Der Text auf dem Umschlag verheißt eine sehr spezielle Komödie von Menschlichkeit, Macht und Politik. Um es vorweg zu sagen: Dieses Versprechen hält die Biografie nicht. Vermutlich ist auch nicht das Bedürfnis nach Amüsement der Grund, zu dem jüngsten Werk des ungarischen Schriftstellers György Dalos zu greifen. Umso mehr, weil der sich auf Gorbatschows Lebensabschnitt an der Spitze der Macht beschränkt, der Gorbatschow naturgemäß am stärksten prägte.
"Er ist aus einem wirklich maßgeschnittenen, wenngleich sehr intelligenten Apparatschikfunktionär zum Demokraten geworden. Ich glaube manchmal, er ist durch seine Geschichte Demokrat geworden. Wobei seine wirkliche Absicht war, dieses sowjetische System als solches über die Zeiten zu retten. Gorbatschows Grundidee war das folgende: Eine modernisierte Sowjetunion, die auf das Rüstungsniveau der Achtziger-Jahre verzichtet, bekommt vom Westen die Technologie, die ihm dann die ökonomischen Schwierigkeiten mit lösen kann und ansonsten wollte er gar nichts; was aber wirklich geschah, das war nicht einmal, dass die Intellektuellen mehr Freiheit wollten und die potenziellen Unternehmer freies Unternehmertum wollten. Es gab auch Bevölkerungsschichten, die nichts wollten; nur ein besseres Leben."
Gorbatschow erklomm den kommunistischen Olymp zu einer Zeit, da die Sowjetunion in nie gekannten Schwierigkeiten zu versinken drohte.
"Erstens war das natürlich eine Supermacht mit sehr reichen Rohstoffen. Und andererseits war diese Supermacht ökonomisch völlig abhängig von dem Rüstungspotenzial. Offiziell haben sie 16 Prozent des Budgets für Rüstung ausgegeben, verdeckte Ausgaben gingen bis zu 40 Prozent. Die USA hat selber offiziell acht Prozent für die Rüstung ausgegeben. Ich glaube, dass die verdeckten Zahlen dort auch größer waren - nur das Potenzial der USA war größer. Gleichzeitig haben Sie eine völlig falsche Hoffnung an ihren reichsten Rohstoff, an das Erdöl, geknüpft. Sie glaubten, dass man mit ihrer Erdölkonjunktur praktisch alles lösen könne."
Die Rückschau auf Gorbatschows Leben beginnt mit einer detaillierten Schilderung jener Putschtage von 1991, die das Ende seiner kurzen, aber umso fulminanteren politischen Karriere einleiteten. In denen sich eine wesentliche Charakterschwäche des in der ganzen Welt bejubelten ersten und letzten sowjetischen Präsidenten rächte:
"Gorbatschow hatten fast alle früheren Verbündete und Freunde und den Rücken gekehrt. Am Putsch beteiligt waren nur seine Freunde und nur diejenigen, die er persönlich in diese hohen Positionen erhoben hatte. Das zeigt, dass er ein schlechter Menschenkenner war."
Im Kreml herrschte Gorbatschow nur sechs Jahre lang. Seinen Aufstieg an die Spitze der kommunistischen Staatspartei verdankte er zum einen seinem Landwirtschaftsstudium, ohne dass er allerdings als Experte von sich reden gemacht hätte. Doch von der Getreideproduktion hing das Überleben des Landes ab, sie war Chefsache.
Als Bezirkssekretär in der Kaukasusregion Stawropol hatte Gorbatschow einen unerwartet engen Draht zur Macht, denn in seine Heimat reisten die greisen Führer des Landes, wenn sie sich auskurieren oder erholen wollten. Als erst Breschnew, dann Andropow und schließlich Tschernenko starb, war Gorbatschow nicht nur bis in die höchsten Kreise bekannt, sondern saß bereits einige Jahre lang im Zentralkomitee beziehungsweise Politbüro der Partei, wo fast alle um ihn herum gut zwei bis drei Jahrzehnte mehr auf dem Buckel hatte als er. Im Volk galt Gorbatschow als der jugendliche Hoffnungsträger. Als er am 11. März 1985 zum Generalsekretär des ZKs gewählt wurde, war er 54 Jahre alt.
"Gorbatschow war jemand, der nicht um jeden Preis diese Macht haben wollte. Er wollte einiges erreichen und er wusste, was Macht ist. Aber er verachtete Gewalt und er war nicht rachsüchtig. Er wollte diese Macht und wollte sogar die Popularität - er war auch nicht uneitel als Mensch und selbst bei seinen schwachen Entscheidungen zeigt sich, dass er auch nur ein Mensch war. Das ist sehr sympathisch an ihm."
Dalos zitiert ausführlich aus Gesprächsprotokollen, Reden und Schriften. Bei aller verständlichen Freude, die jeder Autor über einen seltenen Quellenfund empfindet - nicht jedes Zitat ist notwendig, etliche sind zu ausführlich und/oder zusätzlich erklärungsbedürftig, wodurch die hölzerne Übersetzung aus dem Russischen umso größeres Gewicht erlangt.
Da er dem ersten Führer der Sowjetunion, der in der Welt als Sympathieträger gefeiert wurde, nie persönlich begegnet ist, blieb Dalos darauf angewiesen, sein Wissen aus einer Vielzahl fremder Quellen zusammenzutragen. Somit ist das Werk eine reine Literaturarbeit. Der ungarische Autor, der fünf Jahre in Moskau studiert hat, ist ein profunder Kenner der Materie. In Ungarn durfte er als Dissident fast 20 Jahre nicht publizieren. Dalos brachte dem Begründer von Perestroika und Glasnost von Anfang an Sympathie entgegen, weil er den Mut besaß, Presse- und Meinungsfreiheit zuzulassen. Gorbatschows Zögerlichkeit, seine Wankelmütigkeit sieht er ihm nach.
"Das Leben von Millionen Menschen hat nur Gorbatschow verändert. Deswegen sage ich, er war kein großer Demokrat, er war kein großer Kommunist, aber er war ein großer Mensch."
Die Menschen der ehemaligen Sowjetunion betrachten Gorbatschow bis heute als Totengräber ihres Landes, verbinden sein Wirken mit den leeren Regalen in den Geschäften. Dabei hatte sich die wirtschaftliche Lage nicht verschlechtert, weil er die Weichen falsch stellte, sondern weil sie schon seit Jahrzehnten in die verkehrte Richtung führten. Wohl und wehe der UdSSR hingen am Ölpreis und der sank just mit seinem Regierungsantritt. Parallel brachen schwelende Nationalitätenkonflikte auf. Nicht zwischen der Kolonialmacht Moskau und den Regionen oder Republiken, sondern zunächst, wie in Armenien und Aserbaidschan, unter den Ethnien selbst.
"Alle waren überfordert mit diesem Problem, außer Stalin. Stalin konnte eigentlich alles durch Terror lösen."
So ungeliebt der letzte Generalsekretär der KPdSU und Präsident der UdSSR zu Hause war, so wenig er den Zerfall seines Landes aufzuhalten vermochte, so sehr trugen ihn die Menschen westlich der Sowjetunion auf Händen. In Deutschland und Osteuropa, weil er den Fall des Eisernes Vorhangs zuließ, in den Vereinigten Staaten, weil er für Abrüstung eintrat. Nicht, dass Washington bereits von Friedenstauben bevölkert war, noch hatten die Falken das Sagen, doch die waren von der Vorstellung beherrscht, dass ein weniger stark aufgerüstetes Land ein schwaches sein müsste. Gorbatschow schwächte in ihren Augen sein Land, also hatten die Hardliner bei der CIA und anderswo Grund zur Freude.
"Die ganze Abrüstungsidee von Gorbatschow, mit der er seinen Welterfolg hatte, war deshalb erfolgreich, weil sich die Absurdität des militärischen Denkens, das in Ost und West absolut das Gleiche war, zeigte. Diese zwei Supermächte konnten zehn Mal einander vernichten. Und Gorbatschow war der Meinung, wenn zehn Mal gehen, dann reichen eigentlich auch zweimal."
György Dalos zeichnet ein differenziertes Bild des Friedensnobel-Preisträgers. Voller Sympathie, aber nicht beschönigend. So wenig Gorbatschow den Nationalitätenkonflikte entgegenzusetzen vermochte, so unbeholfen er mit eigenen Widersachern in der Partei fertig zu werden verstand, der Autor begegnet Gorbatschow mit Verständnis. Ein Verbot der KPdSU, wie es sein schärfster Gegner Boris Jelzin verfügte, konnte und wollte der letzte Generalsekretär der Partei nicht forcieren, angeblich weil er eine Hetzjagd auf die 26 Millionen Mitglieder fürchtete. Dalos sieht noch eine anderen Grund:
"Etwas Kommunistisches blieb in Gorbatschow bis heute."
György Dalos: "Gorbatschow. Mensch und Macht. Eine Biographie.". Verlag C.H. Beck, 288 Seiten, Euro 19,95.
"Er ist aus einem wirklich maßgeschnittenen, wenngleich sehr intelligenten Apparatschikfunktionär zum Demokraten geworden. Ich glaube manchmal, er ist durch seine Geschichte Demokrat geworden. Wobei seine wirkliche Absicht war, dieses sowjetische System als solches über die Zeiten zu retten. Gorbatschows Grundidee war das folgende: Eine modernisierte Sowjetunion, die auf das Rüstungsniveau der Achtziger-Jahre verzichtet, bekommt vom Westen die Technologie, die ihm dann die ökonomischen Schwierigkeiten mit lösen kann und ansonsten wollte er gar nichts; was aber wirklich geschah, das war nicht einmal, dass die Intellektuellen mehr Freiheit wollten und die potenziellen Unternehmer freies Unternehmertum wollten. Es gab auch Bevölkerungsschichten, die nichts wollten; nur ein besseres Leben."
Gorbatschow erklomm den kommunistischen Olymp zu einer Zeit, da die Sowjetunion in nie gekannten Schwierigkeiten zu versinken drohte.
"Erstens war das natürlich eine Supermacht mit sehr reichen Rohstoffen. Und andererseits war diese Supermacht ökonomisch völlig abhängig von dem Rüstungspotenzial. Offiziell haben sie 16 Prozent des Budgets für Rüstung ausgegeben, verdeckte Ausgaben gingen bis zu 40 Prozent. Die USA hat selber offiziell acht Prozent für die Rüstung ausgegeben. Ich glaube, dass die verdeckten Zahlen dort auch größer waren - nur das Potenzial der USA war größer. Gleichzeitig haben Sie eine völlig falsche Hoffnung an ihren reichsten Rohstoff, an das Erdöl, geknüpft. Sie glaubten, dass man mit ihrer Erdölkonjunktur praktisch alles lösen könne."
Die Rückschau auf Gorbatschows Leben beginnt mit einer detaillierten Schilderung jener Putschtage von 1991, die das Ende seiner kurzen, aber umso fulminanteren politischen Karriere einleiteten. In denen sich eine wesentliche Charakterschwäche des in der ganzen Welt bejubelten ersten und letzten sowjetischen Präsidenten rächte:
"Gorbatschow hatten fast alle früheren Verbündete und Freunde und den Rücken gekehrt. Am Putsch beteiligt waren nur seine Freunde und nur diejenigen, die er persönlich in diese hohen Positionen erhoben hatte. Das zeigt, dass er ein schlechter Menschenkenner war."
Im Kreml herrschte Gorbatschow nur sechs Jahre lang. Seinen Aufstieg an die Spitze der kommunistischen Staatspartei verdankte er zum einen seinem Landwirtschaftsstudium, ohne dass er allerdings als Experte von sich reden gemacht hätte. Doch von der Getreideproduktion hing das Überleben des Landes ab, sie war Chefsache.
Als Bezirkssekretär in der Kaukasusregion Stawropol hatte Gorbatschow einen unerwartet engen Draht zur Macht, denn in seine Heimat reisten die greisen Führer des Landes, wenn sie sich auskurieren oder erholen wollten. Als erst Breschnew, dann Andropow und schließlich Tschernenko starb, war Gorbatschow nicht nur bis in die höchsten Kreise bekannt, sondern saß bereits einige Jahre lang im Zentralkomitee beziehungsweise Politbüro der Partei, wo fast alle um ihn herum gut zwei bis drei Jahrzehnte mehr auf dem Buckel hatte als er. Im Volk galt Gorbatschow als der jugendliche Hoffnungsträger. Als er am 11. März 1985 zum Generalsekretär des ZKs gewählt wurde, war er 54 Jahre alt.
"Gorbatschow war jemand, der nicht um jeden Preis diese Macht haben wollte. Er wollte einiges erreichen und er wusste, was Macht ist. Aber er verachtete Gewalt und er war nicht rachsüchtig. Er wollte diese Macht und wollte sogar die Popularität - er war auch nicht uneitel als Mensch und selbst bei seinen schwachen Entscheidungen zeigt sich, dass er auch nur ein Mensch war. Das ist sehr sympathisch an ihm."
Dalos zitiert ausführlich aus Gesprächsprotokollen, Reden und Schriften. Bei aller verständlichen Freude, die jeder Autor über einen seltenen Quellenfund empfindet - nicht jedes Zitat ist notwendig, etliche sind zu ausführlich und/oder zusätzlich erklärungsbedürftig, wodurch die hölzerne Übersetzung aus dem Russischen umso größeres Gewicht erlangt.
Da er dem ersten Führer der Sowjetunion, der in der Welt als Sympathieträger gefeiert wurde, nie persönlich begegnet ist, blieb Dalos darauf angewiesen, sein Wissen aus einer Vielzahl fremder Quellen zusammenzutragen. Somit ist das Werk eine reine Literaturarbeit. Der ungarische Autor, der fünf Jahre in Moskau studiert hat, ist ein profunder Kenner der Materie. In Ungarn durfte er als Dissident fast 20 Jahre nicht publizieren. Dalos brachte dem Begründer von Perestroika und Glasnost von Anfang an Sympathie entgegen, weil er den Mut besaß, Presse- und Meinungsfreiheit zuzulassen. Gorbatschows Zögerlichkeit, seine Wankelmütigkeit sieht er ihm nach.
"Das Leben von Millionen Menschen hat nur Gorbatschow verändert. Deswegen sage ich, er war kein großer Demokrat, er war kein großer Kommunist, aber er war ein großer Mensch."
Die Menschen der ehemaligen Sowjetunion betrachten Gorbatschow bis heute als Totengräber ihres Landes, verbinden sein Wirken mit den leeren Regalen in den Geschäften. Dabei hatte sich die wirtschaftliche Lage nicht verschlechtert, weil er die Weichen falsch stellte, sondern weil sie schon seit Jahrzehnten in die verkehrte Richtung führten. Wohl und wehe der UdSSR hingen am Ölpreis und der sank just mit seinem Regierungsantritt. Parallel brachen schwelende Nationalitätenkonflikte auf. Nicht zwischen der Kolonialmacht Moskau und den Regionen oder Republiken, sondern zunächst, wie in Armenien und Aserbaidschan, unter den Ethnien selbst.
"Alle waren überfordert mit diesem Problem, außer Stalin. Stalin konnte eigentlich alles durch Terror lösen."
So ungeliebt der letzte Generalsekretär der KPdSU und Präsident der UdSSR zu Hause war, so wenig er den Zerfall seines Landes aufzuhalten vermochte, so sehr trugen ihn die Menschen westlich der Sowjetunion auf Händen. In Deutschland und Osteuropa, weil er den Fall des Eisernes Vorhangs zuließ, in den Vereinigten Staaten, weil er für Abrüstung eintrat. Nicht, dass Washington bereits von Friedenstauben bevölkert war, noch hatten die Falken das Sagen, doch die waren von der Vorstellung beherrscht, dass ein weniger stark aufgerüstetes Land ein schwaches sein müsste. Gorbatschow schwächte in ihren Augen sein Land, also hatten die Hardliner bei der CIA und anderswo Grund zur Freude.
"Die ganze Abrüstungsidee von Gorbatschow, mit der er seinen Welterfolg hatte, war deshalb erfolgreich, weil sich die Absurdität des militärischen Denkens, das in Ost und West absolut das Gleiche war, zeigte. Diese zwei Supermächte konnten zehn Mal einander vernichten. Und Gorbatschow war der Meinung, wenn zehn Mal gehen, dann reichen eigentlich auch zweimal."
György Dalos zeichnet ein differenziertes Bild des Friedensnobel-Preisträgers. Voller Sympathie, aber nicht beschönigend. So wenig Gorbatschow den Nationalitätenkonflikte entgegenzusetzen vermochte, so unbeholfen er mit eigenen Widersachern in der Partei fertig zu werden verstand, der Autor begegnet Gorbatschow mit Verständnis. Ein Verbot der KPdSU, wie es sein schärfster Gegner Boris Jelzin verfügte, konnte und wollte der letzte Generalsekretär der Partei nicht forcieren, angeblich weil er eine Hetzjagd auf die 26 Millionen Mitglieder fürchtete. Dalos sieht noch eine anderen Grund:
"Etwas Kommunistisches blieb in Gorbatschow bis heute."
György Dalos: "Gorbatschow. Mensch und Macht. Eine Biographie.". Verlag C.H. Beck, 288 Seiten, Euro 19,95.