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Ein Herz für Menschen
Der lange Weg zur künstlichen Pumpe

In Deutschland warten etwa 800 Menschen auf ein Spenderherz. Damit ist der Bedarf fast drei Mal so groß wie das Angebot. Der Mangel an Spenderorganen ist einer der Gründe, warum weltweit an einem künstlichen Herzen geforscht wird.

Von Jochen Steiner | 04.09.2016
    Die Computerdarstellung eines Herzinfarktes. Die Herzregion ist farbig hervorgehoben.
    Die Computerdarstellung eines Herzinfarktes. Die Forschung am künstlichen Herzen macht weiter Fortschritte. (imago / imago / Science Photo Library)
    Thomas Herfert: "Die Krankenschwester sagte, das mit dem Duschen können Sie erst mal vergessen. Weil, da sagte meine Frau, du hast kein eigenes Herz mehr."
    Reiner Körfer: "Mein großer Traum ist immer, ein Herz zu entwickeln, das man im Regal hat, und sagen kann: Heute oder morgen können wir so ein Ding implantieren. Und das ist genauso gut, wie ein menschliches Herz."
    Wolfgang Friede: "Das war so eine Alternative: Entweder die Pumpe oder der Tod. Und da habe ich mich dann schnell dafür entschieden und habe sofort zugesagt."
    Diyar Saeed: "Von zehn Patienten sind nach einem Jahr acht bis neun noch ohne jegliche Komplikationen."
    Syncardia-Kunstherz: 72 Dezibel laut
    Es ist Februar 2015, als sich das Leben von Thomas Herfert radikal verändert:
    "Gedacht habe ich erst mal gar nichts. Das war erst mal so, uff, erst mal ein Schock. Wo man dann gesagt hat, prima, nur noch das hier? Und das ist jetzt dein Herz? Eine Pumpe, eine externe. Ich konnte mir das erst gar nicht vorstellen, ich wollte es auch gar nicht wissen und sehen."
    Thomas Herfert erleidet einen Herzinfarkt. Im Krankenhaus wird ihm ein Stent eingesetzt. Kurz darauf stellen die Ärzte fest: Sein Herz hat ein Loch, das nicht geflickt werden kann. Schließlich tauschen Herzspezialisten im Evangelischen Klinikum Niederrhein in Duisburg das kranke Herz durch ein Kunstherz aus: "Was man jetzt so hört, dieses Geräusch, das ist der eigentliche Herzschlag, der liegt bei 128. So wird es am Anfang eingestellt. Meistens wenn die Pumpe dann eine Zeit lang dran ist, geht er von alleine ein bisschen hoch auf 130."
    Über zwei Schläuche pumpt ein Kompressor Luft in die beiden künstlichen Herzkammern. Sie bewegt abwechselnd zwei Platten, die das Blut aus den beiden Herzkammern drücken. 130 Mal in der Minute.
    Der Kompressor ist in einem Rucksack untergebracht, den Thomas Herfert immer bei sich trägt - er ist seine Lebensversicherung. Allerdings mit 72 Dezibel eine recht laute: "Wir hatten ganz am Anfang, wenn man auf dem Balkon draußen sitzt, hallt das Ding natürlich auch, dann waren schon mal Nachbarn von den anderen Häusern da und sagten: Machen Sie da irgendwie Techno-Musik, können Sie das nicht mal leiser stellen? Meine Frau hat sie dann nur angeguckt und gesagt: Nein, leiser stellen kann ich das nicht, das ist mein Mann, das ist die Pumpe, das ist das Herz von meinem Mann, was da schlägt, wenn ich das abschalte, ist er nicht mehr."
    Weltweit etwa 1.500 Mal eingesetzt
    Das neue Herz von Thomas Herfert wird vom US-Unternehmen Syncardia hergestellt. Gero Tenderich hat am Evangelischen Klinikum Niederrhein in Duisburg etwa 200 davon implantiert: "Das Hauptproblem ist die Lautstärke des Systems: 72 Dezibel. Der Kompressor, den man mit nach Hause nehmen muss - das gibt häufig, ich sage mal, Schwierigkeiten auf der Ebene der sozialen Kontakte."
    Weltweit wurde es etwa 1.500 Mal eingesetzt und hat vielen Menschen das Leben gerettet, die dringend, aber zunächst vergeblich, auf ein Spenderorgan gewartet haben: "Es ist an sich das einzige verlässliche System, was momentan auf der Welt verfügbar ist. Die Erfahrungen sind exzellent. Das System versorgt den Körperkreislauf direkt von vornherein mit einem genügenden Herz-Minuten-Volumen."
    Schon seit den 60er Jahren tüfteln Wissenschaftler an einem vollwertigen Ersatz für ein krankes menschliches Herz. Sie haben viel erreicht: Menschen, die sonst gestorben wären, leben weiter. Massive Einschränkungen im Alltag, das Damokles-Schwert einer Infektion oder eines Schlaganfalls, all das nehmen sie in Kauf - und warten auf das nächste, bessere Kunstherz. Es wird nach wie vor geforscht, man hört von Fortschritten.
    Mit einem natürlichen, aber kranken Herzen vergleichbar
    Und nicht nur bei den Kunstherzen tut sich etwas, sondern auch bei den sogenannten Unterstützungssystemen, die geschwächte Herzen nicht ersetzen, sondern ihnen beim Pumpen helfen, solange es eben geht.
    Die einzelnen Bestandteile des von der französischen Firma Carmat entwickelten Kunstherzens
    Die einzelnen Bestandteile des von der französischen Firma Carmat entwickelten Kunstherzens. (Carmat/MAXPPP/dpa picture alliance)
    Im Industriegebiet von Vélizy-Villacoublay außerhalb von Paris laufen elegant gekleidete Menschen vor großen Glasfassaden entlang. Dazwischen ein weißes Bürogebäude. Nur ein Firmenschild mit der Aufschrift "Carmat" deutet darauf hin, dass hier Kunstherzen hergestellt werden.
    Piet Jansen: "Hier sind wir im Testlabor für das Kunstherz von Carmat." Piet Jansen ist der Medizinische Leiter des Unternehmens: "In diesem Testraum simulieren wir den menschlichen Körperkreislauf. Wir können feststellen, wie das Herz auf einen veränderten Blutfluss oder Blutdruck reagiert. Es gibt im Simulator eine künstliche Lunge, künstliche Nieren, eine künstliche Leber. Wir messen dann, wie gut die einzelnen Organe mit Blut durchströmt werden und auch den Blutdruck."
    Der gebürtige Niederländer zeigt auf das etwa 900 Gramm schwere Kunstherz, das im Kreislauf-Simulator eingespannt ist: "Wenn man das Carmat-Herz zum ersten Mal sieht, erinnert es in Größe und Form an ein natürliches, aber krankes Herz. Es ist so gebaut, dass es die gleiche Gestalt und Funktion hat wie ein natürliches Herz."
    Kunstherz kann sich den unterschiedlichen Bedürfnissen des Patienten anpassen
    Bei Carmat hat man sich einiges einfallen lassen. Zum Beispiel wenn es darum geht, der Blutgerinnselbildung und damit einem Schlaganfall vorzubeugen - ein Problem, mit dem bislang alle Kunstherzen und Unterstützungssysteme zu kämpfen haben: "Unser Kunstherz besitzt vier Herzklappen und Membranen aus einem natürlichen Material, und zwar aus dem Herzbeutel von Kälbern. Dieses ist biokompatibel, das bedeutet, dass die Reaktionen des Blutes und des Patienten insgesamt abgemildert werden. Er wird weniger von den Medikamenten einnehmen müssen, die eine Blutgerinnselbildung verhindern sollen."
    Bei anderen Kunstherzen kommen künstliche Herzklappen aus Kohlenstoff zum Einsatz, wie sie seit langem in der Klinik eingesetzt werden.
    Ein großer Vorteil aller Kunstherzen ist, dass sie sich den unterschiedlichen Bedürfnissen des Patienten anpassen können, genau so, wie es das menschliche Herz auch macht, etwa beim Treppensteigen. In Frankreich setzt man dabei auf Sensoren und viel Elektronik: "Der Apparat kann Druckveränderungen wahrnehmen und bei Bedarf schneller pumpen. Es sind Drucksensoren auf der linken und rechten Seite eingebaut. Wir messen damit den Druck in den angeschlossenen Venen und Arterien."
    Das Blut wird schonend gepumpt, um die Blutplättchen nicht zu schädigen. Mit den Pumpen selbst hat es dabei keinen Kontakt: Die linke und rechte Herzkammer sind durch die biokompatiblen Membranen getrennt in einen vom Blut durchströmten Teil, und einen anderen, in dem sich Silikonöl befindet. Zwei Pumpen versetzen das Silikonöl in Bewegung, die Membranen bewegen sich daraufhin ebenfalls und werfen das Blut in den Herzkammern abwechselnd aus - das Herz schlägt und pumpt dabei neun bis zehn Liter Blut pro Minute. Im Labor ist das zu hören. Die Patienten werden die Geräusche ihres Kunstherzens kaum wahrnehmen.
    40 bis 50 Stunden bis das Kunstherz zusammengebaut ist
    Piet Jansen verlässt das Testlabor und geht den hell erleuchteten Gang entlang. Vor einer großen Scheibe bleibt er stehen. Im Raum hinter der Scheibe laufen Menschen mit Laborkittel, Mundschutz und Schutzbrille umher: "Das hier ist der Reinraum, wo wir das Kunstherz zusammensetzen. Die meisten Teile kommen von anderen Unternehmen zu uns. Was wir hier aber auch machen, ist, die biokompatiblen Membranen herzustellen, die auf der Blutkontaktseite aus Herzbeutelmaterial von Kälbern, und auf der Silikonölseite aus Polyurethan bestehen. Wenn unsere Mitarbeiter die Membranen eingebaut haben, kommt die ganze Elektronik drumherum, auch der Motor und die Pumpen. Danach umhüllen wir das Ganze mit einem speziellen Plastikbeutel, in den sie das Silikonöl füllen. Bevor das Kunstherz dann steril verpackt wird, testen wir jede einzelne Komponente, um sicherzugehen, dass es funktioniert."
    40 bis 50 Stunden dauert es, bis die Carmat-Mitarbeiter ihr Kunstherz zusammengebaut haben. Dazu kommt eine Umhängetasche, in der sich ein Controller und mehrere Akkus befinden, die per Kabel mit dem Kunstherz verbunden werden. Erst in einer späteren Version soll das Carmat-Herz mittels Induktion mit Energie versorgt werden. Es wäre dann kabellos.
    Ein Wettlauf gegen die Zeit
    Die ersten Kunstherzen, die im Laufe der Jahre auf den Markt kommen, arbeiten mit Pressluft. Auch andere Konzepte werden entwickelt, können sich aber nicht durchsetzen. Von 2001 an implantieren Mediziner etwa einige Exemplare des hydraulisch betriebenen, kabellosen Kunstherzens der Firma Abiomed. Einige dieser Patienten können damit über ein Jahr lang unterstützt werden. Doch es kommt zu schweren Nebenwirkungen wie Thrombosen. 2004 werden die Implantationen mit dem AbioCor gestoppt.
    In den 90er Jahren beginnt auch der erfahrene Herzchirurg Alain Carpentier, seinen Traum vom Kunstherzen zu verwirklichen. 2008 gründet er mit Carmat ein eigenständiges Unternehmen, seit 2010 ist es an der französischen Börse gelistet und damit mit deutlich mehr finanziellen Mitteln ausgestattet als andere Kunstherz-Projekte etwa an Forschungsinstituten. Im Dezember 2013 ist es dann so weit: Ärzte implantieren das erste Carmat-Kunstherz in einen Menschen. Bis Dezember 2015 folgen drei weitere Operationen:
    "Was wir aus dieser ersten Studie gelernt haben, ist, dass das Kunstherz funktioniert im Menschen. Es kann das Blut zirkulieren lassen und versorgt die Organe der Patienten, für die es gedacht ist, mit ausreichend Blut. Die Patienten haben sich nach dem Eingriff den Umständen entsprechend erholt, zwei von ihnen konnten sogar mit unserem System nach Hause gehen."
    Patienten überlebten drei Wochen bis neun Monate
    Die vier Patienten überlebten nach der Operation zwischen drei Wochen und neun Monaten. Sie waren schwer herzkrank, die gewonnene Lebenszeit ist deshalb noch wenig aussagekräftig. Nach den ersten beiden Implantationen stellte Carmat ein Problem in der Elektronik fest, das schnell behoben werden konnte und das bei den beiden darauf folgenden Implantaten nicht mehr auftrat. Piet Jansen und sein Team haben nun eine zweite klinische Studie geplant. Der Antrag wird zurzeit von den französischen Behörden geprüft.
    Für diese zweite Studie sucht Piet Jansen etwa 25 schwer herzkranke Patienten, die mit dem Kunstherz mindestens sechs Monate überleben sollen. Dann wären genügend Daten gesammelt, um eine Marktzulassung für Europa zu beantragen. Ende 2017, so der Zeitplan, soll es soweit sein. Es könnte aber auch ganz anders kommen: "Es gibt natürlich einen Zeitdruck. Wir müssen schnell vorangehen und schnell auf den Markt kommen. Ansonsten geht uns irgendwann das Geld aus. Oder andere Unternehmen könnten schneller sein. Für jedes Start-up-Unternehmen mit einem innovativen Produkt ist es ein Wettlauf gegen die Zeit."
    Auch für viele Patienten mit einer sogenannten terminalen Herzinsuffizienz ist es ein Wettlauf gegen die Zeit. Ihr Herz ist so stark geschädigt, dass es die Organe nicht mehr mit ausreichend Blut versorgen kann. Diese Patienten benötigen ein Spenderorgan, von denen es in Deutschland viel zu wenige gibt. Der Bedarf übersteigt das Angebot beinahe um das Dreifache. Was die Situation noch verschärft: Menschen werden immer älter, die Fallzahlen steigen. Mangels Spenderorganen werden die Patienten mit einem Kunstherz überbrückt werden müssen.
    Alternative zum Kunstherz: Unterstützungssysteme fürs kranke Herz
    Aber es gibt eine Alternative: Kleine Pumpen, auch Unterstützungssysteme genannt. "Das war so eine Alternative: Entweder die Pumpe oder der Tod. Und dann habe ich mich schnell dafür entschieden und habe sofort zugesagt. Meine einzige Frage war: Wann fangen wir an?"
    Angefangen haben die Ärzte am Evangelischen Klinikum Niederrhein in Duisburg am 17. Februar 2011. Seit diesem Tag trägt Wolfgang Friede eine kleine Pumpe an seiner linken Herzkammer, die seinem Infarkt-geschädigten Herz hilft, das Blut durch den Körper zu pumpen: "Ich habe gelernt, ganz früh hier im Krankenhaus, während der Eingewöhnungsphase und der Lernphase, mit dieser Geschichte umgehen zu können. Dann muss man also ganz schnell begreifen, dass man im Kopf einen Schalter umlegen muss."
    In Wolfgang Friedes Brustkorb dreht sich die Heartmate II. Davon merke er nichts, sagt er: "Wenn man diesen Schalter umlegt, dann denkt man nicht mehr an diese Maschine. Dann sagt man, okay, die gehört zu mir. Die ermöglicht mir das Leben."
    Auf einem kleinen Tisch im Büro von Diyar Saeed liegen mehrere Unterstützungssysteme. Auch die Heartmate II des US-Unternehmens Thoratec ist darunter, mit etwa 20.000 Implantationen Marktführer. Der Oberarzt, der an der Uniklinik in Düsseldorf das Kunstherzprogramm leitet, nimmt das Nachfolgemodell in die Hand, in Europa ist es erst seit kurzem zugelassen:
    "Der große Unterschied zwischen dieser Pumpe, Heartmate III, und dem Vorgänger, Heartmate II ist, erstens, dass es kleiner ist und zweitens, Sie sehen, dass die Einflusskanüle an die Pumpe angebunden ist. Das ermöglicht die Tatsache, dass man diese Pumpe auch minimal invasiv implantieren kann. Die Vorteile der minimal invasiven Technik, sind wir der Meinung, ist, dass die Patienten sich schneller erholen, die werden weniger Zeit auf der Intensivstation verbringen, sie brauchen weniger Herzunterstützungsmedikamente nach der Operation."
    Saeed Diyar, Leiter des Kunstherzprogramms der Klinik für Kardiovaskuläre Chirurgie der Heinrich-Heine-Uni Düsseldorf
    Saeed Diyar, Leiter des Kunstherzprogramms der Klinik für Kardiovaskuläre Chirurgie der Heinrich-Heine-Uni Düsseldorf. (HHU Düsseldorf)
    Unterstützungssysteme wurden mit den Jahren immer kleiner und leichter. Die Heartmate III hat einen Durchmesser von etwa fünf Zentimetern und ist drei Zentimeter hoch. Gerade eben hat Diyar Saeed mit einem Patienten gesprochen, dem er vor wenigen Wochen in einer minimal invasiven Operation solch eine Pumpe an die linke Herzkammer gesetzt hat. Heute kam der Patient mit dem Liegerad zur Kontrolle ins Krankenhaus. So gut kann es im besten Fall laufen.
    Es geht aber noch kleiner. Der gebürtige Iraker greift nach einer M-VAD des australischen Unternehmens Heartware, der kleinsten Rotationspumpe, die derzeit auf dem Markt ist. Sie misst nur etwa vier Zentimeter und wiegt gerade einmal 80 Gramm:
    "Aktuell läuft eine europäische Zulassungsstudie mit der Pumpe. Und da sind etwa zwölf Patienten weltweit damit versorgt worden, unter anderem ein Patient, der an der Uniklinik Düsseldorf die Pumpe erhalten hat. Dem Patienten geht es sehr gut und er ist aktuell zu Hause."
    Pro Jahr setzen Diyar Saeed und sein Team etwa 30 Herz-Unterstützungssysteme ein, die allesamt aus Titan gefertigt sind. Sie erzeugen einen kontinuierlichen Blutfluss, im Gegensatz zu den Kunstherzen, die in Stößen pumpen wie ein natürliches Herz. Dieser kontinuierliche Blutfluss habe sich bislang nicht als Nachteil herausgestellt, sagt Saeed.
    Zahl implantierter Unterstützungssysteme in vier Jahren fast verdoppelt
    Dafür hätten sie mit einem anderen Problem zu kämpfen: Die kleinen Pumpen drehen sich bis zu 10.000 Mal in der Minute. In der Vergangenheit war das Blut dadurch großen Belastungen ausgesetzt, Blutbestandteile wurden zerstört und es kam zu Gerinnselbildungen. Bei den neuen Modellen hat das Blut weniger Kontakt mit dem Rotor der Pumpe, es wird dadurch nicht mehr so stark beansprucht, die Gefahr der Gerinnselbildung und damit eines Schlaganfalls hat sich deutlich verringert.
    Ein Nachteil der Unterstützungssysteme besteht aber nach wie vor: Ihre Leistung kann sich nicht den unterschiedlichen Bedürfnissen der Patienten anpassen: Einmal eingestellt, pumpen sie immer mit der gleichen Anzahl an Umdrehungen. Egal, ob der Patient schläft oder Fahrrad fährt. Trotzdem, die Zahl der implantierten Unterstützungssysteme in Deutschland hat sich von 555 im Jahr 2010 auf 915 im Jahr 2014 verdoppelt. Saeed:
    "Durch die abnehmende Zahl der Spenderorgane, was vor allem in Deutschland zu spüren ist, ist es tatsächlich so, dass die Zahl der Herztransplantationen deutlich abgefallen ist in den letzten Jahren. Und dann haben wir mit Patienten zu tun, die eine Herztransplantation benötigen, aber wir haben keine Spenderorgane. Und diese Kunstherzen oder Herz-Unterstützungssysteme kann man dann planen und am nächsten Tag einbauen, bis der Patient irgendwann ein Spenderorgan bekommt."
    Außerdem kommen die Unterstützungssysteme zum Einsatz bei Patienten, die für eine Herztransplantation nicht in Frage kommen. Ein hohes Alter kann ein Grund sein. Und schließlich gibt es noch eine dritte Gruppe, an der Uniklinik Düsseldorf sind es etwa fünf Prozent der Patienten: Sie benötigen ein Unterstützungssystem nur für einige Monate bis Jahre, bis sich ihr Herz wieder völlig erholt hat. Die Unterstützungssysteme werden in den allermeisten Fällen an die linke Herzkammer angeschlossen. Gero Tenderich vom Evangelischen Klinikum Niederrhein:
    "Der linke Ventrikel versorgt den Körperkreislauf. Er ist höheren Widerständen ausgesetzt, hat auch die dickere Muskulatur und ist der Teil des Herzens, der am häufigsten erkrankt. Und deshalb reicht es häufig, nur die linke Herzkammer zu unterstützen, um das Blut wieder in den Körperkreislauf gelangen zu lassen. Weil die rechte Herzkammer, die das Blut in die Lunge pumpt, viel geringeren Widerständen ausgesetzt ist und meistens dann noch funktionsfähig ist."
    Baden und schwimmen ist tabu
    Die Ein-Jahr-Überlebensrate nach Implantation eines Unterstützungssystems liegt bei etwa 85 Prozent, die dreijährige bei 60 Prozent. Das ist vergleichbar mit den Werten nach einer Herztransplantation. Bei Wolfgang Friede arbeitet die Heartmate II seit nunmehr fünfeinhalb Jahren. Dafür muss der 65-jährige auch einiges tun: Die Akkus, die die Pumpe per Kabel mit Energie versorgen, müssen regelmäßig getauscht und geladen werden.
    Alle drei Tage erneuert seine Frau den Verband, der das Stromkabel abdeckt, das aus seinem Bauch in die Umhängetasche führt. Täglich misst er den sogenannten INR-Wert, damit er weiß, wie viele Blutverdünnungstabletten er einnehmen muss. Einmal in der Woche geht er zum Hausarzt, der ihm Blut abnimmt. Und er macht klar: Alleine würde er das alles nicht schaffen: "Anziehen, umziehen, morgens waschen: Das sind Dinge, wenn man die selber macht, in dem Stadium, in dem ich mich befinde - das wird dann immer schwerer. Und da bin ich meiner Frau unendlich dankbar, sie macht das mit einer Akribie, das ist also schon sehr, sehr bewundernswert."
    Nicht mehr baden und schwimmen zu können, das schmerzt Wolfgang Friede am meisten: "Ich war eine Wasserratte. Ich bin ausgebildeter Rettungsschwimmer, DLRG. Und da können Sie sich vorstellen, wenn ich Wasser sehe, dann zuckt das in den Fingern und in den Füßen."
    Diebe versuchten Gerät zu stehlen
    An der Austrittsstelle des Stromkabels könnten Bakterien in die Wunde gelangen und Infektionen auslösen. Der Rentner meidet aber nicht nur Wasser, sondern auch größere Menschenansammlungen: "Es wird versucht, die Tasche zu klauen. Die berühren die Tasche, kommen da dran und denken, oh, was hat denn der gute Mann da schweres drin. Dann hat man ein paar Mal versucht mit einem Cutter-Messer den Gurt durchzuschneiden, um die eben schnell zu bekommen."
    Es kann sein, dass Wolfgang Friede seine Tasche irgendwann gar nicht mehr braucht. Seit Oktober 2010 ist er bei Eurotransplant gelistet: "Wobei ich ganz ehrlich sagen muss, ich wüsste jetzt nicht aus dem Stegreif, ob ich sofort Ja sagen würde."
    Er kennt die Vor- und Nachteile. Eine mögliche Abstoßung des Spenderorgans wäre wohl der gravierendste Nachteil. Auch müsste er viel mehr Medikamente einnehmen als jetzt. Mit Nebenwirkungen wie etwa einer deutlichen Gewichtszunahme - zurzeit nimmt er erfolgreich ab. Auf der anderen Seite gibt es einige wenige Patienten mit einer Heartmate-II-Pumpe, die damit bereits zehn Jahre ohne größere Komplikationen leben.
    Acht Liter Maximalfluss pro Minute erlaubt deutlich bessere Mobilität
    Vielleicht, so Wolfgang Friede, erlebe er es noch, wenn voll implantierbare Kunstherzen wie das Carmat-Herz implantiert werden könnten, oder das ReinHeart. Dann würde er erneut nachdenken.
    Die Arbeitskraft der künstlichen Pumpe "ReinHeart" richtet sich nach der aktuellen körperlichen Belastung des Trägers, gemessen durch einen kleinen Controler
    Die Arbeitskraft der künstlichen Pumpe "ReinHeart" richtet sich nach der aktuellen körperlichen Belastung des Trägers, gemessen durch einen kleinen Controler. (Friso Gentsch/dpa picture alliance)
    Auch in Deutschland wollen Wissenschaftler mit einem voll implantierbaren Kunstherz den Durchbruch schaffen, das ReinHeart ist ihre Entwicklung, der Herzchirurg Reiner Körfer hat das Projekt angestoßen: "Für mich war das immer entsetzlich, dass dann Patienten starben, und man konnte nichts tun. Das hat sich in den letzten Jahren noch dramatisch verändert, weil die Organspendebereitschaft eine Katastrophe ist, zumindest in Deutschland."
    Am Helmholtz-Zentrum für Biomedizinische Technik in Aachen steht eine Apparatur, die den menschlichen Kreislauf simulieren soll. Mittendrin ist ein ReinHeart eingespannt. Thomas Finocchiaro nimmt einen Plastik-Messbecher mit einer durchsichtigen Flüssigkeit in die Hand: "Ich befülle jetzt unseren Kreislaufsimulator mit, in dem Fall jetzt, einer Wassermischung, und damit können wir dann das System untersuchen unter ähnlichen Bedingungen wie später im menschlichen Körper. Und jetzt mit dem Fluid gefüllt, hören wir auch die Herzklappen vom Kunstherz. Das soll später das einzige sein, was man gerade noch wahrnehmbar vom Kunstherz hört. Im großen Gegensatz zu dem, was momentan klinisch verfügbar ist."
    Das Aachener Kunstherz wiegt etwa 800 Gramm, etwas weniger als das aus Paris, aber immer noch deutlich mehr als ein gesundes Herz. Es ist auch größer als ein gesundes, eher wie ein krankes.
    Mit bis zu 180 Schlägen pro Minute acht Liter Blut pumpen
    "Das ReinHeart ist insofern ähnlich aufgebaut wie das natürliche Herz, dass wir zwei Herzkammern haben, die linke und die rechte Seite", erklärt Finocchiaro. "Zwischen diesen Herzkammern sitzt nun ein Linearmotor, der mit seinen Druckplatten abwechselnd mal die linke, mal die rechte Kammer komprimiert, so dass das Blut abwechselnd ausgeworfen wird."
    Mit bis zu 180 Schlägen pro Minute kann das ReinHeart acht Liter Blut pumpen. Das Herzminutenvolumen bei gesunden Menschen in Ruhe beträgt etwa fünf Liter, bei schwerer körperlicher Arbeit oder beim Sport sind es bis zu 35 Liter: "Sehr kranke Patienten, die wirklich dann die Kandidaten sind, die haben zum Teil nur die Hälfte dieser Ruheförderung. Denen geht es tatsächlich dann aber sehr schlecht. Unser System mit acht Litern Maximalfluss pro Minute erlaubt schon eine deutliche Mobilität der Patienten. Natürlich ist es nicht ausreichend, um an einem Marathon teilzunehmen, das ist auch klar, aber das sind die Kompromisse, die man machen muss, wenn man die Größe und auch den Energieverbrauch des Systems bedenkt."
    Dr. Thomas Finocchiaro (l) vom Helmholtz-Zentrum für Biomedizinische Technik in Aachen und Prof. Reiner Körfer vom Evangelischen Klinikum Niederrhein in Duisburg mit dem Kunstherz "ReinHeart"
    Dr. Thomas Finocchiaro (l) vom Helmholtz-Zentrum für Biomedizinische Technik in Aachen und Prof. Reiner Körfer vom Evangelischen Klinikum Niederrhein in Duisburg mit dem Kunstherz "ReinHeart". (Friso Gentsch/dpa picture alliance)
    Eines Tages soll das Aachener Kunstherz etwa acht Stunden lang über Akkus gespeist werden können. Anfangs noch über ein dünnes Kabel, später dann kabellos per Induktion, ähnlich wie es heute bereits bei elektrischen Zahnbürsten der Fall ist.
    Das ReinHeart besteht zum großen Teil aus biokompatiblen Kunststoffen, die vier Herzklappen aus einem harten Kohlenstoff, wie sie seit Jahren in der Klinik eingesetzt werden. Thomas Finocchiaro räumt ein, dass das Carmat-Herz in puncto Biokompatibilität durch das verwendete Material aus Kälberherzen einen Vorsprung haben könnte. Aber auch Piet Jansen von Carmat kennt die Vorteile der Konkurrenz: "Was ich vom ReinHeart weiß, ist, dass es weniger bewegliche Teile hat. Das könnte ein Vorteil sein."
    Das ReinHeart kommt ganz ohne Sensoren und möglicherweise anfällige Elektronik aus, kann sich aber dennoch den unterschiedlichen körperlichen Belastungen der Patienten anpassen. Ein kleiner Controller, der ebenfalls implantiert wird, registriert, mit wie viel Kraft der Motor arbeiten muss. Er bewegt sich dann zum Beispiel schneller, wenn der Patient Treppen steigt.
    Erste Tierversuche hätten gezeigt, dass das ReinHeart funktioniert und die Organe mit ausreichend Blut versorgt werden. Jetzt muss es noch flexibler werden, sagt Finocchiaro: "Da ist noch Finetuning notwendig. Das sind entscheidende Sachen, die hier passieren. Und auch die weitere Optimierung der Größe und der Leistung, das ist das, was aktuell hier stattfindet, im Labor."
    Bedarf an Kunstherzen ist ohnehin überschaubar
    Im Jahr 2020 soll dann eine klinische Studie starten, frühestens 2023 die Zulassung beantragt werden. Eigentlich wollten die Aachener schon weiter sein. Aber die finanziellen Mittel seien eben begrenzt, trotz der im August 2015 gegründeten ReinHeart GmbH.
    Wird Carmat das Rennen machen, oder ReinHeart? Für Diyar Saeed von der Uniklinik Düsseldorf ist das zweitrangig: "Es ist so, dass beide Pumpen sehr vielversprechend sind. Und wir müssen die Zukunft abwarten. Wir müssen die Daten abwarten, die Patienten abwarten, wie sie sich tun."
    Der Bedarf an Kunstherzen sei ohnehin überschaubar, zudem würden die kleinen Unterstützungssysteme immer besser. Diyar Saeed und sein Team mussten bei ihren bislang etwa 150 Patienten kein einziges Mal auf ein lautes Syncardia-Kunstherz zurückgreifen. Die Patienten erhalten eine Linksherz-Unterstützung. Falls die rechte Herzkammer ebenfalls beeinträchtigt ist, wird sie mit Medikamenten versorgt, notfalls auch mit einer Pumpe, die sich aber außerhalb des Körpers befindet und ohne große Operation wieder entfernt werden kann, sollte sich die rechte Kammer erholt haben. Die Patienten hätten dann ein kleines, leises Linksherz-Unterstützungssystem mit einem dünnen Kabel, anstatt eines lauten Pressluft-Kunstherzens mit zwei dicken Schläuchen.
    "Das Ding nervt, ist laut - aber alleine dass man das wahrnimmt ist Leben"
    Wie viele Patienten mit terminaler Herzinsuffizienz in Zukunft tatsächlich auf ein voll implantierbares Kunstherz angewiesen sind, bleibt schwer vorherzusagen. Thomas Herfert jedenfalls würde sich schon jetzt über ein leises ohne Kabel freuen. Immerhin: Bald soll er einen leiseren, leichteren Kompressor bekommen. Damit kehrt vielleicht noch ein bisschen mehr von dem Leben zurück, das Thomas Herfert vor seinem Herzinfarkt hatte: "Mit dem Kunstherz selber, soweit habe ich das Gefühl, lebe ich ganz normal. Ich merke also nicht, dass da jetzt kein richtiges Herz drin ist, was das Blut pumpt."
    Mittlerweile sind wieder kurze Spaziergänge oder der Einkauf um die Ecke möglich. Der 53-jährige arbeitet auch wieder als IT-Berater - von zu Hause aus. Alle zwei Wochen spielen Thomas Herfert und seine Frau mit Freunden Skat. Nur auf sein Motorrad traut er sich noch nicht. Eigentlich wollte er nicht von Maschinen am Leben erhalten werden, so steht es in seiner Patientenverfügung. Nun ist er zuhause, hängt zwar auch an einer Maschine, aber das sei ein ganz anderes Leben als das Dahinvegetieren auf der Intensivstation.
    "Das Ding nervt, ist laut, man kann nicht vernünftig Fernsehen gucken - aber alleine dass man das wahrnimmt ist Leben."
    Es sprachen: Winnie Böwe, Karim Chérif, Friederike Wigger
    Ton: Inge Görgner
    Regie: Friederike Wigger
    Redaktion: Christiane Knoll

    Produktion: Deutschlandfunk 2016