Donnerstag, 28. März 2024

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"Ein himmelschreiender Skandal"

Der FDP-Politiker Otto Graf Lambsdorff hat den Schuldspruch im Yukos-Prozess kritisiert. Es gebe keine Belege für die Taten, die Michail Chodorkowski vorgeworfen würden. Die Art der Verfahrens erinnere ihn an die Schauprozesse der 30er Jahre.

Moderation: Doris Simon | 18.05.2005
    Doris Simon: Herr Lambsdorff, wie haben Sie diesen Prozess erlebt?

    Otto Graf Lambsdorff: Ich habe diesen Prozess erlebt als ein Beispiel selektiver Justiz, das heißt, es wird gegen einen, in diesem Fall Chodorkowski, vorgegangen, dem Vorwürfe gemacht werden, die man sehr vielen Oligarchen in Russland machen kann, die im Jahre 1990 zu großem Vermögen gekommen sind. Ich habe den Prozess erlebt als eine Verletzung internationalen und russischen Rechts und habe natürlich mit Interesse verfolgt, dass eine Entschließung des Europarats die Prozessführung als einen Verstoß gegen Menschenrechte und sowohl russisches als auch internationales Recht gebrandmarkt hat.

    Simon: Sie sprechen es an, Vorwürfe, die vielen Oligarchen gemacht werden können, aber Steuerhinterziehung in Milliardenhöhe, Geldwäsche, Betrug, dafür würde auch in Deutschland jeder vor Gericht gestellt.

    Lambsdorff: Das ist sicher richtig, aber nichts davon ist in diesem Verfahren bewiesen worden, nichts ist in diesem Verfahren zugelassen worden, was die Verteidigung vorbringen wollte. Der Zugang zu dem Angeklagten ist den Verteidigern erschwert worden. Hier sind Dokumente in den Verteidigerbüros beschlagnahmt worden. Hier sind Notizen, die die Verteidiger bei Gesprächen mit dem Angeklagten im Gefängnis gemacht haben, beim Verlassen des Gefängnisses konfisziert worden.

    Es ist ein himmelschreiender Skandal, wo jeder, der einigermaßen rechtens denkt, sagen muss, so geht das nicht. Noch einmal: Wenn wirklich Steuerhinterziehung und Bilanzfälschung vorgekommen ist, was höchst unwahrscheinlich ist, denn Yukos war die russische Gesellschaft, die sich am meisten westlichen Transparenzvorschriften angenährt hatte, warum wird dann nur gegen Chodorkowski vorgegangen? Der Grund liegt darin, dass Chodorkowski gesagt hat, ich will politische Parteien unterstützen, die den Kreml, die die Putinpartei kritisieren, ich will die liberale Partei unterstützen. Als das bekannt wurde, wurde gegen ihn mit allen Mitteln vorgegangen, die jetzt zu einem Urteil führen werden.

    Simon: Die Art des Vorgehens der Justiz, haben Sie das erwartet von Anfang an oder hat Sie das überrascht?

    Lambsdorff: Nein, es hat mich schon überrascht. Ich hatte doch gedacht, dass Russland nicht wieder in die Zeit der Schauprozesse der dreißiger Jahre in diesem Umfang zurückfahren würde. Mir war klar, dass zum Beispiel die Unterbringung in russischen Gefängnissen für Untersuchungsgefangene nicht unseren Maßstäben entspricht. Mir war klar, dass es immer noch eine Beeinflussung der russischen Gerichte gibt, und zwar durch den Staat, durch den Kreml, um es klar zu sagen. Es gibt keine unabhängige Justiz in Russland, das haben andere auch schon erfahren. Das war alles klar, aber dass es in diesem Ausmaß vor sich gehen würde und dass es mit einer solchen Rachsucht auch betrieben würde, das fand ich doch überraschend.

    Simon: Wie erklären Sie sich die Rachsucht?

    Lambsdorff: Nun, aus dem einzigen Grunde, dass niemandem zugestehen will, sich politisch gegen den Kreml, gegen die Macht, wie das in Russland heißt, zu betätigen. Das sehen Sie auch daran, dass es keine Pressefreiheit mehr in Russland gibt, dass das Land immer wieder den autoritären Weg geht und damit auch schon längst weg ist von der Möglichkeit, ein strategischer Partner für irgendjemanden zu sein. Es ist ein Nachbar, und ein wichtiger Nachbar. Wir wünschen uns einen demokratischen, friedliebenden, marktwirtschaftlichen Nachbarn, und wenn wir das nur hätten, wäre es gut. Aber Russland geht immer weiter den Weg in die entgegengesetzte Richtung, und der Prozess gegen Chodorkowski ist ein Musterbeispiel dafür, wie es nicht sein dürfte.

    Simon: Russlands Präsident Putin hat ja im Fall Chodorkowski ganz klargemacht, was er von der Justiz erwartet. Dieses ganz offen darüber Reden, nicht Verhehlen, diese Deutlichkeit, was lesen Sie heraus?

    Lambsdorff: Daraus lese ich, dass die Anweisung an die Gerichte neuerdings nicht nur noch über die so genannte "Telefonjustiz", das heißt der Kreml in Moskau ruft an und das Gericht entscheidet entsprechend, sondern nun auch doch durch öffentliche Andeutungen, Ankündigungen oder Randbemerkungen des Präsidenten veranstaltet wird. Unabhängige Gerichte - ich sage es noch einmal - gibt es leider nicht. In diesem Fall hat sich das deutlich gezeigt. Die ganze Prozessführung, ist von internationalen Prozessbeobachtern, die gar nichts mit Herrn Chodorkowski oder Yukos zu tun haben, auch scharf kritisiert worden. Das hat nur deutlich gezeigt, dass es eine unabhängige und verlässliche Rechtsfindung und Rechtsprechung in Moskau leider nicht gibt.

    Simon: In Russland gibt es ja eine große Zustimmung zu diesem Prozess gegen Michail Chodorkowski. Er gilt vielen Leuten als ein Mann, der sich in kürzester Zeit schamlos bereichert hat, und seine Verteidiger, so wie Sie, sehen in dieser Argumentation so aus, als hätten sie von dem Reichtum profitiert und verteidigen deshalb. Was sagen Sie solchen Leuten?

    Lambsdorff: Dass die Oligarchen insgesamt in Russland unbeliebt sind, ist bekannt, das ist auch verständlich. Es gibt allerdings auch sehr viele Stimmen, die gerade die sozialen Einrichtungen, die Chodorkowski geschaffen hat, und die Zuwendungen, die er für soziale Einrichtungen geleistet hat, hoch schätzen und durchaus anerkennen. Auch das wird keineswegs verschwiegen und ist bekannt. Aber richtig ist, dass gegen alle Oligarchen Vorbehalte und kritische Haltung in Russland besteht. Nur sitzt der eine im Gefängnis und der andere kann sich den FC Chelsea kaufen und mit eigenen Flugzeugen und Yachten durch die Welt reisen.

    Simon: Die deutsche Industrie, die sich in Russland engagiert, schweigt zum Chodorkowski-Prozess genauso wie der Bundeskanzler. Können Sie das nachvollziehen?

    Lambsdorff: Der Bundeskanzler schweigt leider nicht nur. Er hat sogar gesagt, hier geht alles mit rechtlich guten und vernünftigen Dingen zu. Das ist mehr als Schweigen. Ich kann diese Haltung einfach deswegen nicht nachvollziehen, weil auch die deutsche Industrie darauf angewiesen ist, im Ernstfall eine unabhängige Rechtsprechung vorzufinden. Wenn man in Russland Auseinandersetzungen untereinander und auch mit russischen Behörden hat, muss man die Möglichkeit haben, zum Gericht zu gehen und ein unabhängiges Urteil erstreiten zu können. Das ist unter den gegebenen Umständen höchst schwierig und höchst kompliziert. Ich muss das aber gerade stellen, es gibt auch Stimmen aus der deutschen Industrie und aus der deutschen Wirtschaft, die den Prozess gegen Chodorkowski mit Besorgnis verfolgen. Es geht ja hier nicht nur um politische Auseinandersetzung. Es geht auch um die Renationalisierung von Rohstoffen, in diesem Falle von Öl. Es geht auch darum, dass die Staatswirtschaft wieder durchgesetzt werden soll. Es ist ja nicht Yukos alleine, sondern es gibt noch andere Fälle, in denen sich ganz deutlich zeigt, die russische Führung will auch wieder die Wirtschaftsführung unter Kontrolle bringen, von Privatisierungen will man abrücken. Man will Privatisierung zurückdrehen, und das beunruhigt natürlich auch die Vertreter der Wirtschaft und die Unternehmen.

    Simon: Was machen Sie denn aus der Haltung des Bundeskanzlers? Ist es die Angst, das gute Klima zu beschädigen?

    Lambsdorff: Das ist sehr schwierig zu sagen. Die beiden sind persönlich befreundet, dagegen ist nichts zu sagen. Der Bundeskanzler klärt auch gelegentlich hinter verschlossenen Türen und vier Wänden kritische und notwendige Dinge. Aber ich kann nur sagen, der Bundeskanzler hat zum Beispiel die Wahl des tschetschenischen Präsidenten öffentlich für rechtmäßig erklärt. Das sind alles Dinge, die sich meinem Verständnis völlig entziehen, und ich glaube, dass die Bundesrepublik Deutschland allen Anlass und jeden Grund hat, gerade auch von der politischen Seite her für die Wahrung der Menschenrechte, für die Aufrechterhaltung der Rechtsordnung einzutreten. Das müsste auch der deutsche Bundeskanzler tun. Unsere Geschichte verpflichtet uns dazu, uns so zu benehmen. Wir dürfen nicht mit geschlossenen Augen mit diktatorischen oder militärischen Regimes verhandeln, ohne ihnen mindestens zu sagen, dass wir das sehen und dass wir das kritisieren.

    Simon: Der Angeklagte Michail Chodorkowski ist schuldig gesprochen, die Urteilsbegründung folgt noch. Was für ein abschließendes Urteil erwarten Sie?

    Lambsdorff: Eine hohe Gefängnisstrafe. Weiter kann ich auch nichts sagen. Das ist auch das, was die Beobachter in Moskau, wie man in allen Zeitungen lesen kann, allesamt erwarten.

    Simon: Vielen Dank für das Gespräch.