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"Ein gottloses Volk sind sie nicht"

Die Berliner sind religiös plural, sagt der EKD-Ratsvorsitzende und Bischof von Berlin-Brandenburg, Wolfgang Huber, nach dem gescheiterten Versuch, Religion als Wahlpflichtfach zu etablieren. Obwohl Huber eine andere Entscheidung begrüßt hätte, will er das Votum respektieren - warnt aber davor, die Entscheidung "als ein Gesamturteil über die persönliche wie die öffentliche Bedeutung von Religion zu würdigen".

Wolfgang Huber im Gespräch mit Elke Durak |
    Elke Durak: Der Volksentscheid "Pro Reli" in Berlin ist gescheitert - sowohl am Quorum notwendiger Ja-Stimmen als auch an der Mehrheit unter den abgegebenen Stimmen. Die Initiatoren wollten, dass sich die Schüler ab Klasse 7 zwischen Ethik - das gibt es bisher und auch weiterhin - oder für den Religionsunterricht neu als Wahlpflichtfach entscheiden können. Nun bleibt der Religionsunterricht ein zusätzliches Angebot. Sind die Berliner ein gottloses Volk? - Die Frage geht an den Landesbischof von Berlin-Brandenburg und Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschland, Bischof Wolfgang Huber. Guten Morgen!

    Wolfgang Huber: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Sind sie gottlos, die Berliner?

    Huber: Die Berliner sind religiös plural mit einem hohen Anteil an Menschen, die keiner Religionsgemeinschaft, keiner Kirche angehören. Das hat in Berlin einen doppelten Grund: Der noch vor 20 Jahren gespaltenen Stadt mit den Auswirkungen der SED-Kirchenpolitik auf der einen Seite und einem starken Entkirchlichungsprozess, den es auch im Westteil der Stadt gegeben hat. Aber ein gottloses Volk sind sie nicht. 350.000 Menschen ungefähr haben für die Einführung des Religionsunterrichts als ordentliches Unterrichtsfach gestimmt und bei denen, die nicht hingegangen sind oder die sich dagegen ausgesprochen haben, kann man auch nicht pauschal gottlos sagen. Aber dass es in Berlin auch starke antikirchliche Tendenzen gibt, dass viele gesagt haben, Religion hat an der Schule nichts zu suchen, in Verkennung der Ordnung, die wir in Deutschland an dieser Stelle haben, das gehört sicher als ein Element hinein, aber Pauschalurteile sind falsch und helfen auch nicht weiter.

    Durak: Darf man, Herr Huber, Religion und Glauben mit Kirche gleichsetzen?

    Huber: Nein, das darf man nicht, aber die Kirche steht im Dienst des Glaubens und die Kirche hat in diesem Zusammenhang auch einen Bildungsauftrag, den sie auch an der öffentlichen Schule wahrnehmen muss, um der Religionsfreiheit willen, um der Aufgabe willen, dass Schülerinnen und Schüler eine gute Chance haben, sich mit Religion und Glauben auseinanderzusetzen.

    Durak: Es gibt sicher viele Wege, sich Gott zu nähern, Herr Huber. Bei manchen ist es die Erziehung von Kindesbeinen an, für andere gibt es eine Initialzündung. Muss es denn den Religionsunterricht dazu geben?

    Huber: Der Religionsunterricht hat ja nicht nur die Aufgabe einer individuellen Begegnung mit dem Glauben, sondern er hat auch die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler vertraut zu machen mit der kulturellen Prägekraft des christlichen Glaubens und der jüdisch-christlichen Tradition und sie gesprächsfähig zu machen zwischen den verschiedenen Religionen. Es war ja eines der wichtigsten Ergebnisse jetzt auch im Vorfeld dieses Volksentscheids, dass eine Studie der Humboldt-Universität gezeigt hat, dass und warum evangelischer Religionsunterricht - und für den katholischen gilt das ganz ähnlich - in besonderer Weise auch dialogfähig macht in einer religiös-pluralen Situation. Das aber ist von vielen Wählerinnen und Wählern noch gar nicht richtig rezipiert worden, die geglaubt haben, der richtige Weg zur Integration sei ein Einheitsfach.

    Durak: Sehen Sie die Religionsfreiheit in Berlin gefährdet?

    Huber: Die Religionsfreiheit ist in Berlin nicht gefährdet, aber sie ist im Bereich der Schule nicht so ausgestaltet, wie wir das für wünschenswert und richtig halten. Aber wir haben jetzt nicht einen verfassungspolitischen Grundsatzstreit in dem Sinn ausgefochten, dass wir gesagt haben, wenn es nicht so kommt, dann steht es schlecht um die Religionsfreiheit, aber besser stünde es - davon bin ich überzeugt - bei einem Wahlpflichtbereich. Aber ich respektiere natürlich, dass das bei dieser Entscheidung so nicht zu Stande gekommen ist. Man muss ja auch wissen, dass es ein kühnes Vorhaben gewesen ist, und ich habe den allergrößten Respekt vor den Initiatoren dieses Volksentscheids, einer Gruppe von Bürgerinnen und Bürgern dieser Stadt.

    Durak: Für dieses kühne Vorhaben haben insbesondere Sie sich auch persönlich engagiert. Ist die Initiative unter Umständen auch an Ihrem Engagement gescheitert? Der Regierende Bürgermeister Wowereit meint, die Kirchen hätten Schaden genommen, und gibt Ihnen insbesondere die Schuld.

    Huber: Unsere Kirche hat sich seit 15 Jahren, seit ich Bischof bin, dafür eingesetzt, den Status des Religionsunterrichts an den Berliner Schulen zu verändern, weil Schülerinnen und Schüler vor der Wahl zwischen Religionsunterricht und Freistunde stehen, und das finden wir keinen fairen Umgang mit der Freiheit der Schülerinnen und Schüler. Da wäre es ganz verkehrt gewesen, wenn wir in dem Augenblick, in dem eine Initiative aus der Bürgerschaft das nun mit dem Mittel des Volksentscheids durchsetzen will, da nicht engagiert hätten. Und man darf ja auch nicht vergessen: Das Volksbegehren, das am 21. Januar endete, das war ein Erfolg weit über jede Erwartung hinaus. Da war es sicher auch dann doch zu hoffen, dass es auch beim Volksentscheid gut geht, und dass ich mich da engagiert habe, liegt einfach daran, dass ich in diesen bildungspolitischen und pädagogischen Fragen sehr engagiert bin, weil ich das für ein ganz wichtiges Feld halte. Dass dieses Engagement unserer Kirche dem Vorhaben geschadet hat, das kann ich nicht erkennen, aber es war sehr auffällig, dass es in den letzten Wochen eine ganz starke Polarisierung gegeben hat. Die ist aber keineswegs nur von den Befürwortern ausgegangen, sondern auch von den Gegnern bis hin zu dem starken Engagement auch des Senats selber. Jetzt aber ist es natürlich an der Zeit, diese Polarisierung auch wieder zu überwinden und miteinander ins Gespräch zu kommen.

    Durak: Miteinander ins Gespräch zu kommen, genau. Sie sagten vorher, Sie respektieren das Ergebnis. Meine Frage wäre, geben Sie auf? Aber eben sagen Sie "nein". Was werden Sie tun?

    Huber: Aufgeben deswegen nicht, weil ganz klar sein muss: Wir bleiben in unserem Engagement für den Religionsunterricht, wir wissen uns verantwortlich für die religiöse Bildung von Schülerinnen und Schülern in Berlin und wir suchen nun nach Wegen, wie das auch praktisch umgesetzt werden kann, was ja auch von Seiten des Senats und der ihn tragenden Parteien gesagt worden ist: "Wir machen beides". Das war eine suggestive Formel, mit der viele zu der Meinung gekommen sind, das ist doch nicht so schlimm, die Schülerinnen und Schüler können zusätzlich den Religionsunterricht wählen. Wie das praktisch aussehen soll in einer Jahrgangsstufe, in der die Schülerinnen und Schüler ohnehin schon 37 Wochenstunden Unterricht haben, wie das aussehen soll, damit dieser Unterricht nicht nachmittags um drei oder um vier stattfindet, das muss jetzt miteinander besprochen werden. Und auch das andere: Das Schulgesetz sieht vor - und der Senat hat das auch angeboten -, dass es Kooperation zwischen Ethikunterricht und Religionsunterricht geben soll. Auch die Ausgestaltung dieser Kooperation werden wir jetzt miteinander intensiver diskutieren.

    Durak: Hat Gott bestimmte Zeiten?

    Huber: Gott hat nicht bestimmte Zeiten, aber Schülerinnen und Schüler haben bestimmte Zeiten. Das muss man doch klar sehen. Und dass in der jetzigen Situation nach der Verdichtung der Schulzeit durch die Verkürzung des Weges bis zum Abitur gerade in den Jahrgangsstufen sieben bis zehn, in denen der Ethikunterricht erteilt wird, ein besonderes Gedränge besteht und für Schülerinnen und Schüler Zusatzangebote schwer wahrzunehmen sind, das muss man wissen und deswegen finde ich es fair, wenn man sich da um Erleichterungen und gute Wege bemüht.

    Durak: Etwas Widersprüchliches empfinde ich bei der ganzen Sache schon, Herr Huber. Einerseits ist dieser Volksentscheid gescheitert, andererseits ist es ja so, dass gerade in Krisenzeiten, wie wir sie jetzt erleben, Menschen gemeinhin mehr als sonst nach Hilfe suchen, nach Zuspruch, nach etwas oder jemandem, dem sie vertrauen können, dem sie zutrauen, Beistand zu leisten in seelischer Not. Oft genug sieht ja die Politik die Kirchen in der Rolle gesellschaftlicher Auffanggesellschaften. Wieso dann dieser Widerspruch zum Volksentscheid?

    Huber: In Berlin ist diese Rolle der Religion und des Glaubens, des christlichen Glaubens wie anderer Religionen, von einem Teil der Berliner Stadtöffentlichkeit tatsächlich bisher so nicht gesehen worden. Der bleibende Verdienst der Initiative "Pro Reli" besteht sicher darin, einen Beitrag dazu geleistet zu haben, dass dieses Thema überhaupt öffentlich diskutiert wird - mit einer polarisierenden Wirkung, wie man sagen muss: Auch die Gegenstimmen sind dabei ganz stark mobilisiert worden, andere aber haben das immer noch nicht eingesehen, dass es ein so wichtiges Thema ist, dass man deswegen sich auch an einer Abstimmung beteiligt. Aber trotzdem: Jetzt ist die Diskussionslage in Berlin verändert. Die Rolle von Religion, von Kirche wird anders gewürdigt. Auch der Regierende Bürgermeister hat ja gestern bei Ihnen im Interview dazu ganz deutliche Worte gesagt und den hohen Rang der Kirchen ausdrücklich gewürdigt und gesagt, dass ihr Beitrag zum gemeinsamen Leben auch anerkannt und in Anspruch genommen wird. Jetzt darf man deswegen nicht diese Entscheidung im Blick auf den Religionsunterricht als ein Gesamturteil über die persönliche wie die öffentliche Bedeutung von Religion würdigen.

    Durak: Wolfgang Huber, Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof von Berlin-Brandenburg. Herr Huber, danke für dieses Gespräch.

    Huber: Ich bedanke mich auch herzlich, Frau Durak.