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Ein Gallier als Bildungsträger

Kai Brodersen, Professor für antike Kultur, sieht das heutige Bild von der Antike stark geprägt durch die Geschichten von Asterix und Obelix. Den Comics sei gelungen, "antike Wirklichkeiten für eine Gegenwart so zu transportieren, dass sie auch verstanden wird".

Kai Brodersen im Gespräch mit Sandra Schulz | 22.10.2009
    "Wir schreiben das Jahr 50 vor Christus. Auf dem Höhepunkt ihrer Macht fallen römische Legionen in Gallien ein und unterjochen die Einwohner des Landes. Ganz Gallien ist besetzt. - Oh, sagte ich ganz Gallien? - Nicht doch! Ein kleines Dorf leistet den römischen Eindringlingen immer noch erfolgreichen Widerstand, obwohl es von allen Seiten umzingelt ist."

    Sandra Schulz: So fängt jede Folge der Comicreihe an, die als eine der erfolgreichsten der Welt gilt: mit 325 Millionen verkauften Alben, übersetzt in 110 Sprachen und Dialekte. In diesem Jahr, 2009, schreiben wir nun das Jahr 50 nach Asterix.

    Am 29. Oktober vor 50 Jahren wurde der erste Comic um die aufständischen Gallier mit dem Zaubertrank veröffentlicht. In Frankreich beginnen die Feierlichkeiten heute schon mit dem Erscheinen des "Goldenen Buchs". Das ist der Titel des 34. Bandes der Reihe, des Jubiläumsbandes.

    Was eben nicht zur Sprache kam, was der Jubilar vielleicht auch bescheidenerweise verschwiegen hat: Die Asterix-Comics haben auch unser Bild von der Antike geprägt. Inzwischen hat Asterix seinen Weg in die Klassenräume gebahnt, ist vor allem im Lateinunterricht unentbehrlich. Wie wichtig ist der Gallier als Bildungsträger? Das habe ich Kai Brodersen gefragt, Präsident der Universität Erfurt und Professor für antike Kultur.

    Kai Brodersen: Asterix, der seit 50 Jahren über Schulhöfe und Universitätseinrichtungen geistert, ist für den Althistoriker besonders wichtig als, wie man früher sagte, geheimer Miterzieher, inzwischen aber als tatsächlicher Mitbildner für die Antike, weil er in einer amüsanten Form, auch lehrreichen Form Informationen zur Antike, natürlich auch zur Gegenwart verpackt liefert, die man auf die Weise mit Spaß zu sich nehmen kann.

    Schulz: Geht das überhaupt, ein Comic als Schullektüre?

    Brodersen: Die Lehrerschaft, die ja meiner Generation oder der Generation von Asterix und Obelix zu einem gewissen Teil angehört, ist mit dem Comic aufgewachsen und hat, glaube ich, Berührungsängste, wie man sie vor 20, 30 Jahren noch hatte, längst überwunden. Man kann es vielleicht daran sehen, dass inzwischen im Lateinunterricht die lateinische Übersetzung von Asterix verwendet wird, um auf die Weise das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden.

    Schulz: "Ich kann keine Fehler machen, ich habe nämlich nie Latein gelernt." Das ist ein Zitat, das René Goscinny zugeschrieben wird, dem ersten Comictexter von Asterix. Ist das Ironie der Geschichte, dass jetzt, im Jahr 2009, kaum noch ein Lateinlehrer an Asterix vorbeikommt?

    Brodersen: In gewisser Weise ja. Nun muss man aber sehen, dass gerade die Texter sehr wohl mit dem lateinischen Bildungswissen um sich werfen, aus französischen Entsprechungen zu Büchmann lateinische Zitate immer wieder eingebaut haben, um letztlich genau diesen Spiegel vorzuhalten, man kann Latein aussprechen, ohne es gelernt zu haben.

    Schulz: Wenn wir jetzt auf das Bild schauen, das Asterix ja vermittelt, dann könnte man, wenn man humorlos argumentieren wollte, ja eigentlich den Vorwurf der Geschichtsklitterei erheben, denn das gallische Dorf hat es ja nie gegeben. Warum stören Sie als Historiker sich nicht daran?

    Brodersen: Zum einen natürlich deswegen, weil wir gerade im Bereich der Antike nie sagen können, dass es etwas nicht gegeben hat, weil wir ja nicht die Totalität antiker Wirklichkeit durch Ausgrabungen und Texte direkt vor uns haben. Wer weiß: Vielleicht gab es das ja doch.

    Aber im Ernst: Wir haben in der Tat mit einer vielfach gebrochenen Form von, wenn man das hart sagen will, Geschichtsschreibung zu tun, natürlich einer, die sich auf Frankreich in den 70ern, 80ern in den großen Heften bezieht, in vielen Fällen ja auch vor diesem Hintergrund noch mal neu verständlich und lustig wird, aber wir haben es eben auch mit einem Text zu tun, der erstaunlich gut recherchiert ist, was die antiken Wirklichkeiten angeht, und letztlich das erfüllt, was wir als Historiker immer tun müssen, antike Wirklichkeiten für eine Gegenwart so zu transportieren, dass sie auch verstanden wird.

    Schulz: Können wir dann umgekehrt auch so weit gehen zu sagen, ich kann auf die Lektüre von Geschichtsbüchern ganz verzichten und mich komplett auf Asterix verlegen?

    Brodersen: Sie können auf die Lektüre mancher Geschichtsbücher sicher ganz verzichten, aber weder auf Asterix, noch auf die, die ich selbst geschrieben habe.

    Schulz: Wie hat Asterix unser Bild von der Antike geprägt?

    Brodersen: In ganz großem Maße, was die römische Antike angeht. Es wird bis in die wissenschaftliche Literatur hinein mit Bildzitaten, auch Textzitaten aus Asterix gearbeitet, weil sie in einer ganz kurzen Form es möglich machen, auf einen antiken Tatbestand, ein antikes Ereignis, eine antike Persönlichkeit zu verweisen, die wir sonst erst ausführlich erklären müssten. Nehmen wir das Beispiel Caesar. Das Bild Caesars ist nicht mehr durch antike Statuen und antike Texte so geprägt, wie durch die Darstellung Caesars in den Asterix-Heften.

    Schulz: Gibt es einen Band, aus dem wir ganz besonders viel lernen können?

    Brodersen: Diese Frage zu beantworten, ist ein bisschen die Frage nach dem eigenen Kenntnisstand und den eigenen Vorlieben. Mein eigener Lieblingsband ist Asterix bei den Briten, aber das liegt sicher auch an einer gewissen Anglophilie.

    Schulz: Jetzt haben Sie das schon ein paar Mal gesagt, Asterix sei lustig, eine lustige Form der Bildungsvermittlung. Was ist daran eigentlich so komisch?

    Brodersen: Asterix kann man auf ganz unterschiedlichen Ebenen lesen. Man kann es, wie ich das als Unterstüfler selber getan habe, auf der Ebene der Aktion lesen, des Sprachwitzes, des Bildwitzes. Man kann es in späteren Jahren lesen als Text, der französische oder europäische Wirklichkeiten der Nachkriegszeit persifliert, intelligent aufnimmt. Und man kann es natürlich auch als Weg zu einem besseren Verständnis von Geschichte lesen.

    Das Faszinierende an diesen Heften ist, dass sie eben diese unterschiedlichen Leseerlebnisse ermöglichen, die in unterschiedlichen Generationen jeweils für sich wieder Spaß machen. Sie können sich an einem Asterix-Heft freuen, ohne zu verstehen, was jetzt witzig daran ist, dass Caesar dieses oder jenes sagt, oder dass dieser oder jener französische Politiker vorkommt. Sie können sich dann noch mal zehn Jahre später darüber freuen, wenn Sie dieses verstanden haben.

    Und Sie können sich als Historiker auch an bewussten Geschichtsklitterungen, wenn Sie so wollen, freuen, etwa wenn in einem Heft der Stall von Bethlehem vorkommt, der, wie man dann sich klar macht, 50 vor Christus, in dem Jahr, in dem die Asterix-Hefte spielen, natürlich noch nicht mit einem Kind in einer Krippe belegt gewesen sein kann.

    Schulz: Wenn ich die Wahl habe zwischen mehreren Sprachen, welche Sprache würden Sie empfehlen für die Lektüre von Asterix?

    Brodersen: Die Frage kann man nicht nur individuell, sondern auch pauschal beantworten. Der Verkaufserfolg, auch der Rezeptionserfolg in Deutschland ist für manche Hefte größer als der in der Originalsprache. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass die deutsche Übersetzung gerade der frühen Hefte durch Gudrun Penndorf besonders gut gelungen ist.

    Schulz: Jetzt kommt heute also der Jubiläumsband heraus. Welche Erwartungen können Asterix-Fans haben? Kann es da überhaupt noch neue Höhepunkte geben?

    Brodersen: Das hängt sehr davon ab, was die eigenen Erfahrungen über die letzten 50 Jahre mit diesen Heften gewesen sind. Schon die jüngeren Hefte sind in meiner Generation immer als "so gut wie früher waren die alle nicht" begrüßt worden, bei meinen Kindern umgekehrt mit "Mensch, toll, jetzt mal was Neues und was Anderes".

    Schulz: Und was erwarten Sie?

    Brodersen: Ich selber gehöre ja einer Generation an, die weiß, dass früher alles besser war und insbesondere im Jahr 50 vor Christus alles besser war, und deswegen brauchen wir uns nicht davor zu fürchten, dass unser gutes Bild von Asterix auch durch ein neues Heft grundlegend verändert wird.

    Schulz: Asterix und seine Zeit, die große Welt des kleinen Galliers. Im Buch des Historikers Kai Brodersen können Sie das alles noch vertiefen, wenn Sie mögen. Heute Morgen war er hier mit wichtigen Klarstellungen im Deutschlandfunk zu hören.