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"Ein alter Hund beißt schon mal zu"

Manche seiner Textzeilen wie "Über den Wolken" wurden zu geflügelten Worten, seine Alben verkauften sich millionenfach. Allen Kritikern zum Trotz. Auch nach Jahrzehnten im Geschäft hat Reinhard Mey das Lampenfieber nicht überwunden. Auf Tournee geht er dennoch. Gerade ist er mit seiner aktuellen CD "Mairegen" unterwegs, die es auf Platz Eins der deutschen Hitparade schaffte.

    Fabian Elsäßer: Von Sarah Bernard soll der Satz stammen: "Lampenfieber kommt mit dem Talent."

    Reinhard Mey: Also wenn das stimmt, dann bin ich mit Talent überreich beschenkt! Denn das Lampenfieber ist vielleicht das einzige Problem, was ich in dem Beruf habe. Alles ist eine große Freude und ein großes Glück, aber das Lampenfieber ist offensichtlich der Preis, mit dem man es bezahlt. Es ist ein körperliches Leiden, würde ich es fast nennen, doch, es ist ein Leiden. Aber man nimmt es immer wieder auf sich, denn das, was danach kommt, wenn man es überstanden hat, das ist mit nichts zu vergleichen, das ist ein unbeschreibliches Glück. Und dafür ist es in Ordnung, mal ein halbes Jahr vorher zu leiden.

    Elsäßer: Ihre aktuelle CD "Mairegen" ist bis auf Platz Eins der deutschen Hitparade hochgeklettert, gleichzeitig stellt man in jüngerer Zeit fest, dass Medien wie Musikexpress oder Rolling Stone, also die coolen Magazine, Sie auf einmal wahrnehmen, und sei es nur, wie der Musikexpress, dass er darauf hinweist, keiner spiele längere Tourneen als Reinhard Mey. Immerhin. Oder der Rolling Stone, der hat Sie vor zwei Jahren eingeladen zu einem Gipfeltreffen der Liedermacher. Hat Sie das überrascht, dass Sie als Vertreter der früheren oder ersten Generation eingeladen worden sind?

    Mey: Das hat mich gefreut. Überrascht ein klein wenig weniger, weil ich glaube, dass auch in den Redaktionen dieser Zeitungen ein Generationswechsel stattgefunden hat. Und es kommen Leute, die völlig unvoreingenommen an einen herantreten, die also nicht mehr die alten Vorurteile von damals haben – "der passt in diese Abteilung Liedermacher, das ist Deutschrock oder so was", sondern es geht einfach nur noch um Musik. Und da ist diese Musikerscheinung, die erscheint schon seit vielen Jahren, die kann man mal wieder ansprechen. Und auf diese Art und Weise, glaube ich, bin ich da reingeraten. Das ist eigentlich gut. Es ist frischer Wind in die Redaktionen gekommen und man geht gewissen Phänomenen unvoreingenommen entgegen, eben frei von alten Vorurteilen, oder ich will's gar nicht Vorurteil nennen, sondern von alten Gewohnheiten, "Den haben wir immer gespielt – den spielen wir aber nicht". Und da steht eben irgendein 68 Jahre alter Bursche in der Landschaft und spielt Gitarre und singt eigene Lieder, lass uns den doch mal näher unter die Lupe nehmen. Und das Gespräch und die Geschichte im Rolling Stone waren wunderbar, das hat großen Spaß gemacht. Und ich finde es ein großes Glück, wenn es auch auf diesem Sektor – Leute, die Lieder mit Texten selbst machen – wenn es da Nachwuchs gibt und wenn der gefördert wird und erst recht, wenn er Erfolg hat.

    Elsäßer: Haben Sie eigentlich jemals auch systematisch Nachwuchsförderung betrieben oder haben Sie sich jemals vorstellen können, mal so etwas wie ein Label zu gründen, wie das etwa Michy Reincke in Hamburg macht?

    Mey: Das hab' ich mir überlegt, aber ich habe gemerkt, dass ich überhaupt keine Begabung habe, den Richter zu spielen und zu sagen "das ist gut und das ist nicht gut". Ich hab' mich so oft in Musikprognosen geirrt, dass ich glaube, dass ich ein ganz schlechter Produzent wäre. Ich würde mich zu oft irren. Und außerdem glaube ich auch, dass ich nicht das Recht hätte, wenn ein junger Mensch zu mir kommt und sagt, das hab ich geschrieben – das könnte ich nicht ablehnen. Und ich hätte dann irgendwann einen Riesenstall von Leuten, denen ich einfach nicht Nein sagen kann. Weil ich glaube, dass jeder, der sich hinsetzt und ein Lied schreibt, ein Gedicht schreibt, der Musik macht, ein Recht hat, gehört zu haben. Und ich bin nicht derjenige, der entscheiden kann, das nehm' ich und das nehm' ich nicht. Und es fehlt mir auch jede kaufmännische Begabung dazu. Ich habe versucht und versuche immer noch, Musik zu fördern, im ganz persönlichen Bereich, wo ich sehe, dass irgendwo ein kleines Mädchen oder ein kleiner Junge in der Bekanntschaft ist, der nur kleinste Anzeichen gibt, Musik machen zu wollen. Dann verschenke ich immer unheimlich gerne eine Gitarre. Und das ist oft so das Mittel … manchmal zündet es!

    Elsäßer: Lassen Sie uns über die Art, wie Ihre Lieder so rezipiert worden sind über die Jahre, sprechen. Man hat Ihnen ja oft vorgeworfen, Sie seien zu autobiografisch. Georg Kreisler sagt zum Beispiel, "Immer wenn ein ‚Ich' in meinem Text vorkommt, dann ist dieses Ich erfunden. Und bei Ihnen hat man den Eindruck, das ist der Reinhard Mey, so wie er gerade lebt, und wie er sich über die Jahre auch entwickelt. Sind Sie vielleicht über die Jahre auch immer politischer geworden?

    Mey: Das mag sein. Aber ich habe wirklich das Gefühl, dass das eine Linie ist, die von Anfang an dabei war. Wenn ich denke an ganz früher, "Schuttabladeplatz der Zeit" oder "Diplomatenjagd", das kann man durchaus als politisch sehen. Wobei ich auch der Überzeugung bin, dass auch das privateste Lied und das Lied, das mit ‚Ich' anfängt, auch ein politisches Lied ist. Aber es natürlich schon so, dass mit wachsender Lebenserfahrung und mit der Anzahl der Beobachtungen, die man macht, man sich schon genötigt fühlt, hin und wieder etwas deutlicher zu werden. Das kann durchaus sein, dass ich mit zunehmendem Alter etwas bissiger geworden bin. Ich denke, da ist auch das Beispiel vom Welpen und vom alten Hund angebracht. Der Welpe geht sehr viel sorgloser um, und der alte Hund, der beißt schon mal zu.

    Elsäßer: Sie haben ja auch sehr oft zugebissen, wenn es um militärische Themen ging. Hätten Sie sich, als Sie "Alle Soldaten woll'n nach Haus" oder als Sie "Meine Söhne geb' ich nicht" geschrieben haben, jemals gedacht, dass die Wehrpflicht abgeschafft wird?

    Mey: Nein, das hätte ich nicht gedacht. Das habe ich immer gehofft, das war nicht zu erwarten, weil alle Parteien, zumindest alle damaligen sich darin verbissen hatten, nie von dieser Wehrpflicht abzugehen. Es ist … vielleicht verändern Lieder doch die Welt!

    Elsäßer: Waren Sie glücklich, als Sie das gehört haben?

    Mey: Ich war sehr erleichtert und froh darüber, man fragt sich nur, warum nicht schon viel früher?

    Elsäßer: Wo wir gerade bei Politik waren – haben eigentlich jemals Parteien versucht, Sie zu vereinnahmen, Sie singen zu lassen für sich?

    Mey: In der frühen Zeit ja. Aber es hat sich sehr schnell rumgesprochen, dass ich ablehne, und infolgedessen sind die Angebote ausgeblieben. Und ich hab' immer versucht, mich nicht von einer bestimmten Gruppe, weder politisch, parteipolitisch oder auch kommerziell vereinnahmen zu lassen. Ich bin wirklich ein Einsiedlerkrebs auf 'ne gewisse Art und Weise. Ich möchte mich für meine eigenen Sachen gerne kritisieren lassen und da bin ich auch bereit, mich drauf festnageln zu lassen, aber mich vor den Karren eines kommerziellen oder politischen Unternehmens spannen zu lassen, das hat mir immer ferngelegen. Ich bin ein liebevoller Beobachter, ein kritischer Beobachter, aber ich bin kein politisches oder Werbe-Sprachrohr.

    Elsäßer: In Ihren aktuellen Liedern geht es auch immer mal wieder um das Altern, auf eine sehr selbstironische Art und Weise. Sie haben so viele Platten aufgenommen, so viele Tourneen gemacht – über die Jahre hat sich ja auch Ihre Stimme ein bisschen verändert. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung sprach von einem "rauchzarten Bariton". Muss man den anders pflegen, gehen Sie pfleglicher mit Ihrer Stimme um als früher?

    Mey: Also, ich bin mit meiner Stimme nie pfleglich umgegangen. Ich hab' früher geraucht wie'n Bekloppter, ich habe dann als die Kinder in unser Leben kamen, natürlich pflichtbewussterweise aufgehört zu rauchen. Ich habe das Glück, dass die Stimme da ist. Sie war nie wirklich weg, auch wenn ich schwer erkältet war, habe ich mich irgendwie durch ein Programm gekrächzt. Stimme war eigentlich nie das Problem. Das ist ein Glück, denn wenn ich irgendwie Opernmelodien sänge, müsste man jeden Tag die Stimme trainieren. Für mich kommt es darauf an, wenn ich auf Tournee. Dann muss ich vorher, weil die Stimme ein Muskel ist, pünktlich ein halbes Jahr vorher anfangen, die Stimme zu trainieren, genau wie ein Läufer sich auf seine Marathondistanz vorbereiten muss. Aber es ist nicht sodass ich, wenn ich jetzt mit Ihnen spreche, mir sagen muss, "Um Gottes willen, ach, wird meine Stimme heute Abend noch da sein'" Die wird schon noch irgendwie da sein. Und wenn 'se nicht da ist, wie gesagt, dann krächz' ich mich über die Runden.

    Elsäßer: Und ein Marathon ist es ja eigentlich, was Sie da ab September wieder vorhaben. Ich glaube fast 70 Tourneedaten. Kann's nicht ein bisschen weniger sein?

    Mey: Nein! Und das hat auch den Grund, den ich vorhin schon erwähnt habe: Ich muss mich so lange darauf vorbereiten. Das ist ein Ereignis, das mich im Vorfeld beansprucht und so bewegt, dass es wirklich Inhalt meiner Tage ist. Ich bin schon Monate vor der Tournee in das Programm eingetaucht und spiele es so oft und investiere so viel Zeit von morgens bis abends. Ich singe sechs Stunden, sieben Stunden am Tag. Je näher an der Tournee, umso schlimmer wird es. Also es ist der totale Wahnsinn. Und das macht man nicht für drei Mal Auftreten. Und da ich so lange trainiert habe und meine Kräfte aufgebaut habe, den Muskel Stimme geschult und geschmeidig gemacht habe, da gebe ich alles. Und ich könnte weitersingen. Aber dann wird meine Familie traurig, und dann sind zuhause alle Glühbirnen durchgebrannt und die Heizung geht kaputt, und ich muss nach Hause und alles instand setzen.

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