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"Ein bisschen zwischen Panik und Chaos"

An den Börsen weltweit herrscht am heutigen Freitag das Chaos: Ob DAX, DOW oder Nikkei, die Kurse fallen, und die Börsenhändler stehen dem Geschehen ohnmächtig gegenüber. "Man muss gewissen Dingen einfach zuschauen und das hinnehmen, was vor einem im Markt passiert", so Lars Salmon, der als Broker in London tätig ist.

Lars Salmon im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Wir wollen nun die abermalige Talfahrt an den Börsen zum Anlass nehmen, mit einem Börsenhändler zu sprechen. Am Telefon in London begrüße ich Lars Salmon.

    Lars Salmon: Hallo!

    Barenberg: Herr Salmon, Sie arbeiten in der britischen Hauptstadt für eine internationale Bank. In welcher Stimmung sind Sie heute Morgen zur Arbeit gegangen? Die Vorgaben waren ja wohl denkbar schlecht.

    Salmon: Die Vorgaben waren denkbar schlecht. Das ist richtig. Der japanische Nikkei-Index war ungefähr 10 Prozent weiter unten. Das hat natürlich auch direkt heute Morgen hier zu sagen wir mal anhaltender Panik geführt mit dem DAX, dem Deutschen Aktienindex, am Tiefpunkt auch ungefähr 10 Prozent niedriger als gestern. Ja, es ist halt eine Fortsetzung der Talfahrt, eine Fortsetzung der Krise. Es kommt darauf an: Für neue Marktteilnehmer ist das vielleicht was Neues; für die so genannten alten Hasen hat man zwar so etwas vielleicht noch nicht in dieser ganzen Stärke erlebt, aber es gab ja auch schon Krisen in der Vergangenheit, wo man versucht, etwas aus der Erfahrung, die man da mitgenommen hat, heutzutage einfach zu nutzen.

    Barenberg: Sind Sie denn auch nervös, wenn Sie zur Arbeit gehen, oder sind es sozusagen immer nur technisch die Märkte, die in Panik geraten? Was ist mit den Händlern selber? Was ist mit Ihren Kollegen?

    Salmon: Die Händler selber, die Kollegen sind natürlich unter Umständen auch nervös. Es gibt schon bestimmte Situationen, die man vielleicht auch zum ersten Mal erlebt oder wo die Einbrüche so ruckartig geschehen, dass dort im ersten Moment vielleicht auch eine Panik entsteht. Auf der anderen Seite: Im Moment ist es halt einfach so, dass die Märkte und die Händler selbst sich so ein bisschen zwischen Panik und Chaos auf der einen Seite befinden, was natürlich den Markt bestimmt, und auf der anderen Seite setzt dann oftmals eine gewisse Ohnmacht und Apathie ein, weil man kann in dem Moment einfach nichts mehr daran ändern und muss gewissen Dingen in gewisser Weise einfach zuschauen und das hinnehmen, was vor einem im Markt passiert.

    Barenberg: Wie muss ich mir denn ganz konkret so einen Tag vorstellen, wenn die Ereignisse sich derart überschlagen? Kollegen mit hoch roten Köpfen, Kollegen, die gar nicht mehr zum Telefonhörer greifen? Schildern Sie doch mal, wie das im Alltag dann wirklich aussieht in der Bank.

    Salmon: Als erstes muss ich sagen, wir arbeiten heutzutage in einem Großraumbüro, in einem großen Handelsraum. Wir sind nicht direkt an der Börse, wie man das vielleicht so aus dem Fernsehen kennen würde. Es findet auch vieles elektronisch statt heutzutage, über Computer und natürlich immer noch das Telefon. Es ist schon so ja, diese Klischees: roter Kopf und häufige Zigarettenpausen und viel Kaffee und so weiter. Das kommt auf jeden Fall vor. In Zeiten wie diesen ist der Stress offensichtlicherweise etwas größer als in ruhigeren Zeiten, und das macht sich dann natürlich bei den verschiedenen Händlern in verschiedener Hinsicht bemerkbar. Wie gesagt, die einen werden ein bisschen lauter, die anderen ziehen sich zurück und denken viel. Der dritte hat häufigere Zigarettenpausen und so weiter. Das Lautstärke-Level wird hier im Handelsraum natürlich schon größer, quasi je größer die Panik ist, bis dann so ein Moment kommt, wo die Ohnmacht einsetzt, wo es alles etwas ruhiger wird. Das ist oftmals wie zum Beispiel jetzt um die Mittagszeit, wo einfach natürlicherweise die Leute mal einen Break, eine Pause brauchen und der Markt sich etwas beruhigt, bevor es dann wahrscheinlich weiter in die gleiche Richtung geht, wenn halt die Vereinigten Staaten jetzt in den nächsten Minuten oder Stunden den Markt dort aufmachen.

    Barenberg: Haben Sie denn manchmal zum Beispiel den Eindruck, dass Kollegen das ganze Tagwerk zwischen den Fingern zerrinnt, dass ihnen die Geschichte aus dem Gleichgewicht gerät?

    Salmon: Ja, das kommt schon vor, ja. Es gibt natürlich auch in Einzelfällen persönliche tragische Fälle. Ich kann jetzt nicht von meinen direkten Kollegen sprechen, aber es gab aber schon auch dieses Jahr wieder hier in der City in London zwei oder drei Fälle, wo es halt persönlich tragisch geendet hat, weil einfach, nehme ich mal an, das Stress-Level einfach zu hoch war und vielleicht der eine oder andere damit persönlich überhaupt nicht mehr zurecht gekommen ist.

    Es ist natürlich auch so: Obwohl die Finanzbranche im Moment nicht besonders geliebt ist, ist es so, dass die meisten Mitarbeiter hier genauso wie bei fast allen anderen Firmen auch ihre persönlichen Investments - ob das jetzt private Investments in Aktien sind oder die Pensionskassen -, es ist ja auch so, dass unser eigenes Geld in gewisser Hinsicht genauso wie das von Privatanlegern im Rest der Welt betroffen ist. Das hilft natürlich der Stimmung auch nicht. Sagen wir es mal so.

    Barenberg: Die Politiker verlangen nun im Moment immer strengere Regeln, mehr Transparenz. Macht das Ihren Job in Zukunft leichter? Wird es ihn verändern? Inwiefern wird es ihn verändern?

    Salmon: Es wird den Job nicht einfacher machen natürlich. Die kritische Frage ist, wie viel neue Regulierung jetzt sagen wir mal in den Markt gebracht wird. Es ist keine Frage, dass gewisse Produkte, gewisse Business-Bereiche innerhalb der Finanzwelt auf jeden Fall falsch oder schlecht oder unterreguliert waren. Da muss auf jeden Fall etwas getan werden. Der Trick oder das Geheimnis an der Sache ist, dass die Politiker halt genau überlegen müssen, in welchen Fällen wie viel reguliert werden soll für die Zukunft, weil natürlich eine totale Überregulierung dann das ganze Geschäft eine ganze Menge schwieriger machen kann. Es ist natürlich auch so: So wie es aussieht, wird die deutsche Wirtschaft genauso wie die Weltwirtschaft in eine Rezession reinrutschen. Dann versucht man natürlich, über die nächsten Monate das Ganze wieder aufzubauen so schnell als möglich. Das Geheimnis ist wie gesagt: Regulierung ist auf jeden Fall notwendig, weil was jetzt über die letzten zwei Jahre in der Finanzwelt passiert ist, in vieler Hinsicht überhaupt nicht in Ordnung war. Aber auf der anderen Seite sollte man auch versuchen, nicht zu überregulieren, weil ansonsten der Aufschwung durchaus um Monate oder auch Jahre verschoben werden kann, weil einfach der Umsatz und der Handel dadurch erschwierigt wird.