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"Ein Atomkraftwerk kann man nicht in Reserve halten"

Die Bundesregierung hat sich auf die Details des Atomausstiegs geeinigt und festgelegt, dass einer der acht bereits abgeschalteten Reaktoren künftig bei Stromengpässen schnell wieder angefahren werden soll. Sylvia Kotting-Uhl, atompolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag, hält das für technisch nicht machbar und unsinnig.

Sylvia Kotting-Uhl im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 30.05.2011
    Dirk-Oliver Heckmann: Wie genau soll der Atomausstieg, den sich nach Fukushima auch Union und FDP auf die Fahnen geschrieben hatten, konkret umgesetzt werden? Wann soll der letzte Meiler vom Netz genommen werden? Wie kann verhindert werden, dass die Energiewende auf Kosten des Klimaschutzes geht? Und wie kann gesichert werden, dass die Versorgung mit Strom verlässlich und bezahlbar bleibt? Eine Menge Fragen, mit denen sich die sogenannte Ethikkommission zu beschäftigen hatte. Heute legte sie ihre Empfehlungen der Öffentlichkeit vor. Der Koalitionsausschuss von Union und FDP einigte sich schon bereits in der Nacht auf ein Verfahren. Am Telefon begrüße ich jetzt Sylvia Kotting-Uhl, sie ist die atompolitische Sprecherin von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Schönen guten Tag!

    Sylvia Kotting-Uhl: Ja, guten Tag.

    Heckmann: Frau Kotting-Uhl, Schwarz-Gelb beschließt den Atomausstieg, ein Hauptthema der Grünen ist damit abgeräumt. Können Sie also jetzt einpacken?

    Kotting-Uhl: Das glaube ich nicht. Ich bin ja froh darüber, dass der gesellschaftliche Druck und auch der Druck der Opposition - wahrscheinlich hauptsächlich von uns Grünen - dazu geführt hat, dass Schwarz-Gelb jetzt diese völlig überflüssigen Laufzeitverlängerungen zurücknimmt. Aber ob das, was jetzt vorgelegt ist, tatsächlich das ist, was die Gesellschaft möchte und dem man auch zustimmen kann, das müssen wir tatsächlich dann entscheiden, wenn uns das Gesetzeswerk vorliegt.

    Heckmann: Ihr Fraktionschef Jürgen Trittin sagt, Schwarz-Gelb habe sich da das eine oder andere Hintertürchen offen gehalten. Wie kommen sie darauf?

    Kotting-Uhl: Na ja, zum Beispiel diese Kaltreserve, von der so viel die Rede ist, von einem Atomkraftwerk, das ist ja völliger Unfug. Ein Atomkraftwerk kann man nicht in Reserve halten und mal schnell hoch- und runterfahren. Das ist ja genau das Dilemma der Atomkraftwerke, warum sie auch nicht als Ausgleich für den Ausbau der erneuerbaren Energien taugen. Also entweder man hat das stehen, oder man hat es abgeschaltet, und das ist eines dieser Hintertürchen, dass man eines dieser sieben jetzt plus Krümmel acht abgeschalteten Atomkraftwerke eben doch nicht richtig abschaltet, sondern irgendwie in der Reserve noch mal lässt, wofür auch immer.

    Heckmann: Also Sie vermuten tatsächlich, dass Schwarz-Gelb plant, wenn sich das Meinungsklima möglicherweise wieder ändert, wieder aus dem Ausstieg auszusteigen?

    Kotting-Uhl: Also ich sage mal, wenn sie es ganz ehrlich und ernst meinen, was ich jetzt mal gar nicht unterstellen möchte, dass dem nicht so ist, aber wenn sie es ganz ehrlich meinen, dann könnten sie auch der Empfehlung ihres eigenen Umweltbundesamtes folgen und übrigens vielen anderen Empfehlungen und tatsächlich einen Atomausstieg bis 2017 vorlegen. Dass der möglich ist, nicht nur technisch, sondern auch von der Sicherheit der Stromversorgung her, von den Strompreisen her, vom Klimaschutz her, das stellt ausführlich das Bundesumweltamt dar. Und dann hätten wir einen Atomausstieg innerhalb einer Legislatur.

    Heckmann: Die Ethikkommission sagt, wir brauchen dafür zehn Jahre!

    Kotting-Uhl: Ja, zehn Jahre - das kommt darauf an, wie man die Details ausformuliert. Wenn man das macht, wie das jetzt in dem, was ich bisher sehe, geplant ist, dass man erst mal Kohlekraftwerke noch mal ans Netz nimmt und noch mal neue plant womöglich, anstatt tatsächlich auf die Backup-Kapazitäten zuzugreifen, wirklich Gaskraftwerke zu errichten, dafür Kapazitätsmärkte schafft, die sich auch rechnen, mit der Biomasse anders umgeht, um wirklich rein Backup neu zuzusteuern und dann wirklich völlig auf die hundert Prozent Erneuerbare möglichst schon rauszugehen, dann braucht man dafür keine zehn Jahre. Die Empfehlung der Ethikkommission ist ein Kompromiss zwischen Atomkraftgegnern und Atomkraftbefürwortern.

    Heckmann: Sie haben gerade eben, Frau Kotting-Uhl, gesagt, darauf abgehoben auf diese Kaltreserve, dass eben ein Atomkraftwerk wieder angefahren werden könnte, wenn es nämlich zu Engpässen kommen sollte bei der Stromversorgung. Aber das sind ja nun auch Befürchtungen, die nicht nur Schwarz-Gelb haben, sondern beispielsweise auch die Bundesnetzagentur.

    Kotting-Uhl: Ja! Aber auch diese Befürchtungen halte ich nicht für gerechtfertigt, denn wir haben derzeit elf Gigawatt Reservekapazitäten bereit stehen, und wenn wir ausrechnen, was die ans Netz gehenden, die jetzt im Bau befindlichen und geplanten Kohlekraftwerke, zu denen man leider nicht mehr nein sagen kann, was die dazu bringen, dann sind das noch mal fünf Gigawatt. Die stehen ab 2014 zur Verfügung. Wo da Lücken herkommen sollen, erschließt sich mir wirklich nicht.

    Heckmann: Aber Faktum ist doch, dass wir Atomstrom und Strom aus Kohlekraftwerken beispielsweise aus Tschechien importieren.

    Kotting-Uhl: Wir exportieren und wir importieren Strom, wir waren bisher ein Netto-Exporteur hohen Ausmaßes.

    Heckmann: Bisher!

    Kotting-Uhl: Ja! Jetzt kann es situativ auch mal unter dem Strich zu Nettoimporten kommen. Aber das ist kein Atomstrom, denn die Atomkapazitäten auch im Ausland sind sowieso alle durch die Merit-Order-Kurve im Netz. Also es ist nicht so, dass wir mit unserem Atomausstieg dazu beitragen, dass irgendwo mehr Atomstrom genutzt oder produziert wird.

    Heckmann: Ich würde gerne noch mal auf diese kalte Reserve zu sprechen kommen.

    Kotting-Uhl: Ja.

    Heckmann: Da sagen Sie ja auch und Jürgen Trittin, Sigmar Gabriel von der SPD sieht das genauso, das sei überhaupt gar nicht möglich, man könne ein Atomkraftwerk eben nicht mal eben so schnell wieder anfahren. Da sagte FDP-Generalsekretär Christian Lindner bei uns heute Früh im Programm, das beruhe wohl auf einem Missverständnis, denn diese Atomkraftwerke, die sollten innerhalb von einer Woche erst wieder in Gang gesetzt werden können.

    Kotting-Uhl: Also einen kurzfristigen Strombedarf eine Woche vorher vorauszusehen, das erfordert schon einiges in meinen Augen. Für einen kurzfristigen Strombedarf brauche ich Kraftwerkskapazitäten, die ich schnell hoch- und runterfahren kann. Das Atomkraftwerk kann ich in der Tat innerhalb einer Woche ans Netz nehmen, zu hundert Prozent dann. Aber will ich das im Ernst eine Woche voraussagen können?

    Heckmann: Sie meinen, das ist eine Regelung, die völlig jenseits der Realität ist?

    Kotting-Uhl: Das ist eine Papierregelung! Das entspricht nicht der Realität. Was wir brauchen sind tatsächlich Kapazitäten, die ganz schnell da sind, ganz schnell ans Netz gehen können. Deswegen plädieren wir Grünen seit langem für GUD-Kraftwerke, oder eben für eine andere Nutzung der Biomassekraftwerke, der Biogaskraftwerke.

    Heckmann: Sie sprachen gerade eben von Gezeitenkraftwerken, denke ich. Die SPD, die hat Zustimmung signalisiert, trotz ihrer Kritik. Wie sieht es denn bei Ihnen aus? Machen Sie denn jetzt trotz dieser Bedenken, die Sie geäußert haben, mit?

    Kotting-Uhl: Wir werden uns das reiflich überlegen. Wir haben heute dafür die Fraktionssondersitzung. Aber wir sind uns auch im Klaren, dass die Fraktion eine für die Grünen so entscheidende Frage alleine nicht klären kann. Deswegen werden wir einen Sonderparteitag durchführen und die Partei entscheiden lassen. Wenn die Partei uns den Auftrag gibt, diesem Konsensvorschlag, diesem Kompromissvorschlag zuzustimmen, dann tun wir das.

    Heckmann: Welches Signal wäre denn damit verbunden, wenn die Grünen da quasi als Blockierer dastehen würden?

    Kotting-Uhl: Wir stehen, glaube ich, nicht als Blockierer da, wenn wir gute Argumente dafür haben, warum das, was die Bundesregierung uns vorlegt, nicht zustimmungsfähig ist. Wenn es keine guten Argumente dagegen gibt, keine gut begründeten, dann werden wir das nicht tun. Es geht uns nicht darum, Nein zu sagen um des Nein sagen willens, absolut nicht. Wenn das, was uns vorgelegt ist, gut ist, und da streiten wir auch nicht wegen zwei Jahren herum, wenn das zustimmungsfähig ist und unserer Partei nicht zu viel abverlangt, dann stimmen wir dem zu und dann werden wir auch werben dafür, auch bei der Partei werben dafür. Aber letztlich liegt eine solche Entscheidung für unser Kernthema wirklich bei unserer Parteibasis.

    Heckmann: Erwarten Sie denn jetzt, dass die ganze Sache auch durch den Bundesrat geht, denn die Verlängerung der Atomlaufzeiten, die wurde ja unter Umgehung des Bundesrats vollzogen?

    Kotting-Uhl: Ich glaube, dass man bei einem so großen Paket und einer so großen Änderung weitgehend den Bundesrat einbeziehen sollte. Das wäre sehr klug.

    Heckmann: Was wäre der Fall, wenn diesem Ratschlag nicht Folge geleistet würde von Seiten der Bundesregierung?

    Kotting-Uhl: Dann muss die Bundesregierung in Kauf nehmen, dass sie Widerstand aus den Ländern bekommt. Das wäre nicht ratsam.

    Heckmann: In welcher Form?

    Kotting-Uhl: In welcher Form, wird sich zeigen. Es ist zum Beispiel aus den Südländern ja jetzt schon mal die Bereitschaft gekommen, dass man einer ergebnisoffenen bundesweiten Endlagersuche zustimmt, die meiner Meinung nach mit in das ganze Paket Atomausstieg rein muss, und das jetzt nicht aufzugreifen und mit dem Bundesrat auch zu bereden, wäre in meinen Augen politisch einfach unklug.

    Heckmann: In der Tat: CSU-Chef Horst Seehofer hat ja dieses Thema jetzt noch mal aufgemacht. Er hat eine bundesweite Suche ins Spiel gebracht. Die Ethikkommission, die hat ja jetzt gesagt, bei der Suche nach einem solchen Endlager sei entscheidend, dass der Atommüll wieder rückholbar sein muss. Ist dann aus Ihrer Sicht Gorleben dadurch schon quasi zweifach gestorben?

    Kotting-Uhl: Ich glaube, dass es reicht, wenn Gorleben einfach gestorben ist, und dafür gibt es viele Gründe. Ich stimme an dieser Stelle mit Herrn Töpfer nicht überein. Ich glaube, dass die Rückholbarkeit sehr viele gefährliche Implikationen aufweist, und ganz nebenbei verschieben wir damit das große Problem der Entscheidung auf nachfolgende Generationen, ohne zu wissen, ob es für die leichter wird. Ich glaube, dass wir in der Pflicht stehen, wirklich eine Lösung zu finden für den Atommüll, für die sichere Endlagerung des Atommülls, und zwar innerhalb der Generationen, die, wie auch immer man das werten mag, den Nutzen aus dem Atomstrom hatten und das nicht verlagern dürfen in Generationen, die dann nur noch den Müll haben.

    Heckmann: Das heißt, Sie sind für ein Endlager, in dem es überhaupt gar nicht mehr möglich ist, diesen Atommüll wieder rauszuholen?

    Kotting-Uhl: Doch! Ich bin für ein Prinzip der Bergbarkeit. Das heißt, wir müssen Behälter entwickeln und nutzen, die sehr lange intakt bleiben - da war mal die Rede von 500 Jahren -, wir müssen das Wissen erhalten. Aber ich glaube nicht, dass man ein Lager über Jahrhunderte hinweg zugänglich lassen sollte. Das halte ich für zu gefährlich, aus unterschiedlichsten Gründen: Strahlenexposition, Zugänglichkeit, wir wissen nicht, wie sich Gesellschaften entwickeln, ob da weiterhin Kontrollmöglichkeiten, demokratische Strukturen herrschen in 500 oder 1.000 Jahren. Das ist alles zu viel Unwissen und die Gefährlichkeit von hoch radioaktivem Atommüll ist einfach zu groß.

    Heckmann: Die atompolitische Sprecherin Silvia Kotting-Uhl von den Bündnis-Grünen hier im Deutschlandfunk-Interview. Frau Kotting-Uhl, danke für das Gespräch.

    Kotting-Uhl: Gerne.