Donnerstag, 18. April 2024

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"Ein länger vorbereiteter Terroranschlag"

Die Tatumstände in Boston würden zeigen, dass es sich um einen vorbereiteten Terroranschlag handelt, sagt Hans-Peter Uhl, CSU-Innenpolitiker. Man müsse Großveranstaltungen auch im Vorfeld durch gezielte Überwachungen vor potenziellen Terroranschlägen schützen und nicht nur am Tag selbst.

Hans-Peter Uhl im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 16.04.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Wir haben bereits mehrfach in dieser Sendung berichtet und das Ereignis wird auch den Tag bestimmen. Bei Explosionen beim Marathon in Boston sind drei Menschen ums Leben gekommen, weit über 100 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt.
    Vor wenigen Minuten habe ich gesprochen mit dem CSU-Innenexperten Hans-Peter Uhl. Meine erste Frage an ihn: Der Terror ist zurück in den USA?

    Hans-Peter Uhl: Ja, das ist zu befürchten. Wir wissen noch nichts Konkretes, aber nach all den Umständen muss man wohl von Terroranschlägen ausgehen. Das ist entsetzlich, dass es solche Taten jetzt wieder gibt, auch in den USA, aber wir wussten ja immer, dass damit zu rechnen ist, nicht nur in den USA, überall, in Europa, auch in Deutschland.

    Heckmann: Kann es denn noch vernünftige Zweifel daran geben, dass es sich dabei wirklich um einen Terroranschlag gehandelt hat?

    Uhl: Ich möchte den Ermittlungen nicht vorgreifen, aber ich glaube nicht, dass man daran zweifeln kann.

    Heckmann: Woraus schließen Sie das?

    Uhl: Bei Tatumständen dieser Art muss es wohl ein konzertiertes Vorgehen gegeben haben, ein länger vorbereiteter Terroranschlag. Die Umstände zeigen das.

    Heckmann: Jetzt sind die Informationen aus den USA noch einigermaßen bruchstückhaft. Aber was heißt das ganze für die Sicherheitslage in Europa, in Deutschland? Frankreichs Innenminister, der hat ja schon zu erhöhter Wachsamkeit aufgerufen.

    Uhl: Ja, das ist in der Tat angebracht. Allerdings muss man auch sagen, diese Hinweise und Warnungen sind dann nicht viel wert, weil der Staat ja seine Bürger nicht mehr schützen kann - in dem Augenblick, in dem der Täter oder die Täter auf heimtückische Weise zur Tat schreiten, sozusagen die Bombe unterm Arm haben. Dann hat der Staat verloren. Man muss viel früher ansetzen.

    Heckmann: Das heißt, wie sollte der Innenminister, wie sollten die Behörden reagieren?

    Uhl: Die Behörden müssen sich immer fragen, und das ist die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit, haben wir das richtige Instrumentarium. Ist der Staat blind und taub und kann solche terroristischen Vorbereitungshandlungen erkennen oder nicht? Wenn er sagen muss, wir sind nicht in der Lage, die Vorbereitungshandlungen, die Kommunikation von Terroristen, die dauern ja Wochen und Monate in der Verabredung solcher Terroranschläge, wenn der Staat dies nicht erkennen kann, muss er sein Instrumentarium nachbessern, und das gilt auch für Deutschland.

    Heckmann: Dass die Sicherheitsbehörden nicht allzu gut aufgestellt sind, ganz offenbar, das hat ja die Terrorserie der NSU gezeigt, oder?

    Uhl: Ja! Das zeigt zweierlei: Erstens, dass hier Fehler gemacht wurden, die werden jetzt aufbereitet, aber auch zweitens, dass es töricht wäre, den Verfassungsschutz in toto zu diskreditieren, verächtlich zu machen. Gerade solche Anschläge zeigen, dass wir den Verfassungsschutz, die Nachrichtendienste im Inland und im Ausland dringendst brauchen, um solche Terrorzellen zu erkennen, zu überwachen, ihre Kommunikation zu begleiten, um vorher einschreiten zu können und nicht erst dann, wenn es gekracht hat.

    Heckmann: Sie haben gerade eben schon angedeutet, Herr Uhl, dass die Behörden dazu auch neue Instrumente bräuchten. Sie rufen also nach neuen Gesetzen?

    Uhl: Nein, ich rufe nach alten Gesetzen, die wir immer noch nicht haben. Schauen Sie, zum Thema NSU, da wurden ja Handys und Computer und Laptops gefunden. Wir alle fragen heute noch, über ein Jahr später: Wie groß ist der braune Sumpf, mit wem haben die kommuniziert. Hätten wir damals schon die Vorratsdatenspeicherung, die wir heute noch nicht haben, die wir aber einrichten müssen, weil die EU uns dazu zwingen wird, mit Recht, wüssten wir sehr viel mehr.

    Heckmann: Und Sie glauben, dass die Vorratsdatenspeicherung Terrorakte dieser Art, wie sie jetzt in Boston ganz offenbar geschehen sind, verhindern können?

    Uhl: Nein! Das wäre töricht, so was zu sagen. Aber das ist ein Instrument neben mehreren. Dazu gehören solche Dinge wie Quellen-TKÜ. Überhaupt die ganze verschlüsselte Kommunikation von Terroristen, von Gefährdern, die im In- und Ausland unterwegs sind, muss vom Staat begleitet werden und Erkenntnisse müssen zwischen den Nachrichtendiensten ausgetauscht werden. Das ist ja grenzüberschreitender Terrorismus. Es geht nur gemeinsam und da ist nicht ein Instrument wie die Vorratsdatenspeicherung in der Lage, einen Anschlag zu verhindern, aber ist ein wichtiger Baustein und auf den kommt es auch an.

    Heckmann: Ist eine Erkenntnis nicht auch, dass Großveranstaltungen dieser Art nicht zu schützen sind, und was folgt aus dieser Erkenntnis?

    Uhl: Doch, sie sind zu schützen. Aber nicht, wenn sie veranstaltet werden, am Tag der Veranstaltung, sondern in den Wochen und Monaten davor, in denen möglicherweise Terroristen dort einen Anschlag vorbereiten. Da, in der Zeit davor, sind sie zu schützen.

    Heckmann: Das heißt, Sie sehen keinen Anlass, jetzt in den nächsten Tagen und Wochen auf Großveranstaltungen dieser Art zu verzichten?

    Uhl: Nein, auf gar keinen Fall! Wir sollten die Menschen auch nicht verrückt machen und ihnen jede Großveranstaltung ausreden. Schauen Sie, wir haben in München den Anschlag auf das Oktoberfest vor vielen Jahren gehabt und dennoch kommen Gott sei Dank die Menschen wieder zu Hunderttausenden und Millionen. Das sollte auch so bleiben.

    Heckmann: Der Innenpolitiker der CSU, Hans-Peter Uhl war das zu den Konsequenzen aus den Explosionen in Boston. Ganz herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Uhl.

    Uhl: Danke auch!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.