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"Ein erstaunlicher Durchbruch"

Der Nahostexperte Michael Lüders begrüßt das Einlenken des Irans im Atomstreit, rät jedoch dazu, die Umsetzung der Vereinbarung Teherans mit der Türkei und Brasilien "sehr genau zu beobachten".

Michael Lüders im Gespräch mit Stefan Heinlein | 17.05.2010
    Stefan Heinlein: Ein zentraler Sprengsatz der internationalen Politik scheint vorerst entschärft. Der Iran hat offenbar im Streit um sein Atomprogramm eingelenkt. Die heftig umstrittene Urananreicherung soll künftig im Ausland stattfinden. Ein entsprechendes Abkommen ist unterzeichnet. Möglich wurde dieser diplomatische Durchbruch durch Vermittlung der Türkei und Brasiliens. Die Sanktionsdrohungen des Westens scheinen damit vorerst vom Tisch. Am Telefon begrüße ich nun den Nahostexperten Michael Lüders. Guten Tag, Herr Lüders.

    Michael Lüders: Schönen guten Tag!

    Heinlein: Finte oder ein echter Durchbruch? Wie bewerten Sie die aktuellen Nachrichten aus dem Iran?

    Lüders: Das ist ein erstaunlicher Durchbruch, mit dem vor einiger Zeit noch niemand wirklich gerechnet hätte. Der Iran hat eingelenkt, zum einen aus der Einsicht heraus, dass man es sich nicht mit allen Staaten dieser Erde verderben kann, zum anderen aber haben die Iraner hier einen sehr geschickten diplomatischen Schachzug gewählt, denn sie haben ja immer gesagt, wir sind bereit zu verhandeln, wir sind aber nicht bereit, uns erpressen zu lassen. Indem nun mit der Türkei und Brasilien eine Einigung erzielt worden ist, düpiert Teheran natürlich die westlichen Verhandlungsmächte, die über Jahre hinweg Selbiges versucht hatten, aber ohne Erfolg. Es ist ein Erfolg für die iranische Diplomatie und eine enorme Aufwertung von Schwellenländern wie Brasilien und der Türkei, die beide eine größere Führungsrolle beanspruchen, Brasilien weltweit, die Türkei vor allem im Nahen und Mittleren Osten. Beide haben ihren internen Status und ihren Einfluss in der internationalen Politik deutlich gestärkt.

    Heinlein: Was hat die iranische Führung letztendlich zum Einlenken, zu diesem Kompromissangebot bewogen? War es tatsächlich die von Ihnen angesprochene Sorge vor Isolation, oder haben letztendlich doch die Drohungen mit weiteren Sanktionen gewirkt?

    Lüders: Ich glaube, dass die Sanktionsandrohungen selbst auf Teheran keinen großen Einfluss gehabt haben, denn diese Sanktionsandrohungen sind in der Vergangenheit mühelos von Teheran unterlaufen worden. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die deutsche Industrie hat ihr Engagement in Teheran, im Iran insgesamt deutlich zurückgefahren, als Ergebnis eines massiven politischen Drucks aus Berlin, aber im Ergebnis sind ja deswegen nicht die Wirtschaftsprojekte nicht verwirklicht worden im Iran, sondern die Chinesen haben sofort die Lücken besetzt, die die Deutschen hinterlassen haben. Insofern konnte der Iran eigentlich relativ gelassen mit den westlichen Sanktionsandrohungen umgehen. Man muss sich aber immer vor Augen halten, dass diese ganze Diskussion um das iranische Atomprogramm ja nicht allein getragen ist von der Sorge, Atombombe ja oder nein im iranischen Besitz, sondern der Iran ist das einzige Land zwischen Marokko und Indonesien, das nicht eine prowestliche Politik verfolgt, und deswegen steht es massiv im Visier westlicher Geopolitik im Nahen und Mittleren Osten. Aus dieser Umklammerung hat sich Teheran jetzt ein Stück weit befreit. Teheran kann jetzt auf China rechnen, zum Teil auf Russland und ganz gewiss auf die neuen Freunde in Brasilien und in der Türkei.

    Heinlein: Sie haben in Ihrer ersten Antwort, Herr Lüders, das Verhalten Teherans als diplomatisch geschickt gelobt. Wie glaubhaft ist denn diese diplomatische Volte? Steckt dort tatsächlich Substanz dahinter?

    Lüders: Das ist gegenwärtig schwer abzuschätzen. Es ist ganz klar, dass es innerhalb der iranischen Führung unterschiedliche Auffassungen gibt in der Frage, wie kompromissbereit soll man in Fragen der Urananreicherung sein. Die Hardliner sagen, es ist doch völlig egal, ob wir kompromissbereit sind oder nicht, wir entgehen sowieso den westlichen Sanktionsandrohungen nicht. Jetzt sind die Hardliner in gewisser Weise geschwächt. Diejenigen, die innerhalb des Regimes auf Verhandlungen gesetzt haben, haben sich jetzt über einen Umweg durchgesetzt. Das ändert nichts daran, dass das iranische Regime mit äußerster Vorsicht zu betrachten ist. Es wird auch weiterhin nach innen repressiv und nach außen sehr viele Probleme produzieren. Aber nichtsdestotrotz: Jetzt ist eine Verhandlungsgrundlage geschaffen, da kann man weitermachen. Die Frage bleibt aber aus westlicher Sicht: Kann man leben mit einem Iran, mit einer islamischen Republik, die erkennbar nicht vorhat, westlichen geopolitischen Interessen zu genügen? Weder in Israel noch in den USA wird man diesen Verhandlungsdurchbruch auf Dauer wirklich würdigen wollen, aus der Sorge heraus, dass Teheran eben doch nach wie vor nach der Bombe strebt.

    Heinlein: Kommt es also für den Westen, für die internationale Gemeinschaft nun darauf an, auf die Details dieses Abkommens zu gucken und dann in den nächsten Wochen auf die praktische Umsetzung?

    Lüders: In der Tat, darauf kommt es an. Es kommt jetzt wirklich darauf an, die Umsetzung dieser Vereinbarungen sehr genau zu beobachten. Aber sicherlich wird man sich in den westlichen Hauptstädten auch überlegen müssen, welche Strategie man gegenüber Teheran kurz- und mittelfristig fährt: Will man weiterhin die islamische Republik unabhängig der häufig unerträglichen Politik seiner Oberen isolieren oder arrangiert man sich mit einer islamischen Republik Iran, die eine nicht prowestliche Politik verfolgt? Das ist die Schlüsselfrage. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die westlichen Staaten, die USA, Europa und auch Israel, auf Dauer dem Iran eine eigenständige Politik in diesem Bereich zugestehen werden. Der Druck wird weiter auf Teheran lasten, sich außenpolitisch zu mäßigen und innenpolitisch zu öffnen. Allerdings sind die Möglichkeiten des Westens, Einfluss zu nehmen, geringer geworden. Die Drohkulisse zunehmender Sanktionen ist erst einmal vom Tisch und der Iran hat sich neue Verbündete geschaffen und damit hat der Iran diesen diplomatischen Konflikt mit dem Westen, der ja nun mehrere Jahre schon andauert, zunächst einmal für sich entschieden.

    Heinlein: Bewegung im Streit um das iranische Atomprogramm. Dazu heute Mittag hier im Deutschlandfunk der Nahostexperte Michael Lüders. Ich danke für das Gespräch!

    Lüders: Danke!