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Ein Jahr nach Winnenden

Nach dem Amoklauf in Winnenden änderte die Regierung das Sprengstoffgesetz. Sie führte ein nationales Waffenregister ein, eine Amnestieregelung zur Abgabe von illegalen Waffen und Kontrollen bei Waffenbesitzern. Den einen gehen diese Maßnahmen nicht weit genug, andere halten sie für überflüssig.

Von Johanna Herzing | 11.03.2010
    So richtig zufrieden ist eigentlich keiner: weder die Interessenvertreter der legalen Waffenbesitzer und schon gar nicht diejenigen, die nach dem Amoklauf von Winnenden eine deutliche Verschärfung des Waffenrechts gefordert hatten - und noch immer fordern.

    "Ich denke natürlich, dass die Waffenlobby hier sehr gezielt, sehr gut strukturiert, sehr gut organisiert gearbeitet hat und auch ihre Interessen vertreten hat; und dass die Politik hier auch definitiv eingeknickt ist. Denn es ist ein ganz Einfaches, die Dinge, die kurz nach dem Amoklauf gesagt wurden, zu vergleichen mit dem, was hinterher dabei herauskommt","

    … sagt etwa Gisela Mayer, Sprecherin des Aktionsbündnisses Amoklauf Winnenden. Im Juli 2009 änderten Bundestag und Bundesrat auf Betreiben der damaligen schwarz-roten Regierung das sogenannte Sprengstoffgesetz. Unter anderem einigte man sich auf die Einführung eines nationalen Waffenregisters bis Ende 2012, eine Amnestieregelung zur Abgabe von Waffen aus illegalem Besitz und die Einführung sogenannter verdachtsunabhängiger Kontrollen bei registrierten Waffenbesitzern. Unnötig - urteilten Jäger, Waffensammler und Sportschützen:

    ""Die Loser sind wir, die sich ordentlich aufführen, die Registrierten. Und die, die so was tun wollen, die machen es sowieso. Das kostet 300 Euro in Tschechien so eine Kalaschnikow. Das ist kein Thema, sich die zu besorgen, zum Beispiel. Wenn so ein Elternteil die Aufsichtspflicht nicht einhält, wie es da jetzt passiert ist - da kann man verschärfen, was man will, ganz egal wie oder was, das wird dann immer wieder passieren."

    Kritik kam auch vom Bund Deutscher Kriminalbeamter. Allerdings mit einer anderen Stoßrichtung: Den Polizisten geht die Politik nicht weit genug. Mit der Gesetzesänderung werde jedenfalls ein erneuter Amoklauf nicht verhindert.

    Besonders heftig gestritten wurde nach Winnenden um großkalibrige Waffen. Die Altersgrenze für den Umgang mit diesen Waffen wurde von 14 auf 18 Jahre angehoben, ein von vielen Seiten gefordertes generelles Verbot für Privatpersonen aber nicht eingeführt. Der baden-württembergische CDU-Innenminister Heribert Rech dazu Anfang dieser Woche:

    "Also grundsätzlich kann eigentlich jede Waffe Menschen töten, auch diese Butterflymesser oder überhaupt jedes Küchenmesser. Die Frage ist aber trotzdem berechtigt, weshalb müssen Sportschützen oder überhaupt Menschen großkalibrige Waffen haben? Es gibt Schützenvereine, die ausschließlich Großkaliber schießen und als Sportschützenverbände anerkannt sind. Daraus ergibt sich natürlich die Folgerung, dass wir großkalibrige Waffen nicht generell verbieten können."

    Eine Argumentation, die viele Waffengegner in Rage bringt. Denn: Mit einem Messer könne man innerhalb kürzester Zeit nicht so viele Menschen töten wie mit einer Schusswaffe. Gisela Mayer ist enttäuscht.

    "Es waren längst überfällige Dinge wie ein zentrales Waffenregister. Schande, dass es noch nicht bestanden hat. So etwas wie Heraufsetzung des Alters, um mit derart gefährlichen Waffen umzugehen. Schande, dass das nicht vorher schon längst geregelt war. Das sind jetzt nicht großartige Verdienste, das sind längst überfällige Regelungen."

    Zudem gibt es auch bei der Altersbeschränkung Ausnahmen. Im Schützenverein darf mit einer großkalibrigen Waffe erst ab 18 trainiert werden. Die großkalibrige Flinte für das Trap- und Skeet-Schießen aber - umgangssprachlich auch Tontaubenschießen genannt - ist bereits den unter 18-Jährigen erlaubt.

    Als erfolgreich darf die Amnestie für die Abgabe illegaler Waffen gewertet werden. Allein in Nordrhein-Westfalen werden rund 34.000 ausrangierte Gewehre, Pistolen und Revolver verschrottet.

    Wer zu Hause legal Waffen lagert, muss verstärkt mit dem Besuch von staatlichen Kontrolleuren rechnen. Seit dem Sommer sind verdachtsunabhängige Überprüfungen möglich, ob Schusswaffen sicher und vorschriftsmäßig - also eingeschlossen und getrennt von der Munition - aufbewahrt werden. Waffenbesitzer protestieren. Sie sehen ihr Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung eingeschränkt. Die Fördervereinigung Legaler Waffenbesitz denkt bereits über eine Verfassungsbeschwerde nach. Bis heute auch nicht geklärt ist, wer die Kosten für die unangemeldeten Kontrollen tragen muss. Anlässlich des Jahrestags von Winnenden fürchten sie ferner eine sogenannte Anlassgesetzgebung. Doch diese Sorge scheint unbegründet.

    Anregungen des Bundesrates, das Waffenrecht restriktiver zu gestalten, wurden Ende Januar vom zuständigen Bundesinnenministerium abgelehnt. Auch ein Sonderausschuss im baden-württembergischen Landtag, der in einem Abschlussbericht Anfang der Woche 83 Empfehlungen als Konsequenzen aus dem Amoklauf vorstellte, lehnt eine weitere Verschärfung des Waffenrechts vorerst ab. Der Ausschussvorsitzende Christoph Palm:

    "Eine Mehrheit des Ausschusses ist der Ansicht, dass man, bevor man sich überlegt, ob man noch mal weiter initiativ werden soll, nun die Wirkungen dieser Änderungen abwarten sollte, evaluieren sollte; nur, dass wir nicht so lange warten wollen wie der Bund, der erst Ende 2011 evaluieren möchte. Wir wollen hier, dass früher evaluiert wird, sodass man dann möglicherweise nachsteuern kann."

    Im Klartext: Das letzte Wort in puncto Waffenrecht ist noch nicht gesprochen.