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"Ein guter Tag für die Europäische Union"

Die EU könne nicht von ihren Mitgliedsstaaten Haushaltskonsolidierungen verlangen und selbst die Spendierhosen anhaben, betont der Vorsitzende der CSU-Gruppe im EU-Parlament, Markus Ferber. Der jetzt diskutierte Kompromiss zum EU-Hauhalt verlange allen Staaten etwas ab.

Markus Ferber im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 08.02.2013
    Tobias Armbrüster: Am Telefon begrüße ich Markus Ferber, den Vorsitzenden der CSU-Gruppe im Europäischen Parlament. Schönen guten Tag, Herr Ferber!

    Markus Ferber: Schönen guten Tag, Herr Armbrüster!

    Armbrüster: Herr Ferber, wenn dieser Kompromiss, so wie wir es gerade gehört haben, wenn der so kommt, ist das dann ein guter Tag für die Europäische Union?

    Ferber: Es ist insofern ein guter Tag für die Europäische Union, weil es auch in schwierigen Zeiten möglich war, dass sich 27 Mitgliedsstaaten zu einem einstimmigen Beschluss haben durchringen können, der von allen etwas abverlangt. Aber es ist nicht das Ende der Finanzverhandlungen, sondern jetzt haben erst die Mitgliedsstaaten eine Verhandlungsposition, die wir als Europäisches Parlament seit zwei Jahren haben: Jetzt können erst die Verhandlungen mit dem Europäischen Parlament beginnen.

    Armbrüster: Martin Schulz, der Präsident des Parlaments, hat ja schon sein Veto angekündigt. Schließen Sie sich dem an?

    Ferber: Ich schließe mich dem nicht an. Ich habe auch nicht mehr an Erkenntnissen als der Herr Schulz. Herr Schulz hat im Plenum auch nur eine Stimme, so wie ich auch. Es wird jetzt zunächst die Frage zu beantworten sein: Wie schauen im Detail die Zahlen aus? Und die zweite Frage, die uns alle miteinander bewegt: Wie können wir die Verpflichtungen, also die Versprechen an die Mitgliedsstaaten und die Zahlungen, also den realen Geldfluss besser zueinander bringen? Wir haben in der Tat das Problem, dass wir anfangen, über die Hintertür eine Verschuldung des europäischen Haushaltes durch die Mitgliedsstaaten zu bekommen. Man kann die Schuldenkrise in den Mitgliedsstaaten nicht dadurch lösen, dass man die Verschuldung auf die europäische Ebene schiebt. Das ist der Punkt, wo wir uns sicherlich sehr einig sind im Europäischen Parlament.

    Armbrüster: Wo verschuldet sich denn die Europäische Union?

    Ferber: Die Europäische Union verschuldet sich dadurch, dass sie den Mitgliedsstaaten zugesteht, Gelder auszugeben, die aus dem EU-Haushalt dann beglichen werden müssen, die aber nicht mehr zeitnah beglichen werden. Wir schieben jetzt schon im laufenden Haushalt einen Berg von 16 Milliarden Euro an bereits getätigten Zahlungen der Mitgliedsstaaten der Regionen - auch bei uns in Deutschland sind davon über zwei Milliarden Euro in dem Bereich der Strukturpolitik betroffen - vor uns her, die aus dem Haushalt nicht bezahlt werden können, aus dem EU-Haushalt. Und das sind faktische Schulden, die die Europäische Union gegenüber Projektverantwortlichen und Projektleistungserbringern hat, und die darf es auf europäischer Ebene nicht geben, da sind die Verträge eindeutig.

    Armbrüster: Dann gehören Sie, Herr Ferber, zu denen, die sagen tatsächlich: Die Europäische Union muss Geld sparen.

    Ferber: Natürlich muss die Europäische Union Geld sparen. Wir können doch nicht von allen Mitgliedsstaaten verlangen, ihre Haushalte zu konsolidieren, Neuverschuldung abzubauen, und wir würden in Europa mit den Spendierhosen durch die Landschaft fahren. Diese Nummer kann nicht funktionieren. Deswegen ist es auch richtig, in allen Politikbereichen Einsparungen vorzunehmen. Das begrüße ich auch, dass das im Rat jetzt auf allen Bereichen stattgefunden hat, und nicht bestimmte Politikfelder ausgenommen wurden. Wir haben es ja gerade in dem Beitrag gehört. Auf der anderen Seite haben wir als Parlament schon ein Interesse, dass dort, wo es um die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union in der Welt geht, im Bereich der Forschungspolitik, in der Ausbildung junger Menschen, im Austausch junger Menschen, dass hier keine Kürzungen vorgenommen werden - und das werden wir in den weiteren Verhandlungen noch zu vertiefen haben.

    Armbrüster: Wenn wir uns da jetzt mal ein paar Zahlen und Angaben anschauen, dann sehen wir, dass die Ausgaben für die Landwirtschaft in der EU mit diesem Kompromiss nach wie vor ungefähr drei Mal so hoch wären wie die für Forschung, Bildung und für den Ausbau von Energienetzen. Setzt die Europäische Union da die völlig falschen Prioritäten?

    Ferber: Ja, Sie müssen natürlich dann auch dazu sagen, dass für die Agrarpolitik die Europäische Union ausschließlich zuständig ist. Für den Bereich Forschung, Bildung sind es die Mitgliedsstaaten. Bei uns in Deutschland ja auch die Bundesländer. Wir haben da nur eine Teilzuständigkeit. Deswegen hinkt der Vergleich in den Zahlen. Aber was nicht sein kann, ist, dass wir im Bereich der Agrarpolitik die Dinge unangetastet lassen und sagen, das war schon immer so und das muss immer so bleiben, und dort, wo es wirklich um die Wettbewerbsfähigkeit geht, sind wir nicht bereit, einen großen Sprung nach vorne zu machen. Das ist der Ansatz, aber das hilft Ihnen oder ich denke, das hilft uns allen nicht weiter, wenn wir da nur die Zahlen miteinander vergleichen.

    Armbrüster: Aber wir können zumindest mal so viel festhalten: Sie, Herr Ferber, möchten gerne auch bei den Agrarsubventionen deutlich sparen?

    Ferber: Es ist ja jetzt ein Vorschlag auf dem Tisch, der auch im Bereich der Agrarpolitik Kürzungen vorsieht. Wir müssen das aber noch in Einklang bringen mit den Reformvorschlägen des Herrn Ciolos. Eine Nummer geht natürlich auch nicht: dass wir sagen, die Bauern kriegen weniger Geld, aber dafür kriegen sie höhere Auflagen. Diese Quadratur des Kreises wird auch in Europa nicht gelingen. Auch hier muss ein bisschen Ehrlichkeit mit dazu. Weniger Geld heißt auch, dass in der Verantwortung des Landwirts mehr Möglichkeiten gegeben werden, das heißt: Die strenge Gängelung aus Brüssel im Bereich der Agrarpolitik muss dann auch aufhören.

    Armbrüster: Herr Ferber, wir lesen und hören jetzt immer wieder in diesen ganzen Debatten von Geber- und Nehmerländern in der Europäischen Union und dass sich da eigentlich im Lauf der Jahre relativ wenig tut. Setzt sich innerhalb der EU so langsam eine Art Länderfinanzausgleich durch?

    Ferber: Ja gut, wenn Sie das Niveau in Deutschland mit dem Niveau in der EU vergleichen und der Finanzausgleich erfolgt im Wesentlichen ja über die Strukturpolitik, da sind wir bei 0,3 bis 0,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Das ist ein sehr übersichtlicher Finanzausgleich. Der ist auch nicht für die Haushalte direkt, sondern nur für Programme gegeben. Insofern hinkt der Vergleich ein bisschen. Das deutsche Finanzausgleichssystem sind direkte Zuweisungen in den Haushalt ohne Verwendungsbestimmungen, das ist der ganz große Unterschied. Aber Ziel der Strukturpolitik sollte es natürlich schon sein, dass Länder, die empfangen haben, dauerhaft zu Geberländern werden. Wie wir da ja in Ostdeutschland zum Beispiel auf einem guten Weg sind im europäischen Vergleich. Und das sollte eigentlich die Aufgabe sein. Die Zuweisungen aus dem EU-Haushalt sind keine dauerhaften Töpfe, die einem Land zustehen, sondern sie sind immer der Ausdruck der europäischen Solidarität. Und das habe ich jetzt in den letzten Tagen gerade bei den Staats- und Regierungschefs in den Verhandlungen etwas vermisst, dass es hier auch um Europa geht und nicht nur um den Scheck, den ein einzelnes Land aus dem EU-Haushalt bekommt.

    Armbrüster: Und das einzelne Land heißt immer häufiger Deutschland: Die deutschen Ausgaben für die EU, das haben wir gerade auch im Bericht gehört, werden weiter steigen, das ist jetzt schon klar. Wie lange, glauben Sie, können Sie das den Menschen in Deutschland noch erklären?

    Ferber: Zunächst mal muss man ja auch sehen, dass wir den größten ökonomischen Nutzen haben aus diesen Zahlungen. Viele Projekte, die mit EU-Geldern bezahlt werden, werden am Ende von deutschen Firmen wieder abgewickelt. Aber wir kommen natürlich schon an die Grenze unserer eigenen Leistungsfähigkeit und wir kommen an die Grenze der Vermittelbarkeit. Es sind ja nicht nur die Verpflichtungen über den EU-Haushalt, es sind ja auch die Verpflichtungen, die wir im Rahmen des europäischen Stabilitätsmechanismus, also der Eurorettung eingegangen sind. Und ich werbe immer wieder dafür, dass man eine Kuh, die man melken will, auch füttern muss. Das heißt, man kann nicht auf der einen Seite durch überzogene Regulierungen die Wirtschaftskraft und die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands eindämmen, und auf der anderen Seite immer höhere Belastungen budgetär einfordern. Diese Schere muss wieder geschlossen werden, und da hat die Kommission eine große Verantwortung.

    Armbrüster: Herr Ferber, ist David Cameron der große Gewinner dieses Gipfels?

    Ferber: Nein. Wenn Sie den Beschluss des britischen Unterhauses mit den jetzt zu verhandelnden Zahlen vergleichen, da wird auch Herr Cameron noch etwas Erklärungsbedarf zu Hause haben. Die Briten wollten deutliche, stärkere Kürzungen in bestimmten Politikbereichen.

    Armbrüster: Aber er hat ja einen deutlichen Akzent gesetzt mit seiner Forderung, Ausgaben zu streichen und zu kürzen?

    Ferber: Aber da war er ja nie allein. Also der Herr Cameron hat eine ganz andere Agenda eigentlich: Er will die Europäische Union degenerieren zu einer Freihandelszone. Damit hat er sich nicht durchgesetzt. Und von daher hat er noch großen Erklärungsbedarf gegenüber denen, die anti-europäische Stimmung in Großbritannien verbreiten.

    Armbrüster: Live bei uns hier in den "Informationen am Mittag" war das Markus Ferber, CSU-Abgeordneter im Europäischen Parlament. Besten Dank, Herr Ferber, dass Sie die Zeit für uns hatten heute Mittag!

    Ferber: Gerne, Herr Armbrüster!

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