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Ein Grund zur Freude?

Unter dem Strich ist das Schengen-Abkommen eine Erfolgsgeschichte. Es hat uns mehr Freiheit gebracht, ohne dass unsere Sicherheit darunter gelitten hätte, meint Journalist Alois Berger.

17.12.2007
    Es gab mal einen Europaabgeordneten, der hatte einen kleinen rot-weißen Schlagbaum auf seinem Schreibtisch. Und wenn er im Parlament eine Rede halten sollte, dann nahm er gerne diesen Schlagbaum mit und klappte ihn während seines Vortrags hoch und nieder. Das war seine Art, den Abbau der Grenzschranken in Europa zu fordern. Die Leute bei ihm zuhause in der Pfalz würden ihn immer drängeln, wann es nun endlich etwas werde mit diesem Europa, wann sie endlich ohne Kontrollen nach Frankreich rüberfahren könnten. Der Traum von Europa, das sei doch der Traum von einem gemeinsamen Europa ohne Grenzkontrollen.

    Gerade einmal 20 Jahre ist das her. Seit 12 Jahren sind die Grenzkontrollen zwischen Frankreich, Deutschland und den Benelux-Staaten verschwunden. Seitdem sind wir Teil des Schengen-Raums, wie es im Brüsseler Amtskauderwelsch heißt.

    Am Anfang waren es nur fünf Länder, die sich in dem kleinen Moselstädtchen Schengen in Luxemburg auf den Abbau der Grenzkontollen geeinigt hatten. Inzwischen sind es 13 Staaten. Am Freitag werden die Grenzen zu neun weiteren Ländern aufgehen. Dann kann man von Estland bis Portugal fahren, ohne ein einziges Mal den Ausweis zu zeigen, ohne ein einziges Mal an einer Grenze warten zu müssen.

    Doch die Freude darüber hält sich in engen Grenzen. An einigen Übergängen, etwa von Deutschland nach Polen und nach Tschechien wird es offizielle Feierlichkeiten geben. Doch dass für die Mehrheit der Bevölkerung der Traum von der europäischen Freiheit in Erfüllung gehen würde, das kann man nun wirklich nicht sagen. Im Gegenteil: Je weiter Europa nach Osten rückt, desto größer sind offenbar die Ängste vor wachsender Kriminalität und importierter Unsicherheit.

    Dabei sind die bisherigen Erfahrungen mit Schengen durchwegs positiv. Die Polizei erzielt deutlich mehr internationale Fahndungserfolge als früher. Was nicht weiter verwundert: Die Kriminellen waren vorher schon international. Polizei und Justiz sind es durch das Schengener Abkommen erst richtig geworden. Denn Schengen war schließlich nie bloß der Abbau von Schlagbäumen, sondern auch der Ausbau der grenzüberscheitenden Polizeizusammenarbeit: Schleierfahndung in Grenznähe, Schengen-Informationssystem, Verstärkung der gemeinsamen Außengrenzen.

    Europa ist mehr denn je zu einer Festung geworden. Nie war es für Menschen aus ärmeren Ländern so schwer und oft so aussichtslos, nach Europa zu kommen. Das betrifft leider nicht nur Kriminelle, auch nicht nur Wirtschaftsflüchtlinge, sondern auch Menschen, die zuhause politisch verfolgt werden.

    Und trotzdem haftet dem Schengener Abkommen noch immer der Grundverdacht an, Europa würde den Kriminellen Tür und Tor öffnen. Daran sind nicht zuletzt auch einige Politiker schuld, die genau wissen, dass man mit Appellen an die Angst der Bürger mehr Aufmerksamkeit bekommt als mit Appellen an die Vernunft. Aber mindestens genauso viel Verantwortung haben auch die Regierungen, die aus bloßer Feigheit lieber gar nichts sagen.

    Als zum Beispiel Dänemark 2001 dem Schengen-Raum beitrat, hat die dänische Regierung auf jede Feierlichkeit verzichtet. Selbst als die Gemeinden an der deutsch-dänischen Grenze, deren Bewohner den Abbau der Kontrollstellen als enorme Erleichterung und Grund zur Freude empfanden, selbst als diese Gemeinden die neue Freiheit feiern wollten, wurden sie von Kopenhagen gebremst. Die Begründung: Man wolle den Rechten im Land keinen Anlass für Proteste liefern. Diese Feigheit lässt sich in fast allen Schengen-Ländern beobachten.

    Der Abbau der Grenzen innerhalb der Europäischen Union war ein Traum, der Wirklichkeit geworden ist. Unter dem Strich ist das Schengen-Abkommen also eine Erfolgsgeschichte: Es hat uns mehr Freiheit gebracht, ohne dass unsere Sicherheit darunter gelitten hätte. Es ist schade, dass sich so wenig Menschen darüber freuen wollen.