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Eigenblut-Doping in der Festival-Szene

Kaum je hat ein Festival so viel Vorab-Publicity erfahren wie dieses von Frie Leysen kuratierte. Doch nur wenige ältere Zuschauer verirrten sich in die "Foreign Affairs", was man nicht unbedingt nur als Erfolg verbuchen sollte. Denn das junge Publikum war lieb zu den Künstlern, weshalb es ein furchtbar harmonisches Festival war.

Von Hartmut Krug | 23.10.2012
    Festivals waren einmal wirklich wichtig. Jedenfalls dann, wenn sie das und die Fremde in den Blick rückten, ohne sich als exotischer Genusswarenladen zu verstehen. Doch der Versuch, auf dem schmalen Grat zwischen Globalisierungskritik und ethnologischem Folklorismus zu balancieren, scheiterte weitgehend an den Marktgesetzen des Event-Kulturbetriebs.

    Festivals stehen unter dem Druck, Entdeckungen machen zu müssen. Sie sind zum Spektakel und zum Erfolg verdammt. Weshalb eine Spezies von Großkünstlern entstand, die von Festival zu Festival hoppt. So wurden internationale Festivals einerseits immer bunter, andererseits aber auch immer uniformer. Was auch "Foreign Affairs" zeigte, das doch ganz neu und besonders werden sollte. Kaum je hat ein Festival so viel Vorab-Publicity erfahren wie dieses von Frie Leysen kuratierte "Internationale Festival für Theater und Performative Künste." Keine Stadt- oder Staatstheater, kein Literaturtheater. Sondern neue künstlerische Sprachen. Kein eingegrenztes Thema, sondern künstlerische Haltungen aus aller Welt.

    Gute Vorsätze und ein sympathisches Konzept. Doch der politisch-theoretische Anspruch wurde oftmals künstlerisch nicht eingelöst. Nicht von der Gruppe Markus Öhrn/Institutet/Nya Rampen bei ihrem klischeehaften "Theaterstück über postkoloniale Allmachtsphantasien und europäische Familienstrukturen" und nicht bei Rodrigo Garcias Abrechnung mit Religion, Ikonografie und Konsum in seinem auftrumpfendem "Gólgata Picnic".

    Erfolgreich wie schon öfter in Berlin präsentierten sich dagegen alte Bekannte des performativen Festival-Theaters, wie Anne Teresa de Keersmaeker, Boris Charmatz, Romeo Castellucci, und Erna Ómarsdóttir. Für diese Gastspiele brauchte es Foreign Affairs nicht.
    Und für seine Auftrags- oder Erstaufführungen auch nicht: Denn der Auftakt mit Federico Leóns Liebessuchreigen "Las Multitudes" war ebenso harmlos wie Fabian Hinrichs Solo "Die Zeit schlägt dich tot", in dem dieser mit den "ganz großen Fragen" über die Bühne kreiste, um sie mit banalen Phrasen nicht zu beantworten.

    Eigentlich war das Festival vor allem eine Diskursplattform über bekannte Fragen und Antworten. Weshalb die kleinen Formate dominierten. Bei denen sich die Didaktik mächtig vor jeder Form und Ästhetik aufbaute. Vieles war eine "Lecture-Performance", - auch wenn nicht alles sich so bezeichnete. Diese neue Performance-Form trat als Koppelung von Vortrag mit folgendem Film auf. Ob über das Schießen oder die Atombombe referiert und informiert wurde: immer war es inhaltlich so ehrenwert und brav wie zugleich künstlerisch belanglos.

    Doch junges, einverständiges Publikum war ausreichend vorhanden. Hatte sich doch das Festival mit seinem Programm "Student Affairs", zu dessen Seminaren, Lectures und Workshops 120 Studierende aus Deutschland und den angrenzenden Ländern eingeladen worden waren, auch gleich sein Publikum generiert. Nur wenige ältere Zuschauer verirrten sich in "Foreign Affairs", - was man nicht unbedingt nur als Erfolg verbuchen sollte.

    Dieses junge Publikum war lieb zu den Künstlern, wenn nicht sogar Fan einzelner. Weshalb es ein furchtbar harmonisches Festival war. Nur Brett Baileys szenische Auseinandersetzung mit Völkerschauen führte zu Diskussionen, mit Bühnenwatch. Sonst aber war nichts zu merken vom "Clash von Visionen", bei dem Frie Leysen dahin zeigen wollte, "wo es schmerzt", und sich Thomas Oberender wünschte, das Festival solle "wehtun". Es war ein kritisches Wohlfühlfestival mit etlichen durchaus auch gelungenen und anregenden Gastspielen.

    Doch wer sich an Matthias Lilienthals Hau-Programm erinnert und auf das seiner Nachfolgerin Annemie Vanackere schaut, das Anfang November beginnt, der hat doch seine Zweifel daran, dass Berlin die "Foreign Affairs" der Berliner Festspiele wirklich braucht.