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Ein Leben für den Widerstand

Heinrich und Gottliebe von Lehndorff gehörten zum engsten Kreis des Widerstands gegen Hitler. Und doch ist das Ehepaar heute fast vergessen. Mit 35 Jahren wurde Heinrich Lehdorff von den Nazis gehängt, die Familie enteignet. Antje Vollmer, die ehemalige Vizepräsidentin des Bundestags, hat nun die Familiengeschichte der Lehndorffs aufgeschrieben.

Von Christoph Haacker | 04.07.2011
    "Doppelleben" – so benennt Antje Vollmer das intensive Zusammenleben eines jungen adligen Ehepaars während der NS-Zeit und ihre besondere Leistung, die sich im Verborgenen abspielt: "Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop" – so der Untertitel. Das ist etwas unscharf, denn Hitler und nicht sein Außenminister war im Visier der Verschwörer. Dass diese erstaunliche Geschichte nicht im Dunklen geblieben ist, ist auch ein Verdienst von Marion Gräfin Dönhoff. 1994 hatte sie in ihrem Buch "Um der Ehre willen. Erinnerungen an die Freunde vom 20. Juli" ein Kapitel dem Verwandten "Heini" von Lehndorff und den gemeinsamen Wurzeln gewidmet.

    Diese lagen in Ostpreußen, und so begibt sich Antje Vollmer zunächst auf Erkundung dieses Landstrichs. Sie entwickelt ihr Porträt Heinrich von Lehndorffs aus der Chronik seiner uralten Adelsfamilie. Dabei tritt die Verfasserin immer wieder zurück, um manchmal seitenweise zu zitieren, zumeist aus den Erinnerungen von Marion von Dönhoff oder von Hans Graf von Lehndorff, einem Cousin. Dabei ergibt sich, dass jene als reaktionär verschrienen "ostelbischen Junker" durchaus komplexer waren als ihr Ruf. Manfred von Lehndorff hatte 1926 sogar mit anderen Adligen dazu aufgerufen, die Weimarer Republik zu unterstützen. Von dieser liberaleren, gleichwohl standesbewussten Haltung wird auch sein Sohn Heinrich geprägt. Zunächst ist dieser vor allem mit dem großen Landgut und Gestüt in den Masuren verwachsen.

    Er wächst dann an seiner Liebe zur ostpreußischen Gräfin Gottliebe von Kalnein, die, weniger provinziell, schon in Dresden, Bogotá und Berlin gelebt hat; 1937 werden sie getraut, von Pfarrer Martin Niemöller, der vier Monate später verhaftet und zu Hitlers persönlichem Gefangenen im KZ wird. Die Biografin stößt in diesem Jahr auf einen Makel: Lehndorff ist seit 1. Mai 1937 Mitglied der NSDAP, was auf einen Aufnahmeantrag irgendwann ab Mai 1933 schließen lässt. Antje Vollmer spielt verschiedene Erklärungen durch, ohne das zu beschönigen. Sie findet allerdings auch keine Anhaltspunkte für eine ideologische Nähe zu den Nazis. 1939 nimmt Heinrich von Lehndorff am Polenfeldzug teil. Am 22. August 1941 fällt sein Bruder in Estland. Dieser soll bereits 1939 mit Hitlergegnern vernetzt gewesen sein; Gräfin Dönhoff legt nahe, dass Heinrich – Heini genannt - dessen Engagement fortführen wollte. Dazu kommt ein Ereignis, an das sich Gottliebe von Lehndorff erinnert:

    "Eines Tages, als Heini von der Ostfront für ein paar Tage nach Hause gekommen war, spürte ich, dass etwas Besonderes vorgefallen sein musste. Da wir zuhause nicht reden konnten, ritten wir in den Wald. ›Du, ich muss dir etwas Dringendes sagen‹, sagte Heini zu mir. ›Ich habe etwas Schreckliches erlebt. Ein SS-Mann packte ein Kind und schleuderte es so lange gegen einen Baum, bis es tot war. Ich habe mich jetzt entschlossen, endgültig dem Widerstand beizutreten. Wir sind eine ganze Gruppe bei Bock. Da sind Tresckow, Schlabrendorff und Hardenberg. Sie wollen alle, dass Hitler beseitigt wird.‹"

    Mindestens einer dieser Offiziere ist auch Zeuge eines Massakers, bei dem im Oktober 1941 im weißrussischen Borissow 7000 Juden von der SS ermordet werden. Sie fühlen sich aufgerufen, diesen Verbrechen etwas entgegenzusetzen. Hier, bei der Heeresgruppe Mitte, kommt Lehndorff als Ordonnanzoffizier Fedor von Becks mit den Köpfen des Widerstands zusammen. Ein Umstand erleichtert seine Rolle als wichtiger Verbindungsmann zwischen Henning von Tresckow und von Stauffenberg bzw. General Olbricht in Berlin:

    Das Oberkommando des Heeres befindet sich auf seinen Besitzungen; das neue Führerhauptquartier "Wolfsschanze" in der Nähe. Zudem belegt von Ribbentrop einen Flügel des Familienschlosses Steinort als Residenz. Lehndorff nutzt Freiräume, die ihm als Herr über kriegswichtige Landwirtschaft zugestanden werden, um häufig vor Ort zu sein. Hier soll er auch Hinweise auf Morde an Juden im Generalgouvernement an einen Agenten der schwedischen Abwehr weitergegeben haben. Die Risiken sind ihm stets bewusst gewesen, wie seine Frau überliefert:

    "Einmal hat er gesagt: ›Meine Position ist so, dass es sein kann, dass ich nicht mehr wiederkomme. Da bin ich noch nicht tot, aber da bin ich verhaftet. Und dann wirst Du schon irgendwie […] herausbekommen, wo und wie und was."

    Nach dem Scheitern des Attentats flieht Heinrich von Lehndorff überstürzt, als die SS vorm Haus auftaucht, wird mit Hunden gehetzt, stellt sich. Als er gefangen in Berlin eintrifft, reißt er sich los und entkommt, wird erst nach Tagen gefasst. Die Selbsttötung misslingt, er wird verhört, verurteilt und am 4. September 1944 in Plötzensee hingerichtet. Sind die Vorgänge um den 20. Juli heute recht gut bekannt, so bringt Antje Vollmer mit den Erinnerungen Gottliebe von Lehndorffs noch ein wichtiges Zeugnis über die Rolle ihres Manns ein.

    Eine andere Quelle sind die "Kaltenbrunner-Berichte", die für Hitler, Himmler und Bormann verfasst, die Motive der Verschwörer aufdecken sollten. In diesen haben glaubwürdige Bekenntnisse Heinrich von Lehndorffs besonderes Gewicht. Dabei beeindruckt es, dass er als Grund seiner Auflehnung nannte, was viele Zeitgenossen hinnahmen: nämlich "die Durchführung aller auf die Ausschaltung des Judentums gerichteten Maßnahmen" und die "Volkstumspolitik im Osten", sprich: die Verbrechen an der Zivilbevölkerung.

    Was Antje Vollmer über die Lehndorffs zu erzählen hat, ist bewegend, als Erzählerin überzeugt sie dagegen nicht immer. Hier haben Hans Magnus Enzensberger mit "Hammerstein oder der Eigensinn" oder auch Wiebke Bruhns auf ihre Art Maßstäbe gesetzt. Dennoch gelingt es ihr ebenso, einem weiteren Hitlergegner ein Gesicht zu geben, wie auch der der Frau an seiner Seite. Das macht den besonderen Wert dieses unbedingt lesenswerten Buchs aus.

    Antje Vollmer: "Doppelleben. Heinrich und Gottliebe von Lehndorff im Widerstand gegen Hitler und von Ribbentrop", Eichborn, 416 Seiten, 24,95 Euro, ISBN: 978 – 3-8218- 4773-3