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"Ein Hochfest der Autosuggestion"

In Hannovor sucht die CDU ihren künftigen Kurs. Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte erklärt, warum die Partei immer noch mit modernen Lebensstilen fremdelt. Und warum sie sich damit abfinden sollte, dass sie in Großstädten keinen Erfolg hat.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Doris Simon | 04.12.2012
    Doris Simon: Wenn es nach der Parteitagsregie in Hannover geht, dann sollte dieser Parteitag der Christdemokraten eine rundum harmonische Veranstaltung werden, eine Hohe Messe für die Parteivorsitzende - die aktuelle und nach dem Wunsch der CDU auch nächste Kanzlerin. Streitthemen in der Renten- und Steuerpolitik wurden deshalb schon vorab entschärft. Seit einigen Minuten spricht nun die Parteivorsitzende Angela Merkel.

    Ich bin jetzt verbunden mit dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg-Essen. Guten Tag, Herr Korte.

    Karl-Rudolf Korte: Ja guten Tag.

    Simon: Herr Korte, Sie sind ja auch vor Ort in Hannover. Wir haben es gerade gehört: eine bislang pannenfreie Veranstaltung, die Erfolge werden gerühmt. Ziel ist es natürlich, die Reihen hinter der CDU-Vorsitzenden und Kanzlerin Merkel zu schließen. Sehen Sie die Chancen dafür auch so gut wie unser Korrespondent?

    Korte: Ja, sehe ich, denn die Parteitage entscheiden sich nicht, wenn sie laufen, sondern im Vorfeld. Wer es schafft, im Vorfeld hier durch eine geschickte Konsensstrategie des Antragsvorsitzenden der Antragskommission alles zu bündeln, der hat auch natürlich viel Kraft auf dem Parteitag sich schon erspart, um hier die Differenzen auszugleichen. Das ist ja ein Hochfest der Autosuggestion, wie man Parteitage erlebt, und auch dieser gerade von einer Regierungspartei.

    Simon: Und wenn Sie sagen, man schafft sich die Probleme auf dem Parteitag aus dem Weg, indem man die vorher schon irgendwie kanalisiert, ist das Risiko dann nicht um so größer, dass Konflikte etwa bei der CDU im Stichwort Steuer oder Rente, dass die nicht nachher dann mit voller Macht nochmal aufbrechen, nämlich dann, wenn man sie nicht brauchen kann, in der Wahlkampfzeit?

    Korte: Nein, das Risiko ist kalkuliert, und es ist ja auch so, dass man offiziell auch fast schon, könnte man sagen, Ventile schafft auf Parteitagen, damit man hier auch zeigt, die Delegierten stimmen nicht immer jedem Antrag insgesamt zu, sondern sind durchaus eigenwillig. So erwarte ich das auch im Verlauf des heutigen Nachmittags und des heutigen Abends. Das macht die Dynamik von Parteitagen ja aus. Aber die Führung der Partei weiß das.

    Ich würde Parteitage niemals unterschätzen, weil die gesamte Heterogenität dieser tausend Leute und was sie mitnehmen als Mobilisierungsimpuls ganz wichtig ist. Sie nehmen eben nicht das Glatte mit, was wir oft dann nur sehen, sondern sie nehmen durchaus Einzelstimmen wahr, Einzelanträge, Unterschiede zwischen den Landesverbänden, und das stärkt sie in ihrer Argumentation vor Ort in ihren Wahlkreisen.

    Simon: Herr Korte, mein Kollege Martin Zagatta sprach ja eben noch mal diese Ehegattensplitting-Ausdehnung an, also die steuerliche Gleichbehandlung auch für gleichgeschlechtliche Partner, wie sie inzwischen von Teilen der Union gefordert wird. Ist das so ein Thema, wo sich der Parteitag noch einmal in die Haare geraten könnte?

    Korte: Ja genau. Das ist im Prinzip etwas Marginales, wenn man es mal überträgt in der Größenordnung für die gesamte Gesellschaft. Aber in der Sache könnte man sehen, wie die CDU doch hier und da noch fremdelt mit dieser Mitte-Positionierung, dass sie fremdeln praktisch an bestimmten Lebensstilen. In ihrer Programmatik ist die Partei ja nicht nur mittig, sondern auch modern mittig, könnte man fast schon in der Zuordnung sagen.

    Das trifft aber nicht auf alle Delegierten gleichermaßen zu, die diesen Lebensstil auch leben. Parteien sind aber nicht nur Problemlösungsagenturen oder Machterwerbsstrukturen, sondern eben auch Bastionen für bestimmte Lebensstile, und diese Spannung heute hier zu hören, ist wahrscheinlich sehr interessant, weil man mitbekommt, wie die Partei tickt und wie sie auch weiter in der Mitte aktiv dynamisch ihr Programm weiterentwickelt.

    Simon: Wenn wir uns die Stellvertreter anschauen, die ja heute gewählt werden sollen – man hat ja gleich sich auf fünf geeinigt, damit es erst gar nicht zu einer Kampfkandidatur kommt -, da gibt es neben Arbeitsministerin von der Leyen und der rheinland-pfälzischen Landesvorsitzenden Julia Klöckner noch drei Landesvorsitzende aus Hessen, aus Baden-Württemberg und aus Nordrhein-Westfalen. Sind diese fünf eigentlich ein gutes Abbild der aktuellen CDU?

    Korte: Ja, sie sind ein gutes Abbild vor allen Dingen der föderalen Struktur. Das ist die Entstehungsgeschichte der Union, die immer als föderale Partei, nicht über Flügel gekennzeichnet war, sondern eben in der föderalen Herleitung. Das ist durchaus ein angemessenes Abbild. Aber machen wir uns doch nichts vor: Nach dem Parteitag kann niemand mehr richtig buchstabieren, wer Stellvertreter ist.

    Das ist für einen Parteitag nicht unwichtig in der Abbildung, aber die Einsamkeit der Macht, wann würde sie deutlicher als an einer Parteivorsitzenden, die so viele Jahre die Partei schon führt. Diese Einsamkeit kann man auch nicht dadurch einengen oder eindämmen, dass man am Ende zehn Stellvertreter hat. Das ist durchaus mehr als nur ein Feigenblatt, aber es ist nicht so, dass man damit insgesamt auch die Partei steuern kann.

    Simon: Das heißt also, keiner von diesen fünf sollte irgendwie in Betracht gezogen werden, falls es mal um eine Nachfolgediskussion geht?

    Korte: Die stellt sich im Moment ja so nicht. Alle rechnen damit, falls es zu Merkel III kommt, zu einem neuen Kabinett mit der Möglichkeit vielleicht auch unter neuen Koalitionen die einzige Kanzlerin zu sein, die mit drei verschiedenen Koalitionen regiert. Wenn das kommen sollte, was reine Spekulation ist, dann stellt sich automatisch die Nachfolgefrage, denn das wird sich nach den vier Jahren zeigen, vielleicht auch vorher, dass sie dann Nachfolger sucht.

    Und dann stellt sich die Situation für die Delegierten, die dann auch nicht gucken, wer ist umfragetechnisch der oder die beliebteste, sondern wie hat man als Parteimitglied beste parteipolitische Karriereoptionen. Das ist das Auswahlkriterium, es ist kein Carsting-Wettbewerb.

    Simon: Wenn wir noch mal auf den Parteitag selber schauen und die möglichen Gegensätze – der Stadt-Land-Gegensatz und vor allem auch das Problem der CDU in den Städten, was über die letzten Jahre so offenbar geworden ist, wird das eine Rolle spielen hier in Hannover?

    Korte: Nein, weil die Partei hat in diesem Punkt, glaube ich, längst die Realität anerkannt, auch resigniert. Sie war nie eine Partei, die in Großstädten viel punkten konnte. Das ist jetzt ein Zufall in den letzten Jahren, dass da einige Großstädte noch einmal spektakulär an die SPD gefallen sind. Aber vom Grundsatz her ist es keine Partei, die für urbane Vitalität steht und von den Wählern gewählt wird.

    Sie hat ihre stärksten Bastionen der Wählerinnen und Wähler auf dem Land, daran wird sich auch nichts ändern. Ich glaube nicht, dass eine neue weiterführende Kommission, die dieses Problem beraten soll, da einen Ausweg findet. Damit muss sich die CDU abfinden. Ein Ausweg wäre praktisch, moderne Lebensstile nicht nur ins Zentrum der Programmatik zu stellen, sondern sie zu leben. Dazu braucht man aber alle Mitglieder, und da sind viele Mitglieder noch nicht bereit zu.

    Simon: Das heißt also, Steffen Flath von der sächsischen CDU, der heute Morgen ja sagte, die CDU würde ihre traditionellen Wähler verschrecken, wenn sie gleichgeschlechtliche Partner so behandelt wie Ehegatten, der hat da irgendwo schon Recht?

    Flath: Ja, da ist was dran. Klar ist das Wählermilieu heterogen, aber durchaus ist was dran. Als Alleinstellungsmerkmal kann die Partei mit ihrem bisherigen Wertefundament schwer identifizierbar sein und es ist typisch für eine Regierungspartei, dass sie normativ geradezu entkernt daher kommt. Das macht sie sehr flexibel im Alltag. Und wenn man lange regiert, muss man auch systematisch diese Stammwähler, vielleicht auch traditionell konservative Stammwähler geradezu verunsichern. Sonst ist man ja in der Regierungsarbeit nicht kompromissfähig.

    Und die Kanzlerin ist zuerst Kanzlerin und dann Parteivorsitzende. Helmut Kohl war zuerst Parteivorsitzender und dann Kanzler. Das markiert den Unterschied, aber auch die Breite der Programmatik, mit der sie immer wieder dann versucht und es durchaus auch schafft, nutzenorientiert Wählerschichten anzusprechen. Damit verprellt man natürlich den einen oder anderen, aber das ist das Risiko, was sie offenbar offensiv auch angeht.

    Simon: Die Meinung von Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg-Essen. Vielen Dank, Herr Korte, für das Gespräch.

    Korte: Danke schön!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.