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Ein kreativer Geist

1915 waren die Eingangstore zur Welt der reinen mathematischen Theorie für Frauen noch fest verschlossen. Emmy Noether schaffte es dennoch, denn bei ihr handelte es sich um ein Jahrhunderttalent.

Von Martin Hartwig | 14.04.2010
    Ich, Amalie Emmy Noether, bayerischer Staatsangehörigkeit und israelitischer Konfession, bin geboren zu Erlangen am 23. März 1882 als Tochter des Kgl. Universitätsprofessors Dr. Max Noether und seiner Ehefrau Ida. Nach Vorbildung in Erlangen und Stuttgart legte ich 1900 die beiden 'Prüfungen für Lehrerinnen der französischen und englischen Sprache' in Ansbach ab und erwarb 1903 als Privatstudierende das Absolutorium des Kgl. Realgymnasiums Nürnberg.

    So umriss Emmy Noether in einem Lebenslauf ihre schulische Laufbahn. Bis zum Abschluss des Gymnasiums hatte sie sich in den Bahnen bewegt, die für Frauen ihrer Herkunft vorgesehen waren. Doch dann wechselte sie die Profession und studierte Mathematik.

    Meine Lehrer waren in Erlangen: die Herren Professoren Gordan, Noether, Reiger, Wehnelt; in Göttingen: Blumenthal, Hilbert, Klein, Minkowski, Schwarzschild.

    Das waren nicht irgendwelche Herren Professoren, das waren einige der bedeutendsten Mathematiker ihrer Epoche und Emmy Noether, die den Lebenslauf 1907 als Anlage zu ihrer Promotionsschrift verfasst hatte, sollte bald zu ihnen gehören.

    Über die Bildung des Formensystems der ternären biquadratischen Form,

    lautete der Titel ihrer Dissertation, die sie Summa cum laude abschloss. Darin beschäftigte sie sich mit der sogenannten Invariantentheorie, einem Zweig der Algebra, der sich mit den Eigenschaften jener algebraischen Formen befasst, die bei Transformationen ungeändert bleiben. Ihre Schrift ist im Wesentlichen eine Ansammlung von Formeln und Gleichungen, ein "Formelgestrüpp" wie sie später spottete. In Göttingen entfernte sich Emmy Noethen davon und führte die Algebra zu einer hochabstrakten begrifflichen Fundierung. Einer ihrer Schüler, der Niederländer Bartel van der Waerden, charakterisierte das so:

    Sie konnte keinen Satz, keinen Beweis in ihren Geist aufnehmen und verarbeiten, ehe er nicht abstrakt gefasst und dadurch für ihr Geistesauge durchsichtig gemacht war. Sie konnte nur in Begriffen, nicht in Formeln denken, und darin lag gerade ihre Stärke.

    "Mathematik reden" nannte Emmy Noether ihren Umgang mit der Wissenschaft. Ihre Lehrveranstaltungen, die sie noch lange unter den Namen von männlichen Kollegen anbieten musste, waren nichts für die Masse der Studenten, doch sie hatte stets einige hochbegabte junge Mathematiker um sich - die "Noetherknaben", wie sie spöttisch genannt wurden. Sie mochten auch das unkonventionelle Auftreten ihrer Dozentin, die klein und dick war, "Sackkleider" und Männerhüte trug, laut lachte und lospolterte, wenn ihr etwas nicht passte.

    Ihr wissenschaftliches Ansehen ist unbestritten... Weniger geeignet zum Unterricht eines größeren Hörerkreises in elementaren Disziplinen, übt sie auf die begabten Studenten eine starke wissenschaftliche Anziehungskraft aus und hat viele von ihnen wesentlich gefördert, hieß es in dem Antrag, der 1922 dazu führte, dass Emmy Noether nach etlichen gescheiterten Versuchen endlich den Titel einer "außerordentlichen Professorin" führen durfte. Damit war sie die erste Professorin in Göttingen und eine von fünf im gesamten Deutschen Reich.

    Ein Titel ohne Mittel, spottete sie. Denn erst 1923 stattete ihre Fakultät sie mit einem kleinen Gehalt aus. Zehn Jahre lang konnte sie jetzt einigermaßen unbehelligt lehren und forschen - bis in Deutschland die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Als Jüdin, Pazifistin und Sozialdemokratin, war sie den neuen Machthabern gleich in mehrfacher Hinsicht ein Dorn im Auge und schon im April 1933 entzogen sie ihr die Lehrerlaubnis. Emmy Noether emigrierte in die USA, wo sie eine Gastprofessur am Bryn Mawr College in Pennsylvania übernahm. Obwohl die berühmte Mathematikerin gut aufgenommen wurde, fasste sie dort kaum Fuß. Am 14. April 1935 starb Emmy Noether überraschend an den Folgen einer relativ leichten Operation. Albert Einstein schrieb einen Nachruf in der New York Times:

    Im Urteil der besten gegenwärtigen Mathematiker war Fräulein Noether der auffälligste und kreativste Geist, der hervorgebracht wurde, seit die höhere Erziehung der Frauen begann. Im Bereich der Algebra, in dem seit Jahrhunderten die talentiertesten Mathematiker arbeiten, entdeckte sie Methoden, die sich als extrem wichtig für die gegenwärtige Mathematik erweisen.