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Ein Leben mit Gummibärchen

40 Jahre im Job zu bleiben, das mag für hochbezahlte Chefärzte attraktiv sein, für Dirigenten, die ihre Kreativität entfalten, für Fach- und Führungskräfte, die eigene Ideen umsetzen können. Was aber, wenn weder die Karriere noch das hohe Einkommen die lange Zeit versüßen?

Von Aya Bach | 01.05.2010
    Beherzt hievt Marie-Rose Zensen eine große Dose mit knallgelben Zuckerbananen auf die Waage. Das Gewicht stimmt, exakt drei Kilo, jetzt noch Dosen Nummer zwei bis fünf. Alle halbe Stunde geht das so, dann verlässt sie ihr Büro und taucht zum Kontrollgang ein in den ohrenbetäubenden Lärm der Werkshalle.

    Hier spucken riesige Maschinen mit krakenartigen Röhren allerlei Naschwerk aus: buntes Zuckerzeug, dunkle Lakritze und natürlich Gummibärchen. Sie alle gehen auf die teilautomatisierte Verpackungsstrecke. In Tüten und Dosen gefüllt, landen sie bei Marie-Rose Zensen. Seit über 40 Jahren kennt sie sich aus im Reich von Gummibärchen und Co.

    "Ich bin 1966 zu Haribo gekommen. Unsere Firma in Marseille, Frankreich, hatte ein Abkommen mit Haribo. Und Haribo hat Leute gebraucht, weil in den Sommerferien viele Leute im Urlaub waren."

    18 Jahre jung war sie damals. Zusammen mit acht Kolleginnen wurde sie per Kleinbus nach Bonn gebracht - für drei Monate. Im nächsten Jahr kam das gleiche Spiel.

    "Und da hab ich gefragt, ob ich hier fest angestellt werden konnte. Und da haben sie ja gesagt. Die waren hier zufrieden mit meiner Arbeit, und 1968 bin ich für immer hierher gekommen. Das hat mir besser gefallen, als in Frankreich und die Bezahlung auch, muss ich sagen - die Bezahlung war auch besser, als in Frankreich."

    Die Arbeit war damals schwerer als heute: Die Bärchen mussten gezählt und einzeln von Hand in Tüten und Dosen verpackt werden.

    "Das war auch ein bisschen schwer. Wir haben im Akkord gearbeitet, den ganzen Tag. Das war sehr anstrengend. Wir hatten so Holzbretter. Da war Lakritz drauf. Die mussten wir zählen und einpacken."

    25 Jahre lang hat sie das durchgehalten - eine halbe Ewigkeit. Dann kam die Zeit der Maschinen. An einem Gerät, das noch heute in Betrieb ist, musste sie fertig gepackte Tüten in Dreikilobeutel umpacken, die wiederum in Kartons legen und weiterschieben.

    "Das war immer dieselbe Arbeit, immer dieselbe Bewegung, weil ich immer an derselben Maschine war. Ich hatte Probleme mit der Schulter, drei Monate hatte ich Schmerzen."

    Ein paar Jahre später suchte die Abteilungsleiterin eine neue Bürokraft. Die Wahl fiel auf Marie-Rose Zensen.

    "Da ich die Arbeit kannte, hat sie mich rausgenommen aus der Maschine. Dann musste ich Paletten zählen, Kartons zählen, aber nicht mehr an der Maschine. Also hier drin ist es okay, mit meinen Kollegen. Wir verstehen uns alle gut und wir lachen auch viel zusammen."

    Im Büro arbeitet sie heute noch. Exakt führt sie Buch über die fertigen Packungen. Stimmt etwas nicht, müssen die Geräte neu justiert werden. Sie bestellt Etiketten, auch für den Export, denn die Bären und ihre süßen Kollegen gehen weltweit auf Reisen.

    40 Jahre Gummibärchen, das heißt für Marie-Rose Zensen noch heute täglich den Lärm der Verpackungsmaschinen in den Ohren zu haben, den intensiven Geruch von Lakritze in der Nase. Auf die Frage, wie sie das ausgehalten hat, ist sie ganz bescheiden: Sie hat sich eben dran gewöhnt. Aber ob sie stolz ist auf ihre Arbeit?

    "Wie soll ich denn sagen - stolz? Ich bin zufrieden, ja. Ja! Stolz bin ich auch, ja, richtig! Also, ich war stolz, dass ich nicht mehr an der Maschine arbeiten musste, dass ich ins Büro gekommen bin! Ja! Wir haben am Tisch gearbeitet, ich hab Akkord gearbeitet - aber mir war keine Arbeit zu schwer. Ich hab eigentlich immer alles geschafft!"

    Marie-Rose Zensen könnte demnächst in Rente gehen, aber ob sie das in Anspruch nimmt?

    "Also ich weiß nicht! Man ist es so gewohnt, immer weiter zu arbeiten! Und dann auf einmal zu Hause! Wenn ich dann einmal das Haus sauber gemacht habe, dann setz ich mich hin - und dann? Das wird langweilig für mich!"