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"Eigentlich gibt es keine Indianer"

Die Ausstellung "Indianer" in Rosenheim wirft einen neuen Blick auf die Geschichte der nordamerikanischen Urbevölkerung abseits von Karl-May- und Hollywood-Klischees. Kurator Christian Feest betont die Vielfalt der indianischen Kulturen: Es gebe Hunderte verschiedene Völker, die alle etwas zu bieten haben.

Christian Feest im Gespräch mit Christoph Heinemann | 08.04.2011
    Christoph Heinemann: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann." Diese Weisheit der Qui-Indianer konnte man in den 70er- und 80er-Jahren häufig auf Gebrauchtwagen der Marken Citroën und VW lesen, gemeint sind Ente und Käfer. Fahrer oder Halter der Fahrzeuge wollten auf diese Weise ihrer Zivilisationskritik Ausdruck verleihen, indem sie das tatsächliche oder vorgebliche Leben der indianischen Völker im Einklang mit der Natur als vorbildlich darstellten. Unser Bild von den Indianern ist weniger durch solche Sprüche, als vielmehr von Karl Mays Büchern und den Western-Filmen aus Hollywood geprägt, und dieses Bild kann, wer möchte, ab heute überprüfen oder erweitern. Im bayerischen Rosenheim eröffnet eine große Ausstellung die Tore, "Indianer - Ureinwohner Nordamerikas" ist sie überschrieben, und wir sind mit Professor Christian Feest verbunden, dem Kurator der Ausstellung und ehemaligen Direktor des Museums für Völkerkunde in Wien. Guten Morgen!

    Christian Feest: Guten Morgen.

    Heinemann: Herr Professor Feest, zu Beginn eine Bitte um zwei Beispiele. Was bekommen die Zuschauer in Rosenheim zu sehen?

    Feest: Auf der einen Seite sind das ganz alte Dinge, die ganz selten sind, ein Altar aus Birkenrinden-Platten mit gefärbten Stachelschwein-Borsten verziert, der in einer Missionskirche in Michigan im 19. Jahrhundert gestanden ist und von einem aus Europa geschickten Maler, der dort Kirchenbilder malen sollte, zurückgebracht wurde, um damit dann hier in Europa für Gelder für die Mission zu werben. Das ist ein total einzigartiges Stück. Und auf der anderen Seite Dinge, die zeigen, dass die Ausstellung auch die Gegenwart anspricht. Wir haben hier ein ganzes Haus aus Grönland, ein Haus, das in Grönland in den 1950er-Jahren gebaut wurde und bewohnt war bis in die 80er-Jahre und das mit dem ganzen Inhalt samt Schultasche der Kinder und den Schulheften und einer elektrifizierten Öllampe heute in Rosenheim steht.

    Heinemann: Woher stammen überhaupt die Indianer?

    Feest: Wenn man sie selber fragt, dann sagen sie, dass sie dort entstanden sind, wo sie heute leben - sei es, dass sie, wie die Irokesen sagen, aus einem Loch im Himmelsgewölbe auf die Erde heruntergefallen sind, oder, wie die Pueblo-Völker berichten, dass sie aus einem Loch aus der Erde aufgestiegen sind, aus einer Unterwelt aufgestiegen sind. Die Wissenschaft ist allerdings der Meinung, dass der Mensch nicht in Amerika entstanden sein kann, weil es keine entsprechenden möglichen Vorfahren dort gibt, sondern dass er irgendwann aus der alten Welt eingewandert sein muss, und da gibt es nicht viele Möglichkeiten. Das war im Wesentlichen gegen Ende der Eiszeit, als immer wieder zu verschiedenen Zeitpunkten breite Landbrücken an der Beringstraße existiert haben, über die Menschen im Gefolge von Großwild von Asien her nach Amerika eingewandert sind.

    Heinemann: Herr Feest, die indianische Kultur ist keine Schriftkultur. Die Geschichte und die Traditionen wurden vielfach mündlich überliefert. Für welchen Teil der Geschichte der Indianer gibt es überhaupt verlässliche Quellen?

    Feest: Ich muss an der Stelle doch eine Sache noch korrigieren, die in Ihrer Frage enthalten ist und die für mich ganz wichtig ist, weil sie in der Ausstellung auch ein zentraler Punkt ist: Es gibt keine Kultur oder Schrift der Indianer, weil es eigentlich keine Indianer gibt. Das ist ein bisschen ein Problem. Es gibt Tausende verschiedene Völker mit unterschiedlichen Kulturen. Keine davon hatte in Nordamerika eine Schrift allerdings, das ist richtig. Also wir sind im Wesentlichen für eine detaillierte Darstellung der Geschichte beschränkt auf den Zeitpunkt seit dem Ankommen der Europäer.

    Heinemann: Reden wir über ganz andere Quellen. Hat Karl May der Sache der Ureinwohner Nordamerikas genutzt oder geschadet?

    Feest: Auf der einen Seite, wenn Sie heute mit Indianern auf der Reservation sprechen, die mittlerweile auch gehört haben, dass es so was gibt wie Karl May - der ist ja an sich in den USA wenig bekannt, aber gerade auf Reservationen finden Sie heute ein gewisses Wissen darüber, dass in Deutschland da dieser Autor war, der über Apachen geschrieben hat -, sie sind Karl May dafür dankbar, dass er den Indianern ein so positives Bild verliehen hat in Europa. Auf der anderen Seite sind sie sich auch im klaren darüber, wenn sie ein bisschen sich näher beschäftigt haben damit, dass das, was er geschrieben hat, in vieler Hinsicht nicht korrekt ist. Wenn man aus meiner Einschätzung her Karl May näher betrachtet, so muss man doch eher sagen, dass neben dem positiven Gesamteindruck der Unterton generell ein negativer ist, und auch, wenn die Indianer als gute dargestellt werden, so sind sie eigentlich nur aus einer deutschen Sicht mögliche gute Opfer für eine deutsche Kolonisation. Karl May im Unterton stellt einfach Deutschland als die bessere Kolonialmacht dar gegenüber den Engländern und Franzosen und Spaniern.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, wir sprechen mit Professor Christian Feest, dem ehemaligen Direktor des Museums für Völkerkunde in Wien. - Irgendwann, Herr Feest, das haben Sie eben angesprochen, standen die Europäer vor der Tür, die gebürtigen Italiener Kolumbus und Cabotto, kurz vor und kurz nach dem Jahr 1500. Wie stellen Sie die Eroberung und die Missionierung - Sie haben ja eben den Altar genannt -, die Missionierung Nordamerikas dar in der Ausstellung?

    Feest: Die Ausstellung gliedert sich ja in eigentlich zwölf Geschichten, die erzählt werden, und eine Geschichte handelt von dem ersten Kontakt. Der erste Kontakt hat natürlich nicht nur stattgefunden im Jahr 1492, als Kolumbus auch ja nicht in Nordamerika, sondern halt in der Karibik zuerst aufgetaucht ist. Aber alle Völker der Neuen Welt hatten irgendeinen Zeitpunkt, zu dem sie zum ersten Mal Europäern, weißen Leuten gegenübergetreten sind. Diesen ersten Kontakt illustrieren wir in Rosenheim in der Ausstellung mit der Begegnung der Nootka von der Westküste von Vancouver Island mit dem englischen Seefahrer James Cook, der auf seiner dritten Weltreise im März 1778 in Nootka Sound erschienen ist und einen Monat dort verweilt hat, und das, was dort geschehen ist, können wir zeigen, weil wir eben auch Gegenstände aus der Periode, also aus den Cookschen Sammlungen von diesem Moment des Erstkontakts zeigen können. Auf der anderen Seite muss man sagen, dass die Missionare natürlich vielfach gesehen haben, dass das, was in der kolonialen Erschließung anderer Kontinente passiert, nicht entspricht den ethischen Werthaltungen, die das Christentum mitgegeben hat. Das Kapitel, das wir in Rosenheim behandeln, das ist die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts in Michigan und Wisconsin, wo katholische Missionare, unterstützt von österreichischen und bayerischen Missionsgesellschaften, tätig waren und vielfach als Alliierte der Indianer, als Schutzmacht gewissermaßen gegen die amerikanische Regierung aufgetreten sind und ihnen geholfen haben, einen Weg zu finden der Anpassung an die veränderten gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihnen wirtschaftlich geholfen haben, die die ersten waren, die dort Pockenschutzimpfungen durchgeführt haben, also die nicht unmittelbar im Dienste der kolonialen Erschließung tätig waren beziehungsweise diese koloniale Erschließung abgefedert haben.

    Heinemann: Stichwort koloniale Erschließung. Eine ungewöhnliche Bewertung erfährt die amerikanische Revolution von 1776. Wir haben in der Schule gelernt, dass das eine Freiheitsbewegung gegen die Gängelungen des englischen Mutterlandes gewesen sei. An die Boston Tea Party erinnert man sich, die Idee der Tea Party ist ja gerade wieder in Mode in Amerika. Sie verstehen den Aufstand von 1776 als Freibrief, den sich die Siedler verschaffen wollten, um weiter in das Indianerland vorzudringen?

    Feest: Die unmittelbare Vorgeschichte der Amerikanischen Revolution ist ja das, was in Europa der Siebenjährige Krieg war, der in Amerika French and Indian Wars heißt, also Franzosen- und Indianerkriege, in dem die Briten in einem langen Kampf die koloniale Vorherrschaft sich gesichert haben gegenüber den Franzosen. Das heißt, die Franzosen mussten Kanada an die Briten abtreten. Und bis dahin, bis zu diesem Zeitpunkt, haben die indianischen Völker gerade dieser Region, Irokesen und andere, die beiden kolonialen Großmächte immer benutzt, um sie gegeneinander auszuspielen im Sinne einer Dritten-Welt-Politik, könnte man sagen, um sich selbst Vorteile zu verschaffen. Als die Briten plötzlich das Monopol, das politische Monopol hatten in Nordamerika, bestand die Furcht seitens der indigenen Völker, dass sie nun von den Briten vollkommen abhängig sind und ausgebeutet werden. Deswegen hat der englische König im Jahr 1763, um seine ehemaligen Alliierten auch zu beruhigen, eine Proklamation erlassen, in der er ihnen versprochen hat, dass das Land westlich der Appalachen auf Ewigkeit ihnen gehören wird und da niemals Gebietsansprüche gestellt werden. Das war aber etwas, was die amerikanischen Siedler überhaupt nicht gerne gehört haben, weil sie mittlerweile schon spekuliert haben damit, dass sie dieses Land besiedeln können, da sind schon Vorverträge abgeschlossen worden, und das war mit ein entscheidender Grund, neben Fragen der Steuerfreiheit und der Demokratie, die die Amerikaner bewegt hat, gegen die Briten zu revoltieren.

    Heinemann: Herr Feest, rund eine Million Indianer oder Indianischstämmige leben in den USA in den Reservaten, überwiegend in materiell nicht üppigen Verhältnissen. Was ist von der indianischen Kultur oder der Kultur der Stämme heute noch übrig?

    Feest: Ich kann das nur sagen, es ist ungefähr so viel übrig, wie in unserer Gesellschaft von der Kultur des Biedermeier übrig ist. Wir sind immer noch die, die wir sind, obwohl wir uns natürlich den Zeiten angepasst haben, und dasselbe gilt für die indianischen Bevölkerungen Nordamerikas. Auch die wissen sehr genau, wer sie sind und welchem Stamm sie angehören und welche Traditionen mal vorhanden waren. Die haben sich verändert, sie haben überlebt und im Zuge des Überlebens ihre Lebensweise verändert.

    Heinemann: Was könnte unsere Kultur von der indianischen Lebensweise lernen?

    Feest: Ach, wir können von allen Kulturen immer was lernen, weil die Schönheit der kulturellen Vielfalt darin besteht, dass dieselben menschlichen Grundprobleme auf verschiedene Weise lösbar sind und man darauf kommt, es gibt nicht nur eine Lösung, sondern verschiedene.

    Heinemann: Gibt es im sozialen Leben irgendwie Vorbildliches?

    Feest: Ja. Die Irokesen, die ich vorhin gerade genannt habe, als Protagonisten im Umfeld der Amerikanischen Revolution gelten natürlich insgesamt auch als die Erfinder des Feminismus. Die frühe Feminismusbewegung im 19. Jahrhundert hat sich ausdrücklich auf die Irokesen berufen. Die haben dort schon erreicht gehabt, dass die Frauen eine zentrale Stellung in der Gesellschaft hatten, auch politisch wichtige Rollen gespielt haben, und warum sollten wir das nicht auch können, wenn das die Irokesen können.

    Heinemann: Also das hat man bei Karl May definitiv nicht gelesen, diesen Teil.

    Feest: Nein, nein! Wie gesagt, das Schöne und das Problem mit Indianern ist, dass das nicht Apachen sind, sondern dass es Hunderte verschiedene Völker sind, die alle irgendwas zu bieten haben und die alle interessant sind.

    Heinemann: In den "Informationen am Morgen" sprachen wir mit Professor Christian Feest, dem ehemaligen Direktor des Museums für Völkerkunde in Wien. Er ist der Kurator der Ausstellung "Indianer - Ureinwohner Nordamerikas", die ab heute in Rosenheim für Besucher zu sehen ist. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Feest: Ich bedanke mich.


    Informationen zur Ausstellung
    "Indianer- Ureinwohner Nordamerikas"
    8. April bis 6. November 2011, geöffnet Mo - Fr 9 - 18 Uhr, Sa., So. Feiertage 10 - 18 Uhr
    Ausstellungszentrum Lokschuppen, Rathausstraße 24, 83022 Rosenheim
    www.lokschuppen.de,
    www.indianer-ausstellung.de