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"Ein bisschen wenig Dialog drin"

Tobias Raschke, Jugendsprecher der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche", hat den Weltjugendtag in Köln kritisiert. Die Veranstaltung sei nur auf den Papst fixiert. Es gehe weder um die Jugend noch um Inhalte, meinte Raschke.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Wir sind verbunden mit Tobias Raschke, Sprecher der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche". Guten Morgen.

    Tobias Raschke: Guten Morgen.

    Heinlein: Freuen Sie sich auf den Papst?

    Raschke: Ich finde es gut, dass er kommt. Allerdings ist natürlich ein bisschen wenig Dialog drin im katholischen Weltjugendtag. Kardinal Meisner hat es ja im Eröffnungsgottesdienst gesagt, was der katholische Weltjugendtag wirklich ist: Nämlich ein Welt-Papsttag. Und es ist ein bisschen schade, dass hier alles auf den Papst fokussiert ist. Überall hängen die Papst-Plakate und es geht nicht wirklich um die Jugend, und es geht auch nicht wirklich um Inhalte.
    Heinlein: Aber sind 400.000 Jugendliche nicht eine eindrucksvolle Demonstration des Glaubens, auf die die katholische Kirche mit Recht stolz sein kann?

    Raschke: Also ich meine, wenn Sie mir 100 Millionen Euro geben würden, dann würde ich auch so etwas organisieren, und dann könnten wir auch ein weltweites Katholikentreffen organisieren, so wie den deutschen Katholikentag, wo es eben Foren gibt, wo Glaubensdinge und Spiritualität gelebt und aber auch gleichzeitig Diskussionsforen so stattfinden können, wie wir das eben von Katholikentagen kennen.

    Heinlein: Beeindruckt Sie zumindest die Begeisterung der jugendlichen Pilger in den ersten Tagen? Diese scheinen ja zumindest Ihre Kritik nicht zu teilen?

    Raschke: Also, was mich begeistert, sind die Rückmeldungen von meinen Kollegen, von unserer internationalen Jugendkoalition, die aus 15 Ländern hier mit da sind. Da gehört "Catholics for free choice" aus den Vereinigten Staaten dazu, ein europäische Netzwerk und die lokal schwul-lesbischen Gruppen hier in Köln. Wir bilden zusammen den Weltjugendtag für alle und unterstützen die Kampagne "Kondome fürs Leben". Wir wollen zeigen, dass es katholisch-moralisch richtig ist, zum Schutz vor Aids, um sich vor dieser Krankheit zu schützen, Kondome zu verwenden. Und die Rückmeldungen von den letzten Tagen, die unsere Leute erfahren haben, als sie diese Flyer und Postkarten und Aufkleber verteilt haben, sind einfach gigantisch. Die Leute wollten gleich die T-Shirts den Leuten vom Leib reißen, weil sie die so cool finden. Nur weil da draufsteht: Kondome retten Leben und die Internetseite www.condoms4life.org.

    Heinlein: Herr Raschke, ist das Kondomverbot des Vatikans für Sie ein Zeichen, dass sich die Kirche, die katholische Kirche, der Vatikan der Lebenswirklichkeit gerade junger Christen verweigert?

    Raschke: Ja, vollkommen. Also wir müssen einfach der Realität ins Auge blicken, dass, während wir hier sprechen - jede einzelne Minute infizieren sich fünf Menschen auf dieser Welt mit HIV-Aids. Das sind 14.000 pro Tag, und das sind eindeutig zu viele. Die Hälfte davon sind junge Menschen zwischen 15 und 24, da muss drauf reagiert werden. Und das einzige was wirklich hilft, ist die Empfehlung, Kondome zu verwenden. Natürlich, Abstinenz und Treue sind wichtige Elemente, aber die Leute brauchen zumindest die Information, dass wenn es passiert, dass sie Kondome verwenden, um sich gegen diese Krankheit zu schützen.

    Heinlein: Wie offen wird denn der Dialog über dieses kritische Thema oder andere Themen wie Zölibat oder Frauenpriestertum geführt auf diesem Weltjugendtag?

    Raschke: Diese Themen werden eigentlich total ausgeklammert. "Wir sind Kirche" ist ja eine weltweite katholische Bewegung, die allerdings natürlich nicht eingeladen wurde, diesen Weltjugendtag vorzubereiten, diesen Weltjugendtag mitzugestalten oder die hier im offiziellen Programm erscheinen, weil die Themen unbequem sind, weil wir die heißen Eisen angehen, die die katholische Kirche lieber ausschließen will. Genauso wie zum Beispiel im Pressezentrum des katholischen Weltjungendtags bestimmte Internetseiten nicht zugänglich sind, zum Beispiel der von HuK.org, Homosexuelle und Kirche. Diese Internetseite sollen die Journalisten im katholischen Pressezentrum des Weltjugendtags nicht ansurfen können, und das ist eine gewisse Zensur. Und genauso betrifft das eben unser Programm, das natürlich jetzt trotzdem stattfindet im Rahmend des Weltjugendtags für alle. Und das haben eben unsere Spenderinnen und Spender von "Wir sind Kirche" mitfinanziert und andere Leute die sagen, ok, das ist wichtig, dass es hier trotzdem ein Ergänzungsprogramm gibt, damit diese Themen nicht unter den Tisch fallen.

    Heinlein: Erwarten, erhoffen Sie sich von dem neuen Papst, von Papst Benedikt XVI., dass er eintritt in den Dialog in die Gespräche mit der Reformbewegung der katholischen Kirche, mit Ihnen?

    Raschke: Ich hätte es mir gewünscht. Aber es ist sehr unrealistisch, weil er war der Chef der Inquisition und hat da sehr viele Menschen unglücklich gemacht. Dialog war in seiner Zeit als Inquisitor nicht wirklich möglich. Er war Ankläger und Urteilender in einer Person, das ist sehr undemokratisch. Und ich glaube, dass er auch einfach viel zu alt ist, um diesen Dialog zu führen. Wenn er diesen Dialog hätte führen wollen, hätte er uns schon lange geschrieben und hätte er uns auch also Vertreter der "Wir-sind-Kirche-Jugend" und der anderen beteiligten Reformgruppen zu einem Dialog hier in Köln eingeladen. Zu den Gesprächen mit dem Papst, wo es wirklich um Gespräche geht - zum Beispiel zum Mittagessen -, sind nur ganz ausgewählte Jugendliche eingeladen, wo man heute noch gar nicht weiß, wer das ist. Und die sind sicher sehr papsttreu und freuen sich vor allem, dass sie hier als fromme Leute diesen Papst treffen. Um Dialog geht es da nicht, da geht es auch nicht um die drängenden Probleme wie HIV-Aids.

    Heinlein: Wie erklären Sie sich dann, Herr Raschke, diese Euphorie, diese Begeisterung bei den jugendlichen Pilgern, gerade heute, an dem Tag, wenn Papst Benedikt XVI. in Köln eintrifft?

    Raschke: Das ist so eine Popstar-Begeisterung, so wie im Fußballstadion. Das waren so die Eindrücke, die mir auch andere Leute mitgeteilt haben. Es gibt da richtige Einpeitscher in den Gruppen und manchmal denkt man sich, das Ganze hier ist wie eine Fußballweltmeisterschaft, weil die Leute nämlich einfach den Namen ihres Landes skandieren und einfach schauen: Wer kann das lauter schreien in der Gruppe. Und das ist einfach ein bisschen wenig. Also da ist einfach eine Chance vertan worden. Dafür ist das Ganze auch viel, viel zu teuer und der deutsche Steuerzahler ist da ganz schön mit dran beteiligt an diesen Kosten. Das passt doch nicht, dass hier eine Papst-Jubelfeier veranstaltet wird und die wichtigen Themen, die es gibt, einfach ausgeschlossen werden.

    Heinlein: Braucht die katholische Kirche Ihrer Meinung nach diese starken Bilder, dieses Papst-Event, um für Jugendliche dauerhaft attraktiv zu sein? Ein Papst-Event quasi also zur Stärkung des Glaubens?

    Raschke: Events dienen dazu, medial Zusammengehörigkeitsgefühle zu schaffen. Und ich glaube aber, dass dieser Event nur eben von kurzer Dauer ist. Die meisten deutschen Katholiken - und vor allem junge - sind überhaupt nicht da. Die, die wir gestern in unserem "Wir sind Kirche" Treffpunkt getroffen haben, in der Jülicher Straße 28 in Köln, die waren zum Teil entsetzt, mit welchen Gruppen sie hier angereist sind und in welche Gesellschaft sie da geraten sind mit irgendwelchen fundamentalistisch orientierten, erzkonservativen Jugendgruppen, die das überhaupt nicht interessiert. Und die dann fragen: Ja wo findet hier eigentlich ein Programm statt? Ich meine, die sind einen Katholikentag gewohnt, und was ihnen hier vorgesetzt wird, ist eine Papst-Jubelfeier, eine auf Priester und Bischöfe fixierte Veranstaltung, wo der Dialog eindeutig zu kurz kommt. Und Jugendliche wollen mitreden. Und ich meine, der BDKJ hat gestern dieses Youth-hearing mitveranstaltet, aber wissen Sie, wofür am meisten geklatscht wurde? Als jemand dann sagte, ja die Bischöfe sollten das Kondomverbot aufheben, um eben diese HIV-Aids-Epidemie Ausbreitung zu verhindern. Die Antworten der Bischöfe waren natürlich wie üblich, nicht wirklich couragiert und sehr zurückhaltend. Und wir brauchen eben auch in der katholischen Kirche Bischöfe und Bischöfinnen, die eben couragiert auftreten, die Jugendliche wirklich ernst nehmen, sie abholen, wo sie sind. Und die sozusagen sich einmal trauen, aufzustehen und eine Richtung auch mit vorzugeben. Und die Richtung, die sie momentan vorgeben, ist eben sehr konservativ. Und das wird die meisten Leute und weiter Leute aus der katholischen Kirche vertreiben, vor allem junge Menschen, denn die Kirche ist nicht offen für sie.

    Heinlein: Tobias Raschke war das, Jugendsprecher der katholischen Reformbewegung "Wir sind Kirche". Herr Raschke, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Raschke: Danke.