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Ein Gen für das Vergessen

Medizin. - Altersleiden wie die Alzheimer-Krankheit zerstören das Nervengewebe über den Lauf vieler Jahre, noch lange bevor es zum Verlust des Gedächtnisses kommt. Jetzt gelang es einer international zusammengesetzten Forschergruppe, einen weiteren genetischen Faktor für die Entstehung von Alzheimer zu lokalisieren.

Von Volkart Wildermuth | 15.01.2007
    Das Gehirn verstorbener Alzheimer Patienten ist völlig zerstört. Viele Nerven sind abgestorben, überall haben sich verdrehte Eiweiße zusammengeklumpt, weite Bereiche sind entzündet, die Botenstoffe aus dem Gleichgewicht. Dieses Chaos nimmt seinen Ausgang bei der Ablagerung eines Eiweißes, des Amyloids. Wenn das entsprechende Gen verändert ist, zeigen die betroffenen Personen schon im mittleren Lebensalter Anzeichen für einen Gedächtnisschwund und entwickeln dann schnell das Vollbild der Krankheit. Diese erbliche Form der Alzheimer Krankheit ist aber sehr selten. Die große Mehrheit der Patienten hat ein intaktes Amyloid-Gen und trotzdem finden sich in ihrem Gehirn die gleichen gefährlichen Ablagerungen. Dafür gibt es viele Gründe, die Abbauprozesse des Alters, Umwelteinflüsse und eher indirekte Effekte von anderen Genen, davon ist der Dänische Zellbiologe Dr. Olav Andersen überzeugt:

    Alzheimer ist eine ausgesprochen komplexe Krankheit, die auf vielen Wegen entstehen kann. Wenn man herausbekommt, welcher genetische Defekt bei einem bestimmten Patienten vorliegt, kann man leichter als bisher die passenden Medikamente entwickeln.

    Soweit die Theorie. Bisher ist es den Forschern nur gelungen, ein einziges Gen zu identifizieren, das das Alzheimerrisiko in der breiten Bevölkerung erhöht. Es nennt sich Apo E4 und beeinflusst den Cholesterinstoffwechsel. Auch aus diesem Grund werden derzeit Cholesterinsenker in der Behandlung von Alzheimer erprobt. Neben Apo E4 muss es aber noch weitere Risikogene geben. Um auf ihre Spur zu kommen, suchen weltweit Forscher nach viel versprechenden Fährten in der zerstörten Landschaft des dementen Gehirns. Am Max-Delbrück-Centrum in Berlin Buch konzentriert sich Olav Andersen auf ein Eiweiß namens solA.

    Die normale Funktion von solA ist es, Eiweiße an verschiedene Stellen in den Zellen zu transportieren und zwar insbesondere in Nervenzellen. SolA transportiert auch das Eiweiß, aus dem bei der Alzheimer Krankheit das Amyloid entsteht, das also die Krankheit auslöst.

    SolA gehört zur Recyclingtruppe der Zelle, es kontrolliert ihre Abfallströme. Findet solA brauchbare Eiweiße auf dem Weg zur Zerstörung, kann es sie retten und an ihren Arbeitsplatz zurückbringen. Bei Alzheimerpatienten, so hat Olav Andersen herausgefunden, findet sich kaum solA in den Nervenzellen, die Qualitätskontrolle der Müllentsorgung versagt und damit entsteht mehr gefährliches Amyloid. Das klingt plausibel, es könnte aber auch andersherum sein, dass sich zuerst Amyloid ablagert, welches später indirekt die Arbeit von solA beeinträchtigt. Jetzt hat eine internationale Forschergruppe das Erbgut von vielen Hundert Alzheimerpatienten mit dem von gesunden Kontrollpersonen verglichen und gezielt nach Veränderungen in Genen gesucht, die die Müllströme der Zellen kontrollieren. Nur im Gen für solA fanden sich genetische Varianten, die das Alzheimerrisiko erhöhen.

    Seit fünf Jahren untersuchen wir solA, weil wir glauben, es hängt mit Alzheimer zusammen. In der Petrischale und in Versuchstieren sehen wir entsprechende Veränderungen, aber das blieb eine Hypothese. Jetzt zu sehen, dass solA bei so vielen Leuten tatsächlich eine Rolle spielt, stärkt unsere Arbeit. Es handelt sich um einen echten Risikofaktor und nicht nur um eine Laborbeobachtung, solA ist wirklich wichtig.

    Für die Grundlagenforschung ist dieses zweite Risikogen für die normale Form der Alzheimerkrankheit ein wichtiger Fortschritt, und das aus zwei Gründen. Erstens werden sich neben Olav Andersen jetzt auch noch viele weiter Forscher mit solA beschäftigen und nach Medikamenten zur Unterstützung der zellulären Müllentsorgung suchen. Eine Aufgabe, die sicher noch Jahre in Anspruch nehmen wird. Zweitens zeigt die aktuelle Arbeit, dass die Genetik der verlässlichste Wegweiser durch die vielen Aspekte der Zerstörung im Alzheimergehirn ist. Viele derzeit erprobte Medikamente beruhen schon auf diesem Vorgehen. Bei einer so schweren Krankheit wie Alzheimer kann es aber nie genug Ansatzpunkte für die Therapie geben.