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Ein Kopf-an-Kopf-Rennen

Am Sonntag wird in Polen gewählt. Obwohl die Umfragen der Opposition einen Vorsprung voraussagen, sieht Korrespondent Thomas Rautenberg die PiS-Partei von Jaroslaw Kaczynski als möglichen Sieger der Wahl. Vor allem die Landbevölkerung setze ihre Hoffnungen auf ihn. Außerdem könne Kaczynski das Ergebnis des EU-Gipfels als seinen Erfolg verbuchen.

Moderation: Jürgen Zurheide |
    Jürgen Zurheide: Die Polen haben die Wahl und offensichtlich hat sich das Eine oder Andere doch auf den letzten Metern des Wahlkampfes verändert. Die oppositionelle Bürgerplattform liegt in allen Umfragen vorne, zum Teil sogar mit recht deutlichem Vorsprung. Wie ist die politische Lage kurz vor der Wahl, darüber wollen wir reden und ich freue mich am Telefon unseren Kollegen Thomas Rautenberg zu begrüßen. Guten Morgen, Herr Rautenberg!

    Thomas Rautenberg: Guten Morgen!

    Zurheide: Herr Rautenberg, zunächst einmal diese Umfragen, die inzwischen einen Vorsprung von bis zu 17 Prozent voraussagen für die Plattform von Oppositionschef Donald Tusk, sind die wirklich belastbar?

    Rautenberg: Ich glaube nicht. Das sollte man mit sehr viel Vorsicht genießen. Auch schon bei den vergangenen Parlamentswahlen hieße es, Tusk liege mit seiner Plattform 14 Prozent vorn damals und was passierte, Jaroslaw Kaczynski mit seiner PiS-Partei machte das Rennen. Bei diesen Umfragen ist auch eines noch zu beachten: Sie werden jetzt publiziert vom staatlich-polnischen Fernsehen, das ist fest in Kaczynski-Hand, und so würde ich vermuten, dass es so eher eine Schocktherapie sein soll, gerade an die eigenen Wähler, an die konservativen Wähler, geht hin, ansonsten machen vielleicht die Liberalen oder gar die Linken das Rennen. Also insofern, sehr, sehr viel Vorsicht und ich denke, wenn man es real sieht hier in Polen, dann ist es immer noch ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Jaroslaw Kaczynski und Donald Tusk.

    Zurheide: Schildern Sie uns ein bisschen die Stimmungslage im Land. Der Wahlkampf ist einigermaßen erbittert gewesen, auch zum Teil unter der Gürtellinie.

    Rautenberg: Das ist schon richtig. Es ging also bei beiden zur Sache, aber Jaroslaw Kaczynski hat auch einen blutigen Wahlkampf angekündigt. Dass es nicht zum Exzess kam, hängt wohl eher damit zusammen, dass sich die Opposition relativ schnell aus dem Wahlkampf verabschiedet hat, gleich nach dem Beschluss über Neuwahlen gab es praktisch keine Opposition mehr. Donald Tusk tauchte erst im Fernsehduell wieder auf, hat da allerdings schwer gepunktet gegen Jaroslaw Kaczynski. Aber alles in allem sind sich die beiden mehr oder weniger aus dem Weg gegangen. Das muss man mal so feststellen. Und was die Stimmung im Lande angeht: ein tief polarisiertes Polen. Also diejenigen, die sagen, Schluss mit Kaczynski, wir müssen einen Neuanfang wagen in Polen, also die Anhänger der Linken in dem Falle und natürlich auch der Liberal-Konservativen um Donald Tusk stehen sich fast unversöhnlich gegenüber mit denjenigen, die sagen, Kaczynski soll weitermachen, es war ein guter Ansatz seiner Politik. Das Problem ist, Kaczynski kann keine richtigen Erfolge vorweisen, und das macht es ihm natürlich schwer, seine Politik tatsächlich als gute Politik in Polen zu verkaufen.

    Zurheide: Gilt ein bisschen die Trennung, dass in den städtischen Gebieten die Opposition die Nase vorn hat und Kaczynski sich vor allen Dingen auf jene verlassen kann, die zu den Verlierern des Modernisierungsprozesses gehören, auch auf dem Land?

    Rautenberg: Im Grundsatz ist das richtig, Kaczynski hat die Wähler vor allen Dingen auf dem Land an sich gezogen, die Wendeverlierer waren. Aber er hat auch in den Großstädten zugelegt, weil er einen klaren Kurs gegen die Oligarchie hier steuerte, weil er sagte, es muss auch den Reichen mal an den Kragen gehen und wenn man die polnischen Großstädte nimmt, dann klafft auch dort eine große, große Lücke zwischen Arm und Reich, und viele, viele arme Menschen, die in sehr, sehr kleinen Wohnungen unter sehr bescheidenen Bedingungen leben, die sagen natürlich, ja vielleicht ist er doch so etwas wie unser Messias, vielleicht tut er endlich mal etwas für uns und lässt uns nicht so wie die anderen Vorgängerregierungen außen liegen. Also, insofern konnte er zulegen in den Großstädten, aber unter dem Strich bleibt eine Feststellung: Das Land gehört weitestgehend Kaczynski und die Metropolen gehören weitgehend der liberal-konservativen Opposition beziehungsweise den Linken.

    Zurheide: Wie ist der Gipfel und die Ergebnisse, wie ist das in Polen selbst diskutiert worden? Ist das, was Kaczynski dort erreicht hat, ist das positiv gewertet worden oder erkennen auch in Polen die Menschen mehr und mehr, dass das eine Politik ist, die in Europa am Ende ja die Einheit nicht weiterführen wird?

    Rautenberg: Ich glaube, so weit gehen die Überlegungen nicht. Dieses Gipfelergebnis wird in Polen von den Menschen als Erfolg gesehen und zwar als Erfolg der Kaczynskis. Das macht es der Opposition noch schwerer zu argumentieren in Polen. Hier wird gezeigt, Kaczynski hat sich sehr, sehr hart verhalten, er hat gegenüber Europa hart verhandelt und er ist dafür belohnt worden mit einem Ergebnis, das die Polen als Wunschergebnis formuliert hatten. Also auch insofern, wenn ich den Umkehrschluss wagen darf, sehe ich nicht, warum jetzt gerade die Opposition so davon profitieren soll, dass sie jetzt 17 Prozent vorn liegt. Hier in Polen ist das Gipfelergebnis als Erfolg der Kaczynskis angekommen und nicht als Erfolg derjenigen, die sagen, wir müssen uns mehr gegenüber Europa und auch gegenüber beispielsweise den deutschen Nachbarn öffnen.

    Zurheide: Dankeschön, das war der Kollege Thomas Rautenberg: Polen vor der Wahl.