Sandra Schulz: Die Frage ist ganz einfach – über die Antwort hat sich Europa inzwischen ordentlich in der Wolle: Wie findet Europa, wie findet der Euro aus der Krise' Eine Antwort kam in der vergangenen Woche von der Europäischen Zentralbank, die entschieden hatte, notfalls unbegrenzt Anleihen finanzschwacher Euro-Länder aufzukaufen. Zwar hielt sich die Bundesregierung mit öffentlicher Kritik zurück, aber skeptische Koalitionäre dachten laut über eine Klage nach – nicht einmal eine Woche vor dem Termin, vor dem Gerichtstermin, der in Berlin und Brüssel, wohl auch in Washington und Peking, die Politik den Atem anhalten lässt, in dem es nun wo möglich auch um die EZB-Entscheidung geht. Übermorgen will das Bundesverfassungsgericht seine Entscheidung über die deutsche Beteiligung am Rettungsfonds ESM verkünden und damit – so wird jetzt überall gesagt und weil es wohl stimmt, sagen wir das heute Morgen auch – über die Zukunft Europas entscheiden. Unser Thema hier im Deutschlandfunk in den kommenden Minuten. Am Telefon begrüße ich Carsten Brzeski, er ist Chefvolkswirt der Diba und Europaexperte des niederländischen Finanzkonzerns ING. Guten Morgen nach Brüssel!
Carsten Brzeski: Guten Morgen.
Schulz: Jetzt legt Peter Gauweiler mit einem weiteren Antrag in Karlsruhe nach. Die Mehrheit der Deutschen wünschen sich, dass Karlsruhe die Euro-Rettung stoppt. Was, wenn es so kommt?
Brzeski: Wenn es so kommt, dann werden wir großes Chaos sehen, dann werden wir sehen, dass letztendlich die Finanzmärkte absolut durchdrehen werden, und dann wird eigentlich das für Deutschland noch teurer werden, als die mögliche Rettung des Euros jetzt schon kosten wird.
Schulz: Wie bereiten sich die Finanzmärkte vor?
Brzeski: Sie können sich eigentlich nicht vorbereiten, sie warten in Spannung ab. Dann werden wir sehen, dass wir heute und morgen wahrscheinlich noch relativ viel Ruhe an den Börsen und an den Finanzmärkten sehen werden. Und dann guckt am Mittwoch Vormittag alles nach Karlsruhe.
Schulz: Sie sagen gerade, es gibt keine Vorbereitungen. Aber Szenarien werden nicht gehandelt, durchdacht?
Brzeski: Szenarien sind ganz deutlich im Augenblick. Es heißt, wenn es ein "Ja" gibt aus Karlsruhe, oder vielleicht auch ein "Ja, aber", also noch mit möglichen Nachbesserungen, dann werden wir sehen, dass die Euro-Rettung weitergehen wird. Das heißt, das ist positiv für die Finanzmärkte, dann werden wir eine positive Reaktion sehen. In dem schlimmsten Fall, wenn es also wirklich eine klare Ablehnung gibt durch Karlsruhe, dann denke ich, dass wir sehen werden, dass die Zinsen für südeuropäische Staatsanleihen wieder stark steigen werden und dass sich immer mehr Leute aus Europa zurückziehen werden.
Schulz: Aber ist die Entscheidung denn überhaupt noch wichtig, jetzt nachdem die Europäische Zentralbank ja schon gesagt hat, sie kauft Staatsanleihen im Zweifelsfall ohne Begrenzung auch an?
Brzeski: Ja, die ist sehr wichtig, denn die EZB hat gesagt, dass sie die Staatsanleihen nur ankaufen wird, wenn ein Land, wenn eine Regierung sich bei dem Rettungsschirm meldet und erst mal da um Hilfe fragt. Das heißt, der Weg für Geld der EZB geht nur über Klaus Regling, den Chef des EFSF, des zeitlichen Rettungsschirms und später des festen, des ESM-Rettungsschirms. Nur dann ist Herr Draghi bereit, um Geld auszugeben. Also wenn Karlsruhe jetzt sagen würde, Nein, es darf gar keinen ESM geben, dann gibt es auch keine Anleihenkäufe durch die EZB.
Schulz: Karlsruhe, um das noch mal klarzustellen, würde beides stoppen, ESM und auch die EZB-Ankäufe?
Brzeski: Es würde indirekt ganz deutlich auch die EZB-Ankäufe stoppen, ja.
Schulz: Aber die Kläger in Karlsruhe, die haben es ja genau umgekehrt verstanden. Die haben gesagt, dass – jetzt muss ich überlegen, wie ich den gedanklichen Bogen finde – gerade durch die EZB-Entscheidung dem deutschen Parlament die Kontrolle fehlt.
Brzeski: Ja das ist die letzte Klage, die eigentlich eingereicht wurde, in der gesagt wird, die Europäische Zentralbank ist eigentlich nicht demokratisch legitimiert. Das heißt, dass auch hier über die EZB starke Schulden oder starke Verpflichtungen auf die deutschen Schultern geladen werden könnten. Das stimmt, aber die erste, die ursprüngliche Klage geht um den Rettungsschirm. Die geht darum, ob der Rettungsschirm wirklich unbegrenzte Verpflichtungen für die Deutschen mit sich bringt, und darüber muss Karlsruhe jetzt entscheiden und da müssen wir den Mittwoch abwarten.
Schulz: Wir haben gerade schon darüber gesprochen, es gibt die Möglichkeit eines "Ja, aber", eines "Nein", eines "Nein, aber" vielleicht auch. Aber seit gestern gibt es noch ein anderes mögliches Szenario, nämlich dass die Entscheidung möglicherweise wohl vertagt wird aufgrund des Antrags von Peter Gauweiler. Was würde das denn bedeuten, wenn die Entscheidung jetzt verschoben würde?
Brzeski: Na das wäre eine neue Hängepartie, wenn wir das von der Finanzmarktseite aus betrachten. Die Finanzmärkte mögen nie Hängepartien, die Finanzmärkte mögen immer ganz deutlich Deutlichkeit, Sicherheit. Das heißt, hier wäre mehr Unruhe. Wir hätten natürlich kurzfristig noch immer Geld in diesem zeitlichen Rettungsschirm, in dem EFSF, damit könnte man sicherlich noch Spanien retten. Aber dann hört es auch auf. Das heißt, die Unsicherheit über die Zukunft des Euroraumes, die würde mit auch so einer Hängepartie deutlich wieder befördert werden.
Schulz: Und wenn wir jetzt noch mal auf die Entscheidung der EZB aus der vergangenen Woche schauen, eben notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten anzukaufen. In Deutschland ist die Skepsis ja da ganz erheblich, wobei aufgefallen ist, dass es ursprünglich ja auch mal Protest auch aus anderen Ländern gegeben hat, eben gegen schnelles billiges Geld, aus den Niederlanden zum Beispiel auch. Warum ist der Protest denn verstummt?
Brzeski: Ich denke, dass man sich hier wirklich geeinigt hat, dass es dieses EZB-Geld oder die Käufe von Staatsanleihen nur gibt gegen ganz strenge Bedingungen. Das heißt, dass man eigentlich mit dieser Aktion, die die EZB letzte Woche angekündigt hat, jedenfalls die Spekulation über ein Ende des Euros, über ein Auseinanderfallen des Euroraums, die hat man hiermit beendet. Die EZB hat eine ganz deutliche Botschaft ausgeschickt und gesagt, ein spekulatives Ende des Euroraums ist mit uns nicht möglich. Der Ball ist jetzt wirklich ganz deutlich wieder im Feld der Regierungen der verschiedenen Mitgliedsstaaten, um deutlich zu machen, wir sind hier wirklich ernsthaft besorgt über den Euro, wir werden unsere Hausaufgaben machen und gleichzeitig werden wir fortfahren mit mehr Integration, um wirklich den Euroraum neu zu positionieren, dass wir in der Zukunft besser dastehen und dass wir nicht wieder über mögliche Enden des Euros spekulieren müssen.
Schulz: Aber viele Deutsche verstehen nach wie vor nicht, warum mit billigem Geld eine Krise bekämpft werden soll, die letzten Endes ja durch zu viel billiges Geld entstanden ist.
Brzeski: Es ist ganz deutlich: die Krise kann auch mit billigem Geld nicht gelöst werden. Das billige Geld kann jetzt nur wieder Zeit kaufen, um wirklich den Regierungen in Südeuropa zu helfen, die wirklich vor enormen Aufgaben stehen, um nicht nur ihre Staatsfinanzen wieder in den Griff zu bekommen, sondern auch ihre Volkswirtschaften komplett zu reformieren. Das braucht einfach Zeit, das schafft man nicht über Nacht, das schafft man auch nicht in einem Jahr, dafür braucht man ein bisschen mehr Zeit. Und mit diesem billigen Geld wird jetzt die Zeit gekauft. Die Krise wird deutlich mit diesem billigen Geld nicht gelöst.
Schulz: Carsten Brzeski war das, Europaexperte des niederländischen Finanzkonzerns ING. Heute Morgen haben wir ihn in Brüssel erreicht. Herzlichen Dank!
Brzeski: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Carsten Brzeski: Guten Morgen.
Schulz: Jetzt legt Peter Gauweiler mit einem weiteren Antrag in Karlsruhe nach. Die Mehrheit der Deutschen wünschen sich, dass Karlsruhe die Euro-Rettung stoppt. Was, wenn es so kommt?
Brzeski: Wenn es so kommt, dann werden wir großes Chaos sehen, dann werden wir sehen, dass letztendlich die Finanzmärkte absolut durchdrehen werden, und dann wird eigentlich das für Deutschland noch teurer werden, als die mögliche Rettung des Euros jetzt schon kosten wird.
Schulz: Wie bereiten sich die Finanzmärkte vor?
Brzeski: Sie können sich eigentlich nicht vorbereiten, sie warten in Spannung ab. Dann werden wir sehen, dass wir heute und morgen wahrscheinlich noch relativ viel Ruhe an den Börsen und an den Finanzmärkten sehen werden. Und dann guckt am Mittwoch Vormittag alles nach Karlsruhe.
Schulz: Sie sagen gerade, es gibt keine Vorbereitungen. Aber Szenarien werden nicht gehandelt, durchdacht?
Brzeski: Szenarien sind ganz deutlich im Augenblick. Es heißt, wenn es ein "Ja" gibt aus Karlsruhe, oder vielleicht auch ein "Ja, aber", also noch mit möglichen Nachbesserungen, dann werden wir sehen, dass die Euro-Rettung weitergehen wird. Das heißt, das ist positiv für die Finanzmärkte, dann werden wir eine positive Reaktion sehen. In dem schlimmsten Fall, wenn es also wirklich eine klare Ablehnung gibt durch Karlsruhe, dann denke ich, dass wir sehen werden, dass die Zinsen für südeuropäische Staatsanleihen wieder stark steigen werden und dass sich immer mehr Leute aus Europa zurückziehen werden.
Schulz: Aber ist die Entscheidung denn überhaupt noch wichtig, jetzt nachdem die Europäische Zentralbank ja schon gesagt hat, sie kauft Staatsanleihen im Zweifelsfall ohne Begrenzung auch an?
Brzeski: Ja, die ist sehr wichtig, denn die EZB hat gesagt, dass sie die Staatsanleihen nur ankaufen wird, wenn ein Land, wenn eine Regierung sich bei dem Rettungsschirm meldet und erst mal da um Hilfe fragt. Das heißt, der Weg für Geld der EZB geht nur über Klaus Regling, den Chef des EFSF, des zeitlichen Rettungsschirms und später des festen, des ESM-Rettungsschirms. Nur dann ist Herr Draghi bereit, um Geld auszugeben. Also wenn Karlsruhe jetzt sagen würde, Nein, es darf gar keinen ESM geben, dann gibt es auch keine Anleihenkäufe durch die EZB.
Schulz: Karlsruhe, um das noch mal klarzustellen, würde beides stoppen, ESM und auch die EZB-Ankäufe?
Brzeski: Es würde indirekt ganz deutlich auch die EZB-Ankäufe stoppen, ja.
Schulz: Aber die Kläger in Karlsruhe, die haben es ja genau umgekehrt verstanden. Die haben gesagt, dass – jetzt muss ich überlegen, wie ich den gedanklichen Bogen finde – gerade durch die EZB-Entscheidung dem deutschen Parlament die Kontrolle fehlt.
Brzeski: Ja das ist die letzte Klage, die eigentlich eingereicht wurde, in der gesagt wird, die Europäische Zentralbank ist eigentlich nicht demokratisch legitimiert. Das heißt, dass auch hier über die EZB starke Schulden oder starke Verpflichtungen auf die deutschen Schultern geladen werden könnten. Das stimmt, aber die erste, die ursprüngliche Klage geht um den Rettungsschirm. Die geht darum, ob der Rettungsschirm wirklich unbegrenzte Verpflichtungen für die Deutschen mit sich bringt, und darüber muss Karlsruhe jetzt entscheiden und da müssen wir den Mittwoch abwarten.
Schulz: Wir haben gerade schon darüber gesprochen, es gibt die Möglichkeit eines "Ja, aber", eines "Nein", eines "Nein, aber" vielleicht auch. Aber seit gestern gibt es noch ein anderes mögliches Szenario, nämlich dass die Entscheidung möglicherweise wohl vertagt wird aufgrund des Antrags von Peter Gauweiler. Was würde das denn bedeuten, wenn die Entscheidung jetzt verschoben würde?
Brzeski: Na das wäre eine neue Hängepartie, wenn wir das von der Finanzmarktseite aus betrachten. Die Finanzmärkte mögen nie Hängepartien, die Finanzmärkte mögen immer ganz deutlich Deutlichkeit, Sicherheit. Das heißt, hier wäre mehr Unruhe. Wir hätten natürlich kurzfristig noch immer Geld in diesem zeitlichen Rettungsschirm, in dem EFSF, damit könnte man sicherlich noch Spanien retten. Aber dann hört es auch auf. Das heißt, die Unsicherheit über die Zukunft des Euroraumes, die würde mit auch so einer Hängepartie deutlich wieder befördert werden.
Schulz: Und wenn wir jetzt noch mal auf die Entscheidung der EZB aus der vergangenen Woche schauen, eben notfalls unbegrenzt Staatsanleihen von Krisenstaaten anzukaufen. In Deutschland ist die Skepsis ja da ganz erheblich, wobei aufgefallen ist, dass es ursprünglich ja auch mal Protest auch aus anderen Ländern gegeben hat, eben gegen schnelles billiges Geld, aus den Niederlanden zum Beispiel auch. Warum ist der Protest denn verstummt?
Brzeski: Ich denke, dass man sich hier wirklich geeinigt hat, dass es dieses EZB-Geld oder die Käufe von Staatsanleihen nur gibt gegen ganz strenge Bedingungen. Das heißt, dass man eigentlich mit dieser Aktion, die die EZB letzte Woche angekündigt hat, jedenfalls die Spekulation über ein Ende des Euros, über ein Auseinanderfallen des Euroraums, die hat man hiermit beendet. Die EZB hat eine ganz deutliche Botschaft ausgeschickt und gesagt, ein spekulatives Ende des Euroraums ist mit uns nicht möglich. Der Ball ist jetzt wirklich ganz deutlich wieder im Feld der Regierungen der verschiedenen Mitgliedsstaaten, um deutlich zu machen, wir sind hier wirklich ernsthaft besorgt über den Euro, wir werden unsere Hausaufgaben machen und gleichzeitig werden wir fortfahren mit mehr Integration, um wirklich den Euroraum neu zu positionieren, dass wir in der Zukunft besser dastehen und dass wir nicht wieder über mögliche Enden des Euros spekulieren müssen.
Schulz: Aber viele Deutsche verstehen nach wie vor nicht, warum mit billigem Geld eine Krise bekämpft werden soll, die letzten Endes ja durch zu viel billiges Geld entstanden ist.
Brzeski: Es ist ganz deutlich: die Krise kann auch mit billigem Geld nicht gelöst werden. Das billige Geld kann jetzt nur wieder Zeit kaufen, um wirklich den Regierungen in Südeuropa zu helfen, die wirklich vor enormen Aufgaben stehen, um nicht nur ihre Staatsfinanzen wieder in den Griff zu bekommen, sondern auch ihre Volkswirtschaften komplett zu reformieren. Das braucht einfach Zeit, das schafft man nicht über Nacht, das schafft man auch nicht in einem Jahr, dafür braucht man ein bisschen mehr Zeit. Und mit diesem billigen Geld wird jetzt die Zeit gekauft. Die Krise wird deutlich mit diesem billigen Geld nicht gelöst.
Schulz: Carsten Brzeski war das, Europaexperte des niederländischen Finanzkonzerns ING. Heute Morgen haben wir ihn in Brüssel erreicht. Herzlichen Dank!
Brzeski: Gern geschehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.