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"Eigenkapital ist der Schlüssel zu allem"

Einige Finanzjongleure nutzen die Krise in Griechenland und den Verfall des Euro, um sich zu bereichern. Max Otte, Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler sowie Autor des Buches "Der Crash kommt", fordert, dass den sogenannten ungedeckten Leerverkäufen ein Riegel vorgeschoben wird.

Max Otte im Gespräch mit Dirk Müller | 08.03.2010
    Dirk Müller: Franz Müntefering, Ex-SPD-Chef, findet sich in diesen Tagen wiederum zumindest überall in den Tageszeitungen zitiert, denn sein Wort von den Heuschrecken treibt die Politik erneut landauf, landab um. Sie sind wohl immer noch da, diese Heuschrecken, die so kritisierten Casino-Kapitalisten, die mit Spekulationen die gesamte Finanzordnung an den Abgrund gebracht haben. Jetzt geht es um Finanz-Jongleure, die die Krise in Griechenland und den Verfall des Euro für sich nutzen, um allen anderen weiter zu schaden. Auch Wolfgang Schäuble will nun entschieden gegen wilde Spekulationen wie Leerverkäufe oder Kreditausfallversicherungen, sogenannte CD's, vorgehen. Dabei hören wir seit mehr als einem Jahr, dass die Finanzmärkte neu reguliert werden. Hinzu kommen nun die Forderungen nach einer Bankenabgabe. Darüber sprechen wollen wir nun mit dem Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Max Otte, Autor des Buches "Der Crash kommt", und das hat er geschrieben noch vor dem Crash. Guten Morgen!

    Max Otte: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Otte, hat die Politik auch in den vergangenen zwölf Monaten viel mehr geredet als getan?

    Otte: Ja, das ist wohl leider so. Die Worte waren stark im letzten Herbst beziehungsweise im Herbst 2008, so was dürfe nie wieder passieren, alles müsse reguliert werden, aber das hat sich dann sehr schnell in einem Dickicht von Einzelmaßnahmen verlaufen, und Aktionismus, ohne dass man irgendwo die große Linie eingehalten hat.

    Müller: Wer war denn wieder Schuld? Die Amerikaner?

    Otte: Na ja, im Prinzip ist es schon so, dass die Engländer aus Good Will mitmachen, aber letztlich viele Sachen torpedieren. In Amerika steht es auf der Kippe. Obama will, aber er kann nicht so recht, weil die Wall Street eben doch auch sehr stark ist. Auch mit seinem Verbot des Eigenhandels, das war schon der richtige Vorstoß, aber da hat er natürlich mächtige Gegner. Also so einfach ist es nicht, aber es fehlt eine starke entschlossene Koalition, die Regulierung wirklich vorantreibt.

    Müller: Sie meinen eine internationale Koalition?

    Otte: Richtig. Deutschland selber ist schon sehr viel stärker als wir zugeben. Wir sind eine der größten Sparnationen der Welt, wir zählen was auf den Weltkapitalmärkten, aber wir verhalten uns, als ob wir überhaupt keine Politik machen wollen, sondern lassen die anderen doch da sehr viel machen. Eine Ausnahme war der Gipfel im April 2009 in London, wo Sarkozy und Merkel gemeinsam aufgetreten sind, aber das ist dann alles wieder relativ schnell verpufft.

    Müller: Was kann denn die deutsche Politik für Deutschland tun?

    Otte: Wir könnten zum Beispiel hier sehr viel stärkere Regeln umsetzen für Produkte. Das haben ja Brüderle und Schäuble jetzt auch ansatzweise vor. Das ist nicht verkehrt. Wir könnten sehr viel stärker auf Eigenkapitalregeln, auf klare, einfache Eigenkapitalregeln drängen. Wir könnten bei den Produkten, beim Eigenkapital zunächst mal vorlegen.

    Müller: Was ist damit genau gemeint?

    Otte: Eigenkapital ist der Schlüssel zu allem letztlich. Wenn die Banken sehr viel Eigenkapital hätten und da auch klare und einfache Regeln, dann könnten sie sich nicht so viel hebeln, und im Falle dessen, dass sie sich verspekulieren, würde erst mal dieses Eigenkapital, sprich das Geld der Aktionäre und der Besitzer dieser Bank, aufgezehrt. Ein Problem ist ja gewesen, dass in vielen Produkten in vielen Banken und Institutionen eben die Eigenkapitalbasis völlig ausgehebelt war und dass dann eben sofort der Staat eingreifen müsste. Also klare, einfache Regeln für eine Mindest-Eigenkapitalausstattung würden uns sehr weit helfen.

    Müller: Aber das würde doch die Fonds und die Spekulanten nicht weiter beeindrucken?

    Otte: Doch, natürlich! Wenn sie im Hedgefonds zum Beispiel Eigenkapital halten müssen, Kapital der Investoren, Kapital der Aktionäre, Kapital derjenigen, die ihn betreiben, dann können sie nicht mehr so viel hebeln, dann können sie nicht mehr so riskant spekulieren, und wenn sie es tun, ist ihr eigenes Geld mit dran, und das würde sehr disziplinierend wirken. Ich komme noch mal darauf zurück: das ist eben die Krux in der Marktwirtschaft, dass Eigenkapital letztlich disziplinierend wirkt.

    Müller: Herr Otte, es ist ganz viel im Zusammenhang auch mit Griechenland die Rede von diesen Leerverkäufen. Inwieweit können dort die Finanz-Jongleure immer noch schalten und walten wie sie wollen?

    Otte: Da ist nichts passiert. Die können machen und tun, was sie wollen. Das tun sie auch. Sie gehen vielleicht taktisch etwas in Deckung. Von daher halte ich für vollkommen richtig, dass man bei ungedeckten Leerverkäufen einen Riegel vorschiebt. Das ist ja schon mal kurz im Herbst '08 gemacht worden bei bestimmten Papieren, ist dann relativ schnell wieder aufgehoben worden, aber das ist ein Instrument, was letztlich sehr viel Instabilität ins System bringt beziehungsweise eine Option für Spekulanten. Die muss nicht sein, genauso wie man ja auch kleinen Kindern keine Knarren in die Hand gibt.

    Müller: Herr Otte, da müssen Sie uns noch mal weiterhelfen. Ich habe das so verstanden und so gelesen: bei ungedeckten Leerverkäufen verkaufen Spekulanten Wertpapiere, die sie selbst gar nicht besitzen, noch haben sie eine Absicherung zum Kauf.

    Otte: Richtig! Sie geben einfach ein Versprechen darauf, diese Wertpapiere irgendwann zu liefern, und müssen sich dann irgendwann eindecken. Ein Versprechen ist ja zunächst einmal nichts Schlechtes. Das ist ja in der Marktwirtschaft das Kaufmannsehrenwort und so weiter. Der Vertrag, der würde dann ja eingehalten werden müssen. Wenn diese Spekulanten – und da sind wir wieder beim Eigenkapital – genug Eigenkapital hätten, müssten sie eben dann damit haften. Aber da eben viele Spekulanten kein Eigenkapital haben, oder mit großem Hebel diese Papiere verkaufen, auf Termin, die sie gar nicht haben, kann das eben sehr gefährlich werden.

    Müller: Und das könnte der Bundesfinanzminister, natürlich mit Zustimmung des Parlaments, jetzt einfach mal verbieten?

    Otte: Das könnte man für deutsche Akteure verbieten. Dann würde die Finanzlobby aufschreien und sagen, dann gehen wir woanders hin, und so weiter, aber dann sollen sie woanders hingehen. Die deutsche Wirtschaft ist so kapitalstark, wir haben so viel Sparkapital, wie es in einer alternden Wirtschaft normal ist. Das heißt, das was die Deutschen sparen reicht mehr als aus, um sämtliche Investitionserfordernisse der deutschen Wirtschaft zu befriedigen. Wir sind ja ein Kapitalexportland. Das heißt, wir haben hier Macht, die wir auch durchaus bewusst zum Guten international einsetzen könnten, wenn wir wollten.

    Müller: Das heißt, Herr Otte, wir haben bis jetzt immer alles falsch verstanden, dass wenn etwas passiert, dass das nur im europäischen oder im internationalen Kontext passieren darf?

    Otte: Schöner wäre es natürlich, wenn wir es zusammen mit Frankreich machen, die da eine ähnliche Linie ziehen, vielleicht sogar auch Österreich und ein paar andere Nationen, die sich da anschließen würden. Ich denke schon, so eine Koalition der Willigen, die wäre ganz gut. Das würde ich auch raten und ich denke, das bekäme man auch hin. Aber man muss nicht warten, bis der letzte zugestimmt hat, denn London wird nie zustimmen.

    Müller: Eine aktuelle Entwicklung auch an diesem Wochenende, das sind die Forderungen von verschiedenen Parteien, wenn auch unterschiedlich formuliert, auch in der Konsequenz gemeint, Bankenabgaben, das ist ja fast eine Art Strafabgabe der Banken, oder eine Wiedergutmachungsabgabe der Banken. Macht das Sinn?

    Otte: Ja, natürlich! Eine Wiedergutmachungsstrafe ist es ja nicht. Sie haben es verzockt, sie haben es verbockt. Im Prinzip auch hier: wenn sie genug Eigenkapital gehabt hätten, hätten sie von Anfang an mit eben diesem Eigenkapital haften müssen. Das hatten sie nicht, also musste die Allgemeinheit einspringen, und dann ist es nur konsequent, wenn sie jetzt wieder Geld verdienen, dass ein Teil davon an die Allgemeinheit oder möglichst alles zurückgezahlt wird. Aber es geht ja hier um geringe Beträge im Vergleich zu dem, was die Allgemeinheit bluten musste. Also natürlich macht das Sinn.

    Müller: Wenn ich Sie also richtig abschließend verstanden habe, Herr Otte, dann brauchen wir nur einen Eigenkapitalsicherungsminister?

    Otte: In einer idealen Marktwirtschaft wäre das so, ja.

    Müller: Der Finanz- und Wirtschaftswissenschaftler Professor Max Otte bei uns im Deutschlandfunk. Vielen Dank!