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"Ein äußerst beliebter Präsident" in Deutschland

George W. Bush war nie so populär in Deutschland wie Barack Obama, sagt der Konfliktforscher und Politologe Christian Hacke. Bei Individualrechten hätten Deutschland und die USA unterschiedliche Auffassungen. "Aber wir müssen die Amerikaner verstehen", denn das Land sei seit zwölf Jahren im Krieg.

Christian Hacke im Gespräch mit Dirk Müller |
    Dirk Müller: Als Kandidat seiner demokratischen Partei hatte er in Berlin vor fünf Jahren diesen rhetorischen Sieg bereits eingefahren, seine Rede an die Weltgemeinschaft gerichtet, obwohl er noch gar kein Präsident war. Barack Obama, der große Hoffnungsträger, der alles besser machen wollte als sein Vorgänger. Er ist längst in der Realität angekommen, wie auch zu Beginn dieser Woche beim G8-Gipfel beispielsweise in Nordirland, wie auch seit gestern Abend in Berlin, wo dem Präsidenten längst nicht mehr alle zu Füßen liegen.

    Die Sicherheitsvorkehrungen könnten nicht aufwendiger sein für diesen Besuch. Schon von deutscher Seite aus ein Riesenaufwand. Aber dann kommen bei einem amerikanischen Präsidenten auch noch die amerikanischen Sicherheitsdienste, Sicherheitsleute dazu, die auch außerhalb ihres eigenen Landes alles unter Kontrolle haben wollen.

    [...]

    Der Besuch von Barack Obama, die Politik des amerikanischen Präsidenten, die neue Sichtweise auf den amerikanischen Präsidenten, der viel stärker kritisiert wird, als man das noch vor Jahren, vor vier Jahren, als er angetreten ist, für möglich gehalten hat – das ist jetzt unser Thema mit dem Politikwissenschaftler und US-Fachmann Professor Christian Hacke. Guten Tag!

    Christian Hacke: Seien Sie gegrüßt, Herr Müller!

    Müller: Herr Hacke, ist Barack Obama in Wirklichkeit ein bisschen auch George Bush?

    Hacke: Ich glaube, das ist genau der Unterschied. Ich gehöre ja auch zu denjenigen, die sich das jetzt antun und hier auf dem Weg sind zur Ehrentribüne. Ich bin sozusagen auch Ihr nächster Reporter vor Ort. Aber wenn wir jetzt noch mal über die Sache selbst sprechen – das ist natürlich ein massiver Unterschied, denn George W. Bush war nie populär in Berlin und auch nicht in Deutschland, während Barack Obama, das wissen wir, natürlich vor fünf Jahren seinen Höhepunkt an Popularität hatte, aber nach wie vor, denke ich, ein äußerst beliebter Präsident ist, und ich würde mich nicht wundern, wenn er nachher in seiner Rede dementsprechend auch das eine oder andere den Deutschen oder der deutschen Regierung an Zucker gibt.

    Müller: Reden kann er. Kann er auch Politik?

    Hacke: Natürlich! Sehen Sie, wir dürfen nie vergessen, selbst wenn die Erfolge nur begrenzt waren, dass man es ihm im eigenen Land schwer gemacht hat. Der Kongress, die Republikaner, die Tea Party, sie haben fast alles blockiert, was er an innenpolitischen Reformen versuchte und auch manches in der Außenpolitik. Also hier ist er sicherlich zum Teil gefesselt, und in seinem Versuch, nation building at home als Priorität zu betreiben, wird auch deutlich, dass natürlich die Außenpolitik zunächst nachgeordnet ist.

    Müller: Wir haben immer noch Guantanamo, wir haben immer noch Abhöraffären, jeden Tag beziehungsweise jeden Monat, jede Woche gibt es dort neue Details. Das was er in der Rechts-, in der Innenpolitik, in der Bürgerrechtspolitik versprochen hat, nicht gehalten hat, sagen jedenfalls die Kritiker. Tickt er doch in Wirklichkeit als Politiker anders als das, was er sagt?

    Hacke: Nein, Herr Müller. Vorsicht, würde ich sagen. Wir vergessen als Deutsche immer wieder, dass Amerika sich seit 9/11 in einem Kriegszustand befindet, gefühlsmäßig. Dass das George W. Bush natürlich auch genutzt hat, um das Land selbst innenpolitisch, ich will nicht sagen, in einen Überwachungsstaat zu verwandeln, aber doch die innere Sicherheit enorm ausgebaut hat, das ist unbenommen. Und in dieser Tradition sehen wir nun leider, dass auch Barack Obama von diesen Fallen nicht befreit ist. Aber das hängt auch da zusammen mit einer typisch amerikanischen Einstellung, nämlich der Suche nach absoluter Sicherheit. Das war damals außenpolitisch im Kalten Krieg die Nuklearbombe oder die nukleare Überlegenheit, die absolute Sicherheit bringen sollte, und jetzt ist es eben diese Manie, alles zu überwachen, und natürlich immer unter der Rubrik, dass die Individualrechte sich den Gemeinschaftsrechten unterzuordnen hätten. Da haben wir in Deutschland und Europa vielleicht etwas andere Auffassungen, aber wir müssen die Amerikaner verstehen, und ich bleibe dabei: Das Land und die Regierung dort fühlen sich praktisch seit zwölf Jahren im Krieg, und das ist eine andere psychologische Situation.

    Müller: Wenn Barack Obama, wie Sie es gerade auch geschildert haben, Herr Hacke, in großer Kontinuität zu George Bush steht, jedenfalls in vielen innenpolitischen Fragen, auch in diesen Bürgerrechtsfragen, Überwachungsfragen, Sicherheitsfragen, dann umgekehrt jetzt einmal die Perspektive aufgemacht. Das heißt, George Bush war gar nicht so schlecht, wie viele ihn gemacht haben?

    Hacke: Na ja, ich würde dem nicht zustimmen, mit Verlaub, lieber Herr Müller, denn ich glaube, dass er natürlich den Krieg gegen den Terror – er hat das natürlich umformuliert – fortsetzt, aber er macht es intelligenter. Er nutzt jetzt natürlich auch die neuen Vorteile, die technologischen Vorteile, Stichwort Cyber War, Stichwort Drohnen, und da geht man natürlich unbefangener um als bei uns in Deutschland. Für die Amerikaner ist es selbstverständlich, dass Drohnen wichtig sind, sie retten Leben, in dem Sinne der eigenen Soldaten, wenn man damit die Aufklärung verbessert. Das ist eine andere Situation. Wir dürfen nicht nur immer unsere Maßstäbe nehmen.

    Müller: Nehmen wir amerikanische Maßstäbe. Heißt das auch, dass ein amerikanischer Präsident beim Thema Sicherheit, internationale Sicherheit, Anti-Terror-Bekämpfung, gar keinen großen Spielraum hat?

    Hacke: Der Spielraum ist natürlich geringer geworden. Er hat einen großen Verdienst, das dürfen wir nicht vergessen: Er hat damals Osama Bin Laden zur Strecke gebracht. Das hat ihm natürlich viel Sympathie gebracht. Und er wird konsequent natürlich weiter den Krieg gegen Terror weiterführen. Er hat andere Akzente gesetzt. Er hat versucht, natürlich den Irak-Krieg schnellstmöglich zu beenden. Er zieht sich aus Afghanistan zurück, und das ist alles dem neuen innenpolitischen Primat untergeordnet, dass man sparen muss, dass das eigene Land wieder auf Vordermann gebracht wird, und das heißt auch, dass der Appell an die Verbündeten größer wird, dass die Verbündeten regional und global auch sicherheitspolitisch sehr viel stärker amerikanische Interessen mit unterstützen sollten. Und das ist ja ein altes Thema, was eigentlich schon John F. Kennedy vor 50 Jahren angesprochen hatte.

    Müller: Ist Barack Obama im Umgang mit den Partnerländern auch ganz international bezogen, auf andere Regionen – er hat ja versucht, diese Brücken zu schlagen; wir haben eben einen O-Ton gehört, 2008 hier vor der Siegessäule hat er gesagt, wir müssen die Brücken in alle Kontinente, in alle Richtungen, in alle Religionen bauen -, ist er da der richtige?

    Hacke: Absolut! Ich glaube, dass er einen Internationalismus pflegt, der auf viel Zustimmung stößt. Er hat nicht alles erreicht, viele werfen ihm vor, dass er meinetwegen im Nahen Osten die Friedensinitiativen zwischen Palästinensern beziehungsweise Arabern auf der einen Seite und den Israelis nicht vorangebracht hat. Aber hier hatte er auch nicht mehr die Mittel. Das muss man klar sehen.

    Natürlich ist er einem neuen Primat gefolgt, der auf Neudeutsch heißt, leading from behind. Das heißt nichts anderes, dass die USA nun aus dem Hintergrund heraus führen, und das beste Beispiel hatten wir in Libyen, wo es erfolgreich war, wo er die Europäer aufforderte, bei ihrem eigenen Hinterhof oder ihrem eigenen Hintermeer, wenn man sagen will, dem Mittelmeer, und dem nordafrikanischen Raum tätiger zu werden. Die Amerikaner sind da, sie bleiben da, aber aufgrund, ich will nicht sagen, des Niedergangs, aber doch der enormen Machteinbußen sind sie auch gezwungen, sehr viel stärker die Verbündeten mit ins Spiel zu bringen.

    Müller: Blicken wir nach Berlin, blicken wir auf die deutsche Regierung. Warum kann Barack Obama ausgerechnet die Kanzlerin nicht so gut leiden?

    Hacke: Das glaube ich nicht so. Ich glaube nicht, dass man sagen kann, er mag sie nicht so gut leiden. Außerdem sind die persönlichen Befindlichkeiten relativ sekundär. Das sind Profis, die lassen sich nicht davon leiten, von Sympathien und Antipathien, und hier ist ein großartiges Arbeitsverhältnis, was man immer wieder hört, was nicht heißt, dass man in der Substanz natürlich Differenzen hat.

    Und ich glaube, man geht nicht zu weit, vielleicht zu vermuten, dass die Amerikaner es in den letzten Jahren schon aufgegeben haben, von den Deutschen einen adäquaten Beitrag im sicherheitspolitischen Bereich zu fordern, wie es meinetwegen die Franzosen oder die Briten immer getan haben. Das ist wohl vorbei und dann beschränkt man sich darauf, dass man das dann annimmt, was von Deutschland kommt, also sagen wir mal: Alle Mann nach vorne, wir gehen zurück und bringen euch die Waffen.

    Das könnte man ja fast so sagen mit Blick auf Libyen. Jetzt, glaube ich, gibt es eine große Aufstockung der deutschen Hilfe mit Syrien und wir geben auch, glaube ich, bestimmte Sicherheitswesten aus. Das ist alles schön und gut und ist auch dem innenpolitischen Primat geschuldet. Wir haben in ein paar Monaten oder in ein paar Wochen fast Bundestagswahlkampf. Da geht natürlich Deutschland seinen eigenen Schweizer Weg, sage ich mal. Ob uns der zu mehr Ansehen in der Welt führt, das ist die Frage, und solange es uns auch nicht gelingt, unsere wirtschaftliche Stärke in entsprechenden politischen Einfluss umzusetzen, wird das natürlich auch bei uns hapern.

    Müller: Herr Hacke, ich bin schon ein bisschen nervös, weil wir nicht mehr viel Zeit haben. Die Kollegen aus der Nachrichtenredaktion warten schon. Dennoch jetzt die Frage: 15 Uhr startet die Rede am Brandenburger Tor. Wie weit sind Sie denn jetzt schon gekommen?

    Hacke: Ich bin jetzt direkt kurz vor der Tribüne, wo ich mit den anderen 4000 sitzen werde. Sie hören vielleicht im Hintergrund die Musik. Ich bin noch nie Reporter für Sie vor Ort gewesen. Das ist für mich ein Novum, ich finde das hochinteressant und bin jetzt hier auch direkt dabei, und das ist natürlich für alle schon eine tolle Sache, mal den Präsidenten hier zu sehen, und alle sind natürlich gespannt, was er zu sagen hat. Ich glaube schon, dass er mit was im Gepäck kommt. Würde mich nicht wundern, wenn er hier in Berlin gerade auf deutschem Boden eine neue Abrüstungsinitiative befürwortet und natürlich sehr viel stärkere Zusammenarbeit in der atlantischen Partnerschaft und vielleicht auch uns ein bisschen stärker auffordert als bisher, mitzutun auch außerhalb des ökonomischen Bereiches.

    Müller: Jetzt kommt die Musik, jetzt müssen wir Schluss machen. Wir freuen uns auch für Sie, Herr Hacke, dass Sie dabei sind. Vielen Dank für diese ausführlichen Schilderungen – der Politikwissenschaftler und US-Kenner Professor Christian Hacke bei uns heute Mittag live im Deutschlandfunk.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.