Eichel: Die Sorgen muß man immer haben. Aber ich glaube nicht, daß jemand wirklich eine Alternative besitzt. Der Ausweg in die Staatsverschuldung ist verbaut. Das ist ja gerade das Problem, daß wir eine so hohe Staatsverschuldung haben. Den Ausweg in höhere Steuern - denke ich - will auch niemand; das wäre dann die wirkliche Alternative. Infolgedessen muß man ran an die Ausgabenseite. Das machen übrigens rundum die anderen europäischen Länder auch, eine strikte Politik der Haushaltskonsolidierung. Und wenn man das mit langem Atem macht, dann hat man hinterher auch Erfolg.
DLF: Nun hat Ihr Parteifreund, der saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt ja gesagt, die 30 Milliarden Einsparprogramm dürften kein Tabu sein. Sind Sie sicher, daß es bei den 30 Milliarden bleiben muß?
Eichel: Ja, an dem Punkt kann ich Reinhard Klimmt nicht folgen. Natürlich muß nicht alles, was darin steht, genau so umgesetzt werden. Aber wer etwas herausbrechen will, muß dann auch sagen, was er an dessen Stelle setzt. Die 30 Milliarden - an denen ist nicht zu wackeln. Da ist eine ganz klare Linie da. Denn das ist die Finanzpolitik der vergangenen Jahrzehnte immer gewesen, das heißt, am Schluß eine Politik der Gefälligkeit mit immer höherer Staatsverschuldung. Und das ist so ungefähr das Unsozialste, was man sich überhaupt vorstellen kann, denn das bedeutet, daß wir unseren Kindern einen Riesenstein in den Rucksack packen, und den müssen sie dann schleppen. Sie müssen dann ein Leben lang Steuern für das bezahlen, was wir ausgegeben haben. Und das macht keinen Sinn. Deswegen ist an den 30 Milliarden nichts abzuknapsen. Aber wer im Paket etwas verschieben will, der muß verbindlich sagen, was er an dessen Stelle setzen will. Darüber kann man dann reden.
DLF: Nun weiß man ja noch gar nicht, was im einzelnen in dem Paket enthalten ist. Vieles ist doch noch im Unklaren, also kann man noch gar nicht sagen, ob man hier was rausnimmt oder dort . . .
Eichel: . . . nein, nein, da ist nichts unklar, sondern wir haben ja eine klare Liste auf den Tisch gelegt, die die 30 Milliarden nachweist. Richtig ist, daß im Gesamtpaket des Haushaltes von 478 Milliarden noch 5 Milliarden rund an globaler Minderausgabe drin sind, die werden aber im Laufe dieses Herbstes bis zum Abschluß der parlamentarischen Beratungen auch belegt - so hat es das Bundeskabinett beschlossen -, so daß jeder ganz genau sehen kann - und bis auf die 5 Milliarden schon heute -, was in dem Paket drinsteckt. Das ist auch alles publiziert worden. Daß es noch nicht alles im öffentlichen Bewußtsein ist, das mag wohl so sein.
DLF: Heißt das, daß wir noch vor Überraschungen nicht gefeit sind?
Eichel: Doch, Sie sind vor Überraschungen gefeit, wenn Sie all das, was wir publiziert haben, auch zur Kenntnis nehmen. Die Lobbyisten haben sich auch alle gemeldet.
DLF: Herr Eichel, es gibt einen Streit zwischen Ihnen und dem Bundes-verteidigungsminister über die Finanzierung von Rüstungsbeschaffung. Der Bundeskanzler hat sich in dieser Frage auf Ihre Seite gestellt, aber Herr Scharping pocht weiter auf Finanzierung aus dem Gesamthaushalt.
Eichel: Das kann ich so noch nicht ganz erkennen. Klar ist, daß wir von der alten Bundesregierung eine Fülle von Märchenbüchern übernommen haben. Zu den Märchenbüchern gehört zum Beispiel der Bundesverkehrswegeplan. Da stehen eine Fülle von Projekten drin, für die überhaupt keine finanzielle Vorsorge getroffen worden ist. Es ist sogar schlimmer: Durch private Vorfinanzierung sind Projekte schon begonnen worden, für die es im Haushalt überhaupt noch keine Ansätze gab, und die müssen jetzt - private Vorfinanzierung ist nur Vorfinanzierung - aus dem Haushalt bedient werden, so daß der Verkehrsminister in der nächsten Zeit - nicht im Haushalt 2000 - große Probleme bekommen wird und er eine eigene Kommission einsetzt, die sich mit der Finanzierung der Infrastruktur beschäftigt. Der Verteidigungsminister hat sicher das Problem, daß es Vorstellungen von neuen Beschaffungsprojekten gibt, die auch im Haushalt noch nicht ihren Niederschlag gefunden haben. Aber ich sehe nicht, wie das zu Haushaltsausweitungen führen kann oder zu Einsparungen bei anderen Ressorts. Aber über diese Frage muß man in Ruhe reden. Der Verteidigungsminister hat dazu seine Anmerkungen gemacht und ich habe gesagt: Ja, wir müssen diese Beschaffungsprojekte in einer eigenen Vorlage - jeweils mit Nachweis der Finanzierung - im Kabinett beschließen . . .
DLF: . . . um wieviel Milliarden geht es da? . . .
Eichel: . . . darüber habe ich noch keine Übersicht, da liegt aus dem Verteidigungs-ministerium uns gegenüber noch nichts vor, aber da kann man eine Ausweitung insgesamt ganz gewiß nicht machen.
DLF: Streitig ist ja offensichtlich auch die Frage der Steuerentlastung für Unternehmen. Die Opposition sagt, Steuerentlastungsgesetz und Unternehmens-steuerreform würden letztlich nicht zu einer Entlastung, sondern zu einer Belastung - einer Mehrbelastung - der Unternehmen von deutlich über 30 Milliarden für die Jahre 1999 bis 2002 führen. Welche Rechnung machen Sie auf, um die Unternehmer zu beruhigen?
Eichel: Nein, das ist ja alles im Moment Kaffeesatzleserei und auch ganz bewußte Stimmungsmache. Richtig ist, daß es einen kurzfristigen Belastungseffekt aus dem Steuerentlastungsgesetz für große Unternehmen gibt, und zwar insbesondere in der Energieversorgungswirtschaft und auch etwas in der Versicherungsbranche - dort konzentriert es sich -, während umgekehrt aus dem Steuerentlastungsgesetz es große Entlastungen für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, für Familien und für den Mittelstand gibt. Das gilt alles mittelfristig. Dann bauen sich aber auch die Belastungen, die für die großen Unternehmen dort entstehen, wieder ab, denn das sind Einmalbelastungen. Was die Unternehmenssteuerreform betrifft, so sind wir ja erst am Anfang. Wir haben die Eckpunkte festgelegt und nun kommen die Planspiele, damit man erkennen kann, wie dieses Unternehmenssteuerrecht sich im einzelnen auswirkt und insbesondere, wie es auf die Personengesellschaften übertragen werden kann. Bei den Körperschaften ist das vergleichsweise einfach. Und dann wird man sehen, daß wir zu einer echten Nettoentlastung aus der Unternehmenssteuerreform kommen und - damit die Einnahmeausfälle nicht viel größer werden als die benannten 8 Milliarden Mark im Entstehungsjahr - daß man auch dort natürlich die Bemessungsgrundlage verbreitern muß, daß man die Abschreibungen heran muß. Das war nie ein Streit, das ist in der Kommission, in der ja auch alle Wirtschaftsverbände gesessen haben, auch so empfohlen worden. Und dann werden Sie eine ganz merkwürdige Erfahrung machen, die man im einzelnen sich gemeinsam ansehen kann: Daß Sie am Anfang eher größere Einnahmeausfälle beim Staat haben, also größere Entlastung der Wirtschaft, daß sie dann kleiner wird und daß sie am Schluß wieder größer wird. Also, das hängt mit der Mechanik der Abschreibungen und ihren Auswirkungen zusammen. Das alles sind wir bereit, in aller Offenheit mit den Organisationen der Wirtschaft zu diskutieren. Da ist sowieso nichts geheimzuhalten. Nur, da wir erst am Anfang der Arbeiten stehen und unsere Eckpunkte über die Entlastung festgelegt sind, braucht man sich darüber gar nicht sonderlich aufzuregen, sondern man soll sich dann gemeinsam an die Arbeit machen.
DLF: Wie hoch ist denn das Bruttoentlastungsvolumen und welche Gegenfinanzie-rungsmaßnahmen haben Sie vorgesehen?
Eichel: Das kann deswegen im einzelnen jetzt nicht gesagt werden, weil je nachdem, welches Modell von den drei Modellen, die die Kommission vorgeschlagen hat, man für die Personengesellschaften wählt, die Einnahmeausfälle größer oder kleiner - zwischen etwa 20 und gut 30 Milliarden sein werden -, danach richtet sich dann auch, was man an Finanzierungsmaßnahmen einsetzen muß, damit man weder unter noch über die 8 Milliarden Nettoentlastung kommt, die wir als Eckpunkt festgeschrieben haben.
DLF: Nun drängen ja die Unternehmer darauf, daß die Unternehmenssteuerreform nicht erst im Jahre 2001, sondern schon zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft tritt. In der Koalitionsvereinbarung war dieses Ziel mit der Einschränkung ‚möglichst' anvisiert worden. Warum ist das nicht gelungen?
Eichel: Also, die Unternehmen wissen das auch. Das konnte überhaupt nicht gelingen, weil es eine so komplizierte Materie ist, daß man überhaupt keine Chance hat, das in dieser Zeit in Gang zu setzen. Wir brauchen jetzt - das hängt mit der komplizierten deutschen Unternehmenslandschaft zusammen, anders als andere Länder haben wir nämlich 85 Prozent Personengesellschaften und nicht nur Kapitalgesellschaften, wie das sonst im Ausland der Fall ist - wir brauchen jetzt diese Zeit, um herauszufinden, wie wir diese Steuerentlastung auf die Personengesellschaften übertragen. Planspiele in diesem Herbst - dann beginnt das Gesetzgebungsverfahren, und dann ist es ehrgeizig aber zu schaffen, daß wir es zum 1.1.2001 in Gang setzen. Denn eines darf man nun gar nicht machen - und schon gar nicht beim Unternehmenssteuerrecht: Hinterher sich wundern, was man da beschlossen hat, und dann große Veränderungen nachträglich machen müssen. Und das sehen die Unternehmen nicht anders. Mir haben so viele Unternehmenschefs inzwischen gesagt: ‚Wichtig ist, daß wir wissen, wo die Reise hingeht. Der Tag, an dem es in Gang gesetzt wird, ist nicht das wichtigste'. Und alle sagen: ‚Gut, daß Ihr die Körperschaftssteuer so senkt; gut, daß Ihr das auf die Personengesellschaften übertragen wollt - und dann macht es sorgfältig, macht es unverzüglich!' Beides gilt, und deswegen wird es der 1.1.2001.
DLF: Ein weiteres umstrittenes Thema, Herr Eichel, auch in den eigenen Reihen - ich habe den Namen Reinhard Klimmt schon erwähnt - ist die zweijährige Aussetzung der Rentenanpassung entsprechend der Nettolohnentwicklung. Abgesehen davon, ob dies letztlich auch durchsetzbar sein wird: In welchem Zusammenhang steht diese Maßnahme eigentlich mit dem Haushaltssparprogramm?
Eichel: Zunächst in überhaupt keinem. Wir haben bei der Rente - und das hat Walter Riester ja sehr deutlich vorgetragen - natürlich auf die Dauer, weil unsere Gesellschaft immer älter wird, weil die Zahl der Beschäftigten im Verhältnis zur Zahl der Rentenempfänger immer kleiner wird, ein großes Problem, die Rente zu finanzieren. Ich habe mir das gerade in den europäischen Nachbarländern angesehen, die in einem Punkte alle durchweg besser sind als wir: Dort zahlen alle - ob das in den Niederlanden ist, in der Schweiz oder in Dänemark - über Beiträge oder über Steuern in die Rente ein . . .
DLF: . . . also auch Selbständige und Beamte . . .
Eichel: . . . alle zahlen dort ein, deswegen ist die Basis breiter, und deswegen ist das System solider und stabiler. Es bekommen dann alle auch eine Mindestrente, die deutlich oberhalb der Sozialhilfe liegt, heraus. Das ist in Deutschland leider nicht der Fall. Da sind wir dabei, das zu reparieren - Thema 630-Mark-Verhältnisse, also keine versicherungsfreien Arbeitsplätze mehr. Das gibt es auch nirgendwo in den Nachbarländern . . .
DLF: . . . die aber als ‚Flop' gilt und Arbeitsplätze abgebaut werden . . .
Eichel: . . . nein, das ist ja ganz falsch. Sondern das Problem - das nur ein deutsches ist - ist, daß wir die notwendige Flexibilisierung am Arbeitsmarkt in Deutschland verbunden haben mit einem Zerbröseln der Sozialsysteme. Und das ist das Schlimmste, was Sie machen können. Da wir die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt brauchen und da die Erwerbsbiographie der Menschen sich in Zukunft sehr verändern wird - nicht mehr ein Arbeitgeber ein Leben lang und ein Beschäftigungsverhältnis -, können Sie das den Menschen nur zumuten, sie können das nur aushalten, wenn Sie darunter ein soziales Fundament - insbesondere auch ein Fundament der Sozialversicherungssysteme - legen, das stabil ist. Und das ist in Deutschland nicht der Fall. Und genau das schafft Walter Riester mit der Rentenreform. Und dann müssen Sie auf die Veränderung der Zusammensetzung der Bevölkerung reagieren. Und Walter Riester hat ja ein Konzept vorgelegt, das auch die Beiträge gleichmäßig verteilt. Das heißt: Für die jetzige Rentnergeneration zwei Jahre lang Inflationsausgleich - das ist übrigens mehr, als in den letzten fünf Jahren unter der Regierung von CDU/CSU und FDP die Rentner bekommen haben. Dort sind sie unterhalb des Inflationsausgleichs geblieben. Deswegen kann ich Kritik von der Seite nun sowieso nicht akzeptieren. Zweitens: Wir alle tragen zur Stabilität des Systems bei über die Ökosteuer, das heißt langfristige mäßige Erhöhung der Energiesteuern. Und das führen wir der Rentenversicherung zur Stabilisierung und Absenkung der Beiträge zu - übrigens auch ein Thema, das fast in ganz Europa so gesehen wird. Und drittens: Die künftigen Rentner müssen heute - das ist das neue Element in Walter Riesters Konzept - eine Zusatzrente dadurch sich erwerben, daß sie einen Kapitalstock aufbauen, weil auf diese Weise die Leistungen nachher besser stabilisiert werden - ein in sich sehr schlüssiges Konzept. Und ich sehe nicht, daß man ernsthaft daran herumbasteln kann. Wir haben ja den demokrafischen Faktor ausgesetzt. Wäre der noch in Kraft, wäre schon die Rentenanpassung dieses Jahres niedriger ausgefallen, als sie tatsächlich ausgefallen ist, nämlich um einen halben Prozentpunkt niedriger. Auch das muß man alles in die Überlegungen einbeziehen.
DLF: Aber das Konzept liegt ja jetzt eigentlich noch gar nicht vor. Es ist ja erst mal nur die Rentenanpassung vorgesehen entsprechend der Inflationsrate. Und das Konzept soll doch erst im Herbst vorgelegt werden. Wird es denn dann auch so aussehen, wie Sie schon angedeutet haben - vorhin aufgrund Ihrer Erfahrungen bei Ihren Auslandsbesuchen, daß Sie mit Walter Riester ein Konzept erarbeiten und das im Herbst dann vorgelegt wird?
Eichel: Nein, die Eckpunkte sind ja schon da. Aber Sie haben recht: Das muß inhaltlich weiter ausgefüllt, das muß weiter präzisiert werden . . .
DLF: . . . das kommt später? . . .
Eichel: . . . ja, was heißt, es kommt später. Nein, es war immer für dieses Jahr vorgesehen. Sehen Sie, diese Regierung ist jetzt noch nicht einmal ein dreiviertel Jahr im Amt. Und sie hat sich - und das muß auch so sein - für das neue Rentenkonzept zwei Jahre Zeit genommen, denn das ist eine große Aufgabe. Und dafür ist Walter Riester bereits bemerkenswert weit mit seinen Durchrechnungen und Vorstellungen. Das wird jetzt weiter präzisiert. Und das ist ein Konzept, das auch langfristig den Rentnern mehr Rente bringt, als es das Konzept der Vorgängerregierung, das wir ausgesetzt haben, gebracht hätte, das auch sehr wichtig ist, Rentnern künftig immer den Gang zum Sozialamt erspart, wenn sie eine Minirente haben. Das wird es künftig nicht mehr geben. Das meint soziale Grundsicherung, das meint auch eigenständige Alterssicherung der Frauen, das meint eine bessere Erwerbsunfähigkeitsrente, als es das Konzept der Vorgängerregierung vorgesehen hatte, und langfristig stabile Beiträge und langfristig ein stabiles Leistungsniveau. Das ist eine gewaltige Aufgabe, und zu der gehört - das ist wahr - übrigens nicht nur bei den Rentnern, so auch bei den Pensionären, auch bei den Beamten, auch bei allen, die Transfereinkommen bekommen, also Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe, daß wir zwei Jahre auf dem Stand bleiben, den wir heute erreicht haben. Inflationsausgleich meint ja, tatsächlich auf dem Stand zu bleiben, und dann kann es wieder weitergehen. Das gilt nicht nur für die Rentner. Sonst kommen wir aus der ganz massiven Staatsverschuldung nicht heraus, und sonst bekommen wir auch kein auf Dauer sicheres und bezahlbares Rentensystem.
DLF: Das müssen Sie vielleicht noch mal erklären, warum man aus der Staatsverschuldung nicht herauskommt. Sie haben vorhin selber gesagt: In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Haushalt steht das nicht. Aber warum hängt das dann doch damit zusammen?
Eichel: Nein, diese Sache steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Haushalt, sondern sie steht für sich, um ein bezahlbares sicheres Rentensystem auf Dauer zu haben. Anderenfalls allerdings müssen Sie die Zuschüsse, die Sie aus dem Haushalt leisten, ständig weiter erhöhen. Wir haben heute bereits eine Situation, daß wir 120 Milliarden Mark aus dem Haushalt der Rentenversicherung zuweisen. Ich habe gerade in der Schweiz erlebt, daß sie, um das Rentenniveau halten zu können, diskutieren, daß sie dann bis 2010 sieben Punkte Mehrwertsteuererhöhung machen müßten und nur der Rente zuführen. Daran sehen Sie, was wir da an schwierigen Entwicklungen vor uns haben. Umso höher ist es einzuschätzen, daß Walter Riester bereits ein schlüssiges Konzept vorliegen hat. Und noch mehr aus dem Haushalt - etwas mehr wird es schon ständig über die Ökosteuer - wird auch nicht finanzierbar sein. Und wir haben das deutsche Sonderproblem, daß wir eine hohe Staatsverschuldung beim Bund haben, die erst abgebaut werden muß, wenn bereits jede vierte Mark an Steuern, die wir einnehmen, für die Zinsen sofort wieder ausgegeben werden muß, das heißt, daß es dafür gar keine Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger gibt - dann sehen Sie, wo unser Problem liegt und warum wir nicht dauernd noch mehr Leistungen aus dem Bundeshaushalt erbringen können.
DLF: Herr Eichel, mir fällt auf, daß die von Ihnen erwähnte Ökosteuer, daß die Mehreinnahmen daraus in Zukunft höher sein werden, als der Zuschuß des Bundes zu den Renten.
Eichel: Das ist falsch. Das hat mit dem Bundeszuschuß überhaupt nichts zu tun. Alle Erhöhungen, die aus der Ökosteuer kommen, werden ausschließlich der Rentenversicherung zugewiesen, mindern auch nicht den Bundeszuschuß - ganz falsch -, sondern sie werden eingesetzt zur Beitragsminderung. Im Gegenteil: Wir haben aus der ersten Stufe der Öko-Steuerreform eine Unterfinanzierung für die Rentenversicherung und haben deswegen den Zuschuß aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung noch ein Stück erhöht. Das ist der wirkliche Sachverhalt, hat damit überhaupt nichts zu tun. Es ist eine der vielen bewußten Fehlinformationen.
DLF: Bleiben wir noch bei der Ökosteuer. Die Bundesregierung wollte ja darauf hinwirken, daß die europäische Harmonisierung der Energiebesteuerung beginnt, was nicht gelungen ist. Außerdem wollten Sie bei der konkreten Ausgestaltung der weiteren Schritte der Öko-Steuerreform die konjunkturelle Lage und die Preisentwicklung auf den Energiemärkten berücksichtigen - so im Koalitionsvertrag. Paßt unter diesem Gesichtspunkten die Ökosteuer überhaupt in die Landschaft?
Eichel: Na, nun warten Sie Europa mal ab. In Europa haben wir jetzt die Situation, daß 13 der 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dieses Konzept wollen und zwei dagegenstehen, nämlich Spanien und Irland. Und da wollen wir mal sehen, ob es nicht doch im Herbst im Gesamtsteuerpaket gelingt, zu einer Einigung zu kommen. Wenn nicht, werden allerdings eine Fülle europäischer Staaten denselben Weg parallel mit uns gehen. Die meisten Nachbarländer wollen das, und weil zwei das nicht einsehen, wird man eine Entwicklung in Europa nicht bremsen können. Zweite Bemerkung: An den Energiemärkten fallen die Preise dank der Liberalisierung. Und deswegen, wenn man es mäßig macht - wie es andere Länder übrigens auch tun, es ist ja nicht so, daß wir einen Alleingang machen, die Deutschen -, und im gestreckten Wege, dann kann man das tun. Es sind, was die Mineralölsteuer betrifft, ja eine Reihe Länder mit höheren Steuern, und damit auch mit höheren Benzinpreisen, in Europa, als wir Deutschen das sind.
DLF: Herr Eichel, im Koalitionsvertrag steht auch drin, daß die Bundesregierung die Finanzkraft der Gemeinden stärken will. Diese sehen aber im Zukunftsprogramm genau das Gegenteil - die Gemeinden -, nämlich Mehrbelastungen im Milliardenhöhe. Am kommenden Donnerstag ist nun dazu ein Gespräch der kommunalen Spitzenverbände mit dem Bundeskanzler und Ihnen vorgesehen. Glauben Sie, daß Sie die Städte und Gemeinden von Ihrem Programm überzeugen können?
Eichel: Zunächst einmal: Es ist keine Mehrbelastung, sondern es ist auf die Vierjahresfrist für Länder und Gemeinden eine sehr deutliche Entlastung. Wo wir noch ein durchaus beachtliches technisches Problem haben, ist, daß unter Umständen eher Mehrbelastungen bei den Kommunen und stärkere Entlastung bei den Ländern sind. Das muß man dann technisch umsetzen, darüber muß man reden. Aber es gibt aus dem Gesamtpaket keine Mehrbelastung, sondern auch eine Entlastung. Zweitens muß ich aber darauf hinweisen, daß keine Staatsebene so schlecht finanziert ist, wie der Bund. Sie sehen das ganz einfach daran, daß die Bundesschuld drei mal so hoch ist wie der Bundeshaushalt. Und es gibt kein Land in Deutschland - mit Ausnahme von Bremen -, das eine ähnlich schlechte Haushaltssituation hat wie der Bund. Und bei den Kommunen - im Durchschnitt gesehen - ist die Finanzlage sehr gut. Das verdeckt nicht - jedenfalls wenn man genau hinsieht -, daß es eine Reihe insbesondere von Städten gibt, die sehr große Probleme haben. Das müßte aber eigentlich in den Ländern ausgeglichen werden über die kommunalen Finanzausgleiche. Das geschieht nicht zureichend. Aber ich muß darauf bestehen, daß die enorm schlechte Finanzlage des Bundes endlich endet. Und auch das müssen Länder und Kommunen begreifen. Ein Bund, der nicht mehr handlungsfähig ist, ist auch eine Katastrophe für die Länder und Gemeinden.
DLF: Bleibt es dabei, daß es keine Steuererhöhungen geben wird, obwohl der SPD-Parteirat ja gesagt hat, daß man über eine Vermögensbesteuerung nachdenken wollte?
Eichel: Also das sind keine Themen, die den Bundeshaushalt betreffen, denn diese Steuern stehen den Ländern zu. Es bleibt dabei: Der Bundeshaushalt wird konsolidiert ohne Steuererhöhungen.
DLF: Noch eine Frage zur mittelfristigen Finanzplanung, Herr Eichel. Ich kann mich nicht erinnern, daß jemals eine mittelfristige Finanzplanung eingehalten worden ist. Nun haben Sie gesagt, daß die Defizitquote im nächsten Jahr weiter runter geht und im Jahr darauf noch weiter - früher, als ursprünglich in der mittelfristigen Finanzplanung gedacht. Glauben Sie, daß Ihnen zum ersten Mal der Beweis gelingt, daß eine mittelfristige Finanzplanung eingehalten wird?
Eichel: Es gibt zwei Voraussetzungen. Die eine haben wir selber in der Hand, daß wir nämlich konsequent am Konsolidierungsprozeß festhalten und nicht selber zwischendurch schlappmachen. Und dazu bin ich allerdings eisern entschlossen. Das heißt: Ausgabendisziplin muß in jedem Falle gehalten werden, und wir haben - da sind wir sehr weit - mit unserem Konsolidierungsprogramm ja nicht nur bis auf fünf Milliarden, die noch Minderausgaben global sind, aber diesen Herbst belegt werden, schon für nächstes Jahr das 30-Milliarden-Paket geschnürt, sondern wir haben auch mit einem ziemlich geringen Anteil von globalen Minderausgaben die Pakete bis 2003 - dann sind es 150 Milliarden - geschnürt. Deswegen bin ich auf der Ausgabenseite sehr optimistisch. Die andere Frage ist: Wie wird es auf der Einnahmeseite sich entwickeln? Da sind Sie natürlich von konjunkturellen Entwicklungen abhängig. Was wir tun konnten, um der Konjunktur aufzuhelfen, haben wir getan: Erstens Steuerentlastungsgesetz mit starken Entlastungen der kleinen und mittleren Einkommen - in dieser Wahlperiode sechs Punkte beim Eingangssteuersatz, das sind 36 Milliarden Mark; mit einer deutlichen Besserstellung der Familien - das stärkt die Nachfrage; mit dem Unternehmenssteuerrecht - eine Verbesserung der Möglichkeiten für Investitionen, und zwar sehr deutlich, und drittens damit, daß wir erstmals überhaupt in Deutschland nicht nur die Lohnnebenkosten festhalten, sondern beginnen, sie zu senken - auch mehr Chancen für neue Arbeitsplätze. Mehr kann man dann mit einer öffentlichen Finanzpolitik an Chancen für neue Arbeit und für Konjunkturbelebung nicht schaffen.
DLF: Nun hat Ihr Parteifreund, der saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt ja gesagt, die 30 Milliarden Einsparprogramm dürften kein Tabu sein. Sind Sie sicher, daß es bei den 30 Milliarden bleiben muß?
Eichel: Ja, an dem Punkt kann ich Reinhard Klimmt nicht folgen. Natürlich muß nicht alles, was darin steht, genau so umgesetzt werden. Aber wer etwas herausbrechen will, muß dann auch sagen, was er an dessen Stelle setzt. Die 30 Milliarden - an denen ist nicht zu wackeln. Da ist eine ganz klare Linie da. Denn das ist die Finanzpolitik der vergangenen Jahrzehnte immer gewesen, das heißt, am Schluß eine Politik der Gefälligkeit mit immer höherer Staatsverschuldung. Und das ist so ungefähr das Unsozialste, was man sich überhaupt vorstellen kann, denn das bedeutet, daß wir unseren Kindern einen Riesenstein in den Rucksack packen, und den müssen sie dann schleppen. Sie müssen dann ein Leben lang Steuern für das bezahlen, was wir ausgegeben haben. Und das macht keinen Sinn. Deswegen ist an den 30 Milliarden nichts abzuknapsen. Aber wer im Paket etwas verschieben will, der muß verbindlich sagen, was er an dessen Stelle setzen will. Darüber kann man dann reden.
DLF: Nun weiß man ja noch gar nicht, was im einzelnen in dem Paket enthalten ist. Vieles ist doch noch im Unklaren, also kann man noch gar nicht sagen, ob man hier was rausnimmt oder dort . . .
Eichel: . . . nein, nein, da ist nichts unklar, sondern wir haben ja eine klare Liste auf den Tisch gelegt, die die 30 Milliarden nachweist. Richtig ist, daß im Gesamtpaket des Haushaltes von 478 Milliarden noch 5 Milliarden rund an globaler Minderausgabe drin sind, die werden aber im Laufe dieses Herbstes bis zum Abschluß der parlamentarischen Beratungen auch belegt - so hat es das Bundeskabinett beschlossen -, so daß jeder ganz genau sehen kann - und bis auf die 5 Milliarden schon heute -, was in dem Paket drinsteckt. Das ist auch alles publiziert worden. Daß es noch nicht alles im öffentlichen Bewußtsein ist, das mag wohl so sein.
DLF: Heißt das, daß wir noch vor Überraschungen nicht gefeit sind?
Eichel: Doch, Sie sind vor Überraschungen gefeit, wenn Sie all das, was wir publiziert haben, auch zur Kenntnis nehmen. Die Lobbyisten haben sich auch alle gemeldet.
DLF: Herr Eichel, es gibt einen Streit zwischen Ihnen und dem Bundes-verteidigungsminister über die Finanzierung von Rüstungsbeschaffung. Der Bundeskanzler hat sich in dieser Frage auf Ihre Seite gestellt, aber Herr Scharping pocht weiter auf Finanzierung aus dem Gesamthaushalt.
Eichel: Das kann ich so noch nicht ganz erkennen. Klar ist, daß wir von der alten Bundesregierung eine Fülle von Märchenbüchern übernommen haben. Zu den Märchenbüchern gehört zum Beispiel der Bundesverkehrswegeplan. Da stehen eine Fülle von Projekten drin, für die überhaupt keine finanzielle Vorsorge getroffen worden ist. Es ist sogar schlimmer: Durch private Vorfinanzierung sind Projekte schon begonnen worden, für die es im Haushalt überhaupt noch keine Ansätze gab, und die müssen jetzt - private Vorfinanzierung ist nur Vorfinanzierung - aus dem Haushalt bedient werden, so daß der Verkehrsminister in der nächsten Zeit - nicht im Haushalt 2000 - große Probleme bekommen wird und er eine eigene Kommission einsetzt, die sich mit der Finanzierung der Infrastruktur beschäftigt. Der Verteidigungsminister hat sicher das Problem, daß es Vorstellungen von neuen Beschaffungsprojekten gibt, die auch im Haushalt noch nicht ihren Niederschlag gefunden haben. Aber ich sehe nicht, wie das zu Haushaltsausweitungen führen kann oder zu Einsparungen bei anderen Ressorts. Aber über diese Frage muß man in Ruhe reden. Der Verteidigungsminister hat dazu seine Anmerkungen gemacht und ich habe gesagt: Ja, wir müssen diese Beschaffungsprojekte in einer eigenen Vorlage - jeweils mit Nachweis der Finanzierung - im Kabinett beschließen . . .
DLF: . . . um wieviel Milliarden geht es da? . . .
Eichel: . . . darüber habe ich noch keine Übersicht, da liegt aus dem Verteidigungs-ministerium uns gegenüber noch nichts vor, aber da kann man eine Ausweitung insgesamt ganz gewiß nicht machen.
DLF: Streitig ist ja offensichtlich auch die Frage der Steuerentlastung für Unternehmen. Die Opposition sagt, Steuerentlastungsgesetz und Unternehmens-steuerreform würden letztlich nicht zu einer Entlastung, sondern zu einer Belastung - einer Mehrbelastung - der Unternehmen von deutlich über 30 Milliarden für die Jahre 1999 bis 2002 führen. Welche Rechnung machen Sie auf, um die Unternehmer zu beruhigen?
Eichel: Nein, das ist ja alles im Moment Kaffeesatzleserei und auch ganz bewußte Stimmungsmache. Richtig ist, daß es einen kurzfristigen Belastungseffekt aus dem Steuerentlastungsgesetz für große Unternehmen gibt, und zwar insbesondere in der Energieversorgungswirtschaft und auch etwas in der Versicherungsbranche - dort konzentriert es sich -, während umgekehrt aus dem Steuerentlastungsgesetz es große Entlastungen für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen, für Familien und für den Mittelstand gibt. Das gilt alles mittelfristig. Dann bauen sich aber auch die Belastungen, die für die großen Unternehmen dort entstehen, wieder ab, denn das sind Einmalbelastungen. Was die Unternehmenssteuerreform betrifft, so sind wir ja erst am Anfang. Wir haben die Eckpunkte festgelegt und nun kommen die Planspiele, damit man erkennen kann, wie dieses Unternehmenssteuerrecht sich im einzelnen auswirkt und insbesondere, wie es auf die Personengesellschaften übertragen werden kann. Bei den Körperschaften ist das vergleichsweise einfach. Und dann wird man sehen, daß wir zu einer echten Nettoentlastung aus der Unternehmenssteuerreform kommen und - damit die Einnahmeausfälle nicht viel größer werden als die benannten 8 Milliarden Mark im Entstehungsjahr - daß man auch dort natürlich die Bemessungsgrundlage verbreitern muß, daß man die Abschreibungen heran muß. Das war nie ein Streit, das ist in der Kommission, in der ja auch alle Wirtschaftsverbände gesessen haben, auch so empfohlen worden. Und dann werden Sie eine ganz merkwürdige Erfahrung machen, die man im einzelnen sich gemeinsam ansehen kann: Daß Sie am Anfang eher größere Einnahmeausfälle beim Staat haben, also größere Entlastung der Wirtschaft, daß sie dann kleiner wird und daß sie am Schluß wieder größer wird. Also, das hängt mit der Mechanik der Abschreibungen und ihren Auswirkungen zusammen. Das alles sind wir bereit, in aller Offenheit mit den Organisationen der Wirtschaft zu diskutieren. Da ist sowieso nichts geheimzuhalten. Nur, da wir erst am Anfang der Arbeiten stehen und unsere Eckpunkte über die Entlastung festgelegt sind, braucht man sich darüber gar nicht sonderlich aufzuregen, sondern man soll sich dann gemeinsam an die Arbeit machen.
DLF: Wie hoch ist denn das Bruttoentlastungsvolumen und welche Gegenfinanzie-rungsmaßnahmen haben Sie vorgesehen?
Eichel: Das kann deswegen im einzelnen jetzt nicht gesagt werden, weil je nachdem, welches Modell von den drei Modellen, die die Kommission vorgeschlagen hat, man für die Personengesellschaften wählt, die Einnahmeausfälle größer oder kleiner - zwischen etwa 20 und gut 30 Milliarden sein werden -, danach richtet sich dann auch, was man an Finanzierungsmaßnahmen einsetzen muß, damit man weder unter noch über die 8 Milliarden Nettoentlastung kommt, die wir als Eckpunkt festgeschrieben haben.
DLF: Nun drängen ja die Unternehmer darauf, daß die Unternehmenssteuerreform nicht erst im Jahre 2001, sondern schon zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft tritt. In der Koalitionsvereinbarung war dieses Ziel mit der Einschränkung ‚möglichst' anvisiert worden. Warum ist das nicht gelungen?
Eichel: Also, die Unternehmen wissen das auch. Das konnte überhaupt nicht gelingen, weil es eine so komplizierte Materie ist, daß man überhaupt keine Chance hat, das in dieser Zeit in Gang zu setzen. Wir brauchen jetzt - das hängt mit der komplizierten deutschen Unternehmenslandschaft zusammen, anders als andere Länder haben wir nämlich 85 Prozent Personengesellschaften und nicht nur Kapitalgesellschaften, wie das sonst im Ausland der Fall ist - wir brauchen jetzt diese Zeit, um herauszufinden, wie wir diese Steuerentlastung auf die Personengesellschaften übertragen. Planspiele in diesem Herbst - dann beginnt das Gesetzgebungsverfahren, und dann ist es ehrgeizig aber zu schaffen, daß wir es zum 1.1.2001 in Gang setzen. Denn eines darf man nun gar nicht machen - und schon gar nicht beim Unternehmenssteuerrecht: Hinterher sich wundern, was man da beschlossen hat, und dann große Veränderungen nachträglich machen müssen. Und das sehen die Unternehmen nicht anders. Mir haben so viele Unternehmenschefs inzwischen gesagt: ‚Wichtig ist, daß wir wissen, wo die Reise hingeht. Der Tag, an dem es in Gang gesetzt wird, ist nicht das wichtigste'. Und alle sagen: ‚Gut, daß Ihr die Körperschaftssteuer so senkt; gut, daß Ihr das auf die Personengesellschaften übertragen wollt - und dann macht es sorgfältig, macht es unverzüglich!' Beides gilt, und deswegen wird es der 1.1.2001.
DLF: Ein weiteres umstrittenes Thema, Herr Eichel, auch in den eigenen Reihen - ich habe den Namen Reinhard Klimmt schon erwähnt - ist die zweijährige Aussetzung der Rentenanpassung entsprechend der Nettolohnentwicklung. Abgesehen davon, ob dies letztlich auch durchsetzbar sein wird: In welchem Zusammenhang steht diese Maßnahme eigentlich mit dem Haushaltssparprogramm?
Eichel: Zunächst in überhaupt keinem. Wir haben bei der Rente - und das hat Walter Riester ja sehr deutlich vorgetragen - natürlich auf die Dauer, weil unsere Gesellschaft immer älter wird, weil die Zahl der Beschäftigten im Verhältnis zur Zahl der Rentenempfänger immer kleiner wird, ein großes Problem, die Rente zu finanzieren. Ich habe mir das gerade in den europäischen Nachbarländern angesehen, die in einem Punkte alle durchweg besser sind als wir: Dort zahlen alle - ob das in den Niederlanden ist, in der Schweiz oder in Dänemark - über Beiträge oder über Steuern in die Rente ein . . .
DLF: . . . also auch Selbständige und Beamte . . .
Eichel: . . . alle zahlen dort ein, deswegen ist die Basis breiter, und deswegen ist das System solider und stabiler. Es bekommen dann alle auch eine Mindestrente, die deutlich oberhalb der Sozialhilfe liegt, heraus. Das ist in Deutschland leider nicht der Fall. Da sind wir dabei, das zu reparieren - Thema 630-Mark-Verhältnisse, also keine versicherungsfreien Arbeitsplätze mehr. Das gibt es auch nirgendwo in den Nachbarländern . . .
DLF: . . . die aber als ‚Flop' gilt und Arbeitsplätze abgebaut werden . . .
Eichel: . . . nein, das ist ja ganz falsch. Sondern das Problem - das nur ein deutsches ist - ist, daß wir die notwendige Flexibilisierung am Arbeitsmarkt in Deutschland verbunden haben mit einem Zerbröseln der Sozialsysteme. Und das ist das Schlimmste, was Sie machen können. Da wir die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt brauchen und da die Erwerbsbiographie der Menschen sich in Zukunft sehr verändern wird - nicht mehr ein Arbeitgeber ein Leben lang und ein Beschäftigungsverhältnis -, können Sie das den Menschen nur zumuten, sie können das nur aushalten, wenn Sie darunter ein soziales Fundament - insbesondere auch ein Fundament der Sozialversicherungssysteme - legen, das stabil ist. Und das ist in Deutschland nicht der Fall. Und genau das schafft Walter Riester mit der Rentenreform. Und dann müssen Sie auf die Veränderung der Zusammensetzung der Bevölkerung reagieren. Und Walter Riester hat ja ein Konzept vorgelegt, das auch die Beiträge gleichmäßig verteilt. Das heißt: Für die jetzige Rentnergeneration zwei Jahre lang Inflationsausgleich - das ist übrigens mehr, als in den letzten fünf Jahren unter der Regierung von CDU/CSU und FDP die Rentner bekommen haben. Dort sind sie unterhalb des Inflationsausgleichs geblieben. Deswegen kann ich Kritik von der Seite nun sowieso nicht akzeptieren. Zweitens: Wir alle tragen zur Stabilität des Systems bei über die Ökosteuer, das heißt langfristige mäßige Erhöhung der Energiesteuern. Und das führen wir der Rentenversicherung zur Stabilisierung und Absenkung der Beiträge zu - übrigens auch ein Thema, das fast in ganz Europa so gesehen wird. Und drittens: Die künftigen Rentner müssen heute - das ist das neue Element in Walter Riesters Konzept - eine Zusatzrente dadurch sich erwerben, daß sie einen Kapitalstock aufbauen, weil auf diese Weise die Leistungen nachher besser stabilisiert werden - ein in sich sehr schlüssiges Konzept. Und ich sehe nicht, daß man ernsthaft daran herumbasteln kann. Wir haben ja den demokrafischen Faktor ausgesetzt. Wäre der noch in Kraft, wäre schon die Rentenanpassung dieses Jahres niedriger ausgefallen, als sie tatsächlich ausgefallen ist, nämlich um einen halben Prozentpunkt niedriger. Auch das muß man alles in die Überlegungen einbeziehen.
DLF: Aber das Konzept liegt ja jetzt eigentlich noch gar nicht vor. Es ist ja erst mal nur die Rentenanpassung vorgesehen entsprechend der Inflationsrate. Und das Konzept soll doch erst im Herbst vorgelegt werden. Wird es denn dann auch so aussehen, wie Sie schon angedeutet haben - vorhin aufgrund Ihrer Erfahrungen bei Ihren Auslandsbesuchen, daß Sie mit Walter Riester ein Konzept erarbeiten und das im Herbst dann vorgelegt wird?
Eichel: Nein, die Eckpunkte sind ja schon da. Aber Sie haben recht: Das muß inhaltlich weiter ausgefüllt, das muß weiter präzisiert werden . . .
DLF: . . . das kommt später? . . .
Eichel: . . . ja, was heißt, es kommt später. Nein, es war immer für dieses Jahr vorgesehen. Sehen Sie, diese Regierung ist jetzt noch nicht einmal ein dreiviertel Jahr im Amt. Und sie hat sich - und das muß auch so sein - für das neue Rentenkonzept zwei Jahre Zeit genommen, denn das ist eine große Aufgabe. Und dafür ist Walter Riester bereits bemerkenswert weit mit seinen Durchrechnungen und Vorstellungen. Das wird jetzt weiter präzisiert. Und das ist ein Konzept, das auch langfristig den Rentnern mehr Rente bringt, als es das Konzept der Vorgängerregierung, das wir ausgesetzt haben, gebracht hätte, das auch sehr wichtig ist, Rentnern künftig immer den Gang zum Sozialamt erspart, wenn sie eine Minirente haben. Das wird es künftig nicht mehr geben. Das meint soziale Grundsicherung, das meint auch eigenständige Alterssicherung der Frauen, das meint eine bessere Erwerbsunfähigkeitsrente, als es das Konzept der Vorgängerregierung vorgesehen hatte, und langfristig stabile Beiträge und langfristig ein stabiles Leistungsniveau. Das ist eine gewaltige Aufgabe, und zu der gehört - das ist wahr - übrigens nicht nur bei den Rentnern, so auch bei den Pensionären, auch bei den Beamten, auch bei allen, die Transfereinkommen bekommen, also Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe, daß wir zwei Jahre auf dem Stand bleiben, den wir heute erreicht haben. Inflationsausgleich meint ja, tatsächlich auf dem Stand zu bleiben, und dann kann es wieder weitergehen. Das gilt nicht nur für die Rentner. Sonst kommen wir aus der ganz massiven Staatsverschuldung nicht heraus, und sonst bekommen wir auch kein auf Dauer sicheres und bezahlbares Rentensystem.
DLF: Das müssen Sie vielleicht noch mal erklären, warum man aus der Staatsverschuldung nicht herauskommt. Sie haben vorhin selber gesagt: In unmittelbarem Zusammenhang mit dem Haushalt steht das nicht. Aber warum hängt das dann doch damit zusammen?
Eichel: Nein, diese Sache steht nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Haushalt, sondern sie steht für sich, um ein bezahlbares sicheres Rentensystem auf Dauer zu haben. Anderenfalls allerdings müssen Sie die Zuschüsse, die Sie aus dem Haushalt leisten, ständig weiter erhöhen. Wir haben heute bereits eine Situation, daß wir 120 Milliarden Mark aus dem Haushalt der Rentenversicherung zuweisen. Ich habe gerade in der Schweiz erlebt, daß sie, um das Rentenniveau halten zu können, diskutieren, daß sie dann bis 2010 sieben Punkte Mehrwertsteuererhöhung machen müßten und nur der Rente zuführen. Daran sehen Sie, was wir da an schwierigen Entwicklungen vor uns haben. Umso höher ist es einzuschätzen, daß Walter Riester bereits ein schlüssiges Konzept vorliegen hat. Und noch mehr aus dem Haushalt - etwas mehr wird es schon ständig über die Ökosteuer - wird auch nicht finanzierbar sein. Und wir haben das deutsche Sonderproblem, daß wir eine hohe Staatsverschuldung beim Bund haben, die erst abgebaut werden muß, wenn bereits jede vierte Mark an Steuern, die wir einnehmen, für die Zinsen sofort wieder ausgegeben werden muß, das heißt, daß es dafür gar keine Leistungen für die Bürgerinnen und Bürger gibt - dann sehen Sie, wo unser Problem liegt und warum wir nicht dauernd noch mehr Leistungen aus dem Bundeshaushalt erbringen können.
DLF: Herr Eichel, mir fällt auf, daß die von Ihnen erwähnte Ökosteuer, daß die Mehreinnahmen daraus in Zukunft höher sein werden, als der Zuschuß des Bundes zu den Renten.
Eichel: Das ist falsch. Das hat mit dem Bundeszuschuß überhaupt nichts zu tun. Alle Erhöhungen, die aus der Ökosteuer kommen, werden ausschließlich der Rentenversicherung zugewiesen, mindern auch nicht den Bundeszuschuß - ganz falsch -, sondern sie werden eingesetzt zur Beitragsminderung. Im Gegenteil: Wir haben aus der ersten Stufe der Öko-Steuerreform eine Unterfinanzierung für die Rentenversicherung und haben deswegen den Zuschuß aus dem Bundeshaushalt an die Rentenversicherung noch ein Stück erhöht. Das ist der wirkliche Sachverhalt, hat damit überhaupt nichts zu tun. Es ist eine der vielen bewußten Fehlinformationen.
DLF: Bleiben wir noch bei der Ökosteuer. Die Bundesregierung wollte ja darauf hinwirken, daß die europäische Harmonisierung der Energiebesteuerung beginnt, was nicht gelungen ist. Außerdem wollten Sie bei der konkreten Ausgestaltung der weiteren Schritte der Öko-Steuerreform die konjunkturelle Lage und die Preisentwicklung auf den Energiemärkten berücksichtigen - so im Koalitionsvertrag. Paßt unter diesem Gesichtspunkten die Ökosteuer überhaupt in die Landschaft?
Eichel: Na, nun warten Sie Europa mal ab. In Europa haben wir jetzt die Situation, daß 13 der 15 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union dieses Konzept wollen und zwei dagegenstehen, nämlich Spanien und Irland. Und da wollen wir mal sehen, ob es nicht doch im Herbst im Gesamtsteuerpaket gelingt, zu einer Einigung zu kommen. Wenn nicht, werden allerdings eine Fülle europäischer Staaten denselben Weg parallel mit uns gehen. Die meisten Nachbarländer wollen das, und weil zwei das nicht einsehen, wird man eine Entwicklung in Europa nicht bremsen können. Zweite Bemerkung: An den Energiemärkten fallen die Preise dank der Liberalisierung. Und deswegen, wenn man es mäßig macht - wie es andere Länder übrigens auch tun, es ist ja nicht so, daß wir einen Alleingang machen, die Deutschen -, und im gestreckten Wege, dann kann man das tun. Es sind, was die Mineralölsteuer betrifft, ja eine Reihe Länder mit höheren Steuern, und damit auch mit höheren Benzinpreisen, in Europa, als wir Deutschen das sind.
DLF: Herr Eichel, im Koalitionsvertrag steht auch drin, daß die Bundesregierung die Finanzkraft der Gemeinden stärken will. Diese sehen aber im Zukunftsprogramm genau das Gegenteil - die Gemeinden -, nämlich Mehrbelastungen im Milliardenhöhe. Am kommenden Donnerstag ist nun dazu ein Gespräch der kommunalen Spitzenverbände mit dem Bundeskanzler und Ihnen vorgesehen. Glauben Sie, daß Sie die Städte und Gemeinden von Ihrem Programm überzeugen können?
Eichel: Zunächst einmal: Es ist keine Mehrbelastung, sondern es ist auf die Vierjahresfrist für Länder und Gemeinden eine sehr deutliche Entlastung. Wo wir noch ein durchaus beachtliches technisches Problem haben, ist, daß unter Umständen eher Mehrbelastungen bei den Kommunen und stärkere Entlastung bei den Ländern sind. Das muß man dann technisch umsetzen, darüber muß man reden. Aber es gibt aus dem Gesamtpaket keine Mehrbelastung, sondern auch eine Entlastung. Zweitens muß ich aber darauf hinweisen, daß keine Staatsebene so schlecht finanziert ist, wie der Bund. Sie sehen das ganz einfach daran, daß die Bundesschuld drei mal so hoch ist wie der Bundeshaushalt. Und es gibt kein Land in Deutschland - mit Ausnahme von Bremen -, das eine ähnlich schlechte Haushaltssituation hat wie der Bund. Und bei den Kommunen - im Durchschnitt gesehen - ist die Finanzlage sehr gut. Das verdeckt nicht - jedenfalls wenn man genau hinsieht -, daß es eine Reihe insbesondere von Städten gibt, die sehr große Probleme haben. Das müßte aber eigentlich in den Ländern ausgeglichen werden über die kommunalen Finanzausgleiche. Das geschieht nicht zureichend. Aber ich muß darauf bestehen, daß die enorm schlechte Finanzlage des Bundes endlich endet. Und auch das müssen Länder und Kommunen begreifen. Ein Bund, der nicht mehr handlungsfähig ist, ist auch eine Katastrophe für die Länder und Gemeinden.
DLF: Bleibt es dabei, daß es keine Steuererhöhungen geben wird, obwohl der SPD-Parteirat ja gesagt hat, daß man über eine Vermögensbesteuerung nachdenken wollte?
Eichel: Also das sind keine Themen, die den Bundeshaushalt betreffen, denn diese Steuern stehen den Ländern zu. Es bleibt dabei: Der Bundeshaushalt wird konsolidiert ohne Steuererhöhungen.
DLF: Noch eine Frage zur mittelfristigen Finanzplanung, Herr Eichel. Ich kann mich nicht erinnern, daß jemals eine mittelfristige Finanzplanung eingehalten worden ist. Nun haben Sie gesagt, daß die Defizitquote im nächsten Jahr weiter runter geht und im Jahr darauf noch weiter - früher, als ursprünglich in der mittelfristigen Finanzplanung gedacht. Glauben Sie, daß Ihnen zum ersten Mal der Beweis gelingt, daß eine mittelfristige Finanzplanung eingehalten wird?
Eichel: Es gibt zwei Voraussetzungen. Die eine haben wir selber in der Hand, daß wir nämlich konsequent am Konsolidierungsprozeß festhalten und nicht selber zwischendurch schlappmachen. Und dazu bin ich allerdings eisern entschlossen. Das heißt: Ausgabendisziplin muß in jedem Falle gehalten werden, und wir haben - da sind wir sehr weit - mit unserem Konsolidierungsprogramm ja nicht nur bis auf fünf Milliarden, die noch Minderausgaben global sind, aber diesen Herbst belegt werden, schon für nächstes Jahr das 30-Milliarden-Paket geschnürt, sondern wir haben auch mit einem ziemlich geringen Anteil von globalen Minderausgaben die Pakete bis 2003 - dann sind es 150 Milliarden - geschnürt. Deswegen bin ich auf der Ausgabenseite sehr optimistisch. Die andere Frage ist: Wie wird es auf der Einnahmeseite sich entwickeln? Da sind Sie natürlich von konjunkturellen Entwicklungen abhängig. Was wir tun konnten, um der Konjunktur aufzuhelfen, haben wir getan: Erstens Steuerentlastungsgesetz mit starken Entlastungen der kleinen und mittleren Einkommen - in dieser Wahlperiode sechs Punkte beim Eingangssteuersatz, das sind 36 Milliarden Mark; mit einer deutlichen Besserstellung der Familien - das stärkt die Nachfrage; mit dem Unternehmenssteuerrecht - eine Verbesserung der Möglichkeiten für Investitionen, und zwar sehr deutlich, und drittens damit, daß wir erstmals überhaupt in Deutschland nicht nur die Lohnnebenkosten festhalten, sondern beginnen, sie zu senken - auch mehr Chancen für neue Arbeitsplätze. Mehr kann man dann mit einer öffentlichen Finanzpolitik an Chancen für neue Arbeit und für Konjunkturbelebung nicht schaffen.