Jochen Spengler: Der neue Star der Union heißt Paul Kirchhoff. In Angela Merkels Kompetenzteam ist der frühere Verfassungsrichter zuständig für Haushalt und Finanzen. Vielleicht wird er ja nach dem Wahltag Finanzminister und wenn ja, dann wären wir jetzt mit seinem Vorgänger und Gegenpart verbunden. Am Deutschlandfunk-Telefon begrüße ich Bundesfinanzminister Hans Eichel von der SPD. Einen schönen guten Tag, Herr Eichel!
Hans Eichel: Guten Tag, Herr Spengler.
Spengler: Herr Eichel, Paul Kirchhoff hat die Vision eines einfachen und gerechten Steuersystems, in dem der Arbeitnehmer für seine Steuererklärung nur noch ein Blatt und 10 Minuten braucht. Der Höchststeuersatz liegt bei 25 Prozent. Alle Steuerschlupflöcher werden geschlossen. Das klingt doch bestechend?
Eichel: Nein! Das kann nur bestechend für jemanden klingen, der sich nicht auskennt. Zum einen: Die einfache Lohnsteuererklärung, die gibt es bereits inzwischen bundesweit, eine Din-A4-Seite, Vor- und Rückseite. Damit ist alles erledigt. Die elektronische Steuererklärung, auch dafür sind die Voraussetzungen im Gesetz bereits geschaffen. Es ist jetzt Aufgabe der Länder, denn die Steuerverwaltung ist Ländersache, das umzusetzen. Also, das ist alles längst auf dem Weg.
Spengler: Darf ich kurz zwischenfragen. Sie werden aber nicht bestreiten, dass das deutsche Steuerrecht immer noch recht kompliziert ist?
Eichel: Nein. Wir reden jetzt ja erst mal von der Steuererklärung. Da ist das, was Herr Kirchhoff erklärt hat, alles bereits auf dem Wege. Und nun kommen wir zum deutschen Steuerrecht. Vereinfachung ist eine schöne Sache und ich kämpfe ja seit drei Jahren darum und die Union blockiert es. Das ist der erste Widerspruch. Das heißt genau das, was Herr Kirchhoff prinzipiell will, ist von der Union jetzt drei Jahre lang blockiert worden.
Spengler: Zum Beispiel?
Eichel: Der gesamte Abbau der Steuervergünstigungen, den ich 2002 im Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und 2003 im Haushaltsbegleitgesetz vorgeschlagen habe. Das waren Steuervergünstigungen, die mit der vollen Jahreswirkung 26 Milliarden Euro ausmachen. Der Bundesrat hat gerade 8,5 Milliarden Euro davon passieren lassen.
Spengler: Das wären dann die so genannten Steuerschlupflöcher, die geschlossen werden sollen?
Eichel: Ja. Das sind Steuervergünstigungen. Steuerschlupflöcher ist ja eigentlich nicht der richtige Begriff. Das sind Steuervergünstigungen, wo Leute den Normalsatz nicht bezahlen müssen oder auch ganz steuerfrei gestellt werden für bestimmte Produkte zum Beispiel. Genau das ist es. 25 Prozent Steuersatz für alle ist eine unglaubliche Entlastung oben und eine ebenso unglaubliche Belastung unten.
Spengler: Können wir bei dem Punkt mal bleiben. Da habe ich mich nämlich auch gefragt: Wenn die Reichen künftig tatsächlich ein Viertel ihres Einkommens, also 25 Prozent, als Steuer an den Staat abführen, ist das denn nicht gerechter als heute, wo sie formell vielleicht 40 Prozent zahlen müssten, sich aber wegen der vielen Schlupflöcher arm rechnen können?
Eichel: Das ist ja nicht wahr. Wir haben ja gerade für die Leute mit höheren Einkommen eine Fülle von Steuervergünstigungen gestrichen. Ich will Ihnen das als Beispiel sagen. Beim Finanzamt Bezirk Bad Homburg vor der Höhe, wo die meisten Millionäre in Deutschland wohnen, am Taunushang, hatten wir 1997, letztes Jahr der Kohl-Regierung, die Situation, mehr Einkommensteuer zurückzuerstatten als eingenommen wurde. Im letzten Jahr - und das ist in den letzten Jahren kontinuierlich aufgewachsen - haben wir dort 230 Millionen Euro mehr Einkommensteuer eingenommen als zurückerstattet. Mit anderen Worten genau dies ist ja passiert durch unsere Steuerpolitik, einmal in großem Stile, als wir noch die Mehrheit in beiden Kammern hatten, 1999. In dem Steuerentlastungsgesetz haben wir 70 Steuerausnahmetatbestände entweder gänzlich beseitigt oder eingeschränkt. Und ich habe es dann seit 2002 immer wieder versucht, allerdings nur mit dem geringen Erfolg gegen den mehrheitlich CDU/CSU-dominierten Bundesrat, den ich ihnen vorher geschildert habe.
Spengler: Wenn das alles durchgekommen wäre, was Sie wollten, hätten wir dann wirklich ein klares, transparentes Steuerrecht, was nicht diese zehn Tausende von Seiten hat?
Eichel: Es wäre wesentlich einfacher, denn die wesentliche Komplizierung des Steuerrechts, das sind genau diese Ausnahmetatbestände. Die Vereinfachung des Steuerrechts ist die Abschaffung der Ausnahmetatbestände. Darüber würde ich im Prinzip mit Herrn Kirchhoff nicht streiten, sondern streiten möchte ich mit ihm erstens über die riesigen Einnahmeausfälle, die sein Steuermodell bringt, und zweitens über die soziale Ungerechtigkeit, die enorme Schieflage, die sein Steuerrecht hat.
Spengler: Sie sagen 25 Prozent für alle, das ist ungerecht. Dann will ich auch fragen: Wieso ist das ungerecht, wenn einer, der sagen wir mal 2000 Euro im Monat verdient, 25 Prozent Steuern zahlt, also 500 Euro in dem Fall, und einer, der 20.000 Euro im Monat verdient, auch zwei Prozent, also 5000 Euro?
Eichel: Das ist doch klar! Der eine behält dann 1500 und der andere 15.000 übrig. Wir haben - deswegen bin ich über Ihre Frage sehr erstaunt - in Deutschland eine Kultur - nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Westeuropa -, wo Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gilt, wie es das Grundgesetz ja formuliert. Das heißt, dass man mit wachsendem Einkommen auch einen höheren Steueranteil hat und nicht etwa: das andere ist zwar noch nicht das Kopfgeld wie die Kopfpauschale der Union, aber gleicher Steuersatz für alle ist doch unglaublich ungerecht. Der mit den 2000 Euro kann auf die 500 viel weniger verzichten als der mit den 20.000 Euro auf die 5000 Euro. Das ist doch wohl klar!
Spengler: Also sind Sie nach wie vor schon für einen Stufentarif?
Eichel: Nein, ich bin nicht für einen Stufentarif. Das ist auch Unsinn. Das ist schlichte Augenwischerei und auch nicht bezahlbar. Ich bin vielmehr für einen linear-progressiven Tarif, ganz genauso wie die bayerische Staatsregierung, weil das erstens in Wahrheit auch ein einfacher Tarif ist und vor allen Dingen ist es der gerechteste Tarif, auch der Tarif, der am wenigsten zur Steuergestaltung einlädt. Eine Flattax, wie sie Kirchhoff in seinem Modell vorgeschlagen hat, das ist noch radikaler als die FDP und es ist noch radikaler in seiner Umverteilungswirkung. Wenn sie dann noch die Ausnahmen wegnehmen, also zum Beispiel die Steuerfreiheit der Schichtzuschläge wegnehmen und das trifft dann alle Schichtarbeiter in Deutschland, und gleichzeitig einen solchen Steuertarif machen, dann ist das grob ungerecht. Das haben übrigens die Finanzminister aller 16 Länder, also auch die CDU-Finanzminister, in einem gemeinsamen Bericht zu den verschiedenen Steuerreform-Modellen festgestellt und dabei festgestellt, dass das Steuerreform-Modell von Herrn Kirchhoff weder bezahlbar ist noch sozial gerecht und deswegen nicht in Betracht kommt.
Spengler: Bestreiten Sie denn seine Kompetenz?
Eichel: Nein, überhaupt nicht. Er ist hoch kompetent. Es gibt auch viele andere, die hoch kompetent sind. Es arbeiten zurzeit ja zwei Steuerreform-Kommissionen in Deutschland, in unserem Auftrag der Sachverständigenrat mit Herrn Professor Wiegard und dann selbst berufen, aber von der Union als Grundlage für ihre Steuerpolitik öffentlich angekündigt die Stiftung Marktwirtschaft. Da ist Herr Professor Lange und eine Reihe anderer. In beiden ist Herr Kirchhoff nicht dabei. Das sind auch hoch kompetente Steuerfachleute. Das ist doch nicht die Frage. Die Kompetenz ist zweifellos da, aber die gesellschaftliche Auswirkung seiner Steuerpolitik ist nicht akzeptabel und sie war bisher auch für die CDU-Länder nicht akzeptabel.
Spengler: Herr Eichel, wenn Sie persönlich Bilanz ziehen? Die Staatsverschuldung befindet sich auf einem Rekordniveau bei 1430 Milliarden Euro. Das ist etwa dreimal so viel wie der Staat pro Jahr an Steuern einnimmt. Deutschland wird viermal in Folge die Maastricht-Hürde der Neuverschuldung von drei Prozent reißen. Welche Note würden Sie sich selbst geben?
Eichel: Ich würde feststellen, dass die Vorgängerregierung in den 16 Jahren jedes Jahr im Schnitt 35 Milliarden Euro neue Schulden gemacht hat und in meiner Zeit jedes Jahr 21 Milliarden Euro im Schnitt beim Bund. Das ist auch zu viel, ganz entschieden, aber ich würde ...
Spengler: Sie wollen die Verschuldung senken?
Eichel: Ja, selbstverständlich, aber wenn sie dann einen Bundesrat haben, der nicht mitspielt, sondern sie nur die Ausgaben kürzen können, was wir massiv getan haben, was ja auch der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Bericht ausdrücklich bestätigt hat, wenn aber gleichzeitig die Steuereinnahmequote verfällt, die zweitniedrigste in Europa und weltweit eine der niedrigsten, weswegen auch der Sachverständigenrat sagt, da kann es keine weiteren Steuersenkungen geben, und der Kampf gegen diesen Verfall der Steuerquote, mit dem sie ein so hoch industrialisiertes Land wie Deutschland nicht finanzieren können, vom Bundesrat ausdrücklich hingenommen wird, um diese Bundesregierung zu Fall zu bringen, obwohl ich alle gegenteiligen Vorschläge gemacht habe, und nunmehr elf Länderhaushalte verfassungswidrig sind, dann muss ich sagen, da haben wir alle Anstrengungen gemacht und genau darum muss auch dieser Wahlkampf unter anderem geführt werden, weil mit so parteiegoistischem Verhalten wir nicht weiter vorankommen können.
Spengler: Würden Sie sagen, Sie haben gar keine Fehler gemacht?
Eichel: Nein, das sagt man nie. Wer arbeitet, macht auch Fehler.
Spengler: War es ein Fehler, den Unternehmen die Unternehmensbeteiligungen verkauft haben, für diese Verkaufsgewinne Steuerfreiheit gewährt zu haben?
Eichel: Nein, überhaupt nicht, weil wir in Wirklichkeit Steuern verloren hätten. Wer die Gewinne besteuert, muss auch die Verluste gegen sich gelten lassen.
Spengler: Aber der SPD-Vize Joachim Poß hat jetzt eingerechnet, dass - -
Eichel: Nein, das hat er nicht. Entschuldigung!
Spengler: Aber überprüfen sollte man das?
Eichel: Nein, das hat er auch nicht angeregt, sondern das bezog sich auf eine ganz andere Steuernorm und er hat gerade diese Interpretation ausdrücklich öffentlich zurückgewiesen.
Spengler: Dann ist gut, dass wir das sozusagen zurechtgerückt haben.
Eichel: Ja!
Spengler: Man sagt Ihnen Amtsmüdigkeit nach.
Eichel: Wer?
Spengler: Manche Presseorgane sagen Ihnen Amtsmüdigkeit nach.
Eichel: Was ich in Presseorganen alles lese und insbesondere bei denen mit den großen Buchstaben, das hat mit der Wahrheit über mich nun überhaupt nichts zu tun.
Spengler: Dann wollen wir das auch jetzt zurechtrücken. Wenn Sie könnten, würden Sie nach der Wahl weiter Finanzminister sein wollen?
Eichel: Die Aufgabe macht mir außerordentlich viel Spaß. Das heißt ja nicht, dass man immer jeden Tag freudig erregt sozusagen an den Schreibtisch kommt. Es ist aber eine Aufgabe mit einer enormen Gestaltungsmöglichkeit und vor allen Dingen bin ich einer Sache sicher, dass das, was ich jetzt drei Jahre lang versucht habe, die Steuervergünstigungen abzubauen, die Steuerquote wieder hoch zu bringen, dass genau das nach der Bundestagswahl passieren wird, weil die Blockade des Bundesrates in jedem Fall aufhört, weil die Länder nicht mehr können. Das würde ich dann gerne schon selber erleben und nicht den Erfolg nach drei Jahren Kampf einem anderen überlassen.
Hans Eichel: Guten Tag, Herr Spengler.
Spengler: Herr Eichel, Paul Kirchhoff hat die Vision eines einfachen und gerechten Steuersystems, in dem der Arbeitnehmer für seine Steuererklärung nur noch ein Blatt und 10 Minuten braucht. Der Höchststeuersatz liegt bei 25 Prozent. Alle Steuerschlupflöcher werden geschlossen. Das klingt doch bestechend?
Eichel: Nein! Das kann nur bestechend für jemanden klingen, der sich nicht auskennt. Zum einen: Die einfache Lohnsteuererklärung, die gibt es bereits inzwischen bundesweit, eine Din-A4-Seite, Vor- und Rückseite. Damit ist alles erledigt. Die elektronische Steuererklärung, auch dafür sind die Voraussetzungen im Gesetz bereits geschaffen. Es ist jetzt Aufgabe der Länder, denn die Steuerverwaltung ist Ländersache, das umzusetzen. Also, das ist alles längst auf dem Weg.
Spengler: Darf ich kurz zwischenfragen. Sie werden aber nicht bestreiten, dass das deutsche Steuerrecht immer noch recht kompliziert ist?
Eichel: Nein. Wir reden jetzt ja erst mal von der Steuererklärung. Da ist das, was Herr Kirchhoff erklärt hat, alles bereits auf dem Wege. Und nun kommen wir zum deutschen Steuerrecht. Vereinfachung ist eine schöne Sache und ich kämpfe ja seit drei Jahren darum und die Union blockiert es. Das ist der erste Widerspruch. Das heißt genau das, was Herr Kirchhoff prinzipiell will, ist von der Union jetzt drei Jahre lang blockiert worden.
Spengler: Zum Beispiel?
Eichel: Der gesamte Abbau der Steuervergünstigungen, den ich 2002 im Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen und 2003 im Haushaltsbegleitgesetz vorgeschlagen habe. Das waren Steuervergünstigungen, die mit der vollen Jahreswirkung 26 Milliarden Euro ausmachen. Der Bundesrat hat gerade 8,5 Milliarden Euro davon passieren lassen.
Spengler: Das wären dann die so genannten Steuerschlupflöcher, die geschlossen werden sollen?
Eichel: Ja. Das sind Steuervergünstigungen. Steuerschlupflöcher ist ja eigentlich nicht der richtige Begriff. Das sind Steuervergünstigungen, wo Leute den Normalsatz nicht bezahlen müssen oder auch ganz steuerfrei gestellt werden für bestimmte Produkte zum Beispiel. Genau das ist es. 25 Prozent Steuersatz für alle ist eine unglaubliche Entlastung oben und eine ebenso unglaubliche Belastung unten.
Spengler: Können wir bei dem Punkt mal bleiben. Da habe ich mich nämlich auch gefragt: Wenn die Reichen künftig tatsächlich ein Viertel ihres Einkommens, also 25 Prozent, als Steuer an den Staat abführen, ist das denn nicht gerechter als heute, wo sie formell vielleicht 40 Prozent zahlen müssten, sich aber wegen der vielen Schlupflöcher arm rechnen können?
Eichel: Das ist ja nicht wahr. Wir haben ja gerade für die Leute mit höheren Einkommen eine Fülle von Steuervergünstigungen gestrichen. Ich will Ihnen das als Beispiel sagen. Beim Finanzamt Bezirk Bad Homburg vor der Höhe, wo die meisten Millionäre in Deutschland wohnen, am Taunushang, hatten wir 1997, letztes Jahr der Kohl-Regierung, die Situation, mehr Einkommensteuer zurückzuerstatten als eingenommen wurde. Im letzten Jahr - und das ist in den letzten Jahren kontinuierlich aufgewachsen - haben wir dort 230 Millionen Euro mehr Einkommensteuer eingenommen als zurückerstattet. Mit anderen Worten genau dies ist ja passiert durch unsere Steuerpolitik, einmal in großem Stile, als wir noch die Mehrheit in beiden Kammern hatten, 1999. In dem Steuerentlastungsgesetz haben wir 70 Steuerausnahmetatbestände entweder gänzlich beseitigt oder eingeschränkt. Und ich habe es dann seit 2002 immer wieder versucht, allerdings nur mit dem geringen Erfolg gegen den mehrheitlich CDU/CSU-dominierten Bundesrat, den ich ihnen vorher geschildert habe.
Spengler: Wenn das alles durchgekommen wäre, was Sie wollten, hätten wir dann wirklich ein klares, transparentes Steuerrecht, was nicht diese zehn Tausende von Seiten hat?
Eichel: Es wäre wesentlich einfacher, denn die wesentliche Komplizierung des Steuerrechts, das sind genau diese Ausnahmetatbestände. Die Vereinfachung des Steuerrechts ist die Abschaffung der Ausnahmetatbestände. Darüber würde ich im Prinzip mit Herrn Kirchhoff nicht streiten, sondern streiten möchte ich mit ihm erstens über die riesigen Einnahmeausfälle, die sein Steuermodell bringt, und zweitens über die soziale Ungerechtigkeit, die enorme Schieflage, die sein Steuerrecht hat.
Spengler: Sie sagen 25 Prozent für alle, das ist ungerecht. Dann will ich auch fragen: Wieso ist das ungerecht, wenn einer, der sagen wir mal 2000 Euro im Monat verdient, 25 Prozent Steuern zahlt, also 500 Euro in dem Fall, und einer, der 20.000 Euro im Monat verdient, auch zwei Prozent, also 5000 Euro?
Eichel: Das ist doch klar! Der eine behält dann 1500 und der andere 15.000 übrig. Wir haben - deswegen bin ich über Ihre Frage sehr erstaunt - in Deutschland eine Kultur - nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Westeuropa -, wo Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit gilt, wie es das Grundgesetz ja formuliert. Das heißt, dass man mit wachsendem Einkommen auch einen höheren Steueranteil hat und nicht etwa: das andere ist zwar noch nicht das Kopfgeld wie die Kopfpauschale der Union, aber gleicher Steuersatz für alle ist doch unglaublich ungerecht. Der mit den 2000 Euro kann auf die 500 viel weniger verzichten als der mit den 20.000 Euro auf die 5000 Euro. Das ist doch wohl klar!
Spengler: Also sind Sie nach wie vor schon für einen Stufentarif?
Eichel: Nein, ich bin nicht für einen Stufentarif. Das ist auch Unsinn. Das ist schlichte Augenwischerei und auch nicht bezahlbar. Ich bin vielmehr für einen linear-progressiven Tarif, ganz genauso wie die bayerische Staatsregierung, weil das erstens in Wahrheit auch ein einfacher Tarif ist und vor allen Dingen ist es der gerechteste Tarif, auch der Tarif, der am wenigsten zur Steuergestaltung einlädt. Eine Flattax, wie sie Kirchhoff in seinem Modell vorgeschlagen hat, das ist noch radikaler als die FDP und es ist noch radikaler in seiner Umverteilungswirkung. Wenn sie dann noch die Ausnahmen wegnehmen, also zum Beispiel die Steuerfreiheit der Schichtzuschläge wegnehmen und das trifft dann alle Schichtarbeiter in Deutschland, und gleichzeitig einen solchen Steuertarif machen, dann ist das grob ungerecht. Das haben übrigens die Finanzminister aller 16 Länder, also auch die CDU-Finanzminister, in einem gemeinsamen Bericht zu den verschiedenen Steuerreform-Modellen festgestellt und dabei festgestellt, dass das Steuerreform-Modell von Herrn Kirchhoff weder bezahlbar ist noch sozial gerecht und deswegen nicht in Betracht kommt.
Spengler: Bestreiten Sie denn seine Kompetenz?
Eichel: Nein, überhaupt nicht. Er ist hoch kompetent. Es gibt auch viele andere, die hoch kompetent sind. Es arbeiten zurzeit ja zwei Steuerreform-Kommissionen in Deutschland, in unserem Auftrag der Sachverständigenrat mit Herrn Professor Wiegard und dann selbst berufen, aber von der Union als Grundlage für ihre Steuerpolitik öffentlich angekündigt die Stiftung Marktwirtschaft. Da ist Herr Professor Lange und eine Reihe anderer. In beiden ist Herr Kirchhoff nicht dabei. Das sind auch hoch kompetente Steuerfachleute. Das ist doch nicht die Frage. Die Kompetenz ist zweifellos da, aber die gesellschaftliche Auswirkung seiner Steuerpolitik ist nicht akzeptabel und sie war bisher auch für die CDU-Länder nicht akzeptabel.
Spengler: Herr Eichel, wenn Sie persönlich Bilanz ziehen? Die Staatsverschuldung befindet sich auf einem Rekordniveau bei 1430 Milliarden Euro. Das ist etwa dreimal so viel wie der Staat pro Jahr an Steuern einnimmt. Deutschland wird viermal in Folge die Maastricht-Hürde der Neuverschuldung von drei Prozent reißen. Welche Note würden Sie sich selbst geben?
Eichel: Ich würde feststellen, dass die Vorgängerregierung in den 16 Jahren jedes Jahr im Schnitt 35 Milliarden Euro neue Schulden gemacht hat und in meiner Zeit jedes Jahr 21 Milliarden Euro im Schnitt beim Bund. Das ist auch zu viel, ganz entschieden, aber ich würde ...
Spengler: Sie wollen die Verschuldung senken?
Eichel: Ja, selbstverständlich, aber wenn sie dann einen Bundesrat haben, der nicht mitspielt, sondern sie nur die Ausgaben kürzen können, was wir massiv getan haben, was ja auch der Sachverständigenrat in seinem jüngsten Bericht ausdrücklich bestätigt hat, wenn aber gleichzeitig die Steuereinnahmequote verfällt, die zweitniedrigste in Europa und weltweit eine der niedrigsten, weswegen auch der Sachverständigenrat sagt, da kann es keine weiteren Steuersenkungen geben, und der Kampf gegen diesen Verfall der Steuerquote, mit dem sie ein so hoch industrialisiertes Land wie Deutschland nicht finanzieren können, vom Bundesrat ausdrücklich hingenommen wird, um diese Bundesregierung zu Fall zu bringen, obwohl ich alle gegenteiligen Vorschläge gemacht habe, und nunmehr elf Länderhaushalte verfassungswidrig sind, dann muss ich sagen, da haben wir alle Anstrengungen gemacht und genau darum muss auch dieser Wahlkampf unter anderem geführt werden, weil mit so parteiegoistischem Verhalten wir nicht weiter vorankommen können.
Spengler: Würden Sie sagen, Sie haben gar keine Fehler gemacht?
Eichel: Nein, das sagt man nie. Wer arbeitet, macht auch Fehler.
Spengler: War es ein Fehler, den Unternehmen die Unternehmensbeteiligungen verkauft haben, für diese Verkaufsgewinne Steuerfreiheit gewährt zu haben?
Eichel: Nein, überhaupt nicht, weil wir in Wirklichkeit Steuern verloren hätten. Wer die Gewinne besteuert, muss auch die Verluste gegen sich gelten lassen.
Spengler: Aber der SPD-Vize Joachim Poß hat jetzt eingerechnet, dass - -
Eichel: Nein, das hat er nicht. Entschuldigung!
Spengler: Aber überprüfen sollte man das?
Eichel: Nein, das hat er auch nicht angeregt, sondern das bezog sich auf eine ganz andere Steuernorm und er hat gerade diese Interpretation ausdrücklich öffentlich zurückgewiesen.
Spengler: Dann ist gut, dass wir das sozusagen zurechtgerückt haben.
Eichel: Ja!
Spengler: Man sagt Ihnen Amtsmüdigkeit nach.
Eichel: Wer?
Spengler: Manche Presseorgane sagen Ihnen Amtsmüdigkeit nach.
Eichel: Was ich in Presseorganen alles lese und insbesondere bei denen mit den großen Buchstaben, das hat mit der Wahrheit über mich nun überhaupt nichts zu tun.
Spengler: Dann wollen wir das auch jetzt zurechtrücken. Wenn Sie könnten, würden Sie nach der Wahl weiter Finanzminister sein wollen?
Eichel: Die Aufgabe macht mir außerordentlich viel Spaß. Das heißt ja nicht, dass man immer jeden Tag freudig erregt sozusagen an den Schreibtisch kommt. Es ist aber eine Aufgabe mit einer enormen Gestaltungsmöglichkeit und vor allen Dingen bin ich einer Sache sicher, dass das, was ich jetzt drei Jahre lang versucht habe, die Steuervergünstigungen abzubauen, die Steuerquote wieder hoch zu bringen, dass genau das nach der Bundestagswahl passieren wird, weil die Blockade des Bundesrates in jedem Fall aufhört, weil die Länder nicht mehr können. Das würde ich dann gerne schon selber erleben und nicht den Erfolg nach drei Jahren Kampf einem anderen überlassen.