gegenüber bleiben sie Fassade.
    Einen Namen hat sich der 1960 geborene Frank Heibert bislang als Übersetzer gemacht. Autoren wie Don DeLillo, Richard Ford oder auch Boris Vian hat er ins Deutsche übertragen.

    "Übersetzen und Schreiben hat erst einmal gemeinsam, dass man Literatur wichtig findet, dass man erzählen mag, dass man Sprache liebt - da berührt sich das. Praktisch oder faktisch habe ich bemerkt, dass, wenn ich tief in der Übersetzung eines Buchs drin bin, also in der Sprache eines Autors, dass ich den erst einmal aus meinem Kopf evakuieren musste, wenn ich weiterschreiben wollte an dem Buch."

    Ein Übersetzer - das ist, so Heibert, ein Papagei, der nur den richtigen Tonfall für den Autor finden muss, den er in anderer Sprache nachplappert. Jetzt sucht er den richtigen Tonfall für seine Figuren, ganz unterschiedliche Charaktere, Großstadtmenschen um die 30, die er im Berlin des Jahres 1995 aufeinander prallen lässt. Dabei greift er in die Vollen des populären Unterhaltungsfachs und hat doch hohe Ambitionen, seine Funktionsweisen zu unterlaufen, dem Leser mehr als nur Unterhaltung zu bieten. Er schreckt vor Klischees wie dem der sattsam bekannten Ökoaussteigerin oder dem des Verlierertypen aus dem Osten, auch vor Formulierungen wie der des "fieberhaft" arbeitenden Gehirns nicht zurück. Mit viel Liebe zum Detail erzählt er allzu menschliche Geschichten vom Alltag, von Liebe, Grabenkämpfen und Verrat, mit slapstickartiger Komik fabuliert Heibert in einem Tempo, dass sich der Roman insgesamt wie eine der vielen modernen Fernseh-Soaps liest.

    "Das ist wahr, dass das so aussieht, und es ist auch nicht unbeabsichtigt, dass das so aussieht. Diese Ebene habe ich durchaus bewusst an die Oberfläche gesetzt, weil ich finde, ein Buch darf den Leser gerne unterhalten."

    Glücksversprechen: Mit ganzem Einsatz, mit allen glaubwürdigen und fantastischen Methoden wollen Alexander, Julia, Bernd und Leo sie einlösen. Und das gelingt ihnen teilweise auch. Alexander ist so von Julia besessen, dass er sich in ihr Leben einschleicht, dass er erst unmerklich, dann immer deutlicher Spuren in ihrem Leben hinterlässt und eine Begegnung am Ende erzwingt. Julia gelingt es, in Bernds Wohnung einzuziehen, und Bernd entführt sogar das Objekt seiner Begierde. Nur Leo gelingt es nicht, das Heft des Handelns in die Hand zu nehmen.
    "Das Glücksversprechen, glaube ich, besteht als Sehnsucht oder als Wunsch. Und was passiert eigentlich, wenn man bestimmte Grenzüberschreitungen, von denen man vielleicht manchmal fantasiert, dann tatsächlich durchzieht. Also wer hätte sich vielleicht nicht mal in einer geheimen Stunde gewünscht, jemand anders auf irgend einem Wege dazu zu zwingen, einen zu lieben. Was passiert jetzt, wenn ich so eine Figur tatsächlich zum Stalker mache und den dieser Frau hinterherstiefeln lasse? Was passiert mit ihm, was passiert mit ihr und wieweit kann das dann noch funktionieren, dass der sexuelle Moment noch etwas Besonderes ist."

    "Liebe ist mehr" - diesen Satz, auf den Thomas Hettches neuer Roman "Woraus wir gemacht sind" hinausläuft, möchte der Leser seinen Figuren zurufen. Doch indem er ihnen dabei zusieht, wie sie um die kurze Begegnung kämpfen und sich dabei auf dem Weg zum großen Gefühl selbst im Wege stehen, weiß er: Dieser Satz würde sie nicht erreichen. Und irgendwie scheint es auch, als schreibe der Autor gegen ihn an. Es gibt sie zwar, die Momente des Innehaltens in all der Action, wenn die Vergangenheit hochkommt, des Nachdenkens, wenn Julia allein in einer fremden Wohnung übernachtet, am Ende auch in einen einsamen Spaziergang Leos durch Berlin. Doch schon die literarische Form des Reigens, stärker aber noch die Apologie der kurzen Begegnung, das temporeiche Erzählen, das Spiel mit den Klischees, verhindern, dass sie gleichberechtigt an die Oberfläche dringen. In diesem Dilemma steckt dieses ehrgeizige Debüt, das viel riskiert - und so etwas ist allerdings auch selten geworden.