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"Ein Desaster für die deutsche und für die Münchener Justiz"

Das Gericht habe es "an Sensibilität fehlen lassen", kritisiert der Journalist Heinrich Wefing die Platzvergabe für Journalisten beim Prozess gegen Beate Zschäpe. "Jetzt braucht es Öffentlichkeit in jeder denkbaren Weise und das Gericht hat sich daran offensichtlich nicht orientiert."

Heinrich Wefing im Gespräch mit Bettina Klein |
    Friedbert Meurer: Am 17. April beginnt in München der Prozess gegen den Nationalsozialistischen Untergrund, den NSU – ein Mammutverfahren, das aufklären soll, wie Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte in die zehnfache Mordserie verstrickt sind. Neun Opfer waren türkische und ein griechischer Kleinunternehmer, außerdem eine Polizistin. Viel Aufregung gibt es um das Verfahren, nach dem die Journalisten akkreditiert werden. Das Gericht entschied streng nach Eingang der Meldungen, und damit hatten einheimische Medien einen Vorteil wie Radio Arabella. BBC, die New York Times und Hürriyet dagegen bleiben außen vor. – Bettina Klein hat gestern Abend den Rechtsredakteur der Wochenzeitung DIE ZEIT, Heinrich Wefing, gefragt, ob er die große Empörung über das Münchener Gericht für angemessen hält.

    Heinrich Wefing: Ich denke, schon. Juristisch kann man wohl kaum etwas gegen die Entscheidung sagen. Das kann das Gericht so machen und es hat auch seine Gründe dafür. Da kommen wir vielleicht nachher noch drauf zu sprechen. Aber dies ist nicht ein Prozess wie jeder andere, sondern dies ist ein Prozess, der weit über Deutschland hinaus Aufmerksamkeit findet – in der Türkei natürlich, aber auch in den Vereinigten Staaten, in Israel -, und das Gericht hat es, finde ich, dann doch etwas an Sensibilität dafür fehlen lassen, wie man mit dieser Neugier, mit diesem Interesse in aller Welt umgeht. Wir dürfen ja nicht vergessen: Dieser Prozess behandelt einen Fall, der vor allen Dingen deswegen so schockierend ist, nicht nur, weil zehn Menschen ums Leben gekommen sind, sondern weil das unter den Augen der Ermittlungsbehörden jahrelang in Deutschland passieren konnte. Jetzt braucht es Öffentlichkeit in jeder denkbaren Weise und das Gericht hat sich daran offensichtlich nicht orientiert.

    Bettina Klein: Sie sagen, Herr Wefing, das Gericht konnte so entscheiden. Aber es hätte demnach auch anders entscheiden können, es musste nicht so entscheiden. Wo hat das Gericht Spielraum nicht ausgenutzt, der zur Verfügung gestanden hätte?

    Wefing: Die erste Entscheidung wäre gewesen: Müssen wir in diesen Gerichtssaal gehen, von dem wir wissen, dass er eng ist und dass er jedenfalls am Anfang dem Publikums- und Medieninteresse nicht ausreichen wird. Ich selber war vor zwei Jahren im Demjanjuk-Prozess in eben diesem Saal und es hat da buchstäblich Rangeleien, fast Schlägereien an den ersten Prozesstagen gegeben. Das sind Verhältnisse, die sind nicht neu, das ist keine Überraschung. Man konnte wissen, das Gericht konnte ahnen, dass es ganz viele Medienvertreter und viele Menschen in der Bevölkerung gibt, die in diesen Prozess rein wollen. Warum nimmt man diesen Saal? Warum nimmt man nicht, wie andere Gerichte das in anderen Fällen schon gemacht haben, …

    Klein: Was ist Ihre Erklärung dafür in diesem Punkt?

    Wefing: Vielleicht ganz kurz noch. Man hätte einfach in eine Turnhalle ausweichen können, in einen Theatersaal, was auch immer. – Die Erklärung ist, glaube ich, dass dem Gericht an einem Punkt sehr viel gelegen ist: zu signalisieren – und das hat der Gerichtspräsident auch in Interviews öffentlich gesagt -, zu signalisieren, wir behandeln diese Mordtaten so, wie wir jede andere Mordtat auch behandeln, oder man muss sagen, jede mutmaßliche Mordtat. Dies ist kein politischer Prozess, wir lassen uns von der Öffentlichkeit in keiner Weise unter Druck setzen. Dies ist kein symbolisches Verfahren, sondern wir verhandeln hier streng nach Recht und Gesetz und lassen uns von Politik oder einer aufgepeitschten Emotion der Öffentlichkeit nicht beeinflussen. – Das ist der richtige Ansatz, aber trotzdem muss man nicht völlig jede Sensibilität aufgeben.

    Klein: Sie haben den Präsidenten des Gerichtes zitiert, der den Unwillen ausgedrückt hat, in diesem Prozess irgendetwas anders zu machen als in anderen Strafrechtsprozessen. Unterstellen Sie dem Gericht andere als strikt rechtsstaatliche Intentionen bei dieser Entscheidung?

    Wefing: Nein, das tue ich nicht. Ich klage an oder beklage eine fehlende Sensibilität. Das Gericht hat noch einen anderen Grund, warum es so handelt. Jede Entscheidung in einem solchen Verfahren, auch Entscheidungen, wann die Öffentlichkeit wie zugelassen wird, können hinterher zu Revisionen führen, zur Aufhebung des Prozesses im schlimmsten Fall und zu einer Verpflichtung, noch mal neu zu verhandeln. Daran hat niemand ein Interesse und deswegen versucht das Gericht, jeden möglichen Revisionsfehler zu vermeiden. Aber noch mal: Das ist möglich, ohne dass man eine Sensibilität, eine Aufmerksamkeit, ein Gespür dafür aufgibt, was dieser Prozess bedeutet, über den rein rechtsstaatlichen Ansatz hinaus.

    Klein: Kommen wir noch zu dem dritten Punkt, dass das Gericht ja argumentiert hat, bei der Vergabe dieser festen Plätze das Prinzip "wer zuerst kommt, der hat eben einen Platz" angewendet zu haben. Es argumentiert mit dem Gleichheitsgrundsatz dabei, und die Frage stellt sich natürlich dann da auch: Weshalb hätte das Gericht in diesem Fall davon abweichen sollen. Hätte es abweichen können?

    Wefing: Es hätte abweichen können, es hätte andere Auswahlverfahren anwenden können. Ein Losverfahren wäre denkbar gewesen. Und in anderen Prozessen ist es so, dass man sogenannte Pools bildet, dass man also sagt, wir machen einen Pool von ausländischen Medien und reservieren denen drei oder fünf Plätze, und dann müssen sich alle ausländischen Medienvertreter intern einigen, wie sie diese Plätze ausfüllen. Man kann so was machen für Radio- und Fernsehanstalten, man kann so was für die schreibende Presse machen. Also es gibt durchaus – und das wird auch in anderen Prozessen gemacht -, es gibt Wege, sich damit auseinanderzusetzen. Natürlich ist es dann immer schwierig, natürlich kann dann jemand kommen und fragen, warum gibt es für die ausländische Presse fünf Plätze und nicht sieben. Aber das sind dann Entscheidungen, die stehen im Ermessen des Gerichts, und da kann ein souveräner Gerichtsvorsitzender oder Präsident Entscheidungen treffen, und das tun andere Gerichte in Deutschland durchaus.

    Klein: Es gab jetzt auch einige Medienvertreter, die türkischen Medien ihren Platz angeboten haben, und selbst da sagt das Gericht, auch das können wir nicht zulassen. Sie können zwar darauf verzichten, am Prozess teilzunehmen, aber sie dürfen nicht sozusagen da einen Handel betreiben. Wäre auch das eigentlich möglich?

    Wefing: Auch das steht im Ermessen des Gerichtspräsidenten oder des vorsitzenden Richters der Strafkammer. Da erscheint mir jetzt eine Hartleibigkeit und eine Starrsinnigkeit, die ich gar nicht mehr nachvollziehen kann. Warum kann man da nicht jetzt eine Restflexibilität wahren, denn so kommen wir jetzt aus dem Ganzen nicht mehr raus, und ich finde es ein ziemliches Desaster für die deutsche und für die Münchener Justiz.

    Meurer: Das war der Rechtsredakteur der ZEIT, Heinrich Wefing. Mit ihm sprach meine Kollegin Bettina Klein.


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