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"Ein großer Fortschritt in der internationalen Politik"

Niemand habe vor sieben Jahren damit gerechnet, dass innerhalb von so kurzer Zeit 111 Länder das Statut ratifizierten, sagt Markus Löning, Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, über den Internationalen Strafgerichtshof. Politiker und Militärs müssten fürchten, am Ende einer juristischen Überprüfung zu unterliegen.

Markus Löning im Gespräch mit Jürgen Liminski | 31.05.2010
    Jürgen Liminski: Der Internationale Strafgerichtshof hat bisher nur mit afrikanischen Fällen zu tun. Das könnte sich ändern, denn heute beginnt im ugandischen Kampala die Überprüfungskonferenz der mittlerweile 111 Vertragsstaaten und dabei sind auch rund 500 Nicht-Regierungsorganisationen.

    Bei dieser Überprüfungskonferenz geht es auch um den Begriff oder Tatbestand der Aggression. Er soll neu definiert werden und das verspricht, noch spannender zu werden als die Debatten zum Begriff Völkermord. – Der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, ist in Kampala und jetzt für uns am Telefon. Guten Morgen, Herr Löning.

    Markus Löning: Guten Morgen!

    Liminski: Herr Löning, bringen Sie der Konferenz eine Definition von Aggression mit?

    Löning: Zunächst mal, finde ich, muss man sich freuen bei dieser Konferenz, dass der Internationale Strafgerichtshof jetzt seit sieben Jahren besteht, dass er arbeitet. Das ist immerhin ein Projekt, an dem sagen wir mal das ganze letzte Jahrhundert Hoffnungen gehangen haben, und er ist realisiert worden und er verfolgt Verbrechen gegen die Menschlichkeit, er verfolgt Kriegsverbrechen. Insofern ist er etwas, was ein großer Fortschritt ist in der internationalen Politik. Es gibt so etwas wie eine oberste Instanz und Diktatoren auf der ganzen Welt müssen befürchten, dass sie für ihre Missetaten vor diesem Internationalen Strafgerichtshof sich rechtfertigen müssen.

    Liminski: Dennoch ist die Definition von Aggression jetzt sozusagen ein neues Kapitel in der Geschichte des Internationalen Strafgerichtshofs. Gibt es schon einen Ansatz für solch eine Definition?

    Löning: Da wird jetzt verhandelt. Es wird versucht, den Tatbestand, der ja im ursprünglichen Statut vorhanden ist, da wird gesagt, auch das kann der Internationale Strafgerichtshof verfolgen, wenn sich die Länder, die Signatarstaaten denn auf eine Definition einigen. Ich bin da ganz optimistisch. Wir als Deutsche arbeiten da jetzt schon eine ganze Weile dran, dass das gelingt. Ich hoffe, dass es gelingt, hier in Kampala jetzt den Knoten zu durchschlagen und zu einer gemeinsamen Definition zu kommen. Das wäre noch mal ein deutlicher Fortschritt und auch ein deutliches Signal an die Völkergemeinschaft.

    Liminski: Mit der Definition von Aggression, Herr Löning, geht es auch um die Frage des Rechts zum Krieg. Das knüpft an alte Debatten an über den gerechten Krieg, den iustum bellum. Ist das noch ohne internationale Organisation wie die UNO zu machen?

    Löning: Was wir ja erleben mit dem Internationalen Strafgerichtshof und mit anderen justiziellen Mechanismen, die wir inzwischen auf internationaler Ebene entwickelt haben, da heißt es ja gerade, es soll am Ende des Tages die Stärke des Rechts gelten und alles, was getan wird, muss vor einem Gerichtshof und vor internationalem Recht Bestand haben. Insofern, denke ich, ist es richtig, dass jeder, der überlegt, was tue ich, welche politischen Entscheidungen treffe ich, will ich Militär einsetzen, will ich kein Militär einsetzen, sich darüber bewusst ist, dass jede dieser Entscheidungen am Ende einer juristischen Überprüfung unterliegen wird. Das ist die Stärke des Internationalen Strafgerichtshofes, die Stärke des Rechts international durchzusetzen.

    Liminski: Ich frage auch deswegen, Herr Löning, weil der Kosovo-Krieg zum Beispiel ohne UN-Mandat geführt wurde, und wird es in der Praxis nicht doch so aussehen, dass letztlich das Recht des Stärkeren obsiegt?

    Löning: Nein! Genau darum geht es ja. Es geht ja genau darum, dass es eine Instanz gibt, wo Dinge überprüft werden können, wo Dinge juristisch überprüft werden können, und es gibt vor allem jetzt eine juristische Instanz mit dem Internationalen Strafgerichtshof, der eben zum einen Diktatoren zur Verantwortung zieht, aber zum anderen eben auch Opfern das Signal gibt, wir sind hier, um euch zu schützen, wir sind hier, um für euch einzustehen, wir sind hier, um diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die euch peinigen und die euch foltern und morden.

    Liminski: Aber hinter solch einer Macht muss natürlich auch eine gewisse Stärke stehen, und wenn das nicht sozusagen die großen Mächte dieser Welt sind, dann wenigstens die UNO.

    Löning: Der Internationale Strafgerichtshof baut darauf, dass zunächst alles, was passiert, in den Staaten vor Ort verfolgt wird, von den nationalen Gerichtsbarkeiten. Erst wenn das nicht funktioniert, dann kommt er zum Zuge. Seine Stärke beruht darauf, dass eine Vielzahl von Ländern – und 139 Länder haben das Statut inzwischen unterschrieben, 111 Länder haben das Statut ratifiziert; das ist die Mehrheit der Völker, das ist die Mehrheit der Länder -, darauf baut der Internationale Strafgerichtshof und natürlich hoffen wir, dass auch die großen Mächte, die bisher noch nicht beigetreten sind, die noch nicht ratifiziert haben, wie zum Beispiel auch die Amerikaner, dass sie eines Tages unterschreiben und dass sie ratifizieren. Immerhin hat die neue amerikanische Regierung ja auch jetzt ihre Politik gegenüber dem Strafgerichtshof verändert. Sie kooperiert, sie schickt auch eine Beobachterdelegation hierhin nach Kampala. Das finde ich einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung.

    Liminski: Wann, hoffen Sie, kommen die Amerikaner und auch die anderen dazu - das sind Schritte in die richtige Richtung -, denn ein Internationaler Strafgerichtshof hat ja nur dann einen wirklichen Sinn, wenn das Primat des Rechts weltweit durchgreifen kann?

    Löning: Das ist die Idee des Internationalen Strafgerichtshofes. Wir arbeiten daran. Es ist zum Beispiel erklärte Politik der Europäischen Union, aber auch erklärte Politik der Bundesregierung, in unseren Gesprächen mit den Ländern, die noch nicht unterschrieben haben, die noch nicht ratifiziert haben, für den Internationalen Strafgerichtshof zu werben, und wir sind da durchaus ja auch erfolgreich gewesen. Niemand hat vor sieben Jahren damit gerechnet, dass innerhalb von so kurzer Zeit 111 Länder das Statut ratifizieren. Das ist bis jetzt schon ein großer Erfolg und auch die ersten Verfahren zeigen, dass der Strafgerichtshof der richtige Weg ist, den wir gehen.

    Liminski: Eine Frage ist natürlich auch die Glaubwürdigkeit dieses Strafgerichtshofs, wenn ich zum Beispiel an den Fall des sudanesischen Präsidenten Baschir denke. Da wurde ein internationaler Haftbefehl ausgeschrieben, dennoch kam zur Amtseinführung Baschirs in der vergangenen Woche auch eine europäische Delegation. Ist das nicht inkonsequent? Was nützen Definitionen, Haftbefehle und so weiter, wenn die Politik sich nicht daran hält?

    Löning: Wir können ja keinen Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofes vollstrecken als Deutsche außer bei uns in Deutschland und das ist ein ganz wichtiges Element, über das hier auch in Kampala zu reden sein wird, es ist ein wichtiges Element dieser Konferenz: Wie gut funktioniert die Kooperation, inwieweit haben die Mitgliedsstaaten ihre nationalen Gesetze angepasst, inwieweit arbeiten die nationalen Mitgliedsstaaten zusammen? Das heißt, wenn der Internationale Gerichtshof einen Haftbefehl zum Beispiel ausspricht, dann muss er sich darauf verlassen, dass die nationalen Behörden diesen Haftbefehl dann vollstrecken. Er selbst hat keine Mittel dazu. Ich glaube, das wäre auch unrealistisch zu fordern, dass ein Internationaler Strafgerichtshof jetzt noch eine Polizeitruppe zur Seite gestellt kriegt, die weltweit Haftbefehle vollstrecken kann. Also Kooperation und Zusammenarbeit sind ganz wichtige Elemente in diesem Prozess, und daran müssen wir weiter arbeiten. Da gibt es Defizite nach wie vor; das Beispiel Baschir haben Sie schon genannt. Da müssen wir trotzdem weiter dran arbeiten. Es gibt keinen anderen Weg als die freiwillige Kooperation, um hier zum Erfolg zu kommen.

    Liminski: Muss die Politik hier nicht auch stärker die Glaubwürdigkeit dieses Internationalen Strafgerichtshofs unterstützen, indem man zum Beispiel solche Leute wie Baschir ächtet?

    Löning: Herr Baschir ist ja geächtet. Er wird nirgendwohin eingeladen, er wird nirgendwo empfangen, er wird gesucht international, er ist ein geächteter Mann und er steht international am Pranger. Er steht ja auch politisch unter enormem Druck und auch politisch am Pranger.
    Was Sie angesprochen haben mit seiner Amtseinführung, das hat etwas damit zu tun, dass er der gewählte Präsident des Sudan ist, was auch immer man über die Wahlen sagen kann, und dass wir natürlich im Sudan auch ein Interesse daran haben, dass es sowohl in Darfur, aber auch was den Süd-Sudan angeht zu einem vernünftigen Friedensprozess kommt.

    Liminski: Und wenn er nun in ein anderes Land reist, zum Beispiel Deutschland, würde er dann verhaftet?

    Löning: Dann würde er verhaftet werden, ja.

    Liminski: Der Primat des Rechts weltweit ist noch eine Baustelle. Das war der Menschenrechtsbeauftragte der Bundesregierung, Markus Löning, in Kampala vor der Überprüfungskonferenz des Vertragswerks zum Internationalen Strafgerichtshof. Besten Dank für das Gespräch, Herr Löning.

    Löning: Vielen Dank auch.