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Eigenheime auf Rädern
Boom der Wohnmobile durch Corona

Im Coronajahr 2020 sind Wohnmobile besonders beliebt. Denn reisen und trotzdem im eigenen Bett schlafen, unter die eigene Dusche gehen – das geht halt nur im Wohnmobil. Und so meldet die Branche seit dem Frühjahr steigende Verkaufszahlen.

Von Thomas Wagner | 09.07.2020
Nord-Ostsee-Kanal Fähre bei Sehestedt
In Coronazeiten sind Wohnmobile besonders beliebt (imago/penofoto)
"Gerade am Wochenende ist es ganz schlimm: Freitag, Samstag, Sonntag – da kriegt man fast keinen Platz!" Sigi Blickle aus Albstadt hat aber trotzdem noch einen gekriegt - gerade noch, für ihr Reisemobil auf einem Wohnmobil-Standplatz oberhalb von Überlingen am Bodensee.
Gerade in Zeiten, in denen die Angst vor die Angst vor der Infektion mit dem Coronavirus umgeht, ist für sie und, wie der große Andrang zeigt, für viele andere das Fahren mit dem Wohnmobil die beste Reisemöglichkeit: "Das ist ja wie das Zuhause. Man kann sich da aus dem Weg gehen. Man ist die zwei Meter auf jeden Fall weg. Das finde ich besser als in einem Hotel oder so."
"Wir haben unsere Toilette. Wir können also ohne dass wir öffentliche Baderäume benutzen, uns selber hier versorgen. Das ist eigentlich schon wichtig", ergänzt Ruth Bock, Wohnmobil-Reisende aus Schwäbisch Hall.
Ein Stück mehr Sicherheit im rollenden Eigenheim
Reisen in Coronazeiten mit dem Wohnmobil - viele, die sich dafür entscheiden, erhoffen sich ein Stück mehr Sicherheit im rollenden Eigenheim. Und das spürt die Branche.
"Der Mai 2020 war der bisher erfolgreichste Monat in der Geschichte mit über 10.000 neu zugelassenen Fahrzeugen in der Branche - und ein Plus über alle Kategorien von 16 Prozent. Bei den Reisemobilen waren es sogar um die 30 Prozent im Vergleichszeitraum zum Vorjahr. Das macht klar: Camping ist in aller Munde und im absoluten Trend in Zeiten von Corona", sagt Frank Heinrichsen, Marketingchef bei der Hymer GmbH und Co.KG, einer Unternehmenstochter der zur amerikanischen Thor-Industries gehörenden Erwin Hymer Group Bad Waldsee.
Letztere gilt mit einem Jahresumsatz von über zwei Milliarden Euro als einer der größten europäischen Wohnmobilhersteller. Und Frank Heinrichsen weiß: Nicht nur die guten Hygienebedingungen im eigenen Wohnmobil haben den Boom verursacht, sondern auch die Flexibilität in der Auswahl des Reiseziels, falls über Nacht eine Region zum Risikogebiet erklärt werden sollte. "Das heißt, ich kann auf etwaige Reisebestimmungen ganz flexibel reagieren und mir das Ziel meines Urlaubs auch spontan auswählen."
"Dass wir sagen können: Wir gehen nicht mehr in den Terminplan. Wir schauen im Internet: Wo ist schönes Wetter? Wann ist schönes Wetter? Und dann gehen wir los."
"Ich finde, dass man sehr schöne Orte in sehr kurzer Zeit anschauen kann. Das finde ich das A und O. Und man kann immer sagen. Übermorgen gehen wir wieder weiter: Da gefällt es mir nicht."
Billig ist der Wohnmobil-Urlaub nicht
Auch außerhalb aller Corona-Problematik schätzen Wohnmobil-Fans wie Ruth Bock und Roland Kaiser die große Flexibilität des Reisens. Heute hier, morgen dort – das funktioniert bei Hotel- oder Cluburlauben so nicht. Allerdings: Billig ist das Urlauben mit dem Wohnmobil nicht.
"Der Einstiegspreis bei einem kleinen Wohnmobil liegt bei so 50.000, 60.000 Euro."
"So ein Fahrzeug braucht, ein gutes gebrauchtes Fahrzeug, da haben wir aber auch noch 75.000 bezahlt."
Bei ganz luxuriöser Ausstattung kann es beim Neukauf auf gerne mal in Sechsstellige gehen. Und auch Mieten in Hochsaisonzeiten hat seinen Preis: Ein Wohnmobil für eine vierköpfige Familie für zwei Wochen kann da schnell mal die 2000-Euro-Grenze überschreiten. Der Beliebtheit der Wohnmobile tut das keinen Abbruch – trotz langer Lieferzeiten von zum Teil über einem Jahr – kein Wunder bei der derzeitigen Nachfrage. Ein Drittel aller Wohnmobil-Camper sind über 60 Jahre alt. Allerdings: Frank Heinrichsen von Hymer Bad Waldsee mag durchaus eine Verjüngung der Kundschaft erkennen: "Für uns bei Hymer stellen wir schon fest, dass wir junge Kunden bei unseren Händlern finden, vor allem aber viele Neueinsteiger. Und das sind sehr positive Signale, die uns optimistisch für die nächsten Monate stimmen"